Netzplauderei

Von Anatol Stefanowitsch

Das kalte Win­ter­wet­ter und die Arbeit­slast machen mir immer noch zu schaf­fen. Wie gut ist es da, dass es die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ gibt, die zuver­läs­sig ein­mal im Monat für gute Laune sorgt.

Im lezten Monat war eine Alter­na­tive für chat­ten gesucht. Ich hat­te hier das Schlimm­ste befürchtet, näm­lich, dass der Alther­ren­club mit der Sprachkri­tik auch Kri­tik an der Kul­turtech­nik Inter­net verknüpfen würde, so wie es der „Anglizis­menin­dex“ des VdS tut. Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht gekommen:

Unter den 312 Vorschlä­gen für „chat­ten“ hat sich die Jury für „net­z­plaud­ern“ entschieden.

Das geht ja eigentlich fast, es zeigt allerd­ings wieder ein­mal ein Prob­lem der Anglizis­men­jäger. Sprech­er sind ja im Großen und Ganzen nicht dumm. Sie müssen ihre Sprache täglich ver­wen­den, um ver­schieden­ste, hochkom­plexe kom­mu­nika­tive Bedürfnisse zu befriedi­gen. Wörter sind deshalb, wie andere Meme, einem hohen Evo­lu­tions­druck aus­ge­set­zt: wenn sie ihren kom­mu­nika­tive Zweck nicht erfüllen, wer­den sie schnell durch effek­ti­vere Wörter ersetzt.

Wenn man Beispiele für wirk­lich „über­flüs­sige“ Lehn­wörter sucht, find­et man sie deshalb am ehesten dort, wo auf diese Wörter kein beson­ders großer evo­lu­tionär­er Druck wirkt — beispiel­sweise in der Sprache von Philosophen oder Unternehmens­ber­atern, denen (aus ganz ver­schiede­nen Grün­den und unter­schiedlich wün­schenswert­er­weise) nie­mand zuhört. Dort hal­ten sich Begriffe wie ego­is­tis­ch­er Sub­jek­tivis­mus oder It depends on the point of view, eben weil sie nie jemand ern­sthaft ver­wen­det. Bei einem Wort wie chat­ten, hinge­gen, das in der All­t­agssprache eine ständig größer wer­dende Rolle spielt, kann man davon aus­ge­hen, dass die Sprech­er es durch irgen­det­was anderes erset­zen wür­den, wenn das (a) gin­ge und (b) sin­nvoll wäre. Gehen tut es, das haben die Teilnehmer/innen der Aktion bewiesen — mit einem Vorschlag, auf den jed­er kommt, der dreißig Sekun­den über das Prob­lem nach­denkt. Warum wird dieses Wort dann nicht schon längst ver­wen­det? Weil es lang ist, weil es Kon­no­ta­tio­nen mit sich bringt, die nicht von allen Sprech­ern geteilt wer­den (plaud­ern = „sich zwan­g­los (und nicht tief­gründig) unter­hal­ten“ [Ber­tels­mann Wörter­buch]) und vor allem, weil das Wort chat­ten sich ohne Prob­leme in die Phonolo­gie (Laut­struk­tur) und Mor­pholo­gie (Wort­struk­tur) des Deutschen eingepasst hat.

Der eigene Vorschlag der vier lebendi­gen deutschen Aktionäre ist dage­gen ein echter Knüller:

Im Dezem­ber macht die Aktion „Lebendi­ges Deutsch“ den Vorschlag, statt „Christ­mas“ oder „X‑mas“einfach wieder „Wei­h­nacht­en“ zu sagen.

Nein, das es den Her­ren gelun­gen ist, das schöne alte Wort Wei­h­nacht­en wieder aufge­spürt haben! Bei dem ganzen Gerede von X‑mas-Märk­ten und X‑mas-Geld, Christ­mas­bäu­men und Christ­mas­fe­rien, das für diese Jahreszeit so typ­isch ist, hat­te ich dieses Klein­od des deutschen Wortschatzes ganz und gar vergessen. Also nochmal: gut, dass es die Aktion Lebendi­ges Deutsch gibt.

Oder sollte man sagen: gut, dass es sie noch gibt? Denn die schwinden­den Teil­nehmerzahlen der Aktion, auf die Mike Seeger hier im let­zten Monat schon hingewiesen hat und die sich ja auch diesen Monat wieder bestätigt haben, bere­it­en den Her­ren anscheinend große Sor­gen. Man ver­lässt sich für diesen Monat nicht mehr darauf, dass über­haupt noch jemand mit­macht, son­dern baut die gewün­scht­en Vorschläge gle­ich in die Frage mit ein:

Was ist ein „High­light“? Ein Höhep­unkt, ein Glan­zlicht? Wir bit­ten um Mei­n­un­gen und Vorschläge.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

2 Gedanken zu „Netzplauderei

  1. Steffen Höder

    Das geht ja eigentlich fast”, schreiben Sie zu dem Vorschlag net­z­plaud­ern für chat­ten. Aber eben auch nur fast: Solche Ver­balkom­posi­ta gehen näm­lich im Deutschen immer nur mit ein biss­chen Mühe, weil ihre (Un-)Trennbarkeit echte Prob­leme bere­it­et. Wenn ich Staub sauge, staub­sauge ich dann oder sauge ich Staub? (Von dem eher kün­stlichen Prob­lem Zusam­men-Getren­nt-Groß-Klein­schrei­bung mal ganz abge­se­hen.) Wenn ich not­lande, not­lande ich dann oder lande ich not? Solche Beispiele gibt es ohne Ende. Wenn ich net­z­plaud­ere, plaud­ere ich deshalb wed­er Netz noch net­z­plaud­ere ich. Ich chat­te. chat­ten fügt sich pho­nol­o­gisch und mor­phol­o­gisch näm­lich nicht nur gut ins Deutsche ein, son­dern sog­ar viel bess­er als der ange­blich deutsche Übersetzungsvorschlag.

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