Jahreszeitliche Grüße

Von Anatol Stefanowitsch

Ein­er Rei­he von Fir­men und öffentlichen Insti­tu­tio­nen in den USA ist aufge­fall­en, dass man in der heuti­gen Zeit noch nicht ein­mal mehr in den Vere­inigten Staat­en automa­tisch davon aus­ge­hen kann, es bei seinem Gegenüber mit einem Chris­ten zu tun zu haben, und dass es deshalb angemessen wäre, die Floskel Mer­ry Christ­mas („Fröh­liche Wei­h­nacht­en“) durch eine neu­tralere For­mulierung zu erset­zen — etwa Hap­py Hol­i­days (Fröh­liche Ferien) oder Season’s Greet­ings („Jahreszeitliche Grüße“) zu ersetzen.

Was für einen neu­tralen Beobachter wie eine vernün­ftige und gerechte Entschei­dung wirkt, ist für die fun­da­men­tal­is­tis­che christliche Rechte in den USA ein Grund, sich einen Krieg gegen Wei­h­nacht­en zusam­men­z­u­fan­tasieren. Man hat den leisen Ver­dacht, dass es sich bei diesem einge­bilde­ten Krieg um ein medi­al insze­niertes Spiegel­ge­fecht han­deln kön­nte, um von den sehr realen Kriegen abzu­lenken, die die USA in den let­zten Jahren geführt hat, aber darum soll es hier heute nicht gehen. Stattdessen würde ich mir wün­schen, dass die christlichen Fun­da­men­tal­is­ten wenig­stens ihre eigene Reli­gion und deren Tra­di­tio­nen ken­nen würden.

Tun sie aber nicht. Vor ein paar Tagen gab zum Beispiel Roland S. Mar­tin, CNN-Kom­men­ta­tor und Stu­dent des Fach­es „Chris­t­ian Com­mu­ni­ca­tion“ an der nicht akkred­i­tierten Louisiana Bap­tist Uni­ver­si­ty fol­gen­des Juwel christlich­er Kom­mu­nika­tion von sich:

Because of all the polit­i­cal­ly cor­rect idiots, we are being encour­aged to stop say­ing “Mer­ry Christ­mas” for the more palat­able “Hap­py Hol­i­days.” What the heck are “Sea­sons Greet­ings”? Can some­one tell me what sea­son we are greet­ing folks about? A Christ­mas tree? Oh, no! It’s now a hol­i­day tree. Any Christ­mas song that even remote­ly men­tions Christ or has a reli­gious under­tone is being axed for being overt­ly reli­gious. And I’m sor­ry, for­get X‑M-A‑S. Mal­colm X? Yes. X replac­ing Christ? No.

Wegen all der poli­tisch kor­rek­ten Idioten ermutigt man uns, nicht länger Mer­ry Christ­mas zu sagen, son­dern das appeti­tlichere Hap­py Hol­i­days. Was zum Kuck­uck sind Sea­sons Greet­ings? Kann mir jemand sagen, auf welche Jahreszeit sich das bezieht? Ein Christ­mas tree („Wei­h­nachts­baum“)? Oh, nein! Der heißt jet­zt hol­i­day tree („Ferien­baum“). Jedes Wei­h­nacht­slied, das sich auch nur ent­fer­nt auf Chris­tus bezieht oder religiöse Untertöne hat, wird wegen offen­er Religiösität abgelehnt. Und, entschuldigen Sie, aber vergessen Sie den Begriff X‑M-A‑S. Mal­colm X? Ja. X als Ersatz für Chris­tus? Nein. [CNN.com]

Ich will hier gar nicht weit­er auf Her­rn Mar­tins ver­schrobenes und ver­schobenes Welt­bild einge­hen (z.B. auf seine Ver­wun­derung darüber, dass man die Erwäh­nung der Fig­ur des Chris­tus als religiöse Aus­sage inter­pretieren kön­nte). Ich will auch die Christlichkeit sein­er kom­mu­nika­tiv­en Fähigkeit­en dahingestellt sein lassen („poli­tisch kor­rek­te Idioten“). Nein, mir geht es um Mar­tins abstruse Gle­ich­set­zung des X in X‑mas und in Mal­colm X, die nur eines zeigt: Mar­tin muss noch viel über seinen Glauben ler­nen, bevor seine nicht-akkred­i­tierte „Uni­ver­sität“ ihm einen Abschluss ver­lei­hen kann.

Mal­colm X war ein schwarz­er Bürg­er­rechtler in den USA, der eine Zeit­lang Mit­glied in der Nation of Islam war. Wie andere Mit­glieder dieser Organ­i­sa­tion legte er seinen Geburt­sna­men ab (er hieß eigentlich Mal­colm Lit­tle) und nahm stattdessen den Nach­na­men X an. Er begrün­dete diesen Schritt so:

The ‘X’ is meant to sym­bol­ize the rejec­tion of ‘slave names’ and the absence of an inher­it­ed African name to take its place. The ‘X’ is also the brand that many slaves received on their upper arm.

Das X soll die Ablehnung unser­er Sklaven­na­men sym­bol­isieren, und das Fehlen eines ererbten afrikanis­chen Namens, der an ihre Stelle treten kön­nte. Das X ist auch ein Brandze­ichen, dass viele Sklaven auf ihren Ober­arm erhiel­ten. [en.wikipedia.org]

Das X ste­ht hier also für etwas, das bewusst (und nachvol­lziehbar) unge­nan­nt bleiben soll — im Prinzip wie in der Alge­bra. Im alltäglichen Sprachge­brauch ver­wen­den wir das X ja sowohl im Deutschen als auch im Englis­chen auf diese Weise (z.B. in Akten­ze­ichen XY ungelöst).

Der christliche Kom­mu­nika­tion­sstu­dent Mar­tin geht nun offen­sichtlich davon aus, dass in der Kurz­form X‑mas (mit der uns zu dieser Jahreszeit ja auch viele Geschäfte im deutschsprachi­gen Raum beglück­en) das X eben­falls diese Funk­tion hat, dass es also den von den „poli­tisch kor­rek­ten Idioten“ uner­wün­scht­en Namen (bzw. Titel) Christ aus dem Wort Christ­mas fern­hal­ten soll.

Labarum

Labarum

Aber das ist natür­lich Blödsinn, das weiß selb­st ein kon­fes­sion­slos­er Athe­ist wie ich. Das X in X‑mas soll den Titel Christ(us) nicht erset­zen, es soll ihn sym­bol­isieren. Es han­delt sich näm­lich gar nicht um ein X, son­dern um den griechis­chen Buch­staben Chi. Gemein­sam mit dem griechis­chen Rho wird das schon seit dem 2. Jahrhun­dert nach Chris­tus als Abkürzung für dessen Namen (bzw. Titel) ver­wen­det — unter anderem von Kaiser Kon­stan­tin, der es auf die Stan­darten sein­er Armee stick­en ließ (siehe Bild rechts). Dieses Sym­bol ist so weit ver­bre­it­et, dass es seinen eige­nen Platz im Uni­code-Sys­tem hat, man kann es also direkt in einen Text ein­fü­gen: ☧). Aber das kann Mar­tin natür­lich nicht wis­sen — dazu müsste er schon auf eine echte Uni­ver­sität gehen. Oder bei Wikipedia nachsehen.

Ich wün­sche jet­zt auf jeden Fall allen Leserin­nen und Lesern des Bre­mer Sprach­blogs ein fro­hes Fest — egal, was Sie feiern und wie sie es nennen.

(Via Greg Laden)

14 Gedanken zu „Jahreszeitliche Grüße

  1. Felix

    Ohne da jet­zt beson­ders klein­lich sein zu wollen, aber wie wäre es mit “[…]Mal­colm X war ein far­biger Bürg­er­rechtler[…]”, wenn Sie schon vom poli­tisch kor­rekt Sein reden?

    MfG

    Antworten
  2. Anatol Stefanowitsch

    Felix, welche Farbe hat­te Mal­colm X denn? Ich empfinde den Begriff far­big als wesentlich schlim­mer als den Begriff schwarz, denn er zieht eine all­ge­meine Gren­ze zwis­chen „Weißen“ und allen anderen! Ich glaube, der Begriff „Schwarz­er“ ist in den meis­ten Zusam­men­hän­gen akzept­abel (siehe auch diesen Beitrag und vor allem den Kom­men­tar #2 dort).

    Antworten
  3. Felix

    Mein­er Mei­n­ung nach geht es nicht darum, dass der Begriff far­big diese von Ihnen beschriebene Gren­ze zwis­chen der “weißen” und der restlichen Bevölkerung zieht (was wohl so ist, das will ich nicht abstre­it­en), son­dern eher darum, wie der Begriff ver­standen wird, nicht? Ich per­sön­lich halte es für wesentlich eher belei­di­gend, einen “far­bigen” Men­schen als schwarz zu beze­ich­nen, weil der Begriff schon sehr lange eine neg­a­tive Kon­no­ta­tion besitzt, im Gegen­satz zu far­big.

    So viel zu meinem Sprachver­ständ­nis, ich kann Ihre Argu­men­ta­tion aber sehr gut nachvol­lziehen und würde, auch wenn sie nicht mit mein­er übere­in­stimmt, Ihnen dann zus­tim­men können.

    Antworten
  4. Anatol Stefanowitsch

    Frank Oswalt, das ist mein­er Ansicht nach ein sinnlos­er Ein­wand, denn Farbbe­griffe müssen immer rel­a­tiv zu dem konkreten Bere­ich betra­chtet wer­den, in dem sie ver­wen­det wer­den. Wenn ich von „roten Haaren“ spreche, ist das eine völ­lig andere Farbe als bei einem „roten Feuer­wehrauto”, wenn ich von dem „gold­e­nen Fell“ eines Retriev­ers spreche, ist das eine andere Farbe als bei einem „gold­e­nen Arm­band“, und wenn ich sage, dass jemand „vor Kälte ganz blau im Gesicht“ ist, ist das eine völ­lig andere Farbe als beim „blauen Him­mel“. Wenn wir also Begriffe wie Weiß, Rot, Gelb und Schwarz auf Men­schen anwen­den, dann ist doch klar, dass sie sich auf die uns allen bekan­nten, wun­der­bar vielfälti­gen Schat­tierun­gen men­schlich­er Haut­far­ben beziehen. Und häu­fig nicht ein­mal das — sie ste­hen oft metonymisch für die Haut­farbe ent­fer­n­ter Vor­fahren. So hat­te ich vor eini­gen Jahren eine Stu­dentin in einem Sem­i­nar, deren Haut deut­lich heller war, als meine es zumin­d­est im Som­mer ist, und die sich auf­grund eines Groß­vaters afro-amerikanis­ch­er Herkun­ft als „schwarze Deutsche“ beze­ich­net hat.

    Felix, die Kon­no­ta­tio­nen von Far­big und Schwarz (in ihrer Anwen­dung auf Men­schen) nehmen sich für mein Empfind­en nicht viel — bei­de Wörter kön­nen in einem entsprechen­den Kon­text wohl sehr neg­a­tiv klin­gen. Die Prob­lematik hier liegt nicht in den Wörtern, son­dern in dem, was Pinker (den ich in dem oben ver­link­ten Artikel zitiere) die „Euphemis­mus-Tret­müh­le“ nenn: egal, mit welchem Wort wir etwas beze­ich­nen — solange wir neg­a­tive Gedanken dabei denken, wer­den diese zu einem Teil der Wortbe­deu­tung und wir brauchen dann ein frisches Wort. Dieser Prozess kann aber unter­brochen wer­den, indem wir aufhören, neg­a­tive Gedanken zu dem Beze­ich­neten zu haben. Schwarz ist für mich kein Wort, dass bere­its untrennbar mit ras­sis­tis­chen Vorurteilen ver­bun­den ist (anders als etwa Neger), und ich glaube, man kann es ohne neg­a­tive Untertöne ver­wen­den. Ich lasse mich gerne eines besseren belehren — wenn mir schwarze Mit­bürg­er sagten, dass sie sich durch diese Beze­ich­nung belei­digt fühlen, würde ich sofort ein anderes Wort ver­wen­den. Aber solange das nicht der Fall ist, steige ich an dieser Stelle aus der Euphemis­mus-Tret­müh­le aus.

    Antworten
  5. K. Heidtmann

    Wenn ich so ab und zu hier in diesen Blog rein­blin­zle, so bin ich über die Bril­lanz manch­er Argu­men­ta­tion immer wieder eben­so über­rascht wie über die The­men — und die für bei­de aufgewen­dete Energie.

    Aber … ich schließe mich der Argu­men­ta­tion von AS an, nach der es doch “nicht wirk­lich” darum gehen kann, ob ich “far­big” oder “schwarz” sage, son­dern vielmehr, wie ich Men­schen dieser oder ander­er Haut­farbe behandle. 

    Jaaa, wer­den nun einige mit Tuchol­sky antworten “Sprache ist Gesin­nung”! Unser Denken bes­timmt unser Han­deln usw.

    Sehnse, das hat mich schon vor 30 Jahren im Zusam­men­hang mit der “-innen”-Diskussion angekotzt. Als ob dadurch die Diskri­m­inierung des weib­lichen Geschlechts einen Deut abgefed­ert würde,

    liebe Blog­gerin­nen und Blogger!

    Antworten
  6. stw

    Dieser Prozess kann aber unter­brochen wer­den, indem wir aufhören, neg­a­tive Gedanken zu dem Beze­ich­neten zu haben. Schwarz ist für mich kein Wort, dass bere­its untrennbar mit ras­sis­tis­chen Vorurteilen ver­bun­den ist

    Genau, genau, genau. 

    Ich gehe sog­ar noch weit­er und sage, daß gar kein Wort mit irgen­deinem Vorurteil “untrennbar” ver­bun­den ist. Nicht ein­mal … »Auto­bahn«.

    Und noch weit­er möchte ich gehen und behaupten, daß es nicht nur albern ist, bei jed­er Gele­gen­heit »Er hat Jeho­va gesagt!« zu rufen — son­dern auch völ­lig kon­trapro­duk­tiv, sich Kon­no­ta­tio­nen und (Begriffs-)Implikationen aus­gerech­net von Ver­brech­ern und Arschlöch­ern dik­tieren zu lassen.

    Antworten
  7. Kathy

    Im Englis­chen beze­ich­nen sich schwarze Men­schen auch selb­st als “black”, von daher empfinde ich es auch als in Ord­nung im Deutschen die Beze­ich­nung “schwarz” zu verwenden…

    Antworten
  8. buntklicker.de

    Was an dem Wort “far­big” nun irgend­wie bess­er sein soll als an dem Wort “schwarz”, erschließt sich mir auch nicht. Der diskri­m­inierende Kon­text entste­ht in dem Moment, wo man die Haut­farbe von Men­schen the­ma­tisiert, wo dies nichts zur Sache tut, und ist unab­hängig vom ver­wen­de­ten Wort. Das ist so, als würde man biol­o­gisch weib­liche Ärzte abgren­zend als “Ärztin” beze­ich­nen, als ob sie etwas Anderes, vielle­icht gar noch Schlechteres, wären als ihre biol­o­gisch männlichen Kollegen.

    In der Hoff­nung, daß wir alle unab­hängig von der Haut­farbe der ärztlichen Hil­fe nicht bedür­fen, wün­sche ich Euch und Ihnen allen weit­er­hin ein schönes Geschenke­fest, wie auch genannt.

    Antworten
  9. Detlef Guertler

    Darf ich ganz vor­sichtig darauf hin­weisen, dass Wei­h­nacht­en nicht das Prob­lem, son­dern die poli­tisch kor­rek­te Lösung für die jahreszeitlichen Grüße sein könnte?

    Es enthält schließlich anders als etwa Christ­mas oder Navi­dad keinen expliziten Hin­weis auf Jesus oder Chris­tus oder dessen Geburt — eine gewei­hte Nacht kann ja wohl jed­er feiern, ob Christ oder nicht. 

    vgl. http://taz.de/blogs/wortistik/2006/12/24/weihnachten/

    Diejeni­gen, die bei uns Wei­h­nacht­en feiern, sind ja auch nur zum ger­ing­sten Teil Chris­ten, oder?

    Antworten
  10. Wolfgang Hömig-Groß

    Noch eine Mar­gin­alie zum X: Das X ist ja auch als Andreaskreuz bekan­nt, weil der heilige Andreas auf einem solchen Kreuz sein Ende fand. Es ist also eine voll­gültige Vari­ante der christlichen Kreuzsym­bo­l­ik. Aber zuviel Wis­sen ist sowieso nur hin­der­lich, es nährt eher die Zweifel und zeigt die eige­nen Gren­zen. Nichts also für unsere fun­da­men­tal­is­tis­chen Brüder und Schwestern …

    Antworten
  11. Ulf Runge

    Es mag ja sein, dass vor allem in den USA die polit­i­cal cor­rect­ness einen der­ar­ti­gen Umgang mit Wei­h­nacht­en gebietet.

    Als aufgeschlossen­er und tol­er­an­ter Mit­teleu­ropäer bin ich sehr wohl der Mei­n­ung, dass wir allen (!) sagen dür­fen, dass wir Chris­ten Wei­h­nacht­en feiern, und zwar am lieb­sten mit unseren Nach­barn und Mit­men­schen, egal welch­er Kon­fes­sion sie angehören.

    Und dass wir gerne auch die Feste ander­er Reli­gio­nen respek­tieren und mitfeiern.

    Ich finde es sehr wichtig, dass wir sagen, warum wir etwas feiern. Und dass wir andere das eben­so tun lassen. Konkret ist bess­er als wischiwaschi.

    Und Tol­er­anz (die die Intol­er­anz allerd­ings nicht duldet) ist die Voraus­set­zung für ein weltweites, friedlich­es Miteinander.

    Danke für diesen Artikel.

    Her­zliche Grüße, Ulf Runge

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.