Paint It, Pink

Von Anatol Stefanowitsch

In vie­len asi­atis­chen Län­dern dient die englis­che Sprache rein deko­ra­tiv­en Zweck­en. Das lateinis­che Alpha­bet und die englis­che Orthografie scheinen dort ein ähn­lich­es ästhetis­ches Empfind­en anzus­prechen, wie es chi­ne­sis­che Schriftze­ichen bei uns tun. Der Inhalt spielt dabei keine Rolle. Die Mach­er von T‑Shirts, Taschen und Postern wer­fen oft mit völ­lig beliebige Wörter und Pseudowörter um sich, oder sie klauen Absätze aus ver­schiede­nen Quellen und kom­binieren sie zu inkon­gru­enten Textcol­la­gen. Etwa „Get ready for judg­ment. It is prob­a­bly to stim­u­late your five sens­es with the intense impact” [hier], oder „20th cen­tu­ry boy. I wan­na be your boy. Yes, I’m your boy” [hier] oder auch

Go skat­ing. Would you agree to par­tic­i­pate in a nation­wide sci­en­tif­ic exper­i­ment in mind and mood expan­sion? Just stand there. Don’t fire back. It took us 15 min­utes to tax shel­ter $4,000. Emi­grant makes IRAs that easy. That’s why we Emi­grat­ed. Thomas Jef­fer­son, Jer­ry Fal­well, Ben­jamin Franklin, et al. Fun­ny Boy“ [hier].

Ich habe Bekan­nte aus Chi­na, die mir glaub­haft ver­sich­ern, dass die chi­ne­sis­chen Schriftze­ichen, die wir auf T‑Shirts oder als Mod­e­schmuck oder sog­ar als Tätowierung spazieren tra­gen, auch nicht sinnhafter sind.

Aber auch die englis­che Sprache dient in Deutsch­land weitest­ge­hend als schmück­endes Bei­w­erk. Beson­ders offen­sichtlich ist das bei Unternehmens­ber­atern, die dafür bezahlt wer­den, dem Unternehmer das zu sagen, was er ohne­hin schon weiß, nur eben gar­niert mit Buzz­words wie Busi­ness Excel­lence, Total Flow Man­age­ment und Cus­tomer Sat­is­fac­tion.

Auch in anderen Bere­ichen wird deut­lich, dass es sel­ten um den Inhalt geht, wenn das Englis­che zur Ver­wen­dung kommt. Vor eini­gen Tagen ist mir ein Werbespot der Telekom aufge­fall­en, in dem ein Pro­dukt namens „T‑Home“ bewor­ben wird. Der Spot präsen­tiert einen Pro­tag­o­nis­ten, der von ein­er Sit­u­a­tion in die näch­ste springt. Er öffnet zum Beispiel seinen Kühlschrank und find­et sich in einem Super­markt wieder. Dann läuft er in ein Fußball­sta­dion, in dem sein Sofa ste­ht, von dem aus er das Fußball­spiel anguck­en kann. Dann tanzt er ein biss­chen vor sich hin und spielt plöt­zlich mit ein­er Band vor einem toben­den Pub­likum. Dann sitzt er mit sein­er Fre­undin auf dem Sofa, geht an sein Bücher­re­gal und ste­ht unver­mit­telt in ein­er riesigien Bib­lio­thek. Und so weiter.

Das alles wäre nicht bericht­enswert, wenn die Wer­beagen­tur nicht eine äußerst aparte Auswahl bezüglich der Musik getrof­fen hätte, die dieses wirre Aben­teuer begleit­et: Es ist der Rolling-Stones-Song „Paint It, Black“ (1966, vom Album After­math). Nun ist das ein fan­tastis­ches Stück, vielle­icht eins der stärk­stern Werke von Jag­ger und Richards über­haupt. Man sollte sich eigentlich freuen, wenn das mal wieder regelmäßig im Fernse­hen gespielt wird und der Jugend von Heute® beweist, dass die Stones mal eine großar­tige Band waren. Aber es han­delt nun ein­mal von einem jun­gen Mann, der den Tod sein­er Fre­undin betrauert!

Haben die Cre­ativ­en das nicht gemerkt als sie diese Zeilen gehört haben (den kom­plette Text kann man sich hier durchlesen):

I see a line of cars and they’re all paint­ed black,

With flow­ers and my love both nev­er to come back.

Oder die hier:

Maybe then I’ll fade away and not have to face the facts.

It’s not easy fac­ing up when your whole world is black.

Oder spätestens bei diesen hier:

No more will my green sea go turn a deep­er blue.

I could not fore­see this thing hap­pen­ing to you.

If I look hard enough into the set­ting sun

My love will laugh with me before the morn­ing comes.

Oder war das am Ende sog­ar Absicht? Soll den poten­ziellen Kun­den sug­geriert wer­den, dass „T‑Home“ (was auch immer das sein mag) ein her­vor­ra­gen­der Ersatz für eine Fre­undin ist? Oder war ihnen völ­lig egal, wovon der Song eigentlich han­delt? Haupt­sache, den Kun­den wird die Gute Alte Zeit ins Gedächt­nis gerufen? Oder — und das halte ich für am wahrschein­lich­sten — haben sie den Text schlicht nicht verstanden?

Wer mich ken­nt, der weiß, dass ich immer ver­suche, in allem das Pos­i­tive zu sehen. Also: eigentlich ist es ja beruhi­gend, dass ein glob­aler Medi­en- und Kom­mu­nika­tion­s­gi­gant wie die Telekom es sich leis­ten kann, eine beschwingte Lifestyle-Wer­bung mit einem Text über Tod, Trauer und Verzwei­flung zu unter­legen. Wenn das den Kun­den nicht auf­fällt, kann es mit dem Ein­fluss des Englis­chen auf die deutsche Sprache ja doch noch nicht so weit her sein, wie die Propheten der Apoka­lypse uns glauben machen wollen.

[Nach­trag (15:38): Für diejeni­gen, die die Kom­mentare gerne über­sprin­gen — beacht­en Sie unbe­d­ingt den Link zum Slate Mag­a­zine, auf den Herr Kehoe hin­weist! Die Beispiele, die dort aufge­führt sind, deuten darauf hin, dass hin­ter ein­er unpassenden Musikauswahl mehr steck­en kann als schlechte Englischkenntnisse…] 

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

10 Gedanken zu „Paint It, Pink

  1. buntklicker.de

    Vor­sicht mit der Ver­linkung urher­ber­rechtlich geschützten Mate­ri­als! Ich glaube kaum, daß Stones-Texte geme­in­frei sind. Da kann es leicht zu Post vom Anwalt kommen.

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  2. Anatol Stefanowitsch

    Herr Ibert, danke für den Hin­weis! Die Ver­linkung urhe­ber­rechtlich geschützten Mate­ri­als an sich ist wohl unprob­lema­tisch, son­st müsste man Links ja ganz abschaf­fen. Hier ging es wohl eher darum, dass die ursprünglich ver­link­te Seite möglicher­weise eine Urhe­ber­rechtsver­let­zung darstellen kön­nte (da es eine amerikanis­che Seite war, kön­nte sie aber dur­chaus unter die „Fair Use“-Klausel des amerikanis­chen Copy­rights fall­en). Zur Sicher­heit habe ich den Link nun auf die offizielle Seite der Rolling Stones geset­zt — mit dem zusät­zlichen Vorteil, dass dort der kor­rek­te Text steht…

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  3. cri

    Das ist eine japanis­che Fir­ma, die für ihre Klei­der-Auf­drucke mit west­lichen Zeichen bekan­nt ist:

    http://www.graniph.com/product/

    Beim durch­blät­tern des Pro­duk­tkat­a­logs kann man auch etwas erah­nen, welche deutschen Wörter in Japan cool wirken. Mir scheint, “z”, k”, “ch/ck” und Umlaute sind beson­ders hip. — Orthogra­phie, Gram­matik und Seman­tik sind bei diesen Auf­druck­en ein­fach nicht von Bedeu­tung. Es geht nur ums Schriftbild.

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  4. Connie Müller-Gödeck

    in mein­er Fam­i­lie gibt es die Über­liefer­ung, daß im 19. Jahrhun­dert in den aus Chi­na importierten Tee­dosen kleine, in chi­ne­sis­ch­er Schrift bedruck­te Zettel lagen. 

    Diese wur­den als “exo­tisch-authen­tisch” geschätzt. 

    Bis dann jemand auf die Idee kam, den Text zu übersetzen:

    Dreimal aus­ge­laugter Tee für die ver­flucht­en Christenhunde!”

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  5. Connie Müller-Gödeck

    Es geht nur ums Schriftbild.

    Ist das bei uns nicht anders? 

    Dazu braucht es keine frem­den Schriftze­ichen, dazu braucht es nur Rezip­i­en­ten, die auf der Ober­fläche bleiben und nicht den Gehalt wahrnehmen (kön­nen)

    siehe Werbe-Man­ag­er von T‑Com/T‑Home/T‑Mist…

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  6. Pingback: Telekom: Paint It Black [powerbook_blog]

  7. Pingback: endlichraucher.de - Telekom und gute Werbung?

  8. Spike

    Men­sch bin ich froh, dass ich nicht der einzige Sechziger-Lieb­haber & Telekom-Nichtver­ste­her bin, dem dieses Rät­sel eben­so auffiel wie ‑stieß. Unser größtes Kom­mu­nika­tion­sun­ternehmen ver­ste­ht nun mal nicht viel von Kom­mu­nika­tion, wie jed­er Kunde & Exkunde weiß. Wer­bung funk­tion­iert erst dann wirk­lich, wenn jed­er die Pro­duk­te boykot­tiert, deren TV Spots ner­ven oder den ungläu­bi­gen Ver­stand her­aus­fordern. Kommt irgend­je­mand außer mir bei der Erwäh­nung von “mein­er Ger­man Kleinigkeit” das Naschw­erk hoch?

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  9. Laura

    Spike, erin­nern Sie sich an die unsäglichen Werbespots von Schokobons, in denen reimende Kinder die Ner­ven der Bevölkerung stra­pazierten. Ich bin zwar im Augen­blick nicht auf dem Laufend­en, aber ich glaube, diese Folter wird einem mit­tler­weile erspart…

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