Now sitting in one boat are we?

Von Susanne Flach

Zu den häu­fig­sten Such­be­grif­f­en in mein­er Blogsta­tis­tik gehört “sit­ting in one/the same boat”. In meinem Beitrag zu Oet­tingers Englisch schrieb ich, die englis­che Redewen­dung zu “in einem Boot sitzen” ist “to be in the same boat”. Das ist richtig, die Argu­men­ta­tion war aber nicht kom­plett: Mut­ter­sprach­ler haben mir bere­its damals gesagt, dass ihnen “We’re sit­ting in one boat” gar nicht auf­fall­en würde.

Warum auch? Der Satz ist syn­tak­tisch in Ord­nung, die Meta­pher bleibt. Ganz ähn­lich sehen das auch die Mut­ter­sprach­ler in ein­er Diskus­sion zur Oettinger’schen Rede im LEO.org-Forum: ungewöhn­lich ja, falsch nein (und erst recht nicht schlimm oder gar peinlich).

Das wollte ich jet­zt genauer wis­sen: Nutzen Mut­ter­sprach­ler des Englis­chen die Redewen­dung so, wie Oet­tinger es tat? Die Antwort vor­weg: Nein, tun sie (fast) nicht. Aber Oet­tinger war auch nicht der erste Deutsche, der sie benutzte.

Die Redewen­dung kommt im Englis­chen recht ein­deutig mit {BE} in the same boat daher. Sit­ting in one/the same boat wird also nur dann ver­wen­det, wenn die wörtliche Bedeu­tung gemeint ist, also einen Umstand beze­ich­net, in dem man in einem physikalis­chen Boot sitzt. In den Megako­r­po­ra British Nation­al Cor­pus (BNC) und Cor­pus of Con­tem­po­rary Amer­i­can Eng­lish (COCA) find­et sich kein einziger Beleg für {SIT} in the same boat oder {SIT} in one boat (bei 134 Tre­f­fern im COCA und 17 im BNC für {BE} in the same boat). Es geht also ein­er­seits um das Verb sit ’sitzen’, welch­es im Englis­chen hier nicht ver­wen­det wird und ander­er­seits um one ‘ein(em)’, was im Englis­chen durch same ’selb(es/em)’ erset­zt wird.

Aber aus­geschlossen ist eine Oettinger’sche Ver­wen­dung nicht. Man muss zwar lange suchen und die Tre­f­fer­zahl für sit­ting in the same boat ist in der metapho­rischen Ver­wen­dung sehr, sehr ger­ing. Aber eine Hand­voll Belege find­et sich (wenn sie nicht Oet­tinger selb­st zum The­ma haben):

Wow, how frus­trat­ing this is for us ‘curly heads’.…it seems like we are all sit­ting in the same boat wait­ing to be steered to the right port!!

(Forums­beitrag, Vogue Aus­tralia)

But when role rever­sal becomes full time, then the “men” of this world are sit­ting in the same boat as the dinosaurs and tassie tiger.

(Kom­men­tar, Syd­ney Morn­ing Her­ald, Ask Sam!-Kolumne, 19. Novem­ber 2007.)

In bei­den Kon­tex­ten geht es nicht nur um die Schick­sals­ge­mein­schaft allein, son­dern auch um eine gewisse Pas­siv­ität, die durch sitzen unter­strichen wird. Im zweit­en Fall habe zumin­d­est ich sofort ein Bild im Kopf, dass da jemand mit den aus­gestor­be­nen Tieren sprich­wörtlich im Boot sitzt, dass also die Män­ner das gle­iche Schick­sal ereilen wird, wie Dinosauri­er und Tas­man­is­che Tiger. In bei­den Beispie­len ist mehr intendiert, als die Anspielung auf eine Schick­sals­ge­mein­schaft; Pas­siv­ität spielt eine Rolle.

Bei den obi­gen Bele­gen lässt sich nicht mit Sicher­heit sagen, welche Mut­ter­sprache die Schreiber haben. Denn inter­es­sant ist, dass eine ganze Rei­he von Tre­f­fer für sit­ting in one/the same boat entwed­er Deutsche oder Schweiz­er zitieren oder von Deutschen geschrieben wurden:

I pre­vi­ous­ly may have made ref­er­ence to you that I thought that Greece was “bank­rupt” for the past 41 years and that Por­tu­gal, Italy and Spain have all be[en] sit­ting in the same boat for the past 41 years.

(Dirk Wern­er, Morn­ing Penin­su­la Finan­cial Solu­tions, 6. Mai 2010.)

We are all sit­ting in the same boat. At that point [of the crash] I was dis­tract­ed, look­ing to the right.

(Sebas­t­ian Vet­tel, zitiert in Telegraph.co.uk, 4. Okto­ber 2007.)

To use an anal­o­gy from my own sport [row­ing], we are sit­ting in the same boat and row­ing in the same direction.

(Denis Oswald, zitiert in Guardian.co.uk, 25. Novem­ber 2005.)

Before they were all sit­ting in one boat, with empha­sis placed on com­mu­ni­ty and sol­i­dar­i­ty. All of a sud­den reuni­fi­ca­tion has left them with no boat at all.

(Eine Britin mit deutsch­er Mut­ter, seit der Jugend wohn­haft in Berlin, zitiert in Telegraph.co.uk, 29. Dezem­ber 2003)

There is recog­ni­tion that all coun­tries, whether rich or poor or emerg­ing mar­ket coun­tries are sit­ting in one boat and that this is an inter-depen­dent world.

(Horst Köh­ler, zitiert in The Hin­du Busi­ness Line, 24. Sep­tem­ber 2003.)

Vor Gün­ther Oet­tinger haben also mit Horst Köh­ler und Sebas­t­ian Vet­tel schon andere promi­nente Deutsche die Kon­struk­tion oder eine leichte Abwand­lung davon ver­wen­det. Es ist ger­ade bei diesen bei­den — Köh­ler war damals noch Chef des IMF — vorstell­bar, dass sie die Äußerun­gen auf Englisch getätigt haben und es sich dabei nicht um eine Über­set­zung handelt.

Die “deutsche” Ver­wen­dung ist also unkon­ven­tionell genug, um vom Mut­ter­sprach­ler nicht benutzt zu wer­den, aber ver­ständlich genug, um nicht rausedi­tiert zu wer­den. Nun ist es natür­lich plau­si­bel, dass auch in englis­chsprachi­gen Redak­tio­nen keine Lek­toren mehr sitzen und/oder dass die Redewen­dung dort — wie im Falle von was der Dok­tor verord­net hat - als ein­wand­frei durchgewunken wurde, ohne idioma­tisch dem Sprachge­brauch zu entsprechen. (Mit dem Unter­schied natür­lich, dass wir keine Entsprechung von was der Dok­tor verord­net haben, auch keine mit deutschen Bor­d­mit­teln.) Nun hat­te Oet­tinger mit sein­erm Spruch sicher­lich nicht die Beto­nung ein­er etwaigen Pas­siv­ität im Sinn — aber ein halbes Duzend Belege in diese Rich­tung machen ja auch keine Nebenbedeutung.

(Ich finde ger­ade keinen Beleg dafür, dass und von wem Oet­tinger seine Rede über­set­zen ließ. Angesichts der Ausspraches­trate­gie und der Tat­sache, dass er seit der Schulzeit kein Englis­chunter­richt mehr hat­te, halte ich es aber für aus­geschlossen, dass er die Rede selb­st geschrieben bzw. über­set­zt hat.)

Der Erk­lärungsansatz ein­er Inter­ferenz, also eines Ein­flusses der eige­nen Mut­ter­sprache, wird durch einen Blick auf die Nieder­län­der gestützt. Dort heißt die Redewen­dung in het­zelfde boot­je zit­ten ‘im sel­ben Boot sitzen’ und siehe da: Auf nieder­ländis­chen Seit­en find­en sich fast 1.800 Tre­f­fer für sit­ting in the same boat, aber so gut wie keines für sit­ting in one boat. Dass es im Deutschen umgekehrt ist — in einem Boot sitzen ist häu­figer, als im gle­ichen oder sel­ben Boot, etwa jew­eils im Ver­hält­nis 3:1 — erk­lärt möglicher­weise, warum Oet­tinger, sein Über­set­zer oder die anderen Deutschen auch mal zur For­mulierung in one boat greifen.

Und bitte, bitte keine Diskus­sion, dass man im Sinne der Schick­sals­ge­mein­schaft nicht im gle­ichen, son­dern nur im sel­ben Boot sitzen kann. Die Zwiebelfisch-Regel: “Dinge kön­nen sich gle­ichen, aber nicht sel­ben”. Die Real­ität: Die Vari­anten sitzen im gle­ichen Boot und sitzen im sel­ben Boot sind bei Google nahezu gle­ichauf. Nehmen wir das Indika­tor für den Sprachge­brauch, dann sind bei­de Vari­anten syn­onym, ohne die Aus­sagekraft der Meta­pher ern­sthaft zu gefährden.

We are all sit­ting in one boat ist ja auch deshalb zum geflügel­ten Wort gewor­den, weil die über­wälti­gende Mehrheit der Mei­n­ung ist, es würde von Nicht-Deutschen nicht ver­standen wer­den. Vielle­icht hätte es aber auch so unglaublich däm­lich aus­ge­se­hen, ihm “tsück­olotschi” vorzuwerfen.

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