Grundlose Sorgen

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurzes Post­skrip­tum zum ersten Teil mein­er Serie über die Sprachtipps von BILD.de und Andreas Busch. Let­zter­er hat­te unter anderem für Ver­wirrung über eine ange­blich falsche Ver­wen­dung des Wortes sor­gen gesorgt, indem er behauptet hat­te, dass man dieses nur in Sätzen wie Die Mut­ter sorgt für ihre Kinder, nicht aber in Sätzen wie Blitzeis sorgt für Verkehrschaos ver­wen­den dürfe. Nun stellt sich her­aus, dass just dieses Verb dem Chefredak­teur der Bild, Kai Diek­mann vor eini­gen Jahren Sor­gen bere­it­et hat.

In der NDR-Sendung „Zapp“ war näm­lich der fol­gende Satz gefallen:

„Bild“-Chef Kai Diek­mann sorgte schon im let­zten Wahlkampf dafür, dass sein Blatt für Ole von Beust trom­melte. [Zapp, 13.2.2009, cit. Bildblog.de]

Gegen diese Vor­würfe des „Trom­melns“ und (für uns inter­es­sant) des „Sor­gens“ wehrte sich Diek­mann gerichtlich. Das Landgericht Ham­burg sprach dem Nord­deutschen Rund­funk aber das Recht zu, diesen Vor­wurf auszus­prechen (das Urteil find­et sich lei­der nir­gends online). Diek­mann ging daraufhin in Beru­fung, doch das Hanseatis­che Ober­lan­des­gericht Ham­burg wies die Beru­fung zurück und erklärte:

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers ver­ste­ht der Durch­schnittszuschauer die Äußerung nicht so, dass der Kläger den Redak­teuren konkrete Anweisun­gen gegeben haben soll. Der Begriff des „Sor­gens“ enthält in dem Kon­text der Berichter­stat­tung einen lediglich dif­fusen Tat­sachenkern, der darin beste­ht, dass der Kläger im Rah­men sein­er Tätigkeit als Chefredak­teur die (pos­i­tive) Berichter­stat­tung gebil­ligt und ihre Veröf­fentlichung ermöglicht hat. Die Per­son des Klägers wird dabei als Chefredak­teur und damit Vorge­set­zter der anderen Redak­tion­s­mit­glieder in die Wer­tung ein­be­zo­gen. Ob und in welch­er Weise der Kläger per­sön­lich von sein­er tat­säch­lich beste­hen­den Möglichkeit, auf die kri­tisierte Berichter­stat­tung Ein­fluss zu nehmen, Gebrauch gemacht hat, ist der bean­stande­ten Pas­sage nicht zu ent­nehmen. Vielmehr wird mit dem Begriff des „Sor­gens“ lediglich darauf hingewiesen, dass er in sein­er Funk­tion als Chefredak­teur an der pos­i­tiv­en Berichter­stat­tung mit­gewirkt habe. [OLG Ham­burg, Gz 7 U 114/08]

Die sprach­wis­senschaftliche Ehrlichkeit hat es ja neulich schon erfordert, dass ich gegen meine tief­sten Überzeu­gun­gen Microsoft gegen Apple in Schutz nehme, und das hat mich für das gestählt, was ich nun tun muss.

Ich muss Kai Diek­mann (wenig­stens teil­weise) Recht geben.

Das Wort sor­gen bedeutet vielle­icht nicht unbe­d­ingt, dass er konkrete Anweisun­gen gegeben hat, aber es bedeutet mehr als nur ein „bil­li­gen“ oder „ermöglichen“. Der Duden gibt für für etwas sor­gen die fol­gende Bedeu­tung an:

sich bemühen, dass etwas vorhan­den ist, erre­icht wird [Duden.de]

Das BER­TELS­MANN-Wörter­buch sieht es ähn­lich und definiert wie folgt:

darauf acht­en, sich darum küm­mern, dass etwas (in aus­re­ichen­der Menge) vorhan­den ist

und gibt unter anderem das dur­chaus analoge Beispiel Sorge dafür, dass er rechtzeit­ig wegge­ht.

Sowohl bemühen als auch sich um etwas küm­mern leg­en eine aktive Hand­lung nahe, die darauf aus­gerichtet ist, ein bes­timmtes Ziel zu erre­ichen. Eine solche aktive Hand­lung hat ZAPP Diek­mann mit der oben zitierten Aus­sage unter­stellt und jed­er lin­guis­tis­che Sachver­ständi­ge hätte das bestätigt.

Aber wer seine Leser/innen mit Sprachtipps Busch’scher Güte quält, kann natür­lich nur bed­ingt auf die Sym­pa­thie aus den Rei­hen der Sprach­wis­senschaft hof­fen, wenn sein eigen­er Sprachge­brauch vor Gericht steht.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Dieser Beitrag wurde unter Altes Sprachlog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

8 Gedanken zu „Grundlose Sorgen

  1. David

    Das ist inter­es­sant, und ich muß dem gezor­ge­nen Schluß zustimmen.
    (1) Der Chef sorgte dafür, daß es bei der Wei­h­nachts­feier aus­re­ichend Bier gab.
    Würde man (1) ern­sthaft äußern, wenn der Chef bloß bil­li­gend und wohlwol­lend, dabei vielle­icht gele­gentlich auf­muntern­des Lob verteilend, zuge­se­hen hätte, wie seine Angestell­ten sich um alles kümmern?

  2. rbk

    Inter­es­sant ist, daß auch bei unbelebten Sub­jek­ten (die in diesem Artikel weit­ge­hend ignori­ert wer­den) eine “aktive Rolle” ver­langt wird.
    Das nur, weil es mir auffiel. Habe nichts wirk­lich­es hinzuzufü­gen, schön­er Artikel.

  3. rbk

    Inter­es­sant ist, daß auch bei unbelebten Sub­jek­ten (die in diesem Artikel weit­ge­hend ignori­ert wer­den) eine “aktive Rolle” ver­langt wird.
    Das nur, weil es mir auffiel. Habe nichts wirk­lich­es hinzuzufü­gen, schön­er Artikel.

  4. Carsten J.

    Ich mach mir die Welt …
    „Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers ver­ste­ht der Durch­schnittszuschauer die Äußerung nicht so, dass […]“
    Was Richter alles wis­sen, ohne Beweise, und selb­st wenn’s so offen­sichtlich falsch ist. Es gibt nicht viele Berufe die einem das Gefühl geben ein klein­er Gott zu sein.

  5. Ludwig Trepl

    Wem nützt es?
    Busch hat nicht so ganz Unrecht, auch wenn er es vielle­icht nicht so gemeint hat. Genau­so wie “ver­ant­wortlich ist das Blitzeis” hat “das Blitzeis sorgt für” die Funk­tion, die für den Streu­di­enst ver­ant­wortlichen von der Ver­ant­wor­tung freizus­prechen. Darum sind der­ar­tige For­mulierun­gen unter Poli­tik­ern beson­ders beliebt.

  6. Frank Wappler

    Isch beENTsorg disch gleisch Blitzeis!
    Ana­tol Ste­fanow­itsch schrieb (09. Juni 2011, 09:15):
    > […] in Sätzen wie [Anführungszeichen?]Blitzeis sorgt für Verkehrschaos[Ausführungszeichen?] ver­wen­den dürfe. 
    > Nun stellt sich her­aus, dass just dieses Verb dem Chefredak­teur der Bild, Kai Diekmann[Komma?] vor eini­gen Jahren […] 
    s.c.n.r.

  7. Monika Armand

    Weit­eres Beispiel kür­zlich im Fernsehen:
    Warum nen­nt man Polizis­ten “Bullen”?
    http://www.wdr.de/…aege/2009/1122/polizisten.jsp
    Auch hier haben “kluge” Richter entschieden:
    “Bulle” sei eine Beamtenbeleidigung.….
    Wäre noch zu eruieren, was denn eine “Belei­di­gung” sein könnte. ;-))

  8. Peter Perrey

    Sor­gen macht sich der Mensch!
    Nun muss man sich wohl sor­gen, dass fürder­hin Juris­ten für das rechte Ver­ste­hen deutschen Wortgutes sor­gen. Ist das nun Sprach­wis­senschaftler­belei­di­gung? Oder gibt es die so wenig wie Beamtenbeleidiguing?

Kommentare sind geschlossen.