Satz und Sieg

Von Anatol Stefanowitsch

Seit ein paar Wochen sucht die Ini­tia­tive deutsche Sprache gemein­sam mit der Stiftung Lesen den „Schön­sten ersten Satz“ eines deutschsprachi­gen Romans. Noch bis zu 21. Sep­tem­ber 2007 kann man seinen Vorschlag online ein­re­ichen. Ins­ge­samt gefällt mir diese Aktion. Der erste Satz eines Romans entschei­det ja oft darüber, ob man über­haupt weit­er­li­est (zumin­d­est, wenn man, wie ich, eine kurze lit­er­arische Aufmerk­samkeitss­panne hat). Und wenn es einen schön­sten solchen Satz gibt, dann ist der Ver­such, ihn in einem deutschsprachi­gen Roman zu find­en, eine schöne Art, sich für die deutsche Sprache zu begeis­tern ohne dabei auf anderen Sprachen herumzuhacken.

Aber ganz ohne Nörgeln geht es trotz­dem nicht. Erstens: was hat ein Hand­ball­train­er in der Jury zu suchen? Ich bin dur­chaus sport­begeis­tert (für die Bun­desli­ga kann ich sehr viel mehr Aus­dauer auf­brin­gen als für die Klas­sik­er der amerikanis­chen Gegen­wart­slit­er­atur, und obwohl ich kein großer Hand­ball­fan bin, bin ich auf „unseren“ Welt­meis­ter­ti­tel natür­lich stolz). Aber warum Sport und Kul­tur ständig in einem Atemzug gedacht und genan­nt wer­den ist mir trotz­dem ein Rät­sel. Zweit­ens: es wird der schön­ste erste Satz eines deutschen Romans gesucht, und der erste Preis ist dann aus­gerech­net eine Reise nach New York?

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Satz und Sieg

  1. Frank Oswalt

    Ich weiß nicht, ob es tat­säch­lich stimmt, aber ich habe mal gehört, dass die Times einen Wet­tbe­werb für den kürzesten Roman aus­geschrieben hat. Der Gewin­ner war “God lay dying”.

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  2. dirk.schroeder

    Lit­er­atur ist Sport — nicht unbe­d­ingt bei Roma­nen, die durch Verkauf zum Leben­sun­ter­halt der Autoren beitra­gen, — aber z.B. bei Gedicht­en. Da geht es oft darum, gegeneinan­der anzutreten, Wet­tbe­werbe zu gewin­nen, Train­ings- (äh Förder-) Stipen­di­en zu ergat­tern usw. Das Gedicht ist so dem Sprung ver­gle­ich­bar oder dem Lauf — vielle­icht schön, vor allem aber entwed­er siegre­ich oder nicht.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Herr Schröder, Sie haben — wie immer — Recht und ich war in meinbem Urteil zu vor­eilig. Sport und Poe­sie haben ja eine miteinan­der verquick­te Geschichte, die min­destens bis ins alte Griechen­land zurück­re­icht. Allerd­ings sähe ich lieber einen Dichter, der eine Hand­ball­man­schaft trainiert als ein Hand­ball­train­er, der die Qual­ität von Dich­tung beurteilt.

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