Mosebach leuchtet

Von Anatol Stefanowitsch

Als der Schrift­steller Mar­tin Mose­bach kür­zlich den Büch­n­er-Preis der Deutsche Akademie für Sprache und Dich­tung erhielt, haben wir das über­haupt nur erwäh­nt, weil der Vor­sitzende der Akademie in der sel­ben Woche mal wieder die alte, aber deswe­gen nicht weniger falsche Vorstel­lung her­vorgekramt hat, dass der frühe Erwerb ein­er Fremd­sprache irgend­wie den Erwerb der Mut­ter­sprache oder ein­er Zweit­sprache behindere.

Jet­zt ist mir auch der Preisträger selb­st durch eine merk­würdi­ge Äußerung zum The­ma „Sprache“ aufge­fall­en. Die Esslinger Zeitung fasst ein Inter­view zusam­men, dass der SWR mit Mose­bach geführt hat und in dem es um dessen jüng­sten Roman geht:

Gehuldigt wird dabei dem Ide­al ein­er schlanken, aus­drucksvollen Sprache, die Mose­bach bewusst gegen den grassieren­den Sprachver­fall pflegt. „Kein Men­sch ist dazu verpflichtet, eine ver­armte Sprache zu haben“, meinte Mose­bach zum Schluss, als sein Gesprächspart­ner ein „durch­leuchtetes Knie“ antiquiert find­et gegenüber dem Rönt­gen eines solchen.

Wenn ich das richtig ver­ste­he (und ich hoffe, dass ich das nicht tue), dann hält Mose­bach das durch und durch deutsche Wort rönt­gen für ein Zeichen von sprach­lich­er Ver­ar­mung. Das ließe das all­ge­gen­wär­tige Gejam­mer über die „Anglizis­men“ ja fast wie eine ana­lytis­che Meis­ter­leis­tung daste­hen. Der Fehler, den Mose­bach in diesem Fall machen würde, wäre aber aber der­selbe, den wir auch bei anderen Sprach­puris­ten schon beobachtet haben: er hielte etwas, das eine Aus­d­if­feren­zierung (und damit eine klare Bere­icherung der Sprache) darstellt, aus sub­jek­tiv­en ästhetis­chen Grün­den für eine Ver­ar­mung. Durch­leucht­en ist ein sehr schönes Wort, aber es Bedeutet „mit Licht oder Rönt­gen­strahlen durch­drin­gen und unter­suchen“ (Ber­tels­mann-Wörter­buch). Wenn mir mein Arzt sagt, dass er irgen­deinen Kör­perteil von mir durch­leucht­en will, weiß ich also nicht genau, ob ich eine Son­nen­brille brauche, oder eine Bleis­chürze. Diese Dop­peldeutigkeit dürfte der Grund sein, warum sich für das Rönt­gen das Wort rönt­gen durchge­set­zt hat.

Mose­bachs Kri­tik an ein­er „ver­amten“ Sprache passt übri­gens nicht zu der Ein­stel­lung zum Leben im Großen und Ganzen, wie er sie vorher im sel­ben Inter­view darstellt:

Doch nun betonte der Autor, er sei vor allem Roman­schrift­steller und „ein überzeugter Feind aller art engagé.“ Daher will er die Welt auch so schildern, wie sie ist und nicht, wie er sie gern hätte. In ihrer ganzen Vielfalt also, von der er so fasziniert ist wie von sein­er Heimat­stadt Frank­furt, die er „eine der ver­dor­ben­sten und hässlich­sten Städte“ nen­nt — für ihn den­noch oder ger­ade deshalb „eine Ver­sion Deutsch­lands, die mir bekommt.“

Ja, Herr Mose­bach, dann ver­wen­den sie doch auch die deutsche Sprache so, wie sie ist und nicht, wie Sie sie gern hät­ten. In ihrer ganzen Vielfalt also. Und mal ehrlich: wer an Frank­furt (gemeint ist hier das am Main) das Schöne ent­deck­en kann, dem müsste das doch auch bei der „ver­armten“ Gegen­wartssprache gelingen…

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ein Gedanke zu „Mosebach leuchtet

  1. Chat Atkins

    Der gute Mose­bach wird in diesen Tagen stark gefordert. Er wurde wohl aus der stillen Dichter­hütte ins grelle Schein­wer­fer­licht geris­sen. Da sind Aus­set­zer verzeih­lich, auch bei jen­em Halb­satz, wonach ‘kein Men­sch verpflichtet’ usw. sei. So redet ein neure­ich­er Sprach­protz, der eins gewiss weiß, dass er zumin­d­est keine ‘ver­armte Sprache’ besitzt, anders als so manch anderer …

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