Die Schwilis in Georgien

Von Kristin Kopf

Der Tod eines geor­gis­chen Olympiar­o­dlers hat mich let­zte Woche zum Nach­denken über geor­gis­che Fam­i­li­en­na­men gebracht. Eine ganze Menge von ihnen schienen auf -wili zu enden, und ich fragte mich, warum.

Der kür­zlich Ver­stor­bene heißt Nodar Kumar­i­taschwili, auf Geor­gisch ნოდარ ქუმარიტაშვილი. Ich habe ein bißchen herumge­googlet, und noch eine Menge weit­er­er Wil­is gefunden:

Nino Ana­ni­aschwili ნინო ანანიაშვილი (Bal­le­ri­na)
Iosseb Dschughaschwili იოსებ ჯუღაშვილი (Geburt­sname Stalins)
Lado Gudi­aschwili ლადო გუდიაშვილი (Maler)
Mak­wala Kasraschwili მაყვალა კასრაშვილი (Opern­sän­gerin)
Lewan Kobi­aschwili ლევან კობიაშვილი (Fußballer)
Sachari Paliaschwili ზაქარია ფალიაშვილი (Kom­pon­ist)
Micheil Saakaschwili მიხეილ სააკაშვილი (Poli­tik­er)
Daw­it Turaschwili დავით ტურაშვილი (Schrift­steller)
Otar Tak­takischwili ოთარ თაქთაქიშვილი (Kom­pon­ist)

Was schnell auf­fällt: das gemein­same Ele­ment ist nicht, wie ich ursprünglich dachte, -wili, son­dern -schwili.

Was kön­nte das heißen? Die Ein­führung in die geor­gis­che Sprache von Kita Tschenkéli liefert die Über­set­zung: ‘Kind’. Die Namen zeigen also die Abstam­mung – es sind höchst­wahrschein­lich Patronyme, ‘Vater­sna­men’. So wie Chris­tiansen ursprünglich ‘Chris­tians Sohn’ war.

Mein erster Gedanke? Ana­nia, Dschugha, Gudia, Kas­ra, Kobia, Kumari­ta, Palia, Tura und Tak­ta­ki müssten (männliche) Vor­na­men sein, wie Chris­t­ian eben – und tat­säch­lich find­et Google einen Tak­ta­ki Sikharulidze, das war’s aber auch schon. Muss noch nichts heißen, vielle­icht sind die Namen heute nicht mehr gebräuchlich.

Über die geor­gis­che Wikipedia und Google habe ich  aber nicht viel gefunden:

  • Ana­nia war z.B. ein Miniatur­maler des 15. Jh., ein Apos­tel (Ana­nias) und son­st irgen­dein Men­sch, geboren 1894.
  • Ein Hin­weis darauf, dass Dschugha ein Name sein kön­nte, find­et sich hier.
  • Gudia ist auch sehr speku­la­tiv: Auf der ver­link­ten Seite ste­ht გუდია ზურაბის ძე (Translit­er­a­tion: gudia zura­bis dze). dze heißt ‘Sohn’,  das gibt es eben­falls in Fam­i­li­en­na­men (z.B. Scheward­nadse). Es ste­ht also zu ver­muten, dass es sich auch beim zweit­en Wort (zura­bis) um einen Namen han­delt. Die Kon­struk­tion wäre also sowas wie ‘Gudia, Sura­bis’ Sohn’.

Und dann habe ich aufgegeben. Die anderen woll­ten sich ein­fach nicht auf­stöbern lassen.

Ich habe eine ganze Weile darüber medi­tiert, woran das liegen kön­nte und habe auch alle möglichen Vari­anten gesucht (mit der Annahme, dass die Endung in Eigen­na­men und Fam­i­li­en­na­men unter­schiedlich sein kön­nte bzw. sich bei­de auseinan­der­en­twick­elt haben kön­nten – was auch manch­mal so zu sein scheint). Erfolglos.

Was bleibt also?

In Anbe­tra­cht der gerin­gen Aus­beute liegt die Über­legung nahe, dass die Erst­glieder vielle­icht gar keine Namen sind, und das, was ich gefun­den habe, Zufall sein könnte.

Vielle­icht ist aber auch die Bil­dungsweise viel viel­seit­iger, als ich zuerst ver­mutet habe – es muss ja nicht immer der Name des Vaters sein, ‘Kind’ kann auch auf Beruf, Wohnort, Herkun­ft o.ä. Bezug nehmen. Warum nicht Met­zgerkind, Pfalzkind oder Schwabenkind heißen?

Und tat­säch­lich: Die englis­che Wikipedia liefert einen Hin­weis darauf, dass das Erst­glied die Volk­szuge­hörigkeit oder Herkun­ft der Fam­i­lie aus­drück­en kann:

Some of the Geor­gian sur­names indi­cate eth­nic­i­ty or region­al ori­gin of the fam­i­ly, and are also gen­er­at­ed as patronymics. Exam­ples are Kartvel­ishvili (“child of Kartveli”, i.e., Geor­gian), Megrel­ishvili (“child of Megre­li”, i.e., Min­gre­lian), Cherkezishvili (“child of Cherkezi”, i.e., Cir­cass­ian), Abk­hazishvili (“child of Abk­hazi”, i.e., Abk­haz­ian), Somkhishvili (“child of Somekhi”, i.e., Armen­ian), Berdzen­ishvili (“child of Berdzeni”, i.e., Greek), Prangishvili (“child of Pran­gi”, i.e., French).

Die als Quelle angegebene Onlin­ev­er­sion eines geor­gis­chen Buchs von Ioane Bagra­tioni (wenn auch nicht ganz astrein über­set­zt), liefert Ety­molo­gien zu zahlre­ichen Namen geor­gis­ch­er Adels­fam­i­lien, allerd­ings ist kein­er von “meinen” drunter. Auch hier scheinen die schwili-Namen entwed­er von Eigen­na­men (Andronikaschwili), oder von einem Herkun­ft­sort (Beispiele im Wikipedi­az­i­tat) abgeleit­et zu sein. Und: Auch Berufe/Titel gehen (Wesirischwili vom per­sis­chen Wesir).

-schwili kon­nte also an Basen aus ganz ver­schiede­nen Bere­ichen treten und ver­wies auf geneal­o­gis­che (Vater oder Volk) oder regionale Herkun­ft. (Seit die Namen erblich gewor­den sind, wird natür­lich nur noch die Fam­i­lien­zuge­hörigkeit markiert, das -schwili hat seine Ursprungs­be­deu­tung ver­loren und dient eher als Eigennamenmarkierung.)

Das oben erwäh­nte -dse (auch ‑dze geschrieben) scheint über eine sehr ähn­liche Band­bre­ite zu ver­fü­gen. Glaubt man der englis­chen Wikipedia, so teil(t)en sich die bei­den geografisch auf: -schwili im Osten und -dse im Westen.

12 Gedanken zu „Die Schwilis in Georgien

  1. suz

    Sehr inter­es­sant!

    Erin­nert mich natür­lich an den SC Freiburgswili, der Anfang der 2000er mehrere geor­gis­che ‑schwilis in seinen Rei­hen hat­te (neben dem von dir zitierten “Kobi” noch “Iaschi”, “Tziko” und “Khi­zo”), und — natür­lich — einen Deutschen, Tobias Willi.

    (War unter uns Fans ne zeit­lang n irrer Gag. Zu Hochzeit­en wur­den im Sta­dion von den Fans bei Mannschaft­sauf­stel­lun­gen vor dem Spiel an alle Spiel­er ein “(sch)wili” ange­hängt; Golzwili, Riether­schwili usw usf.)

    Antworten
    1. Kristin Beitragsautor

      Das erk­lärt, warum mir die Schwilis so ver­traut sind. Der SC war ja ein­fach omnipräsent, selb­st wenn man sich die größte Mühe gab, Fußball zu ignorieren.
      Die Schwilis — damals hielt ich sie noch für Wil­is — waren für mich immer ein­deutig Fußballer, dieser Rodler hat mich total aus dem Konzept gebracht.

      Iaschwili klingt auch total ver­traut. Die anderen habe ich mal gesucht, habe Zki­tis­chwili gefun­den, aber keinen, der Tziko im Namen hat. Kön­ntest Du das durcheinan­derge­bracht haben, weil Zki­tis­chwili auch Tski­tishvili geschrieben wer­den kann? (Ich liebe Ord­nung.)

      Hier gibt’s in Beitrag 10 sog­ar einen län­geren Text über Freiburg und die Georgi­er, der wohl ursprünglich vom ZDF stammt.
      Und der eben­falls die Wort­gren­ze falsch zieht 🙂

      Antworten
  2. suz

    Ups, natür­lich, “Tzk­i­to” war’s, typo. Die Schreib­weisen sind natür­lich der Tran­skrip­tion geschuldet — und ich bezwei­fle, ob je ein Fan die Namen auch mal schreiben musste. Bei uns war er auch wegen des recht unaussprech­lichen Namens halt immer Tzk­i­to, oder Zki­to oder wie auch immer man das phonetisch umschreiben mag. Fans brüllen ja meist mehr als dass sie schreiben 🙂

    Ich muss geste­hen, dass auch mir die “schwili”-Endung unbekan­nt war bzw. nicht aufge­fall­en ist bis zu deinem Beitrag. Und dass, obwohl sie ja sehr auf­fäl­lig sind.

    Bekan­nt sind mir die Endun­gen allerd­ings auch aus dem poli­tis­chen Bere­ich, beson­ders präsent sind sie natür­lich im Russland-Georgien-Konflikt.

    Antworten
  3. Bettina

    Liebe Kristin, ich lese oft Deine Beiträge, und hat­te mir bei diesem The­ma gedacht, wer kann das bess­er erk­lären als ein gebür­tiger Georgi­er und da ein solch­er als Autor in dem von Patri­cia Koelle und mir her­aus­gegebe­nen Erzählband “Mauer­stücke-Erin­nerungs­geschicht­en” dabei ist, habe ich ihn kurz­er­hand ange­mailt und ange­fragt, was er zu dem The­ma erzählen kann. Hier der the­men­be­zo­gene Inhalt sein­er Antwort:

    Deine Frage kann ich natür­lich sehr aus­führlich (natür­lich nur im Rah­men mein­er Ken­nt­nisse) beant­worten, aber in ein­er Mail wäre so was undenkbar. Um es kurz zu fassen, kann ich nur die zwei in Georgien wirk­lich sehr ver­bre­it­eten Endun­gen (es gibt aber sehr, viele Andere und darüber müsste ich wirk­lich sehr viel schreiben) — schwili und – dse (wie übri­gens in meinem Nach­na­men) erläutern.. Schwili – das bedeutet tat­säch­lich „Kind“, aber sso zu sagen, nicht so präzise, denn das Wort Kind im all­ge­meinen Sinne ist auf Geor­gisch ;Bawschwi“, aber Schwili bedeutet das Kind in dem Fall, wenn es sich um ein Kind han­delt, das jeman­dem, also den Eltern gehört. Ich, z.B. kann sagen, dass ich als Vater zwei Kinder (also Schwili – in Mehrzahl: Schwilebi – habe), aber wenn ich ein Kind irgend­wo auf der Straße oder egal woan­ders noch sehe, kann ich nur sagen, dass es „Bawschwi“ aber keines­falls ein „Schwili“ ist. Dann müsste ich auch sagen, wessen Kind es ist). Aber man kann in der Frage „haben Sie Kinder? – auch das Wort „Bawschwi“ gebrauchen. Die Herkun­ft der Namen ist also natür­lich klar – es han­delt sich um jeman­des Kind, aber bei weit­em nicht immer, nur zum Teil. Bald ist es der Ort, bald Beruf, Gegen­stand, Waffe, Eigen­schaft des Men­schen, bald ein Tier (meis­tens Wolf, Bär, Löwe, Fuchs usw.) Z.B. Der Name „Gelaschwili“ ist der Sta­tis­tik nach der am meis­ten ver­bre­it­et Name in Georgien und stammt vom Wort Mgeli ‑Wolf. Aus dem Wort stam­men andere damit ver­wandte geor­gis­che Namen: Mge­ladse, Geladse, Geliaschwili, Gelau­ri, Geleis­chwili, Gelenidse usw. Alle kenne nicht mal ich. Was die Endung –dse ange­ht, so bedeutet das ein­deutig nur „Sohn“, aber meis­tens fol­gt es nicht einem Vor­na­men, son­dern wird nach den oben genan­nten Prinzip­i­en (d.h. genau­so) abgeleit­et, wie –schwili.

    Ich hoffe, mit mein­er kurzen und lei­der gar nicht pro­fes­sionellen Erläuterung Dir trotz­dem ein wenig weit­er geholfen zu haben und ver­ab­schiede mich

    liebe Grüße
    Bettina

    Antworten
    1. Kristin Beitragsautor

      Liebe Bet­ti­na,

      super, vie­len Dank für die vie­len Informationen! 

      Bald ist es der Ort, bald Beruf, Gegen­stand, Waffe, Eigen­schaft des Men­schen, bald ein Tier (meis­tens Wolf, Bär, Löwe, Fuchs usw.)

      Ich ver­mute, aus­ge­hend vom Deutschen, dass all diese Beze­ich­nun­gen ursprünglich auf den Vater bezo­gen waren und somit klas­sis­chen Benen­nungsmo­tiv­en fol­gten — bei den Tieren schrieb man dem nach ihm Benan­nten die typ­is­chen Eigen­schaften oder da Ausse­hen des Tieres zu, Gegen­stände kön­nen stel­lvertre­tend für den Beruf des Vaters ste­hen, … (Im Deutschen nan­nte man z.B. Rothaarige oft Fuchs.)
      Da viele dieser Namen Adel­sna­men zu sein scheinen, kann es natür­lich auch gut sein, dass es sich z.B. um Wap­pen­tiere o.ä. han­delt — wobei die natür­lich auch wieder in irgen­deinem Zusam­men­hang mit einem Vor­fahren aus­gewählt wor­den sein dürften.
      Alles etwas speku­la­tiv natür­lich, vielle­icht gab es in Georgien auch ganz andere Benennungsprinzipien.

      Liebe Grüße,
      Kristin.

      Antworten
  4. howie

    > Schwili bedeutet das Kind in dem Fall, wenn es sich um ein Kind
    > han­delt, das jeman­dem, also den Eltern gehört. […]
    > wenn ich ein Kind irgend­wo auf der Straße oder egal woanders
    > noch sehe, kann ich nur sagen, dass es „Bawschwi“ aber
    > keines­falls ein „Schwili“ ist. 

    Sehr inter­es­santes The­ma. Ich denke, dass das deutsche Pen­dant zu Schwili am ehesten “Sprössling” ist, das zwar etwas ver­al­tet sein magt, aber meinem Ein­druck nach genau so ver­wen­det wird wie Schwili.

    Antworten
  5. Herbert-Ernst Neusiedler

    Was bedeutet der Name Dschugaschwili.
    Konkret: Was bedeutet Dschuga.
    Her­zlichen Dank
    Her­bert-Ernst Neusiedler

    Antworten
  6. Natia Laperadze

    Dschugaschwili: 1.Dschugaani ist ein Dorf in Ost­gero­gien und der Name kön­nte auf die Beze­ich­nung dessen Bewohn­er hin­deuten. 2.Dscguga ist ein altes geor­gis­ches Wort und bedeutet ein hochquäi­ta­tives Met­al­stoff. In diesem Fall u. eher wahrschein­lich­er wurde der Name vom Beruf abgeleitet.

    zum The­ma SCHWILI und BAWSCHWI: Bavschwi heißt defin­i­tiv das Kind. Schwili ist ein über­gen­er­al­isiertes Wort für Sohn oder Tochter, also Nach­wuchs ohne Geschlecht­be­nen­nung. Dementsprechend heißt Tochter — Qalis­chwili (Qali=Frau/Weibliche Per­son) und Sohn — Vajischwili(Vaji=junger Mann).
    Viele Grüße
    Natia

    Antworten
  7. Minassian

    Wer sich für Georgien inter­essiert : es gibt eine wun­der­bare Fam­i­lien­saga ‘Das achte Leben’ von Nino Haratis­chwili. Aber Vor­sicht : 1. fast 1200 Seit­en 2. das Buch ist so faszinierend, dass ich es inner­halb von 72 Stun­den fast ‘gefressen’ habe. Die Autorin lebt in Berlin, ist etwa Mitte 30, spricht per­fekt deutsch. Sie antwortet gerne auf Zuschriften und ist sehr angenehm (erlebt bei ein­er Lesung)

    Antworten
  8. Kristin Kopf Beitragsautor

    Ich ver­mute, dass Gar­se­van ein Ruf­name ist. Ich habe ihn transli­teriert (გარსევან, mit http://ge.translit.cc/) und gegooglet, das führt u.a. zu diesem Wikipedi­aein­trag, dessen deutsche Ver­sion diese ist. Woher der Ruf­name stammt, d.h. ob er vielle­icht von etwas abgeleit­et ist, das eine Bedeu­tung hat, kann ich allerd­ings nicht sagen.

    Antworten
  9. Tsouloukidse

    Liebe Kristin, das ist eine sehr schöne, anrührende Recherche. Ich glaube, Du liegst mit allem richtig. Frage doch mal einen Karth­welolo­gen. Liebe Grüße Thengis Tsouloukidse, des Geor­gis­chen nur wenig kundig. Das mit Freiburgswili ist kurios. Es gab hier mal einen Chawtschis­chwili, wie hat man den hier dann genan­nt ? Natür­lich Kautschuk­wili. Solche Gags führen natür­lich nicht weit­er. Da finde ich Deine inter­essierte Behar­rlichkeit besser.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Bettina Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.