Wichtige Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Kür­zlich habe ich Jack Vances Das Wel­traum­monopol gele­sen (2002, Bastei Lübbe; orig. The Five Gold Bands, 1950). In diesem anson­sten für Vance eher ent­täuschen­den Buch erregte fol­gen­der Satz meine Aufmerk­samkeit. Die Haupt­fig­ur, Pad­dy Black­thorn, spricht über eine außerirdis­che Spezies, die Adler genan­nt wird, und sagt unter anderem:

Die Adler hier — ihre Neugi­er ist unstill­bar, und sie sind von Natur aus so hart­näck­ig, dass es in ihrer Sprache kein Wort für diese Eigen­schaft gibt.

Vor dem Hin­ter­grund unser­er Eski­mowörter-für-Schnee-Debat­te ist das ein inter­es­san­ter Gedanke. Hin­ter dem Schnee­mythos steckt ja die Annahme, dass eine Sprachge­mein­schaft für kul­turell wichtige Dinge beson­ders viele Wörter haben muss. Jack Vance weist hier darauf hin, dass es auch umgekehrt geht: eine Sache kann in ein­er Kul­tur so selb­stver­ständlich sein, dass man über­haupt nicht darüber reden muss.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

5 Gedanken zu „Wichtige Wörter

  1. MK

    Das gibt es auch im wirk­lichen Leben: Der Judaist Gün­ter Stem­berg­er weist darauf hin, dass die hebräis­che Sprache kein Wort für “Reli­gion” ken­nt (das heute ver­wen­dete “dat” ist per­sis­chen Ursprungs und bedeutet eigentlich “Gesetz”), weil im Juden­tum das ganze Leben religiös ist. “Im jüdis­chen Leben ist nichts wirk­lich pro­fan.” – Wozu brauchte man, jeden­falls in alter Zeit, dann ein Wort für Religion?

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  2. Anatol Stefanowitsch

    MK, danke für dieses inter­es­sante Beispiel! Ich würde natür­lich gerne noch wis­sen, ob es im Hebräis­chen vor der Entlehnung des Wortes dat tat­säch­lich kein Wort gab, mit dem man das Konzept des Religiösen beze­ich­nen kon­nte — aus der Tat­sache, dass heute ein Lehn­wort ver­wen­det wird, lässt sich das ja noch nicht ohne Weit­eres folgern.

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  3. Wolfgang Hömig-Groß

    Hal­lo Herr Stefanowitsch,

    auch ich (wenn ich Ihre Ein­schätzung richtig extrahiere) bin ein großer Vance-Fan und teile Ihre Ein­schätzung des Romans.

    Später ist es bei Vance wirk­lich sehr viel deut­lich­er her­vor­ge­treten, dass sein umfassendes Inter­esse an dem, was in Men­schen alles drin steckt, alle Aspek­te ein­schließt: Reli­gion, Philoso­phie, Kul­tur, Essen, Trinken, Gefüh­le und immer wieder auch Sprache. Ken­nen Sie “Die Kriegssprachen von Pao”? Da ste­ht die (gezielte) Verän­derung von Men­schen durch Sprache sog­ar im Vorder­grund — obwohl auch das nicht sein stärk­stes Werk ist.

    Ich finde, vom Ideen­re­ich­tum und stilis­tisch sind die “Die ster­bende Erde”-Romane der Höhep­unkt. Und, er lebt und schreibt ja noch, auch seine let­zten zwei finde ich bemerkenswert.

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  4. Anatol Stefanowitsch

    Hal­lo Herr Hömig-Groß,

    ja, Kriegssprachen/The Lan­guages of Pao ist zwar bei Weit­em nicht Vances stärk­stes Werk, aber doch eine inter­es­sante Auseinan­der­set­zung mit der Idee, dass die Sprache, die wir sprechen, unser Denken bee­in­flusst. Ich empfehle es deshalb allen Inter­essierten aus­drück­lich! Sowohl die englis­che als auch die deutsche Aus­gabe sind derzeit lei­der wieder ein­mal ver­grif­f­en, aber über Ama­zon find­et man eine Rei­he von gebraucht­en Ange­boten (Ori­on Books wird wohl 2010 eine Neuau­flage in der her­vor­ra­gen­den Gol­lancz-SF-Rei­he her­aus­brin­gen). Aus­führlichere und radikalere Auseinan­der­set­zun­gen mit dem The­ma „Sprache und Denken“ find­en sich in Ian Wat­sons The Embed­ding (immer mal wieder von Gol­lancz SF erhältlich) und natür­lich dem Klas­sik­er, Samuel Delanys Babel 17 (immer in mehreren Aus­gaben erhältlich).

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