Die Mamas und die Papas

Von Anatol Stefanowitsch

Der schot­tis­che Schrift­steller Craig Rus­sell schreibt Krim­i­nal­ro­mane, die in Ham­burg spie­len und deren Haupt­fig­ur ein Polizeikom­mis­sar mit deutsch-schot­tis­chem Fam­i­lien­hin­ter­grund ist. Die Romane (derzeit gibt es drei) sind denen, die psy­chol­o­gis­che Thriller mögen, wärm­stens zu empfehlen, aber darum geht es heute nicht.

Rus­sell webt eine Vielzahl deutsch­er Wörter in seinen englis­chen Text ein und offen­sichtlich spricht er sel­ber sehr gut Deutsch und hat einen guten Lek­tor, denn man erwis­cht ihn kaum bei sprach­lichen Miss­grif­f­en, wie sie son­st häu­fig bei Autoren zu find­en sind, die ihre Texte mit fremd­sprach­lichem Wort­ma­te­r­i­al garnieren.

Aber manch­mal find­en sich doch extrem sub­tile Hin­weise darauf, dass Rus­sell eventuell doch nicht alle Schat­tierun­gen der deutschen Sprache beherrscht. So ist mir heute in seinem zweit­en Roman, „Broth­er Grimm“, der fol­gende Abschnitt aufgefallen:

She stopped in the entrance hall­way and when she spoke her voice was low, almost conspiratorial.

Mut­ti and Papi don’t know, but Han­na had been with some­one. Not her boss … some­one before that.’ (Craig Rus­sell, Broth­er Grimm, S. 161)

Was für mich hier merk­würdig klingt ist die Kom­bi­na­tion von Mut­ti und Papi. Wir haben im Deutschen ja eine Rei­he von Kose­for­men der Wörter Mut­ter und Vater, aber die lassen sich mein­er Intu­ition nach nicht frei kom­binieren, son­dern gehören paar­weise zusam­men: Mama und Papa, Mami und Papi, Vati und Mut­ti. Rus­sell weiß das möglicher­weise nicht, son­dern ken­nt nur die For­men Mut­ti und Papi und glaubt deshalb, dass diese sich kom­binieren lassen.

Vielle­icht bin ich aber auch zu streng und meine Intu­ition ist falsch. Ich kön­nte nun eine Umfrage unter den Leser/innen des Sprach­blogs machen, aber als Kor­puslin­guist ist mein erster Schritt immer eine Unter­suchung der Verteilung sprach­lich­er Struk­turen in großen Men­gen authen­tis­ch­er Texte. 

Die fol­gende Tabelle zeigt die Häu­figkeit der neun möglichen Kom­bi­na­tio­nen von Papa, Papi und Vati mit Mama, Mami und Mut­ti (jew­eils für bei­de Rei­hen­fol­gen, also Mama und Papa eben­so wie Papa und Mama usw., Quelle: Yahoo). Unter jed­er beobachteten Häu­figkeit ist in Klam­mern die Häu­figkeit angegeben, die bei ein­er zufäl­li­gen Kom­bi­na­tion der sechs Begriffe zu erwarten gewe­sen wäre. Die Zellen, in denen die beobachtete Häu­figkeit pos­i­tiv von der zufäl­lig erwarteten abwe­icht, sind grün gefärbt, umso dun­kler, je stärk­er die Abwe­ichung ist. Die Zellen, in denen die beobachtete Häu­figkeit neg­a­tiv abwe­icht, sind rot gefärbt, wieder umso dun­kler, je stärk­er die Abwe­ichung ist (ich glaube, die Tabelle ist trotz der Far­ben bari­er­refrei, da die Zahlen ja für jeden erkennbar sind). 

  Mama Mami Mut­ti Gesamt
Papa 348 200
(305 493)
466
(39 147)
405
(4 431)
349 071
Papi 83
(38 820)
44 055
(4 974)
219
(563)
44 357
Vati 158
(4 128)
129
(529)
4 430
(60)
4 717
Gesamt 348 441 44 650 5 054 398 145

Zunächst bestätigt die Tabelle meine Intu­ition, dass die elter­lichen Kose­na­men im Sprach­sys­tem rel­a­tiv streng paar­weise organ­isiert sind: Mama gehört zu Papa, Mami zu Papi und Mut­ti zu Vati. Am stärk­sten ist diese Ein­schränkung bei Mut­ti und Vati, während sie bei Mama und Papa etwas schwäch­er ist. Das dürfte daran liegen, dass Mama und Papa auch einzeln mit Abstand die häu­fig­sten unter den sechs Wörtern sind — als eine Art Stan­dard­be­griffe (in der Sprach­wis­senschaft wür­den wir sie als „unmarkiert“ beze­ich­nen) sind sie ten­den­ziell auch mit spezielleren Begrif­f­en kombinierbar.

Darüber hin­aus zeigt die Tabelle aber noch etwas inter­es­santes: die „falschen“ Kom­bi­na­tio­nen unter­schei­den sich stark voneinan­der: Vati und Mami bzw. Papi und Mut­ti lassen sich viel bess­er kom­binieren als Papa und Mami oder Papi und Mama. Das kön­nte daran liegen, dass die ersten bei­den Kom­bi­na­tio­nen zwar eigentlich nicht zusam­menge­hören, aber miteinan­der gemein­sam haben, dass die Wörter jew­eils auf -i enden, also in ein­er reimar­ti­gen Beziehung zueinan­der ste­hen. Die anderen bei­den Kom­bi­na­tio­nen ver­mis­chen jew­eils eine i- und eine a-Endung. Anscheinend bevorzu­gen wir Paare, deren Wörter ähn­lich klin­gen: die Wörter in den „richti­gen“ Kom­bi­na­tio­nen klin­gen ja jew­eils max­i­mal ähnlich.

Nun wäre es natür­lich inter­es­sant, zu unter­suchen, warum über­haupt irgend­je­mand die „falschen“ Kom­bi­na­tio­nen ver­wen­det, aber das über­lasse ich kün­fti­gen Forscher­gen­er­a­tio­nen, denn ich muss jet­zt unbe­d­ingt „Broth­er Grimm“ zu Ende lesen…

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

5 Gedanken zu „Die Mamas und die Papas

  1. J. Kornberger

    Welch ein Zufall … erst gestern berichtete ein Bekan­nter mir über seine Prob­leme, Wei­h­nachts­geschenke für “Mut­ti und Papi” zu find­en. Und da hat sich mir kurz die gle­iche Frage gestellt. Beant­worten kon­nte mein Bekan­nter sie nicht: Kurzes Achselzuck­en — “Ist halt so”.

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  2. Stefan

    Zu ihrem Farbenproblem:

    statt bgcolor=“cccccc”

    muss bgcolor=#cccccc stehn..

    und danke für diesen Blo­gein­trag, ich weiß gar­nicht, was ich da noch dazu sagen soll 🙂

    [Anmerkung von A.S.: Danke für die Lösung des Farbprob­lems! Das ist der Nachteil am Web 2.0 — man ver­lernt die ein­fach­sten Dinge…]

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  3. MM

    Der Autor war mir neu, und eben­falls die Schreib­weise seines Nach­na­mens mit nur einem L.

    [Anmerkung von A.S.: Den Autor sollte man unbe­d­ingt ken­nen, wenn man aus­re­ichend starke Ner­ven hat! Den Namen sollte man durchgängig mit zwei L schreiben, so wie ich es nun gemacht habe…]

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  4. Wolfgang Hömig-Groß

    Zuerst ein Lob für die Far­ben: Ich kann sie tadel­los unter­schei­den und auch paaren. Das ist mal ein Fall, wo’s hil­ft, dann brauche auch ich nicht auf die Zahlen zu sehen.

    Zum The­ma: Meine Intu­ition ist bei Ihnen, ich bin über die Kom­bi auch sofort gestolpert. Da ich intu­ition­s­mäßig nicht immer auf Ihrer Seite ste­he (auch ich hat­te mir ein “daran” ans erin­nern gedacht) deutet das auf einen erhöht­en Objektivitätsgrad.

    Und zulet­zt: Denken Sie nicht, dass der Autor für solche Hin­weise dankbar wäre? Umso mehr, als ihm die Qual­ität wichtig zu sein scheint?

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  5. buntklicker.de

    Ich wußte immer schon, daß ich in ein­er selt­samen Fam­i­lie aufgewach­sen bin … meinen Vater habe ich früher (als ich noch ein Kind war) immer “Vati” genan­nt und meine Mut­ter “Mami” oder auch “Mama”, aber nie nie niemals “Mut­ti”. “Mut­ti” ist für mich kein Kose­wort für “Mut­ter”, son­dern eine abw­er­tende Beze­ich­nung für eine Frau.

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