Jugendwort 2008

Von Anatol Stefanowitsch

Als Lan­gen­schei­dt vor ein paar Tagen das Jugend­wort 2008 bekan­nt­gab, hat­te ich vor, dieses denkwürdi­ge Ereig­nis unkom­men­tiert ver­stre­ichen zu lassen. Meine Mei­n­ung zu Lan­gen­schei­dts „Jugend­sprache“ ist bekan­nt, und was hätte ich zu dieser Mel­dung auch schreiben sollen:

Das Jugend­wort des Jahres 2008 ste­ht fest: „Gam­melfleis­ch­par­ty“ als pro­vokant freche und bild­hafte Über­set­zung der Ü‑30-Par­ties fand den ein­deuti­gen Zus­pruch ein­er neunköp­fi­gen Jury. […] Das deut­liche Votum der äußerst het­ero­gen zusam­menge­set­zten Jury für das Jugend­wort des Jahres 2008, „Gam­melfleis­ch­par­ty“, wurde unter anderem so begrün­det: Der Begriff „Gam­melfleis­ch­par­ty“ ist alleine schon durch seinen Ekelfak­tor ein Stolper­stein und somit ein Aufmerk­samkeits­mag­net. Der über­set­zte Gegen­stand, eine Par­ty nur für Men­schen über 30 Jahre, habe es ver­di­ent, dass sich über ihn lustig gemacht wird, beson­ders da die Aus­gren­zung von Jugendlichen von Ü‑30-Par­ties den Spott der Jugendlichen über diese Form des Feten­tums ger­adezu provoziert.

Eine Par­ty für Men­schen über 30 hat es per se „ver­di­ent, dass sich über ihn lustig gemacht wird“? Ich bin sehr dafür, Jugendliche ernst zu nehmen (ich war ja selb­st mal ein­er), aber diese Aus­sage ist der unge­fragten Anbiederung dann vielle­icht doch ein wenig zuviel. Wie wäre es, der „Aus­gren­zung von Jugendlichen“ stattdessen dadurch ent­ge­gen­zuwirken, dass man ihre Wortschöp­fun­gen tat­säch­lich unter­sucht, statt diese ein­fach zu erfinden?

Wie dem auch sei, eigentlich wollte ich ja auch gar nichts über das Jugend­wort schreiben. Aber die Bebilderung, die Welt Online für die Mel­dung zum The­ma gewählt hat, möchte ich den Leser/innen des Bre­mer Sprach­blogs nicht vorenthalten:

Jugendliche protestieren gegen Langenscheidt?

Jugendliche protestieren gegen Langenscheidt?

Für die Gam­melfleis­chtruppe bei der Welt Online sehen die Nöte junger Men­schen offen­sichtlich alle gle­ich aus — ganz egal, ob es sich um deutsche Jugendliche han­delt, die am Besuch von Ü30-Par­tys gehin­dert wer­den, oder um griechis­che Jugendliche, die von der Polizei erschossen werden.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

13 Gedanken zu „Jugendwort 2008

  1. Gregor

    Ich hätte auch noch ein paar dufte Vorschläge:

    knorke

    flotte Biene

    schwoofen

    Penne

    das gehört für mich in die Kat­e­gorie “Jugend-Klas­sik­er”. So reden Emil und die Detek­tive bzw die Lüm­mel aus der ersten Bank. Ob das damals wirk­lich gebraucht wurde, kann ich nicht sagen, ich bin ein­fach zu jung. Aber Gen­er­a­tio­nen von jun­gen Lesern/Zuschauern ver­ste­hen: das ist “Jugend­sprache”. Man kann solche Büch­er und Filme schließlich nicht alle paar Jahre aktu­al­isieren. Ist auch gar nicht nötig.

    Was Lan­gen­scheid und Pons liefern ist Medi­en-Jugend­sprache. Ein Teil wird von irgendwelchen Witzbold­en geprägt, der Rest ist ein­fach erfun­den. Und irgendwelche Jour­nal­is­ten machen daraus regelmäßig dürftige Geschichtchen über die sich dann das (hihi) Gam­melflisch amüsieren darf.

    Dann gibt es Begriffe wie “cool” und “geil”, die schon zu mein­er Zeit (bin jet­zt 43) nicht mehr ganz neu waren, aber wohl heute noch im Umlauf sind. Solche Wörte ver­ste­ht auch jed­er Erwach­sene, viele gebrauchen sie ver­mut­lich auch selbst.

    Und schließlich gibt es, wie schon von anderen hier bemerkt, Redewen­dun­gen, die nur von ein paar Leuten ver­standen wer­den. Wir sagten zum Beispiel in der Schule eine Zeit lang “is ja hot” für “ist ja toll” (oft als gespielte Empörung), daraus wurde später “is ja Otto” oder “is ja n’ heißer Otto”. Dann ver­schwand diese Wen­dung wieder. So etwas kann kein Lexikon der Welt einfangen.

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  2. mus

    > Solche Wörte ver­ste­ht auch jed­er Erwach­sene, viele gebrauchen sie ver­mut­lich auch selbst.

    Dann ist es keine Jugend­sprache mehr, die ja ger­ade dadurch definiert wird, dass nur Jugendliche sie (und nur untere­inan­der) ver­wen­den. Diese Wörter haben den Sprung in die All­t­agssprache geschafft.

    > So etwas kann kein Lexikon der Welt einfangen. 

    Pons hat aber den Anspruch, das zu kön­nen bzw. zu tun. Dass sie dem nicht stand­hal­ten ist eine andere Sache.

    > Aber Gen­er­a­tio­nen von jun­gen Lesern/Zuschauern ver­ste­hen: das ist “Jugend­sprache”.

    Nein. Das WAR (wenn über­haupt) Jugend­sprache. Das IST (wenn über­haupt) his­torische Jugend­sprache. Von den genan­nten vier Begrif­f­en wird mMn höch­stens noch “knorke” von Jugendlichen gebraucht — und auch das wohl eher iro­nisch. Ins­ge­samt erin­nern mich die Wörter eher an die Sprache mein­er Großel­tern als an die der mir nach­fol­gen­den Generation.

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  3. amfenster

    @mus:

    …und auch das wohl eher ironisch”

    Wenn ich Sie richtig ver­ste­he, nimmt die iro­nis­che Ver­wen­dung von Wörtern wie knorke Ihrer Mei­n­ung nach etwas von deren jugend­sprach­lichem Charak­ter. Als sei knorke heute also keine “richtige” Jugendsprache.

    Ich sehe das anders und würde sog­ar behaupten, dass ein oft kaum noch zu durch­schauen­des Pris­ma dop­pel­ter und dreifach­er iro­nis­ch­er Brechun­gen ein typ­is­ches Merk­mal der Grup­pen­sprachen zumin­d­est der 25- bis 30jährigen ist. (Ich fasse das so eng, weil ich selb­st dieser Alters­gruppe ange­höre und in das, was drüber oder drunter so vor sich geht, weniger Ein­blicke habe 😉 …)

    Dazu zählt m.E. auch die Ver­wen­dung von “Stromber­gis­men” wie Wirs­ing (für ‘Wieder­se­hen’) oder bis baldri­an, die man ja auch erst durch den “So blöd, dass es schon wieder gut ist”-Filter witzig find­en kann — auch eine Form iro­nis­ch­er Brechung also.

    In diesem Sinne: ’schüss! 😉

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  4. Jan Wohlgemuth

    Selb­st [u]wenn[/u] diese Wörter wirk­lich ein­mal authen­tis­che, gebräuch­liche Jugend­sprache gewe­sen sein soll­ten, sind sie spätestens mit dem Erscheinen des Wörter­buch­es “ver­bran­nt” und nicht mehr [ set­ze beliebiges aktuelles Äquiv­a­lent zu ‘cool’ ].

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  5. berliner

    Fol­gende Sachen waren neu für mich und habe ich in Berlin von “echt­en” Jugendlichen aufgeschnappt. Fand ich ganz interessant.

    ich feiere voll ab was du gesagt hast” Hat tat­säch­lich jemand in ein­er Diskus­sion völ­lig Ironiefrei gesagt. Was es bedeutet erschließt sich ja ziem­lich ein­deutig: “ich stimme mit dir überein”

    ist doch sto­ry” oder nur “sto­ry alda” Ist in Berlin sehr weitver­bre­it­et, kam auch im Film Prinzessin­nen­bad vor. Meint sowas wie “erzähl kein scheiß”

    Zumin­d­est im weit­en Teilen von Nord­deutsch­land ver­ab­schiedet man sich gerne unter coolen Typen mit “Las dich nicht anquatschen!” Erset­zt das langsam anges­taubte “Hau rein!” als Verabschiedung.

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  6. mus

    @amfenster: nein, habe ich nicht behauptet/behaupten wollen. Was ich damit aus­drück­en wollte, war, dass es in der heuti­gen Jugend­sprache eine andere Bedeu­tung hat als in der his­torischen Jugend­sprache, der es ursprünglich ent­nom­men ist.

    früher: knorke = toll

    heute: knorke = blöd

    (keine Garantie auf Richtigkeit)

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  7. David Marjanović

    früher: knorke = toll

    heute: knorke = blöd

    Also die ent­ge­genge­set­zte Entwick­lung zu der, die toll selb­st genom­men hat?

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  8. Victor Persien

    Als Zwanzigjähriger gehöre ich ja wohl noch zur Gruppe der Jugend­sprechen­den und daher kann ich sagen, dass “knorke”, wenn über­haupt, nur dann ver­wen­det wird, wenn es expliz­it darum geht, die Jugend­sprache ver­gan­gener Gen­er­a­tio­nen auf den Arm zu nehmen. Eben­so “dufte”.

    In der Bedeu­tung “blöd” habe ich es noch nie zu Ohren bekommen.

    Jugend­sprach­liche Syn­onyme sind heutzu­tage die alt­be­währten “cool” und “geil”, sowie “krass”, “fett”, “heftig” oder sel­tener “über­trieben”.

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  9. Rollo

    Lass Dich nicht anquatschen!” Jugend­sprache? Das habe ich das erste Mal von der ü50-Gen­er­a­tion in meinem Kol­le­genkreis zu mir sagen gehört, was auch bes­timmt schon lock­er 10 Jahre her sein dürfte.

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  10. Nochnbuch

    Zum The­ma Jugend­sprech­wörter­buch­wahnsinn (Sinnlosigkeit sells) möchte ich mal diesen Link hier ein­wer­fen: http://szenesprachenwiki.de/

    (Falls das Pro­jekt hier schon bekan­nt ist und besprochen wurde, kön­nen Sie den Ein­trag gerne löschen — ich bin die let­zten Monate lei­der nicht mehr zum regelmäßi­gen Mitle­sen gekommen.)

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