Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Am 1. August ist nicht nur das Rauchver­bot in Nieder­sach­sen, Baden-Würtem­berg und Meck­len­burg-Vor­pom­mern in Kraft getreten, son­dern auch die vor­läu­fig endgültig reformierte deutsche Rechtschrei­bung (zumin­d­est in Deutsch­land — in der Schweiz und in Öster­re­ich gel­ten noch Übergangsfristen).

Bei der Presse herrscht offen­sichtlich eine gewisse Refor­m­müdigkeit — das his­torische Datum wird ins­ge­samt eher lakonisch hin­genom­men. Wenn über­haupt, dann wird ein biss­chen über das ange­bliche Durcheinan­der genörgelt:

Statt klare Regeln aufzustellen und für eine Ein­heitlichkeit der Rechtschrei­bung zu sor­gen, wurde der Wirrwarr zum Prinzip erhoben und kurz­er­hand fast jede Schreib­vari­ante für zuläs­sig erklärt.

Das ist nicht ganz falsch. Man darf eben nicht reformieren, wo eigentlich eine Rev­o­lu­tion nötig wäre. Aber im Wirrwar liegt ja auch das Poten­zial zur Gene­sung. Im Tagesspiegel beschreibt Rain­er Moritz anhand der Wörter Email („elek­tro­n­is­che Post“) und Email/Emaille („Glasur“), wie sich die Rechtschrei­bung selb­st reguliert:

… so war es nur eine Frage der Zeit, bis die unsicht­bare Hand der Sprache ans Werk ging und die Schrei­bung „Email“ für „Glasur“ aus dem Verkehr zog. Ist diese unbe­wusste Lenkung unser­er Rechtschrei­bung nicht ein staunenswert­er Vor­gang? Vielle­icht hätte man sich vor ein paar Jahren alle Rechtschreibkom­mis­sio­nen und Min­is­terbeschlüsse sparen und auf Selb­streini­gung set­zen sollen.

Es ist anzunehmen, dass die selb­streini­gen­den Kräfte der Schrift­sprache das „Durcheinan­der“ alter­na­tiv­er Schreib­weisen irgend­wann beseit­i­gen wer­den — falls diese Alter­na­tiv­en tat­säch­lich als so störend emp­fun­den wird, wie die Ver­fechter der guten alten Rechtschrei­bung meinen. Wenn man der Schleswig-Hol­steinis­chen Bil­dungsmin­is­terin Ute Erd­siek-Rave glauben darf (und warum sollte man das nicht tun), dann haben die eigentlich Betrof­fe­nen näm­lich keine großen Prob­leme mit der Reform:

Aus den Schulen habe ich in den let­zten zwei Jahren keinen einzi­gen Protest­brief erhal­ten. Wenn ich Protest­briefe bekomme, dann von den alten Refor­mgeg­n­ern. Unter Schülern und Eltern sind die eher nicht zu finden.

Und dann sagt sie noch etwas ganz entscheidendes:

Es wird vielle­icht noch ein paar Jahre dauern, aber dann wird kein Men­sch mehr merken, dass wir eine Reform hatten.

Und dann ist doch eigentlich alles wieder gut.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

6 Gedanken zu „Presseschau

  1. Frank Oswalt

    Ich finde das The­ater um die Rechtschreibre­form sowieso über­flüs­sig. Wozu gibt es denn die automa­tis­che Rechtschreibprü­fung? Oder wer schreibt heute bitte noch irgen­det­was von Hand?

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  2. Christoph Päper

    Rain­er Moritz mag insofern recht haben, dass Emaille (heute) häu­figer für die Glasur vorkommt als Email, soweit man das bei einem doch eher sel­te­nen Wort über­haupt sagen kann, aber E‑Mail als „Duden-Vorschrift“ abzukanzeln, ist doch etwas frech und eines Ger­man­is­ten unwürdig. Es gibt eine Unzahl von Sub­stan­tiv­en aus einem Haupt­wort und einem vor­angestell­ten Buch­staben als Abkürzung für ein Adjek­tiv (H‑Milch) oder den ersten, meist sub­stan­tivis­chen Teil des Kom­posi­tums (U‑Boot) oder auch nur als Sym­bol (T‑Shirt). Es wäre, da das E für elec­tron­ic ste­ht, also unsys­tem­a­tisch, Email statt E‑Mail zu schreiben, selb­st wenn das heute im englis­chen Sprachraum die vorherrschende Schrei­bung sein mag.

    Davon abge­se­hen, ist im Prinzip ja schon immer jede Schrei­bung zuläs­sig gewe­sen, solange sie im sub­jek­tiv­en Gebrauch kat­e­go­r­i­al sys­tem­a­tisch ist, d.h. wer Obeine schreibt, dem nimmt man auch Email nicht mehr übel. 

    Jed­er bes­timmt mit seinen Abwe­ichun­gen von den kod­i­fizierten Regeln – und nie­mand ist frei davon – die Weit­er­en­twick­lung der (deutschen) Schrift­sprache mit. Daher wird es auch nie eine Rechtschreibrev­o­lu­tion geben, denn die erfordert per Def­i­n­i­tion sig­nifikante Änderun­gen inner­halb eines kurzen Zeitraumes. Da aber nie­mand die alleinige Kon­trolle über die Sprache – lit­er­al wie oral – besitzt, wie nach dem kaum als geglückt zu beze­ich­nen­den let­zten Ver­such auch die meis­ten Poli­tik­er ver­standen haben dürften, fehlt dazu eine entschei­dende Grund­lage. Außer­dem man­gelt es an der öffentlichen Wahrnehmung von groben Unzulänglichkeit­en und die wäre für eine bewusste Änderung eben­falls erforder­lich oder zumin­d­est hil­fre­ich. (Dieses Gefühl ist in anderen Sprachge­mein­schaften eher vorhan­den, aber auch da bleiben große Änderun­gen aus, teils schon seit Jahrhun­derten. Sprachen, die ein­er etablierten und akzep­tierten insti­tu­tionellen Reg­ulierung unter­ste­hen, sind die Ausnahme.)

    Wer sich auf die automa­tis­che Rechtschreibprü­fung ver­lässt, hat und ist ein Problem.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Wahrig und Duden sind sich einig, dass E‑Mail die einizige erlaubte Schreib­weise ist. Damit sind bei­de Wörter­büch­er nicht am Puls der Zeit. Eine Stich­probe von 500 deutschen Web­seit­en, die das Wort enthal­ten, ergibt fol­gende Liste (in absteigen­der Präferenz):

    1. Email208

    2. eMail189

    3. EMail43

    4. email38

    5. E‑Mail14

    6. EMAIL4

    7. e‑mail2

    8. E‑MAIL1

    9. eMAIL1

    Die Empfehlung der Wörter­büch­er lan­det weit abgeschla­gen auf Rang 5, deut­lich hin­ter dem voll­ständig kleingeschriebe­nen email, das ich in deutschen Tex­ten als sehr merk­würdig empfinde. Das erst­platzierte Email entspricht auch meinem Gefühl dafür, was die „richtige“ Schreib­weise ist. eMail und EMail finde ich ganz furchtbar.

    Herr Päper, ich denke, der Fall liegt bei Email anders als bei O‑Beine oder H‑Milch, denn Email ist eben ein Lehn­wort, dessen interne Struk­tur sich aus deutsch­er Per­spek­tive nicht unmit­tel­bar erschließt. Anders wäre es bei der etwas gekün­stel­ten Lehnüber­set­zung „E‑Post“, die meinem Empfind­en nach unbe­d­ingt mit Binde­strich geschrieben wer­den müsste.

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  4. Christoph Päper

    Dass Sie Email bevorzu­gen, sehe ich ja bere­its an diesem For­mu­lar. Ich halte es weit­er­hin für einen Kat­e­gorien­fehler – es schreibt schließlich auch nie­mand Ecom­merce, Egov­ern­ment oder Ebusi­ness –, der, sollte er je all­ge­mein akzep­tiert wer­den, nur eine unnötige Aus­nahme darstellen würde. (Sich­er gibt es für solche Entwick­lun­gen Präze­den­zfälle, aber begrüßens- oder gar unter­stützenswert finde ich sie nicht.)

    Ich schreibe oben zwar, dass jed­er die Entwick­lung der (Schrift-)Sprache mit­prägt, aber das ist kein Prozess unter Gle­ichen. Was immer die Heise-Redak­tio­nen oder die Deutsche Telekom bevorzu­gen, hat sich­er mehr Gewicht als das Forum irgen­deines Halflife-Klans. 

    Sind die Vari­anten mit @ eigentlich tat­säch­lich endlich ausgestorben?

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  5. Anatol Stefanowitsch

    Herr Päper, bei Ecom­merce, Egov­ern­ment und Ebusi­ness liegt der Fall aus mein­er Sicht etwas anders. Zunächst han­delt es sich um Fremd­wörter, während Email ein gut inte­gri­ertes Lehn­wort ist. Außer­dem unter­schei­det das „E“ hier zwis­chen der elek­tro­n­is­chen und der „analo­gen“ Vari­ante, während Email und Mail im Deutschen das­selbe bedeutet. von daher ließe sich argu­men­tieren, dass das E in den von Ihnen genan­nten Wörtern ein eigen­ständi­ges sprach­lich­es Ele­ment ist. Inter­es­san­ter­weise hält sich aber in allen drei Fällen die Schreib­weise mit Binde­strich in etwa die Waage mit der Schreib­weise eCommerce/eGovernment/eBusiness (mit ein­er leicht­en Mehrheit für die Binde­strich-Vari­anten). Ich per­sön­lich finde übri­gens auch die von Ihnen genan­nte Schreib­weise gar nicht so schlimm, aber damit mag ich mich in der Min­der­heit befinden.

    Die Schreib­weisen E‑M@il, eM@il, Em@il, etc. sind übri­gens lei­der noch nicht aus­gestor­ben, ich habe nur vergessen, sie mitzuzählen. Sie machen aber alle zusam­men nur ca. 1 Prozent aller Tre­f­fer aus, wir dür­fen also hoffen…

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