Accountability

Von Anatol Stefanowitsch

Auch in anderen Län­dern gibt es Leute, die völ­lig ungerecht­fer­tigte Behaup­tun­gen über Sprache und Sprachen auf­stellen und dafür auch noch bezahlt wer­den. Ein Aus­land­sko­r­re­spon­dent des Econ­o­mist durfte zum Beispiel jüngst eine ganze Woche lang unqual­i­fiziert daher­schwafeln. Man kön­nte ein eigenes Blog starten, nur um die Denk­fehler, sach­lichen Fehler und unbe­grün­de­ten Vorurteile zu sezieren, die er (sie?) dabei pro­duziert hat. Uns soll eine kleine Kost­probe reichen:

[A]n enter­tain­ing pas­time is to hunt for words that are either miss­ing from a lan­guage, or unique to it. We’ve all chuck­led over how only Ger­mans could dream up Schaden­freude and how the Eng­lish can’t say bon appetit because their cook­ing is so bad. How­ev­er, I can tell you that not one of the lan­guages I have stud­ied has a word for “account­abil­i­ty”. I went to many con­fer­ences in Latin Amer­i­ca where, after a long dis­course about cor­rup­tion and bad gov­er­nance, some­one would inevitably declare, “Nece­si­ta­mos account­abil­i­ty”. Unfor­tu­nate­ly, the plea nev­er pro­duced dis­cernible results.

Es ist ein unter­halt­sames Hob­by, nach Wörtern zu suchen, die in ein­er Sprache entwed­er fehlen, oder die einzi­gar­tig für sie sind. Wir haben alle darüber geschmun­zelt, dass nur die Deutschen die Schaden­freude erfind­en kon­nten und dass die Englän­der nicht bon appetit sagen kön­nen, weil sie so schlecht kochen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass nicht eine der Sprachen, die ich studiert habe, ein Wort für „account­abil­i­ty“ hat. Ich habe viele Kon­feren­zen in Lateinameri­ka besucht, auf denen nach lan­gen Abhand­lun­gen über Kor­rup­tion und schlechte Regierungs­führung unweiger­lich jemand verkün­dete: „Nece­si­ta­mos account­abil­i­ty. Lei­der hat diese Forderung nie wahrnehm­bare Ergeb­nisse her­vorge­bracht. [Economist.com, 4. April 2008]

Die Mär von der „typ­isch deutschen“ Schaden­freude haben wir schon früher abge­han­delt. Aber wie ste­ht es mit der account­abil­i­ty? Nun, zu den Sprachen, die der Kor­re­spon­dent des Econ­o­mist studiert hat, kann das Deutsche nicht gehören, denn da ken­nt man die Rechen­schaft­spflicht und von mir aus auch die Rechen­schaft­spflichtigkeit sehr wohl. Und richtig — er kann kein Deutsch: „Ten years on var­i­ous con­ti­nents have giv­en me flu­en­cy, more or less, in Span­ish, French, Russ­ian and Hebrew …, plus a work­ing knowl­edge of spo­ken Ara­bic and Portuguese.“

Wie sieht es aber mit dem Spanis­chen aus, das er ja expliz­it anspricht? Also, ich weiß ja nicht, welch­es Wörter­buch der Autor ver­wen­det, aber meins nen­nt als Über­set­zun­gen das all­ge­meine respon­s­abil­i­dad und das auf eine tat­säch­liche Rechen­schaft­spflicht bezo­gene obligación de dar cuen­ta. Was ihm an diesen Über­set­zun­gen nicht gefällt, bleibt sein Geheim­nis. Ich ver­mute, ihn stört, dass diese Wörter — anders als das englis­che account­abil­i­ty keine Mod­ewörter sind, mit denen man auf Kon­feren­zen herumw­er­fen kann.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Accountability

  1. L. Rosen

    1. respon­s­abil­i­dad entspricht nicht ganz, mein­er Mei­n­ung nach, dem englis­chen Wort “account­abil­i­ty”. respon­s­abil­i­dad wäre ja eher “respon­si­bil­i­ty” (Ver­antwörtlichkeit). http://www.wordreference.com/es/en/translation.asp?spen=responsabilidad. Account­abil­i­ty hat eine etwas andere Bedeu­tung als Respon­si­bil­i­ty, zumin­d­est in dem Bere­ich von Poli­tik: http://en.wikipedia.org/wiki/Accountability

    2. Der Autor sagte, das ein Wort für account­abil­i­ty im Spanis­chen fehlt, nicht ein Begriff. Deshalb zählt obligación de dar cuen­ta nicht.

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  2. Krischan

    Wenn das Wort keine 1:1‑Übersetzung hat, dann über­sieht man es aber auch leicht. Und kon­stru­iert dann daraus einen Wahrnehmungsunterschied.

    Ich habe meine franzö­sis­chen Bekan­nten damit aufge­zo­gen, dass Paris so teuer wäre, weil es im Franzö­sis­chen kein Wort für billig/cheap gäbe. Das stimmt natür­lich nicht, da es ja Wort­grup­pen gibt, welche das “bil­lig” je nach Kon­text auch im Franzö­sis­chen aus­drück­en. Aber es hätte auch eine nette Kolumne gegeben 🙂

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  3. buntklicker.de

    Ich habe eine Idee, was der Autor meinen kön­nte. Account­abil­i­ty ist ja nicht nur die Rechen­schaft­spflicht (also eine tat­säch­liche juris­tis­che Verpflich­tung), son­dern auch die Bere­itschaft, für seine Tat­en oder Nicht-Tat­en ger­adezuste­hen (laut Mer­ri­am-Web­ster “an oblig­a­tion or will­ing­ness […] to account for one’s actions”). Der Aspekt der Verpflich­tung läßt sich so wie von Ihnen aus­ge­führt über­set­zen, ins Deutsche eben­so wie ins Spanis­che, keine Frage.

    Was der Autor ver­mißt, ist eben die andere Bedeu­tung, die der Bere­itschaft. Und da fällt mir in der Tat auch kein grif­figer deutsch­er Begriff ein (ein spanis­ch­er auch nicht, aber mein Spanisch ist dafür auch viel zu schlecht).

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  4. bulbul

    Der Autor sagte, das ein Wort für account­abil­i­ty im Spanis­chen fehlt, nicht ein Begriff. Deshalb zählt obligación de dar cuen­ta nicht.

    Stimmt schon, aber ich bezwei­fle das der Autor den Unter­schied ver­ste­ht. Zum Beispiel:

    Even the words [Hebrew] does have, it uses spar­ing­ly. “In the begin­ning, God cre­at­ed heav­en and earth” has only five words in the original.

    בראשית ברא אלהים את השמים ואת הארץ. Dass wären mein­er Mei­n­ung nach min­destens 7 Worte. 9 wenn man “be” als eine Prä­po­si­tion und “ve” als eine Kon­junk­tion (und nicht als Prä­fixe) betra­chtet, sog­ar 11 wenn man das selbe mit dem bes­timmten Artikel tut. Also entwed­er kann der Autor nicht rech­nen, oder er hat keine Ahnung davon was ein Wort eigentlich ist. 

    Was “account­abil­i­ty” ange­ht, die Suche bei IATE ergibt 10 Tre­f­fer, wo in 6 Fällen “respon­si­bil­i­dad” dabei ist. Das finde ich schon überzeugend.

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  5. chodo

    @ L. Rosen: Mir scheint der Autor eher nicht zwis­chen Wort und Begriff zu dif­feren­zieren. Es geht doch in dem Vor­satz darum, dass nur wir Deutschen den *Begriff* Schaden­freude haben. Das geht ja über das reine “Wer hat welch­es Wort” hin­aus. Es wird über­haupt nicht dif­feren­ziert, schon gar nicht zwis­chen dem Begriff und der Sache. Wenn ich das Zitat richtig ver­ste­he, unter­stellt er den Lateinamerikan­ern, dass “accou­tnabil­i­ty” für sie ein völ­lig fremdes Konzept ist und sie deswe­gen keinen Begriff dafür haben und somit auch kein Wort. Ana­log dazu ist dem nicht­deutschen Teil der Welt die Sache “Sschaden­freude” so fremd, dass sie keinen Begriff dafür haben und somit auch kein Wort: Wort=Begriff=Sache.

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  6. Wolfgang Hömig-Groß

    Jet­zt kann ich mich nicht mehr zurück­hal­ten, und muss sagen, an was mich die Debat­te erin­nert: An die Frage, ob Eski­mos viele (200?) Wörter für Schnee haben. Trauen wir doch der Sprache mehr zu und glauben, dass sie jew­eils erlaubt zu sagen was gesagt wer­den muss. Allerd­ings muss ja nicht immer alles über­all gesagt wer­den (weswe­gen die Finnen kein finnis­ches Wort für Amok­lauf haben). Wenn es aber doch gesagt wer­den muss, stellt die Sprache die Mit­tel dafür wohl schnell zur Ver­fü­gung. Siehe Wortis­tik-Blog, den (sehr empfind­lichen) Seis­mo­graphen für sprach­liche Gärungsprozesse.

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  7. Hermann Claus

    Account­abil­i­ty ist doch nur ein Mod­e­wort, mit dem sich möchte­gern Man­ag­er wichtig machen. Da loht es sich nicht, darüber nachzudenken.

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