Veredeltes Leder

Von Anatol Stefanowitsch

Die Net­zaus­gabe der Frank­furter All­ge­meinen Zeitung berichtet über den Frank­furter Unternehmer Eduard Ble­sius, der mit sein­er Fir­ma Cori­um Ober­flächen­tech­nik GmbH auch den asi­atis­chen Markt erobern möchte. Dabei wün­sche ich ihm viel Glück, aber darum geht es heute nicht, son­dern darum, wie er über sein Pro­dukt spricht:

Das Start­up-Unternehmen entwick­elt Schuh-Fin­ish, das von Allessa in Lohn­pro­duk­tion hergestellt wird. Fin­ish ist ein Mit­tel zur Vered­lung von Led­er, aus dem Schuhe gefer­tigt wer­den. Bei dieser Umschrei­bung muss es bleiben: „Ich bin kein Fre­und von Anglizis­men, aber einen deutschen Begriff gibt es dafür nicht“, sagt Ble­sius. Diese beson­dere Art ein­er Creme wird ver­wen­det, wenn ein Schuh fer­tigt ist. Denn während das Led­er über den Leis­ten ges­pan­nt und ver­ar­beit­et wird, erlei­det es Kratzer – außer­dem sind Nähte nicht einge­färbt. Wird danach Fin­ish aufge­tra­gen, glänzt ein Schuh so, wie die Kun­den es erwarten.

Mit anderen Worten: der Mann stellt Schuhcreme her. Warum sagt er das dann nicht einfach?

Im Englis­chen kann sich der Begriff fin­ish auf jede Art der abschließen­den Ober­flächen­be­hand­lung eines Mate­ri­als beziehen — von Poli­tur und Hartwachs über Lack, Beize und Anstrich­farbe, bis zu Sub­stanzen und Ver­fahren zur Vere­delung von Stof­fen, Met­allen, usw. Das deutsche Wort, das der Schuhcre­me­fab­rikant verge­blich sucht, wäre wohl Poli­tur.

Nun wis­sen regelmäßige Leser dieses Blogs, dass ich nichts gegen die Ver­wen­dung von Anglizis­men habe. Wenn Herr Ble­sius das Wort Fin­ish schön­er find­et, soll er es gerne ver­wen­den, und in der Schuh­macherzun­ft ste­ht er damit auch nicht alleine da. Ich habe noch nicht ein­mal etwas dage­gen, dass er behauptet, einen passenden deutschen Begriff gebe es nicht. Ich will ihm gerne glauben, dass das Wort Fin­ish für ihn eine spezial­isierte Bedeu­tung hat, die sich seinem Empfind­en nach durch die Vielzahl der offen­sichtlichen „deutschen“ Alter­na­tiv­en nicht abbilden lässt.

Aber was mich aufregt (oder aufre­gen würde, wenn ich nicht ein so aus­geglich­en­er Men­sch wäre), ist das vor­angestellte „Ich bin kein Fre­und von Anglizis­men, aber…“. Ich bin kein (Fre­und von) X — das ist die Ausrede der Schein­heili­gen, sie bedeutet soviel wie: „Wenn ein Ander­er das sagen würde, was ich jet­zt gle­ich sage, würde ich ihn als (Fre­und von) X beschimpfen, aber bei mir ist das nicht das­selbe! Ich darf das, denn mich darf man nicht nach meinen Tat­en beurteilen, son­dern nur nach mein­er eigentlichen Gesin­nung. Und die ist blüten­rein!“ Ich denke da zum Beispiel an Bruce Willis, der seine Unter­stützung für den Irak-Krieg mit den Worten recht­fer­tigte: „Ich bin kein gewalt­tätiger Men­sch. Aber wir leben in ein­er gewalt­täti­gen Welt. Dieses Land wurde auf Gewalt aufge­baut.“ Ja, dann ist der Krieg natür­lich richtig und du bist ein wahrer Paz­i­fist, Bruce.

Lieber Herr Ble­sius, nen­nen Sie Ihre Schuhcreme, wie sie wollen. Sie leben in einem freien Land. Aber ste­hen Sie dazu und tun Sie nicht so, als ob Ihre Motive edler sind als die ander­er Sprech­er. Wir alle ver­wen­den Lehn­wörter — und alle anderen Wörter — dann, und nur dann, wenn sie unserem Empfind­en nach das, was wir sagen wollen, tre­f­fend­er aus­drück­en, als mögliche Alter­na­tiv­en. So funk­tion­iert Sprache.

Aber die zweite Hal­bzeit läuft, und deshalb widme ich mich jet­zt wieder dem einzi­gen vere­del­ten Led­er, das mich zur Zeit interessiert.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

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