Sprachbewahrer Reloaded

Von Anatol Stefanowitsch

Mir fällt in let­zter Zeit immer häu­figer ein neuer Typ des Anglizis­men­jägers auf, der sich vom alten Typ lei­der nicht etwa durch mehr Sachken­nt­nis oder wenig­stens durch mehr gesun­den Men­schen­ver­stand unter­schei­det, son­dern auss­chließlich dadurch, dass er mit dem Anglizis­men­jäger alten Typs nichts zu tun haben will, sich aber trotz­dem mit dessen verquas­ten Mei­n­un­gen schmück­en will.

So zum Beispiel Jens Jessen in der gestri­gen ZEIT (von der ich bis­lang annahm, sie sei der let­zte Hort feuil­leton­is­tis­ch­er Ver­nun­ft). Sein Artikel fängt an wie das durch­schnit­tliche VdS-Pam­phlet: „Die verkaufte Sprache“. Gut, für die Über­schrift kann er vielle­icht nichts, die kön­nte der Redak­tion­sleit­er erfun­den haben, um seine Exis­tenz zu recht­fer­ti­gen. Aber im Auf­mach­er geht es genau­so aufgeregt weit­er: „Aus dem Kreis der Welt­sprachen ist das Deutsche schon ver­schwun­den. Nun wird es auch in sein­er Heimat zum Sanierungs­fall“. Gut, auch dafür kann er vielle­icht nichts, den kön­nte der Textchef erfun­den haben, um seine Exis­tenz zu recht­fer­ti­gen. Aber den Artikel wird er wohl selb­st geschrieben haben und der geht so los:

Es gibt einen Typus des übel­lau­ni­gen, heimat­tümel­nden Sprach­schützers, dem man nicht im Dun­klen begeg­nen möchte. 

(Im Hellen übri­gens auch nicht.)

Aber es gibt auch Gründe, im hellen Mit­tagslicht der aufgek­lärten Ver­nun­ft Sorge um den Bestand der deutschen Sprache zu empfinden.

Gähn — ich meine natür­lich, na, da bin ich aber mal gespannt.

Warum ist auf Bahn­höfen kein Schal­ter für Auskün­fte, son­dern ein Ser­vice Point?

Weil sich auf Bahn­höfen viele Men­schen aufhal­ten, die dergestalt von A nach B reisen, dass entwed­er A oder B oder bei­de nicht in Deutsch­land sind und die dementsprechend mit dem Wort „Auskun­ftss­chal­ter“ nicht viel anfan­gen könnten?

Was hat der englis­che Gen­i­tiv-Apos­troph in Susi’s Häkel­stu­dio zu suchen?

Das ist kein „englis­ch­er“ Apos­troph. Aber um das her­auszufind­en, hätte man natür­lich recher­chieren müssen — oder wenig­stens das Bre­mer Sprach­blog lesen.

Welch­er Teufel trieb eine deutsche Wis­senschaftsmin­is­terin zu ein­er Kam­pagne mit dem Mot­to »Brain up«, was wed­er auf Deutsch noch auf Englisch Sinn ergibt?

Edel­gard Bul­mahn war eine der inno­v­a­tivsten Wis­senschaftsmin­is­terin­nen, die wir je hat­ten. Wen inter­essiert, welch­er Teufel sie zu was trieb? Ach und bevor man behauptet, dass etwas auf Englisch keinen Sinn ergibt, sollte man vielle­icht jeman­den Fra­gen, der sich damit ausken­nt und ein­fach mal nach­forscht.

Die Über­flu­tung mit englis­chen Wen­dun­gen ist nur ein, wahrschein­lich der kle­in­ste Teil des Prob­lems. Der größere Teil beste­ht in ihrer ken­nt­nis­losen Aneig­nung zu deko­ra­tiv­en Zwecken.

Über­flu­tung ist kein Prob­lem, Deko­ra­tion aber schon?

Deutsch hat zwar schon immer Lehn­wörter aufgenom­men, fährt der Autor fort, und das auch gut über­standen (hier zeigt er das aufgek­lärte Gesicht eines wahren Ken­ners der deutschen Sprache), aber die „englis­chen oder pseu­do­englis­chen Aus­drücke“ sind irgend­wie anders und ganz doll schlimm, weil sie „nicht nur hinzu“ kom­men, son­dern Deutsche Wörter erset­zen und sog­ar die Fähigkeit des Deutschen zur Wort­bil­dung zer­stören (hier schreibt er dann doch wieder unre­flek­tiert und ohne die ger­ing­ste Evi­denz vom VdS ab).

Deutsch hat „nur“ 100 Mil­lio­nen Mut­ter­sprach­ler (wom­it es immer­hin die zehn­thäu­figst gesproch­ene Sprache der Welt ist), und deshalb hat es „seine Logik, wenn sich der Gebrauch des Deutschen aus der Wis­senschaft zurückzieht, die auf weltweit­en Aus­tausch angewiesen ist“. Richtig! Aber, fragt der Autor dann besorgt, „muss deshalb neu gegrün­de­ten Uni­ver­sitäten in Deutsch­land gle­ich das Englis­che als Unter­richtssprache aufgezwun­gen wer­den“? Muss nicht, aber kann. Man kann sich nicht ein­er­seits über die Benachteili­gun­gen beschw­eren, die wir armen Deutschen in ein­er glob­al­isierten Welt erlei­den müssen, weil wir so schlecht Englisch kön­nen, und dann gle­ichzeit­ig gegen diejeni­gen vorge­hen, die Räume schaf­fen, in denen wenig­stens unsere Hochschu­la­b­sol­ven­ten vernün­ftig Englisch ler­nen können.

[E]s sind ja nicht Amerikan­er, die uns ihre Wörter aufzwin­gen“, beobachtet Jessen dann ganz richtig.

Es sind Deutsche, die in ihrer Bewun­derung für alles Amerikanis­che mit der transat­lantis­chen Prax­is zugle­ich die Begriffe dafür mit­brin­gen — wie Geschenke, die glitzernd ver­packt wer­den müssen, damit ihrem dürfti­gen Inhalt Respekt gezollt werde.

Das ist wieder direkt beim VdS abgeschrieben. Belege gibt es dafür nicht. Die Forschung in diesem Bere­ich geht eher davon aus, dass man sich mit glitzern­der Glob­al­isierung schmück­en will. Ameri­ka hat damit wenig zu tun (um fair zu sein, Jessen führt in den näch­sten drei Absätzen einen ähn­lichen Gedanken­gang aus).

Das Deutsche wird nicht ster­ben, es sei denn, die Deutschen wollen es. Es sei denn, sie kapit­ulieren vor der Wer­bung, vor der Geschäftssprache, vor dem kollek­tiv­en Hass auf alles Kom­plizierte, den die Medi­en nähren.

Ja, ich denke, die Gefahr ist sehr groß. Sprachen ster­ben, wenn die Men­schen zuviel Wer­bung kon­sum­ieren. Oder doch nicht? Naja, das wird man nie erfahren. Es sei denn, man recher­chiert ein bisschen.

Aber selb­st wenn das Deutsche stürbe – es würde als tote Sprache weit­er­leben, als eine Art Griechisch oder Latein der Neuzeit. Die Zahl kanon­is­ch­er Autoren, von Philosophen wie Dichtern, wird den Gelehrten das Deutsche immer attrak­tiv erhalten.

Ganz zu schweigen vom kanon­is­chen Feuil­leton der ZEIT, das ich für die näch­sten paar Wochen zur Abwech­slung mal wieder durch das Feuil­leton der Süd­deutschen Zeitung erset­zen werde.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

3 Gedanken zu „Sprachbewahrer Reloaded

  1. neous

    Dieser Artikel hat mich auch sehr ent­täuscht, obwohl ich die Zeitung son­st sehr gern lese. Schlecht recher­chiert ist wohl gut getroffen.

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  2. neous

    A pro­pos Ent­täuschung: auch in Bezug auf Lit­er­atur ent­täuscht die Zeit, ver­rät sie doch beina­he das Ende des neuen Har­ry-Pot­ter-Romans. Die SZ dage­gen will gar nicht erst Ver­räter sein…sehr sympathisch!

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