Im Zuge der Nominierungen zum Anglizismus des Jahres ist auch die Verwendung von in mit Jahreszahlen nominiert. „Es ist für mich der kleinste aber widerwärtigste Anglizismus, den jedes halbakademische Bullshitbingoopfer in jeder Besprechung allzu häufig verwendet“, schreibt der Nominierende. „Warum müssen wir in unserem Sprachgebrauch ein Wort einfügen, wo es bei uns gar nicht notwendig ist? Das hatten wir bereits 2010 diskutiert und nicht in 2010 – meinetwegen im Jahre 2010.“
Mit dieser Abneigung ist er nicht allein. Immer wieder wird behauptet, dass es sich dabei um einen „lästigen Anglizismus“ aus dem „Wirtschaftsjargon“ handelt, der von „schlechtem Stil zeugt“, und dass er zwar „weit verbreitet“ aber „tatsächlich falsch“ sei.
Trotzdem hat die Konstruktion im Wettbewerb keine Chance. Denn erstens ist sie schlicht zu alt, wie diese Beispiele zeigen:
- Aus „Die Löbliche Herren Herren Stände Deß Ertz-Herzogthumb Oesterreich ob der Ennß“ (1732): „der Seelen selig abgeleidigte Leib der Wohl-Gebohrnen Frauen Frauen Annæ … ist gestorben zu Aggstein den 3ten Februar. nach 12. Uhr Vormittag in 1617. ihres Alters in 51. und ihres Wittib-Stands in 26. Jahr …“ ([Link])
- Aus „Ruebezahlider Schlesische Provinzialblaetter“ (1799): „Nur bisweilen erschienen keine Verbote, wie in 1627 …“ ([Link])
- Aus „Geschichte der Mathematik seit der Wiederherstellung der Wissenschaften“ (1800): „In 1615 hatte Kepler ein trauriges Schicksal wegen seiner Mutter, er erzählt das Krügern im 293. Briefe.“ ([Link])
- Aus „Astronomische Nachrichten“ (1855): „Ich habe oben gezeigt, dass das westliche System, welches im Jahre 1600 sich in dem östlichen Theile von Europa befand, sich nach dem östlichen Sibirien bewegt hat, und das östliche System, welches in 1600 das westliche Europa und einen Theil des Atlantischen Meeres einnahm.“ ([Link])
- Aus „Die Einwohnerzahl der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg“ (1857): „Ueber 1800 stieg die Zahl 2mal, in 1622 und 1624; über 1700 4mal, in 1606, 1608, 1620; über 1600 7mal, in 1601, 1603, 1604, 1612, 1615, 1619, 1621; über 1500 nur 3mal in 1602, 1607, 1613; über 1400 nur 1mal, in 1617; über 1300 3mal, in 1636 1637, 1639; über 1200 nur 1mal, in 1641.“ ([Link])
Und zweitens ist es auf der Grundlage eben dieser Beispiele unwahrscheinlich, dass es sich bei [in + JAHRESZAHL] überhaupt um einen Anglizismus handelt. Viel wahrscheinlicher haben wir es mit einem lupenreinen Latinismus zu tun: Im Lateinischen würde man in Anno Domini MDCXVII usw. sagen. Die Konstruktion findet sich außerdem in vielen anderen europäischen Sprachen, z.B. im Französischen (en 2012), im Niederländischen (in 2012) im Dänischen (i 2012) und im Spanischen (en 2011).
Aber selbst, wenn sie tatsächlich aus dem Englischen käme: Zweihundert Jahre reichen, um eine urdeutsche grammatische Struktur daraus zu machen.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Sprachlog-Außenstelle (die nicht mehr existiert). Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]

76 Gedanken zu „Auch in 2012 darf man „in 2012“ sagen“