Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Für mich ist das Sprechen ein Sport und der Zun­gen­brech­er das Turngerät“, zitiert der Focus den Wet­ten-Dass-Kan­di­dat­en Georg Win­ter. Der Mann ist auf ein­er Mis­sion: er will jun­gen Men­schen das Sprechen beib­rin­gen. Denn

[d]ie jugendliche Umgangssprache ist meist alles andere als deut­lich: Nuscheln ist cool – und nicht nur das, gerne lassen die Teenag­er auch mal ganze Wörter weg oder sprechen sie nur in Teilen aus: „Hey Mann, geh’n wir Bahn­hof?“ heißt es dann. Um diese sprach­lichen Ver­hun­zun­gen einzu­gren­zen will Win­ter den sportlichen Ehrgeiz der Kinder weck­en. „Stimm­bän­der sind genau wie der Bizeps Muskeln, die trainiert wer­den kön­nen,“ meint der Ham­burg­er. Er ist überzeugt, dass das „Sprechen“ an deutschen Schulen sys­tem­a­tisch ver­nach­läs­sigt wird.

Also nur ganz kurz: Zun­gen­brech­er trainieren die Stimm­bän­der kein biss­chen mehr als das Genuschel der jugendlichen Sprachver­hun­z­er. Die Stimm­bän­der sor­gen nur für das Geräusch, aus dem die Artiku­la­tion­sor­gane — Zunge, Lip­pen, Gau­men, Zähne — dann die Sprache machen. Ob die jun­gen Men­schen über­haupt nuscheln, sei dahingestellt: der Ein­druck, dass das Gegenüber nuschelt, hängt häu­fig eher mit den eige­nen Hörge­wohn­heit­en zusam­men als mit der Aussprache des anderen. Dass die Jugendlichen — ange­blich — ganze Wörter weglassen, hat mit der ganzen Sache natür­lich über­haupt nichts zu tun. Aber wir wollen uns nicht mit lin­guis­tis­chen Fein­heit­en aufhal­ten, denn in Wirk­lichkeit geht es um viel mehr — Zun­gen­brech­er bilden den Charakter:

[Win­ter] selb­st ist davon überzeugt, dass die Übun­gen die Kinder nicht nur im schnellen, aus­drucksstarken Sprechen unter­stützen kön­nen, son­dern auch das Selb­st­be­wusst­sein stärken und den Hang zur Aggres­siv­ität senken. „Denn wer sich nicht richtig aus­drück­en kann, bei dem rutscht die Energie gerne mal vom Mund in die Faust!“

Das klingt doch logisch. Ich schlage deshalb das hier als eine Art Pro­gramm zur weltweit­en Friedenssicherung vor.

Selb­st­be­wusst­sein wer­den eines Tages auch die armen Kinder brauchen, deren Eltern ihnen heute mit dem Namen gle­ich eine ganze Kar­riere mit auf den Weg geben wollen. Der Stern berichtet:

Seit die Stars in Hol­ly­wood ein Hob­by daraus macht­en, ihren Kindern immer exo­tis­chere und aus­ge­fal­l­enere Namen zu geben, wuchs der Druck bei amerikanis­chen Eltern. 

[…]

Die Träume und Ambi­tio­nen der Eltern für die Zukun­ft des Kindes spie­len dabei nicht sel­ten eine große Rolle: Der Name seines Sohnes müsse später gut auf einem poli­tis­chen Spruch­band oder einem Kino­plakat ausse­hen, erk­lärte ein Vater in Las Vegas und nan­nte den Kleinen Jack­son Dean Bentham.

Wer kann ganz schnell zwanzig Mal nacheinan­der „Jack­son Dean Ben­tham“ sagen?

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ein Gedanke zu „Presseschau

  1. Chat Atkins

    Die Sprache formt den Sprechap­pa­rat — also Kehlkopf, Zunge, For­man­ten usw.. Wenn die Migran­tin aus Rus­s­land beim Bäck­er ihre ‘Brötchen’ bestellt, obwohl sie eigentlich gram­ma­tisch ganz kor­rekt das Deutsche beherrscht, dann ver­langt sie immer noch ‘Brotschen’. Und ein Deutsch­er in den USA, der spricht mit einem ‘Zun­gen­halt’ vor jedem Wort, was sein Englisch einem ’native’ als abge­hackt erscheinen lässt. Das wäre dann der berühmte ‘Ger­man accent’ des Feld­webel Schultz in ‘Hogan’s Heroes’. Unser Sprechap­pa­rat ist irgend­wann auf eine bes­timmte Aussprache kon­di­tion­iert und löst sich von diesen Mustern nur sehr schw­er — wenn über­haupt. Ähn­lich kön­nte es doch auch mit dieser ‘Kanakspraak’ (ein Aus­druck von Feridun Zaimoglu)sein …

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