Viren und ihr grammatisches Geschlecht

Von Anatol Stefanowitsch

Viren haben kein natür­lich­es Geschlecht, aber ihr Genus, also ihr gram­ma­tis­ches Geschlecht, sorgt immer wieder für Unsicher­heit. Immer wieder mal werde ich gefragt, ob es denn nun kor­rek­ter­weise das Virus oder der Virus heißen müsste. Nun gibt es auf diese Frage natür­lich keine „kor­rek­te“ Antwort, son­dern nur die Antworten, die sich alle deutsche Muttersprachler/innen auf der Grund­lage des eige­nen Sprachge­fühls selb­st geben kön­nen. Aber da diese Antworten eben wahrnehm­bar voneinan­der abwe­ichen, will ich hil­fs­bere­it sein und gebe deshalb schon mal das weit­er, was mein Sprachge­fühl mir sagt: Es heißt der Com­put­er­virus (Maskulinum), son­st aber das Virus (Neu­trum).

Bei dieser Antwort habe ich immer ein etwas schlecht­es Gewis­sen, denn aus dem Sprachge­fühl Einzel­ner kann nun ein­mal keine sprach­liche Hand­lungsan­weisung für alle abgeleit­et wer­den. In einem kurzen Beitrag in der Außen­stelle bin ich der Frage nach dem gram­ma­tis­chen Geschlecht von Viren deshalb genauer nachge­gan­gen. Inzwis­chen hat sich das dort berichtete Bild noch etwas verkom­pliziert, sodass sich ein neuer Beitrag lohnt.

Sehen wir uns zunächst an, was der Duden zum The­ma sagt. Man sieht die Sit­u­a­tion dort grund­sät­zlich ähn­lich wie ich, allerd­ings mit ein­er zusät­zlichen Kom­p­lika­tion. Für Com­put­er­virus wird das Genus wie fol­gt angegeben:

der, auch: das Com­put­er­virus [Duden online, s.v. Com­put­er­virus]

Bei Virus heißt es dagegen:

das, außer­halb der Fach­sprache auch: der Virus [Duden online, s.v. Virus]

Auch für den Duden ist also das Maskulinum der Nor­mal­fall bei Com­put­er­virus (es wird deshalb an erster Stelle genan­nt). Wann das mit „auch“ angegebene Neu­trum ver­wen­det wird, ist nicht genauer aus­ge­führt. Bei Virus dage­gen ist das Neu­trum der Nor­mal­fall, und für das unter „auch“ angegebe­nen Maskulinum find­et sich immer­hin der Hin­weis, dass es nur außer­halb der Fach­sprache zu find­en sei.

In dem oben erwäh­n­ten Beitrag habe ich die die Präferenz ver­schieden­er Kom­posi­ta mit dem Zweit­glied Virus für das Neu­trum bzw. Maskulinum unter­sucht und fest­gestellt, dass es unter­schiedlich stark aus­fällt. Im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (das haupt­säch­lich aus Zeitung­s­tex­ten beste­ht, die eher die All­t­agssprache als die Fach­sprache wieder­spiegeln dürften), find­et sich für das Com­put­er­virus tat­säch­lich eine Präferenz für das Maskulinum, auch wenn diese mit 64 Prozent nicht über­wälti­gend stark ist. Inter­es­sant war jedoch, dass es auch beim Grippe­virus eine leichte Ten­denz zum Maskulinum gab (der Grippe­virus), während beim Aidsvirus tat­säch­lich über 90 Prozent der Fälle wie erwartet im Neu­trum standen (das Aidsvirus).

Verwendungen von Virus im Neutrum und Maskulinum

Ver­wen­dun­gen von Virus im Neu­trum und Maskulinum

Diese Ergeb­nisse zeigen, dass Kom­posi­ta mit Virus grund­sät­zlich im Neu­trum oder im Maskulinum ste­hen kön­nen, dass aber jedes Kom­posi­tum eigene unter­schiedlich starke Präferen­zen für das eine oder das andere gram­ma­tis­che Geschlecht hat.

Wie sieht es nun mit dem Hin­weis des Duden auf die „Fach­sprache“ aus? Dieser find­et sich nicht nur bei Virus, son­dern auch bei Grippe­virus und Aidsvirus, der Duden sieht das Neu­trum also vor allem in der medi­zinis­chen Fach­sprache als Norm.

Um diese Behaup­tung genauer unter die Lupe zu nehmen, habe ich Genuszuord­nung der­sel­ben drei Kom­posi­ta auf Google Schol­ar — ein­er Such­mas­chine, die wis­senschaftliche Fach­lit­er­atur durch­sucht — wieder­holt. Ich habe außer­dem das Kom­posi­tum HI-Virus dazugenom­men, da manche Fach­leute das Wort Aidsvirus als unge­nau kri­tisieren und deshalb meiden.

Verwendungen von Virus im Neutrum und Maskulinum

Ver­wen­dun­gen von Virus im Neu­trum und Maskulinum

Das Ergeb­nis bestätigt zunächst, dass die Präferenz für das Maskulinum (der Com­put­er­virus) auch in der Fach­sprache beste­ht — tat­säch­lich ist sie hier mit fast 75 Prozent eher noch aus­geprägter als in der All­t­agssprache. Bei den biol­o­gis­chen Viren zeigt sich hier eine durchgängige klare Präferenz für das Neu­trum (das Grippe­virus, das Aidsvirus, das HI-Virus).

Das scheint die These des Duden zunächst zu bestäti­gen. Allerd­ings zeigt sich auch, dass selb­st in der Fach­sprache zwis­chen zwanzig und dreißig Prozent der Ver­wen­dun­gen im Maskulinum ste­hen. Die Verteilung von Maskulinum und Neu­trum kann also nicht über die Textsorte (Fachsprache/Alltagssprache) erk­lärt wer­den (zumin­d­est nicht unmittelbar).

Ich nehme an, dass die Genuszuweisung sich bess­er mit dem Konzept der gebilde­ten Sprache erfassen lässt: Virus ist generell dabei, sich vom ursprünglichen Neu­trum zum Maskulinum hin zu entwick­eln. Mit diesem Genus begeg­net es uns in der informellen All­t­agssprache, und erst in formellen Bil­dungskon­tex­ten ler­nen wir, dass es „eigentlich“ das Virus heißt. Mit der Ver­wen­dung von Virus im Neu­trum kön­nen wir nun unser Bil­dungsniveau sig­nal­isieren. Es scheint mir nicht unplau­si­bel, dass ein solch­es Sig­nal unter Medi­zin­ern wichtiger ist, als unter Infor­matik­ern. Bei­de Beruf­s­grup­pen sind mein­er Erfahrung nach über­durch­schnit­tlich gebildet, aber Infor­matik­er definieren sich ten­den­ziell nicht über diese Bildung.

Das kön­nte erk­lären, warum beim Com­put­er­virus sowohl in der All­t­ags- als auch in der Fach­sprache das neue („unge­bildete“) Maskulinum üblich ist, während bei den biol­o­gis­chen Viren in der Fach­sprache — also da, wo Medi­zin­er Bil­dung demon­stri­eren wollen — das Neu­trum dominiert. Es kön­nte auch die Unter­schiede zwis­chen dem Grippe- und dem Aidsvirus in den Zeitun­gen erk­lären: Über Aidsviren schreiben eher Wissenschaftsjournalist/innen, die ihre Bil­dung zeigen möcht­en (und sollen), über Grippe­viren schreiben wegen deren jährlich wiederkehren­der prak­tis­ch­er Rel­e­vanz dage­gen auch die Generalist/innen in den Nachricht­en­res­sorts, für die Schnel­ligkeit mehr zählt als kul­tureller Feinsinn.

Das ist natür­lich alles Speku­la­tion. Man müsste zunächst zeigen, dass Bil­dung einen direk­ten Ein­fluss auf die Genuswahl hat, wenn man das konkrete Wort und die Textsorte kon­stant hält. Um das zu über­prüfen, habe ich auf BILD.de und ZEIT.de nach der/den/das Grippe­virus gesucht und die Ergeb­nisse nach Maskulinum und Neu­trum aus­gezählt. Wenn man annimmt, dass BILD.de eher auf einen alltäglichen Sprachge­brauch abzielt, während ZEIT.de (im besten Sinne) eine bil­dungs­bürg­er­liche Sprache pflegt, müsste sich hier ein klar­er Unter­schied zeigen.

Und in der Tat ist das Ergeb­nis ist ein­deutig (da die Gesamt­tr­e­f­fer­zahl hier klein­er ist als bei den anderen Unter­suchun­gen, habe anstelle von Prozen­twerten absolute Zahlen angegeben):

Verwendung von Grippevirus mit Maskulinum und Neutrum auf bild.de und zeit.de

Ver­wen­dung von Grippe­virus mit Maskulinum und Neu­trum auf bild.de und zeit.de

Ein Wörter­buchein­trag für Virus kön­nte deshalb das gram­ma­tis­che Geschlecht wie fol­gt angeben: „der (im gebilde­ten Sprachge­brauch auch: das) Virus“.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Dieser Beitrag wurde unter Altes Sprachlog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

28 Gedanken zu „Viren und ihr grammatisches Geschlecht

  1. Wentus

    Hypothe­sen
    Wenn man die Hypothese der Bil­dung anführen möchte, kön­nte man ihr auch zwei weit­ere Hypothe­sen gegenüberstellen:
    (1) Ver­gle­ich mit der Geschlechterrolle:
    Während biol­o­gis­che Viren Wesen sind, die nur an der Schwelle zum Leben ste­hen und somit nur als Dinge aufge­fasst wer­den, sind Com­put­er­viren Werkzeuge ein­er männlichen erscheinen­den Aggre­siv­ität mit eingepflanzter Intelligenz.
    (2) Ver­gle­ich mit der lateinis­chen Sprache:
    Ober­fläch­lich betra­chtet sieht das Wort durch die Endung ‑us männlich aus, sog­ar noch unter­stützt durch die Gen­i­tiv-Endung ‑i, hat aber im Plur­al ‑a, was auf ein neu­trales Wort hin­weist. Es wird durch die Ver­wen­dung also eventuell die Mühe aus­ge­drückt, mit der man sich über die Wörter informiert.

  2. Hermann J.

    OK, begrif­f­en
    Wenn ich also ‘das Virus’ sage und schreibe, sinkt der Ver­dacht, ich könne BILD-Leser sein.

  3. Klausi

    Duden
    Das haben wir nun davon, dass der Duden sich wieder ein­mal nicht fes­tle­gen will. Würde der Duden vorgeben, was in dem Beispiel richtig und falsch ist, müssten wir uns nicht mit Prob­le­men herum­schla­gen, die eigentlich gar keine sind.

  4. Dierk

    Das ist lustig, der große Wahrig gibt für ‘Virus’ n an, umg. auch: m. Das ist die 8. Auflage von 2006; in der näch­sten kön­nte sich das umkehren. Der 1995er Kluge hat auch Neu­trum als Stan­dard und Maskulinum nebenher.

  5. Michael

    Genus & Bestimmtheit
    Eine spon­tane Idee, die die Bil­dungserk­lärung (die ich dur­chaus ein­leuch­t­end finde) noch ergänzt:
    “Grippe­virus” kommt laut google rel­a­tiv häu­figer mit unbes­timmtem Artikel “ein” und im Plur­al vor als “Aidsvirus”. In bei­den Fällen (mit “ein” und im Plur­al) ist das Genus nicht genau zu iden­ti­fizieren, so dass sich das default-maskulinum leichter durch­set­zen kann, weil es weniger Gegenev­i­denz gibt.

  6. Simone

    Vari­etät?
    Möglicher­weise gibt es auch eine regionale Präferenz. Ich hab ein­fach mal nach “der Com­put­er Virus” und “das Com­put­er Virus” gegoogelt mit dem Zusatz site:.ch, also nach Schweiz­er Beiträgen:
    “das com­put­er virus”: 2’930
    “der com­put­er Virus”: 2’070
    Das ist sicher­lich nicht sig­nifikant, aber ver­glichen mit den Resul­tat­en im gesamten Sprachge­bi­et doch erstaunlich.
    Ich sel­ber würde übri­gens auch im Schweiz­er Dialekt “der Com­put­er Virus sagen”.

  7. Sophie Lang

    Lateinis­ch­er Ursprung
    Ich würde es eher auf die schulis­che vor-Bil­dung zurückführen.
    Wer in der Schule Latein lernte, beschäftigte sich recht einge­hend damit, dass virus neu­trum war, und ger­ade weil es nicht in’s “-us = maskulin”-Schema passt, merkt man sich das für immer.
    Wer Medi­zin studieren wollte, musste ein Lat­inum nach­weisen, in Öster­re­ich ist dies immer noch notwendig. Für Infor­matik war Latei­n­un­ter­richt wom­öglich sog­ar hinderlich 😉
    Ich sehe es also eher, dass ein säch­lich­es Virus auf eine Latein-Ver­gan­gen­heit hin­weist, die zumin­d­est in der Ver­gan­gen­heit mit der Bil­dung korrelierte.

  8. Stefan R.

    Latein
    Ich gab bish­er dem Maskulinum den Vorzug,
    da lateinisch virus maskulin ist.

  9. Mona

    @Simone
    “Möglicher­weise gibt es auch eine regionale Präferenz.”
    Kön­nte stim­men! In Bay­ern und Öster­re­ich sagt man auch “der Com­put­er Virus”. Allerd­ings wird in den Schulen ver­langt, dass die Kinder (auf Hochdeutsch) “das Virus” schreiben.

  10. Anatol Stefanowitsch

    .
    @ Ste­fan R.: Nein, lat. virus ist ein Neu­trum (siehe Kom­men­tar von Wen­tus); das ist auch der Grund, warum es im Deutschen ursprünglich ein Neu­trum war.
    @ Wen­tus, Sophie Lang: Die Verbindung zum Lateinis­chen spielt sich­er eine Rolle bei der Wahrnehmung des Neu­trum als „gebildet“, vor allem die oblig­a­torischen Lateinken­nt­nisse von Medi­zin­ern kön­nten hier rel­e­vant sein.
    @ Wen­tus: Eine seman­tisierende Erk­lärung über Geschlechter­rollen halte ich für frag­würdig, denn wenn die Fak­ten umgekehrt wären, kön­nte man auch eine solche kon­stru­ieren. Nehmen wir an, der Sprachge­brauch würde das Com­put­er­virus aber der (biol­o­gis­che) Virus vorziehen; dann kön­nte man argu­men­tieren, dass biol­o­gis­che Viren als autonom han­del­nde, qua­si-intel­li­gente Wesen wahrgenom­men wer­den, während Com­put­er­viren nur als Werkzeuge, also Dinge betra­chtet werden.
    @ Michael: Inter­es­sante Idee!
    @ Simone, Mona: Ich habe das anhand der im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus enthal­te­nen Rhein-Zeitung (Deutsch­land) und St. Galler Tag­blatt (Schweiz) über­prüft — in bei­den Fällen machen Neu­tra etwa 25 Prozent der Vorkom­men von Virus aus.

  11. Anatol Stefanowitsch

    @pingel
    Das Prob­lem der unge­nauen (oder bess­er, auf nicht nachvol­lziehbaren Algo­rith­men beruhen­den) Tre­f­fer­zahlen habe ich bei den Google-Schol­ar-Dat­en ver­mieden, indem ich die kom­plette Tre­f­ferliste durchge­se­hen und dann selb­st gezählt habe (ich musste das sowieso tun, um Fehltr­e­f­fer wie Aus­bruch der Grippe­virus-Epi­demie her­auszu­fil­tern). Bei der drit­ten Grafik habe ich das Prob­lem ein­fach ignoriert.

  12. willi wamser

    Seman­tisierung und Rolle
    Nochmal kurz ergänzende (keineswegs alter­na­tive) Über­legun­gen zur Verteilung masc vs neu­trum in “nor­malem” und “gehoben­em” Textkorpus.
    1. Der Ter­mi­nus “virus, i” (Schleim, Gift) taucht in der klas­sis­chen Lek­türe des Latein­schülers nahezu gar nicht auf: Cae­sar hat das Wort nicht [vgl H. Mer­guet (1966): Lexikon zu den Schriften Cae­sars. Olms. Hildesheim], bei Cicero find­et es sich ein­mal in Laelius 87] Die natur­wis­senschaftlichen Schriften von Plin­ius — ein rel­e­van­ter Fun­dort — (vgl. den Georges) sind alles andere als Standardlektüre.
    2. Mir sel­ber war das lateinis­che Neu­trum von “virus, viri” gar nicht klar. Vielmehr war bei mein­er unbe­wussten Wahl des Masc dreier­lei am Werk:
    a) Die meis­ten lateinis­chen Substantive/Nomen auf ‑us,-i sind mas­culinum — genus, gener­is ist eine ganz andere Dek­li­na­tion­sklasse und insofern ist das Neu­trum von genus in meinem Gedächt­nis geblieben. Virus, viri dage­gen war unbelegt. Insofern wurde es der Stan­dard­klasse Masc zugeordnet.
    b) Die meis­ten Substantive/Nomen auf ‑us in der deutschen Gegen­wartssprache sind mit dem Maskulinum kom­biniert. Es kann sich also bei der hohen Fre­quenz von “der Virus” in Stan­dard­tex­ten um eine Analo­giebil­dung zum Lex­emko­r­pus auf ‑us handeln.
    N.B. “Das Kor­pus” und auch “der Kor­pus” sind laut Duden im Deutschen vorhan­den. Kor­pus im Sinn von “Kör­p­er” ist masc, Kor­pus im Sinn von “Textsamm­lung” eher neu­tr. Hier mag also das deutsche Genus und eine Analo­giebil­dung Pate ges­tanden haben. Umgekehrt kon­serviert sich im bil­dungssprach­lichen Feld das lateinis­che Neutrum.
    Und: Manch­mal hörte man in sprach­wis­senschaftlichen Übun­gen auch von “der Genus” reden. Nicht sel­ten wurde das dann von den Profis als “das Genus” moniert.
    c) “irgend­wie” ist ein Virus mit Aggres­siv­ität, Inku­ba­tion und Ein­drin­gen gekop­pelt. Auch mag im men­tal­en Lexikon “vir­il” aufblenden.
    So liegt kon­no­ta­tiv-emo­tion­al und im kog­ni­tiv­en Schema eine mas­cu­line Inter­pre­ta­tion des Lex­ems vielle­icht nicht fern. Auch wenn Tor­na­dos und andere Naturkatas­tro­phen gern weib­liche Namen tra­gen müssen.
    3. So dürfte das bil­dungssprach­liche Neu­trum wohl tat­säch­lich auf eine speziell-medi­zinis­che Aus­bil­dung rückverweisen.
    Dass im anglo-amerikanis­chen Bere­ich das Phänomen “virus” “sowieso als Neu­trum behan­delt wird, mag dann umgekehrt die deutsche Neu­trum-Präferenz in “gehobe­nen” Tex­tko­r­po­ra ver­stärkt und bestätigt haben.

  13. Balanus

    @Willi Wamser:
    » 3. So dürfte das bil­dungssprach­liche Neu­trum wohl tat­säch­lich auf eine speziell-medi­zinis­che Aus­bil­dung rück­ver­weisen. «
    Nicht zu vergessen, dass Kinder ab der siebten Klasse (Sekun­darstufe 1) im Bio-Unter­richt “das Virus” ler­nen. Zumin­d­est in Hessen 😉

  14. willi wamser

    Präzisierung
    @Balanus
    Völ­lig ein­leuch­t­end, der Hin­weis auf den Biolo­gie­un­ter­richt (inner­halb und außer­halb von Hessen/Hessens/Hessen :))
    Bei der Gele­gen­heit noch eine Präzisierung:
    Die meis­ten Substantive/Nomen auf ‑us in der deutschen Gegen­wartssprache sind mit dem Maskulinum kombiniert.
    Natür­lich sind solche Wörter gemeint, deren Fremdheitsstatus/Entlehnungsstatus noch spür­bar ist. Also zum Beispiel “Bonus” oder “Malus” oder “Abakus” oder “Obu­lus” oder “Lap­sus”, nicht aber “Haus, Saus und Braus” oder “Emaus” oder “Blut­laus” oder “Bit­bus”.
    Man ver­gle­iche etwa fol­gen­des Bildungsgut:
    herzzyklus
    hinduismus
    hinkjambus
    hinterhaus
    hokuspokus
    homunculus
    homunkulus
    humanismus
    idealtypus
    idiotismus
    islamismus
    japonismus
    kochkursus
    Inter­es­sant für das gram­ma­tis­che Geschlecht (s.o.):
    Genus
    Korpus

  15. Achim

    Fremd­wörter und Fachkulturen
    Mir fall­en dazu zwei Dinge ein:
    a) Sta­tus. Das lateinis­che Wort gehört in die u‑Deklination, der Plur­al lautet also [statu:s]. Die meis­ten Deutschen sagen aber “Sta­ti”. Ich sage mal “Sta­tus” mit kurzem /u/ (Dehnung in Nicht-Ton­sil­ben ist mir nicht in die Wiege gelegt wor­den…), mal “Sta­tus” mit langem /u/ und mal “Zustände” 🙂
    b) Mod­ul. Da ich beru­flich mit der Stu­di­en­re­form zu tun habe, rede ich viel über Mod­ule: das Mod­úl, die Mod­úle. Wenn man dann auf Kol­legin­nen und Kol­le­gen aus den Inge­nier­wis­senschaften stößt, hört man immer noch “das Módul” und “die Móduln”. Davon weiß duden.de schon gar nichts mehr…

  16. David

    @Achim
    Módul ist eine völ­lig übliche Aussprachevari­ante, wenn es um den math­e­ma­tis­chen Begriff geht, eben­so ist die entsprechende Plu­ral­form in diesem Zusam­men­hang üblich. Der Duden ist da schlechter informiert als Wik­tionary (oder ignori­ert math­e­ma­tis­che Fachaus­drücke einfach…).
    Anscheinend haben die Inge­nieure also die Aussprache des Fachaus­drucks auch für die anderen Bedeu­tun­gen übernommen.
    Ich habe keine Ahnung, wie die Unter­schiede his­torisch zu erk­lären sind.

  17. David

    Nochmal Módul
    Das Genus hat­te ich ger­ade bei den Unter­schieden ganz vergessen.
    Die Wikipedia nen­nt für das masku­line Módul mit der entsprechen­den Plu­ral­form ins­ge­samt fol­gende Bedeutungen:
    ‑Mod­ul (Math­e­matik), eine den Vek­tor­raum ver­all­ge­mein­ernde alge­brais­che Struktur
    ‑Mod­ul (Architek­tur), ein Bau­maß der klas­sis­chen Antike (Grund­maß der Säulenordnung)
    ‑Mod­ul (Tech­nik), eine Maßangabe zur Normierung von Zah­n­rädern, Schrauben und Gewinden
    ‑Kom­pres­sion­s­mod­ul, Maß für die Verdich­tung eines Stoffes
    ‑E-Mod­ul, siehe Elastizitätsmodul
    ‑G-Mod­ul, siehe Schubmodul
    Offen­bar müssen das die Inge­nieure also auch nicht unbe­d­ingt aus der Math­e­matik über­nom­men haben.

  18. Achim

    Mod­ul, @ David
    Ich nehme an (ohne jet­zt die Möglichkeit­en zur Recherche zu haben), dass der Módul, die Móduln die his­torisch ursprüngliche Form ist. Duden meint, dass das deutsche Wort vom englis­chen mod­ule über­nom­men wurde, welch­es vom lat. mod­u­lus käme. Mir fällt allerd­ings spon­tan die prosodis­che Nähe zu con­sul ein, das eben­falls den Plur­al auf ‑n bildet.
    Die Form mit der Beto­nung auf der ersten Silbe ist im Deutschen ein eher ungewöhn­lich­es Muster, durch die Ver­schiebung der Beto­nung auf die zweite Silbe wurde das Wort ein Stück weit einge­bürg­ert. Dito bei der Plu­ral­bil­dung, das vokallose ‑n als Plur­al für kon­so­nan­tisch aus­lau­t­ende Wörter ist ja auch nicht ger­ade weit verbreitet.

  19. Statistiker

    auch inter­es­sant…
    Hab mal gegoogelt:
    “der ansteck­ende Virus”: 787 Treffer
    “der ansteck­ende Virus”: 500 Treffer
    “der harm­lose Virus”: 30 Treffer
    “das harm­lose Virus”: 43 Treffer
    “der schreck­liche Virus”: 27 Treffer
    “das schreck­liche Virus”: 1.490 Treffer
    Also, ansteck­ende Viren sind eher männlich, schreck­liche Viren deut­lichst eher säch­lich und harm­lose Viren gibt es kaum.
    Das Adjek­tiv scheint also eine Rolle zu spielen…

  20. Josef

    Klasse!
    Wie immer auf den Punkt. Vie­len Dank. Warum es aber “der Kartof­fel” bei mir in Bay­ern heißt und “der But­ter”? Und warum es das Tunell und der Tun­nel gibt? Und der Sock­en und die Socke… ein weites Feld.

  21. KRichard

    @Josef: der Butter
    der bay. Begriff ´der But­ter´ erk­lärt sich sprachgeschichtlich:
    alt­griechisch ´buty­ron´ wurde zum lateinis­chen ´butyrum´ (bei­des Neu­tra). In den roman­is­chen Sprachen wur­den alte lateinis­che Neu­tra => maskulin: le beurre / il bur­ro => bay­erisch ´der Butter´.
    Der Begriff ´die But­ter´ erk­lärt sich, weil die lateinis­che Mehrzahlform ´buti­ra´ wegen der ‑a-Endung (fälschlicher­weise) als weibich aufge­fasst wurde.
    Quelle: Prof. Dr. Lud­wig Zehet­ner; http://www.mittelbayerische.de/dialekt

  22. MCBuhl

    Der But­ter usw.
    Das habe ich bis jet­zt immer für Schwäbisch gehalten 😉
    Das Tunell / der Tun­nel gibt es bei uns auch.
    –> scheint also eher eine süd­deutsche als eine bairische Sach zu sein

Kommentare sind geschlossen.