Zweihundert Wörter für „Pferd“?

Von Anatol Stefanowitsch

Kaum habe ich ver­sprochen, dass wir in Zukun­ft mehr über lexikalis­che Mythen bericht­en wollen, liefert uns Vio­la heute mor­gen fol­gen­den Kom­men­tar, der eigentlich für unsere Reis­geschichte sein sollte, den ich aber lieber hier poste, damit er nicht untergeht:

liest hier jemand mit, der ungarisch kann und sich mit pfer­den auskennt?

grad ent­deckt:

Le hon­grois […] dis­pose […] de plus de deux cents ter­mes pour définir la race et la couleur d’un cheval.”

- “Das Ungarische ver­fügt über mehr als 200 Wörter zur Beze­ich­nung der Rasse und der Farbe eines Pferdes.”

In: Moore, Christo­pher (2006): Les plus jolis mots du monde. Paris: Michel. S. 45. [Orig­i­nal ersch. 2004 u.d.T. “In oth­er words. A lan­guage lover’s guide to the most intrigu­ing words around the world”. Lon­don: Elwin Street.]

Der Voll­ständigkeit hal­ber hier noch das englis­che Orig­i­nalz­i­tat, dass ich in diesem Blo­gein­trag des Schrift­stellers Julius Lester gefun­den habe, der dort gle­ich auf einen ganzen Reis­sack voller sprach­lich­er Mythen here­in­fällt (aber nicht auf den von den Eski­mos): “Hun­gar­i­an has two hun­dred dif­fer­ent words describ­ing the breed and the col­or­ing of a horse.”

Ich spreche lei­der kein Ungarisch, aber wenn die Ungarn wirk­lich nur zwei­hun­dert Wörter für „Pferd“ haben, sind sie nicht das Reit­er­volk, für das ich sie immer gehal­ten habe: im Deutschen gibt es näm­lich deut­lich mehr als zwei­hun­dert Wörter für Pfer­derassen und ‑far­ben. Zunächst sind da Wörter, mit denen Pferde nach ver­schiede­nen all­ge­meinen Eigen­schaften unter­schieden wer­den kön­nen (habe ich alles aus dem Wik­tionary geklaut):

  • GESCHLECHT: Hengst, Stute, Wallach
  • ALTER: Fohlen, Füllen, Jährling
  • GRÖSSE: Großpferd, Kleinpferd
  • FARBE: Fuchs, Rappe, Schim­mel, Brauner, Isabelle, Schecke
  • VERWENDUNG: Ack­erpferd, Arbeit­spferd, Dres­surpferd, Droschkenpferd, Kaval­leriepferd, Kutsch­pferd, Lastpferd, Olympiapferd, Paradepferd, Postpferd, Ren­npferd, Springpferd, Turnierpferd, Zirkuspferd, Zugpferd
  • EINSTELLUNG: Gaul, Mähre, Ross, Schind­mähre, Klepper

Das sind (mit Pferd) immer­hin schon mal 35 Wörter, von denen 17 ein­fache Wörter sind (also Wörter, die nicht ihrer­seits das Wort Pferd o.ä. enthal­ten). Und da ist noch keine einzige Pfer­derasse mit dabei, von Ponys ganz zu schweigen. Die Wikipedia lis­tet mehr als drei­hun­dert Pferde- und Ponyrassen auf (natür­lich wer­den die größ­ten­teils durch zusam­menge­set­zte Wörter bezeichnet).

Der Unter­schied zum Schnee­mythos ist ja, dass Schnee im Großen und Ganzen immer Schnee ist, ob er nun fällt, liegt, neu oder alt ist, über­friert oder stäubt, usw. Die Pfer­derassen sind aber objek­tiv unter­schei­d­bare Unterkat­e­gorien der Gat­tung Equ­us und des Ober­be­griffs Pferd. Dass Pfer­deken­ner diese Unterkat­e­gorien sprach­lich unter­schei­den kön­nen, wun­dert mich nicht.

Aber zurück zum Ungarischen: wer tritt die Ehren­ret­tung an und beweist, dass die Ungarn min­destens drei­hun­dert Wörter für Pfer­derassen haben?

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Zweihundert Wörter für „Pferd“?

  1. viola

    OT: gestern im buch­laden gese­hen, daß es das buch inzwis­chen auch auf deutsch gibt: “Mis­ter Moore’s Wort­gestöber. Ein Weg­weis­er durch die Sprachen der Welt”. Fis­ch­er, März 2007.

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  2. David Marjanović

    Pferde- und Ponyrassen

    Ponys sind, bis auf die Größe, ganz nor­male Pferde, keine eigene Art oder Unter­art. Also zählt “Pony”.

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  3. K

    Es ist zwar schon ewig her — ich bin so beim Stöbern drauf gekom­men -, aber diesen Beitrag fand ich deut­lich schwäch­er als viele andere. 

    Um auf den Schnee zurück­zukom­men: natür­lich ist es chemisch gese­hen immer H20, aber darum geht es nicht. Wenn wir zwis­chen Harsch, Sulz, Firn etc. unter­schei­den (ken­nt man diese Aus­drücke in der BRD?), dann ist halt der Aspekt wichtig, wie sich das schöne Weiß ver­hält, auch wenn es chemisch immer das gle­iche ist, weil das eben z.B. beim Ski­fahren einen Riese­nun­ter­schied macht. Die Pferde sind biol­o­gisch gese­hen auch alle Vertreter der Spezies Equ­us ferus cabal­lus, aber je nach­dem, welch­er Aspekt einem wichtig ist, unter­schei­det man dann genauer.

    Also, Entschuldigung, aber der war’s nicht so ganz … 🙂

    K.

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