Die Netzausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet über den Frankfurter Unternehmer Eduard Blesius, der mit seiner Firma Corium Oberflächentechnik GmbH auch den asiatischen Markt erobern möchte. Dabei wünsche ich ihm viel Glück, aber darum geht es heute nicht, sondern darum, wie er über sein Produkt spricht:
Das Startup-Unternehmen entwickelt Schuh-Finish, das von Allessa in Lohnproduktion hergestellt wird. Finish ist ein Mittel zur Veredlung von Leder, aus dem Schuhe gefertigt werden. Bei dieser Umschreibung muss es bleiben: „Ich bin kein Freund von Anglizismen, aber einen deutschen Begriff gibt es dafür nicht“, sagt Blesius. Diese besondere Art einer Creme wird verwendet, wenn ein Schuh fertigt ist. Denn während das Leder über den Leisten gespannt und verarbeitet wird, erleidet es Kratzer – außerdem sind Nähte nicht eingefärbt. Wird danach Finish aufgetragen, glänzt ein Schuh so, wie die Kunden es erwarten.
Mit anderen Worten: der Mann stellt Schuhcreme her. Warum sagt er das dann nicht einfach?
Im Englischen kann sich der Begriff finish auf jede Art der abschließenden Oberflächenbehandlung eines Materials beziehen — von Politur und Hartwachs über Lack, Beize und Anstrichfarbe, bis zu Substanzen und Verfahren zur Veredelung von Stoffen, Metallen, usw. Das deutsche Wort, das der Schuhcremefabrikant vergeblich sucht, wäre wohl Politur.
Nun wissen regelmäßige Leser dieses Blogs, dass ich nichts gegen die Verwendung von Anglizismen habe. Wenn Herr Blesius das Wort Finish schöner findet, soll er es gerne verwenden, und in der Schuhmacherzunft steht er damit auch nicht alleine da. Ich habe noch nicht einmal etwas dagegen, dass er behauptet, einen passenden deutschen Begriff gebe es nicht. Ich will ihm gerne glauben, dass das Wort Finish für ihn eine spezialisierte Bedeutung hat, die sich seinem Empfinden nach durch die Vielzahl der offensichtlichen „deutschen“ Alternativen nicht abbilden lässt.
Aber was mich aufregt (oder aufregen würde, wenn ich nicht ein so ausgeglichener Mensch wäre), ist das vorangestellte „Ich bin kein Freund von Anglizismen, aber…“. Ich bin kein (Freund von) X — das ist die Ausrede der Scheinheiligen, sie bedeutet soviel wie: „Wenn ein Anderer das sagen würde, was ich jetzt gleich sage, würde ich ihn als (Freund von) X beschimpfen, aber bei mir ist das nicht dasselbe! Ich darf das, denn mich darf man nicht nach meinen Taten beurteilen, sondern nur nach meiner eigentlichen Gesinnung. Und die ist blütenrein!“ Ich denke da zum Beispiel an Bruce Willis, der seine Unterstützung für den Irak-Krieg mit den Worten rechtfertigte: „Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Aber wir leben in einer gewalttätigen Welt. Dieses Land wurde auf Gewalt aufgebaut.“ Ja, dann ist der Krieg natürlich richtig und du bist ein wahrer Pazifist, Bruce.
Lieber Herr Blesius, nennen Sie Ihre Schuhcreme, wie sie wollen. Sie leben in einem freien Land. Aber stehen Sie dazu und tun Sie nicht so, als ob Ihre Motive edler sind als die anderer Sprecher. Wir alle verwenden Lehnwörter — und alle anderen Wörter — dann, und nur dann, wenn sie unserem Empfinden nach das, was wir sagen wollen, treffender ausdrücken, als mögliche Alternativen. So funktioniert Sprache.
Aber die zweite Halbzeit läuft, und deshalb widme ich mich jetzt wieder dem einzigen veredelten Leder, das mich zur Zeit interessiert.

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