Norbert Lammert, die deutsche Sprache und das Grundgesetz

Von Anatol Stefanowitsch

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert hält die Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz nicht nur für wichtig, er hält sie für sehr, sehr wichtig. Eigentlich für wichtiger als alles andere.

O‑Ton Lam­mert:

Wenn ich mir allerd­ings die 58 Änderun­gen und Ergänzun­gen des Grundge­set­zes betra­chte, die es seit 1949 gegeben hat, fall­en mir keine fünf Änderun­gen ein, die es an Bedeu­tung und Rang mit der Sprache als Mit­tel der Selb­stver­ständi­gung und Iden­tität eines Lan­des aufnehmen kön­nen. [welt.de]

Ern­sthaft? Keine fünf? Sie sind doch 1948 geboren, Herr Lam­mert, also alt genug, um sich möglicher­weise and die fol­gen­den Grundge­set­zän­derun­gen zu erinnern:

1.) Seit 1956 lautet Artikel 87a, Abs. 1. Satz 1 des GG:

Der Bund stellt Stre­itkräfte zur Vertei­di­gung auf.

2.) Seit 1968 lautet Artikel 20, Abs. 4 des GG wie fol­gt (Abs. 3 zum besseren Verständnis):

(3) Die Geset­zge­bung ist an die ver­fas­sungsmäßige Ord­nung, die vol­lziehende Gewalt und die Recht­sprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es untern­immt, diese Ord­nung zu beseit­i­gen, haben alle Deutschen das Recht zum Wider­stand, wenn andere Abhil­fe nicht möglich ist.

3.) Seit 1990 lautet die Präam­bel des Grundgesetzes:

Die Deutschen in den Län­dern Baden-Würt­tem­berg, Bay­ern, Berlin, Bran­den­burg, Bre­men, Ham­burg, Hes­sen, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Nieder­sach­sen, Nor­drhein-West­falen, Rhein­land-Pfalz, Saar­land, Sach­sen, Sach­sen-Anhalt, Schleswig-Hol­stein und Thürin­gen haben in freier Selb­st­bes­tim­mung die Ein­heit und Frei­heit Deutsch­lands vol­len­det. Damit gilt dieses Grundge­setz für das gesamte Deutsche Volk.

4.) Seit 1993 ist der Satz „Poli­tisch Ver­fol­gte genießen Asyl­recht“ durch Art. 16, Abs. 2 und 3 wie fol­gt eingeschränkt:

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mit­glied­staat der Europäis­chen Gemein­schaften oder aus einem anderen Drittstaat ein­reist, in dem die Anwen­dung des Abkom­mens über die Rechtsstel­lung der Flüchtlinge und der Kon­ven­tion zum Schutze der Men­schen­rechte und Grund­frei­heit­en sichergestellt ist. …

(3) Durch Gesetz, das der Zus­tim­mung des Bun­desrates bedarf kön­nen Staat­en bes­timmt wer­den, bei denen auf Grund der Recht­slage, der Recht­san­wen­dung und der all­ge­meinen poli­tis­chen Ver­hält­nisse gewährleis­tet erscheint, dass dort wed­er poli­tis­che Ver­fol­gung noch unmen­schliche oder erniedri­gende Bestra­fung oder Behand­lung stattfindet. …

5.) Und seit 1998 gilt die Unver­let­zlichkeit der Woh­nung laut Artikel 3, Abs. 3 nur noch, wenn sie bequem ist:

Begrün­den bes­timmte Tat­sachen den Ver­dacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bes­timmte beson­ders schwere Straftat began­gen hat, so dür­fen zur Ver­fol­gung der Tat auf Grund richter­lich­er Anord­nung tech­nis­che Mit­tel zur akustis­chen Überwachung von Woh­nun­gen, in denen der Beschuldigte sich ver­mut­lich aufhält, einge­set­zt wer­den, wenn die Erforschung des Sachver­halts auf andere Weise unver­hält­nis­mäßig erschw­ert oder aus­sicht­s­los wäre.

Man kann ja zur Wieder­be­waffnung, zu den Not­stands­ge­set­zen, zur Wiedervere­ini­gung, zur Ein­schränkung des Asyl­rechts und zum großen Lauschangriff ste­hen, wie man will. Aber egal, ob man sie für gut oder für schlecht hält, eins sollte doch klar sein: Irgend­wie sind sie alle wichtiger als die Auf­nahme des Deutschen, dessen Sta­tus als Amtssprache ohne­hin geset­zlich geregelt ist, ins Grundgesetz.

Ich erin­nere Lam­mert deshalb ein­drück­lich an die weisen Worte sein­er Kan­z­lerin und Parteivor­sitzen­den. Angela Merkel hat schon 2008 gesagt:

Ich per­sön­lich finde es nicht gut, alles ins Grundge­setz zu schreiben. Wir haben jet­zt Anträge auf Kul­tur, auf Sport, auf die Frage der Fam­i­lien, auf die deutsche Sprache jet­zt, und wir müssen auf­passen, dass das jet­zt nicht infla­tion­iert. [spiegel.de]

Recht hat sie. Deshalb: Peti­tion gegen die Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz mitze­ich­nen!

 

Ein Gedanke zu „Norbert Lammert, die deutsche Sprache und das Grundgesetz

  1. anna

    wer eine über­frachtete ver­fas­sung sehen will, sollte sich unbe­d­ingt mal die der schweiz anschauen. in der find­et man einige kuriose artikel, was daran liegt, dass es in der schweiz zwar lan­desweite volk­sentschei­de gibt, das ini­tia­tivrecht für geset­ze aber nur auf ver­fas­sungsebene gilt. deswe­gen hat die “Die Tran­sit­strassen-Kapaz­ität im Alpenge­bi­et” dort ver­fas­sungsrang, sie “darf nicht erhöht wer­den.” insofern muss ich angela merkel aus­nahm­sweise mal recht geben: es ist wirk­lich nicht gut, alles ins grundge­setz zu schreiben.

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