Kaukasische Verschwörung im IOC

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe ger­ade im Deutsch­landra­dio Kul­tur ein Inter­view mit dem britis­chen Jour­nal­is­ten Andrew Jen­nings gehört, dessen Spezial­ität Kor­rup­tion im inter­na­tionalen Sport ist. Jen­nings hat­te viel Inter­es­santes — und wenig Nettes — über das Inter­na­tionale Olymp­is­che Kom­mi­tee zu sagen. Unter anderem sprach er darüber, dass nach dem let­zten großen Kor­rup­tion­sskan­dal haupt­säch­lich IOC-Mit­glieder mit dun­kler Haut­farbe ihrer Ämter enthoben wur­den. Und dann sagte der Sprech­er, der Jen­nings’ Worte ins Deutsche über­set­zte, etwas Merkwürdiges:

Viele mächtige IOC-Mit­glieder, zum Beispiel aus dem Kauka­sus, blieben dage­gen verschont.

Ich bin über­rascht. Ich wusste nicht, dass das IOC von Mit­gliedern aus dem Kauka­sus dominiert wird. Ich ver­mute deshalb, dass es sich um einen Über­set­zungs­fehler han­delt (das Inter­view war voll davon): ich nehme an, Jen­nings sprach von Cau­casian IOC mem­bers, und damit meinte er mit­nicht­en Men­schen aus dem Kauka­sus. Nein, Cau­casian ist in der englis­chsprachi­gen Welt die poli­tisch kor­rek­te Beze­ich­nung für „Weiße“.

Eigentlich schade. Eine kauka­sis­che Ver­schwörung hätte den schon auf­grund ihres Aus­tra­gung­sortes skan­dalösen Olymp­is­chen Spie­len noch mehr poli­tis­chen Unter­hal­tungswert ver­liehen. So ist es wieder nur eine Ver­schwörung alter, weißer Män­ner. Wie langweilig.

Dieser Beitrag wurde unter Bremer Sprachblog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

10 Gedanken zu „Kaukasische Verschwörung im IOC

  1. Jan Wohlgemuth

    Hin­sichtlich des “poli­tis­chen Unter­hal­tungswertes” und irgendwelch­er Kauka­sus-Kon­spir­a­tions-Kon­struk­te wirst Du angesichts der anste­hen­den Olymp­is­chen Win­ter­spiele 2014 in Sotschi ganz sich­er auch ohne Über­set­zungs­fehler noch auf Deine Kosten kommen. 😉

    Antworten
  2. Zetterberg

    Apro­pos weiße Ver­schwörung, neulich bin ich auf ein Inter­view mit Lothar Bisky gestoßen, wo ich fol­gen­den Abschnitt vernahm:

    Ist zum Beispiel die Talk­sendung von Sabine Chris­tiansen Zerstreuung?

    Bisky: Aber selb­stver­ständlich. Das ist Poli­tik so wie früher die White-Colour-Soci­ety: der Angestellte in Berlin, der redlich seine Ärmelschon­er anhat — so kann er sich die Welt vorstellen. Wun­der­bar, alles angenehm, alles toll. Die Talk­show ist das bronzene Denkmal vom Ende der Aufklärung!”

    Nach­dem ich die Ver­ant­wortlichen darauf hin­wies, dass Bisky sich wahrschein­lich nicht auf Apartheid bezieht, son­dern auf die Beruf­sklassen, wurde “White-Colour-Soci­ety” schnell zu “White-Col­lar-Soci­ety” geändert.

    Antworten
  3. Jan

    Was ist das Problem? 

    Da ver­wen­det jemand im Deutschen “kauka­sisch” mit der Bedeu­tung “von weißer Haut­farbe”. Dies entlehnt er dem Englis­chen. Es han­delt sich also um eine ganz nor­male Form von Sprach­wan­del, an dem das Deutsche schon nicht zugrunde gehen wird …

    Antworten
  4. weekly_soap

    Schon länger her, daß dies Aper­cu durch das poli­tis­che Berlin ging: “Erst der Tatort, dann Chris­tiansen. Der Son­ntagabend im Ersten gehört ganz dem Fiktionalen.”

    Antworten
  5. D.A.

    Jan: Eine einzelne falsche Ver­wen­dung eines Wortes löst noch keinen Bedeu­tungswan­del aus. Etwas anderes wäre es natür­lich, wenn das Wort regelmäßig in diesem Sinne gebraucht würde, dann wäre es auch nicht mehr falsch.

    Antworten
  6. der Bert

    @3, Jan

    Du hast ansich recht (imho), soweit es um die mögliche Entlehnung von “kauka­sisch” geht. Allerd­ings wurde das Orig­i­nal eben nicht mit “kauka­sisch” über­set­zt, son­dern mit “aus dem Kauka­sus”, was wohl eben keine Entlehnung ist.

    Antworten
  7. chodo

    @ 3: So eine Bedeu­tung muss ohne­hin erst ein­mal etabliert wer­den. Das ist sie im Deutschen mit­nicht­en und damit erk­lärungswürdig. Des weit­eren beste­ht bei uns imo gar kein Bedürf­nis, das so zu umschreiben.

    Antworten
  8. Thomas

    @FB:

    http://en.wikipedia.org/wiki/Caucasian_race#Origins_of_the_term

    @Jan: Dein Ver­such, den deskrip­tivis­tis­chen Ansatz durch Übertrei­bung ins Lächer­liche zu ziehen, ist ziem­lich bil­lig… Dem­nach müsste auch “emp­holen” (8200 Google-Tre­f­fer!) oder “Emphelung” (3760) als Sprach­wan­del akzep­tiert wer­den. Im Übri­gen: Wieviel wollen wir darauf wet­ten, dass der dol­metschende Reporter tat­säch­lich irrtüm­lich angenom­men hat, hier seien z.B. Georgi­er oder Arme­nier gemeint? Angesichts der Tat­sache, dass er nicht (nahe­liegend) “Cau­casian” gesagt hat, son­dern “aus dem Kauka­sus”, bin ich mir da ziem­lich sich­er — “from the Cau­ca­sus” ist mit­nicht­en ein Syn­onym von “Cau­casian”…

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.