Sprachkonflikte

Von Anatol Stefanowitsch

Ich stecke mit­ten im Endse­mes­ter­stress, es müssen jede Menge Klausuren erstellt, Hausar­beit­s­the­men vergeben und Empfehlungss­chreiben geschrieben wer­den. Da ich das Sprach­blog aber nicht völ­lig ver­nach­läs­si­gen will, weise ich ein­fach kurz auf zwei Artikel über sprach­liche Kon­flik­te im Vorschul­bere­ich hin, die mir in den let­zten Tagen aufge­fall­en sind.

Den ersten Kon­flikt hat eine Wup­per­taler Mut­ter aus­gelöst, die ihren Sohn nicht zu dem für alle Vorschulkinder vorgeschriebe­nen Spracht­est brin­gen wollte und dafür jet­zt zu einem Bußgeld von 750 Euro verurteilt wor­den ist. Ihre Motive wer­den aus diesem Artikel nicht so ganz klar, aber meine Unter­stützung hat sie. Warum alle Kinder zu flächen­deck­enden Spracht­ests einbestellt wer­den, erschließt sich mir über­haupt nicht und die Begrün­dung des Richters, wenn sie richtig zusam­menge­fasst ist, hil­ft mir auch nicht weiter:

Aber lieber es passiert mal was, als das eine ganze Gen­er­a­tion scheit­ert. Nachbessern kann man dann immer noch“, sagt er. Es ist ein flam­mender Appell an die Wichtigkeit der Sprache auch unter volk­swirtschaftlichen Aspek­ten. Die Formel ist eigentlich ein­fach: Ohne Sprache, kein beru­flich­er Erfolg.

Ich weiß schon, dass die Volk­swirtschaft die neue Reli­gion ist, aber „ohne Sprache kein beru­flich­er Erfolg“ ist trotz­dem eine merk­würdi­ge Ver­drehung von Prioritäten.

Kinder ler­nen Sprachen, auch mehrere auf ein­mal, übri­gens auch ganz ohne flächen­deck­ende Spracht­ests. Wer sich Sor­gen um bes­timmte Grup­pen von Kindern macht, sollte lieber für eine aus­re­ichende Zahl von Kinder­garten­plätzen sor­gen, um so zu ein­er sprach­lich anre­gen­den Umge­bung für sprach­liche Prob­lemkinder beizutragen.

Allerd­ings sollte er die Kindergärt­ner­in­nen frühzeit­ig in seine Pläne ein­beziehen, son­st geht es ihm wom­öglich wie dem Bil­dungsrat im schweiz­erischen Chinds­gi. Der erprobt einen neuen Lehrplan, der vor­sieht, dass im Kinder­garten neben der regionalen Mundart auch Hochdeutsch gesprochen wer­den soll. Die Kindergärt­ner­in­nen wollen dabei nicht mit­machen, denn sie befürcht­en, das könne die Kinder überfordern:

Es gebe viel Unmut über die «Bil­dung­sex­perten». «Erst müssen die Kinder richtig Dialekt sprechen», find­et Kindergärt­ner­in Fink. Sie hat in ihren 20 Beruf­s­jahren fest­gestellt, dass die Kinder mit immer schlechterem Wortschatz in den Kinder­garten kom­men. Darum sei die Mundart­förderung wichtiger als früher. Mundart diene den meis­ten Kindern als Basis für das Ler­nen weit­er­er Sprachen.

Auch den Kindergärt­ner­in­nen muss ich, bei aller Sym­pa­thie für die mundartliche Stand­fes­tigkeit, sagen: Kinder ler­nen Sprachen, auch mehrere auf ein­mal, wenn man sie nur lässt.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

6 Gedanken zu „Sprachkonflikte

  1. Wolfgang Hömig-Groß

    In Berlin, wo meine Kinder zum Kinder­garten gin­gen (1) bzw. gehen (1) hat­ten wir dieses, tja was ist es — ein Prob­lem?, schon 2006. Die Kindergärt­ner­in­nen mussten mit den Kindern 1–2‑stündige verbindliche Sprach­standtests machen. Diese Tests müssen bei der Anmel­dung an der Schule vorgelegt wer­den. Dazu mehreres:

    Das erste ist: Dafür hat das Per­son­al, dank jahre­langem Abbau, de fac­to keine Zeit; die Kapaz­itäten reichen oft nur für eine Auf­be­wahrung. Der hil­fre­iche Hin­weis des schulpsy­chol­o­gis­chen Dien­stes zu dieser Beschw­erde war: dann dür­fen sie halt nicht so viel mit den Kindern raus­ge­hen — Sprach­standtests sind wichtiger als spielen.

    Das zweite ist: Der Berlin­er Sen­at musste auf Nach­frage der Presse (hört, hört) ein­räu­men, dass in dieses Tests ermit­telte Defizite nicht durch Förderun­ter­richt o.ä. aus­geglichen wer­den — kein Geld, kein Per­son­al. M.a.W.: Der Test stört nicht nur, er ist auch sinnlos.

    Das dritte ist, dass — nach mein­er, aber auch nach ihrer eige­nen Ein­schätzung — die Mehrheit der Erzieher(innen) für Sprach­förderung nicht qual­i­fiziert ist und über­fordert sind sie eh schon. Ich jeden­falls kon­nte bei meinen bei­den Kindern fest­stellen, dass es mit der Kor­rek­theit und Dif­feren­ziertheit ihrer Sprache nach Ein­tritt in den Kinder­garten steil nach unten ging. Teils wegen ihrer Peer­group (gehelft statt geholfen), teils weil es die Erzieher auch nicht viel bess­er machen (“helf ihr mal”). Das alles stört mich notabene nicht so sehr — wer seine Kinder öffentlichen Insti­tu­tio­nen anver­traut muss ohne­hin fest glauben, dass sich Qual­ität erst unter widri­gen Umstän­den wirk­lich beweisen kann. Ich plädiere hier eher dafür, die armen Erzieher in Ruhe zu lassen. Und wenn man eine frühe Sprach­förderung haben will, dann soll man sie bitte auch bezahlen anstatt zu glauben, das gäbe es von irgendwem umsonst!

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  2. Uwe Spörl

    Die Bedeu­tung von Spracht­ests im Vorschul­bere­ich schätze ich per­sön­lich eher anders ein als Ana­tol Ste­fanow­itsch, die Bedeu­tung ein­er entsprechen­den Aus­bil­dung und Qual­i­fika­tion der ErzieherIn­nen, Tes­terIn­nen usw. aber natür­lich nicht.

    Deshalb möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass sich auch und ger­ade die Uni Bre­men hier derzeit nicht mit Ruhm bek­leck­ert. Die durch erhe­bliche Drittmit­tel geförderte Entwick­lung eines Aus­bil­dungskonzepts von Päd­a­gogIn­nen im Ele­men­tar­bere­ich (= Vorschule), die zur Zeit im FB 12 betrieben wird und die bewusst und dezi­diert entsprechende sprach­wis­senschaftliche bzw. ger­man­is­tis­che sowie sprach­di­dak­tis­che und DaZ(= Deutsch als Zweitsprache)-Anteile umfasst, wird — man­gels Per­son­als, das ger­ade in diesem Bere­ich abge­baut wird — wohl nicht umzuset­zen sein. Uni und sen­a­torische Behörde geben dafür näm­lich kein Geld.

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  3. Kathy

    Es wird ja lei­der bei Kinder­gartenkindern nicht nur der Sprachen­twick­lungs­stand getestet, son­dern auch alle möglichen anderen Aspekte…und es gibt die Ten­denz, dass viele staatliche und öffentliche Kindergärten die Kinder gezielt auf die Schulein­gang­stest “trainieren”. Zusam­men mit dem zunehmenden Druck durch manche Eltern, die befürcht­en, ihr Kind kön­nte nicht genug ler­nen, wer­den schon Kinder­gartenkinder einem Leis­tungs­druck unter­wor­fen, der meinem Empfind­en nach sich nicht pos­i­tiv auf die per­sön­liche Entwick­lung der (oder manch­er) Kinder auswirken kann. Dadurch wer­den die Kinder schon in ganz frühen Jahren in ihrer Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung eingeschränkt, um sich bess­er in das (Schul-)System einzufü­gen. Mir stellt sich die Frage, warum müssen die Kinder für die Schule “passend” gemacht wer­den und nicht die Schule für die Kinder???

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  4. Krimileser

    In eini­gen Gebi­eten Bay­erns haben wir einen hohen Anteil von Kindern von Migranten, die häu­fig unzure­ichend Deutsch sprechen. Hier sind die Schulen verpflichtet, 160 Stun­den vorschulis­chen Deutschunter­richt anzu­bi­eten. Dazu müssen entsprechende Kinder iden­ti­fiziert wer­den, was nur in Koop­er­a­tion mit den Kindergärten geht. Ich finde das eine gute Idee.

    ad. Kathy: Meinem Ein­druck nach kann man Kinder kaum über­fordert, man kann nur zu früh die falsche Herange­hensweise ans Ler­nen wählen. Meine eige­nen Kinder und anderen Kinder die ich kenne, sind geil auf Ler­nen, die sind neugierig und die wollen wis­sen. Wenn ihnen der Kinder­garten auf die richtige Art und Weise Wis­sen ver­mit­telt, saugen sie. Das Prob­lem ist eher, dass es keinen verpflich­t­en­den Kinder­garten gibt.

    Bei dem Kinder­garten in dem unsere Söhne gin­gen und gehen, war es üblich, dass es ein­mal im Jahr eine Besprechung mit der Grup­pen­lei­t­erin gab/gibt, bei der der Eval­u­a­tions­bo­gen, den das Team über die Kinder erstellt hat (motorisches, sprach­lich­es, soziales, men­tales usw.), besprochen wurde/wird. Ich finde das eine gute Sache, den die Betreuerin­nen sehen/sahen unsere Söhne von ein­er anderen Seite als wir.

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