Mehr veredeltes Leder

Von Anatol Stefanowitsch

Es passiert nicht oft, dass ich eine Aus­sage aus ein­er Zeitungsmeldung kri­tisiere, und der Kri­tisierte sich dann hier zu Wort meldet. Um ehrlich zu sein, es ist noch nie passiert — so wichtig ist das Bre­mer Sprach­blog dann wohl doch (noch) nicht im öffentlichen Diskurs.

Aber heute hat sich der Frank­furter Unternehmer Eduard Ble­sius, über den ich am Fre­itag geschrieben habe, in einem Kom­men­tar gemeldet. Damit der nicht unbe­merkt unterge­ht, und natür­lich weil ich ihm eine Antwort schulde, zitiere ich diesen Kom­men­tar hier komplett.

Hal­lo zusammen,

ich ver­ste­he nicht wirk­lich, warum Herr Ste­fanow­itsch auf mir so rumhackt. Wir stellen eben keine Schuhcreme her — auch wenn das im Zeitungsar­tikel so genan­nt wurde — son­dern — und der Begriff wird nun mal so in der Schuhin­dus­trie gebraucht –, ver­schiedene Mit­tel, die alle in der „Fin­ish-Abteilung“ (so heißen die wirk­lich) der Schuh­fab­riken einge­set­zt wer­den. Der Begriff ist in der Indus­trie so gebräuch­lich — darauf bezog sich meine Aus­sage, man kann eben keinen deutschen Begriff dafür nehmen und ver­suchen, mit der Schuhin­dus­trie ins Geschäft zu kommen.

Im übri­gen gibt es auch Schuh­her­steller, die ihren Fin­ish nicht als Creme auf­tra­gen. Aber darum geht es hier nicht, oder? Lieber Herr Ste­fanow­itsch, vielle­icht inter­essiert es Sie ja auch, daß das von Ihnen geschätzte Led­er (ich nehme an, Sie sprechen von einem Fußball) aus Polyurethan hergestellt ist….

Lieber Herr Ble­sius, das mit dem Polyurethan wusste ich nicht, obwohl ich den Ver­dacht hat­te, dass Fußbälle heute nicht mehr aus Led­er hergestellt wer­den. Ist dieses Mate­r­i­al für die „Flat­ter­bälle“ ver­ant­wortlich, mit denen die Teil­nehmer der EM zu kämpfen haben?

Aber zu Ihrem eigentlichen Ein­wand: ich habe Sie ja auch gar nicht dafür kri­tisiert, dass Sie den Begriff Fin­ish ver­wen­den. Wir haben hier im Bre­mer Sprach­blog nichts gegen englis­che Lehn­wörter! Ich habe ja auch im Beitrag schon darauf hingewiesen, dass dieser Begriff in der Schuhin­dus­trie üblich ist und habe auf einen Wikipedia-Ein­trag ver­linkt, der das belegt. Nein, ich habe Sie für etwas ganz anderes kri­tisiert (wenn über­haupt, denn ich möchte klarstellen, dass hier keine per­sön­liche Kri­tik beab­sichtigt war, son­dern dass ich Ihre Bemerkung nur zum Anlass genom­men habe, um ein all­ge­meines Phänomen zu disku­tieren): näm­lich für den rhetorischen Haf­tungsauss­chluss, den Sie diesem all­ge­mein gebräuch­lichen Begriff voran gestellt haben.

Es ist doch so: die deutsche Sprache hat während ihrer gesamten Entwick­lungs­geschichte Lehn­wörter aus anderen Sprachen aufgenom­men, und dabei gab es immer Phasen, in denen eine bes­timmte Sprache eine beson­ders frucht­bare Quelle für Lehngut dargestellt hat — das Lateinis­che zur Zeit des Römis­chen Reichs, das Franzö­sis­che am Ende des 19. Jahrhun­derts und derzeit das Englis­che. Warum soll­ten wir uns für die vie­len schö­nen Wörter, die uns diese Sprachen geschenkt haben, ständig entschuldigen? Warum soll­ten wir die Glob­al­isierung begrüßen (ich nehme an, das tun Sie), die Sprache aber vor ihr bewahren wollen? Wenn Fin­ish keine Schuhcreme ist (und mit diesem Wort wollte ich Sie ja nur ein biss­chen ärg­ern), warum soll­ten wir uns dafür entschuldigen, dass wir es Fin­ish nen­nen? Im Übri­gen, selb­st wenn es ein deutsches Wort gäbe, wenn Fin­ish schön­er klänge, warum soll­ten wir es nicht ver­wen­den? Sie entschuldigen sich doch auch nicht dafür, dass Ihre Fir­ma „Cori­um“ heißt, und nicht „Haut“, „Fell“ oder „Led­er“ — und warum soll­ten Sie? Ich finde „Cori­um“ auch schöner.

Also, nichts für ungut. Ich wün­sche Ihnen viel Erfolg auf dem chi­ne­sis­chen Markt, und vielle­icht gelan­gen durch diese Kon­tak­te ja sog­ar ein paar chi­ne­sis­che Lehn­wörter in ihr Firmenvokabular.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

2 Gedanken zu „Mehr veredeltes Leder

  1. Patrick Schulz

    Es ist doch so: ”

    ist dies nicht auch eine Floskel, die man für gewöhn­lich ein­er Aus­sage voranstellt, wenn man sie nicht bele­gen kann oder will, weil der Wahrheits­ge­halt ihres Inhalts “ja klar und logisch zwin­gend” sei?

    Antworten
  2. Anatol Stefanowitsch

    Herr Schulz, ich glaube nicht. Mein Ein­druck nach ein­er Durch­sicht von ein paar Dutzend Google-Tre­f­fern ist eher, dass diese Floskel ver­wen­det wird, um grundle­gende Ideen in eine Diskus­sion einzuführen, zum Beispiel, wenn die sich in Details oder Abstrak­tio­nen verliert.

    Ich habe diese Floskel hier ver­wen­det, um die Tat­sache in die Diskus­sion einzuführen, dass die deutsche Sprache schon immer Lehn­wörter aufgenom­men hat. Den Beleg für diese Behaup­tung liefert jedes beliebige Herkunftswörterbuch.

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