[AdJ 2011] Der Shitstorm ist zurück!

Von Susanne Flach

Die Kan­di­dat­en für die Wahl zum Anglizis­mus des Jahres ste­hen fest — und wer­den von den Jurymit­gliedern in den näch­sten Wochen in Blogs und Foren disku­tiert wer­den. Ich mache bei mir den kurzen Auf­takt mit Shit­storm. Dieser Kan­di­dat ist bere­its zum zweit­en Mal nach 2010 nominiert, wo er es in die Endrunde schaffte (war wenig aus­sicht­sre­ich). Ich disku­tierte Shit­storm bere­its let­ztes Jahr in diesem Beitrag.

In die engere Auswahl schaffte es der Begriff also auch 2011. Shit­storm ist in ein­er schnellen Google­suche 2011 etwa dop­pelt so häu­fig wie 2010. Grund genug, mal zurück und voraus zu blick­en. Außer­dem wen­den wir uns der Frage zu, ob Shit­storm ein soge­nan­nter Scheinan­glizis­mus ist — das gehört auf den ersten Blick nicht hier­her, aber irgend­wie halt doch.

2010 schrieb ich:

Shit­storm lässt sich für das Deutsche all­ge­mein definieren als ‘Sturm öffentlich­er, massen­haft auftre­tender Entrüs­tung (im Web)’. Dabei bezieht sich Shit­storm aber nicht nur auf kon­struk­tive Kri­tik oder erwart­baren Gegen­wind, was ja die nahe­liegende Über­set­zung Protest­sturm beze­ich­nen würde, son­dern es bein­hal­tet – mit den Worten des Blog­gers Sascha Lobo – auch: “eine sub­jek­tiv große Anzahl von kri­tis­chen Äußerun­gen […], von denen sich zumin­d­est ein Teil vom ursprünglichen The­ma ablöst und [die] stattdessen aggres­siv, belei­di­gend, bedro­hend oder anders attack­ierend geführt [wer­den].” (Sascha Lobo, How to sur­vive a shit storm, Vor­trag auf der re:publica 2010)

Daran scheint sich im Grunde nichts wesentlich­es geän­dert zu haben. Es kön­nte sich aber eine Bedeu­tungsausweitung auf Kon­texte eines han­del­süblichen öffentlichen Protests bemerk­bar machen. Die Welt schreibt im Dezem­ber von öffentlichem Wider­stand auch, aber nicht nur, auf Face­book gegen die Wei­h­nachtswer­bung ein­er Elek­tron­ikkette. (Die Über­schrift muss ein Segen für den Jour­nal­is­ten gewe­sen sein!) Ganz ähn­lich sieht es das Busi­ness­magazin t3n, und kommt zu dem Schluss, dass Def­i­n­i­tio­nen und Ver­wen­dun­gen unein­heitlich sind:

Aus der PR-Sicht sind viele der all­ge­mein als Shit­storm beze­ich­neten PR-Krisen eigentlich gar keine. Erst wenn der Anteil der unsach­lichen, per­sön­lichen Kri­tik die argu­men­ta­tive Kri­tik übertönt, sprechen sie von einem Shit­storm. Berechtigte Kri­tik von Kun­den an einem Unternehmen oder ein­er Marke fällt dem­nach nicht darunter.
All­ge­mein betra­chtet wird der Begriff aber sehr viel weit­er gefasst. Alles was die Rep­u­ta­tion eines Unternehmens, ein­er Marke oder ein­er Per­son schadet und über das Social Web eine Eigen­dy­namik entwick­elt und eine kri­tis­che Masse über­schre­it­et, wird schnell als Shit­storm beze­ich­net. Ob das immer gerecht­fer­tigt ist, ist die andere Frage.

Ich bin mir nicht sich­er, ob die Aktion des Protests gegen den Elek­tron­ikkonz­ern unter die oben skizzierte Def­i­n­i­tion von Shit­storm fällt oder ob wir auf­grund dieser Ver­wen­dung und unter­schiedlich­er Auf­fas­sun­gen, wann ein Protest ein Shit­storm ist, von ein­er Bedeu­tungsausweitung des Begriffs sprechen dür­fen. Bliebe abzuwarten — es spräche aber dafür, dass sich hier ein Begriff vom reinen Social-Media-Kon­text in den öffentlichen, all­ge­meinen Sprachge­brauch ver­schiebt. Ein vor­sichtiges Her­zlichen Glückwunsch!

Die Herkun­fts­be­deu­tung im Englis­chen ist im Gegen­satz zur Ver­wen­dung im Deutschen auf den ersten Blick sehr viel all­ge­mein­er — also meist ganz ohne Web2.0, Social Media und gerne auch ohne die Öffentlichkeit. Nach wie vor find­et sich kein Ein­trag im OED oder im Mer­ri­am. Lediglich in Ein­trä­gen im Urban Dic­tio­nary (oft zweifel­hafte Quellen/Erklärungen) für shit­storm und shit storm oder bei Wik­tionary find­en sich Definitionen.

Set­zen wir mal auf die Def­i­n­i­tion im Wiktionary:

shit­storm, n.,

  1. (vul­gar) A vio­lent situation.
  2. (idiomat­ic, vul­gar) Con­sid­er­able back­lash from the public.

Aber kom­men wir kurz zum Deutschen zurück: Für Shit­storm gibt es seit dem 08. Juni 2011 einen Ein­trag in der deutschen Wikipedia, der Shit­storm über­raschen­der­weise zu den Scheinan­glizis­men zählt — ver­mut­lich auch auf­grund des ober­fläch­lich all­ge­meineren Verwendung/Definition. Scheinan­glizis­men sind Wörter, die sich zwar laut­lich als Entlehnung aus dem Englis­chen tar­nen, die aber entwed­er dort nicht existieren oder eine nicht-ver­wandte Bedeu­tung haben. (Die Wikipedia-Def­i­n­i­tion zu Scheinan­glizis­mus muss hier mal fix her­hal­ten. Wer Tips für eine gute, inter­es­sante wis­senschaftliche Studie parat hat, ab in den Kom­men­tar­bere­ich! Wobei ich “Scheinan­glizis­mus” ohne­hin eher für ein begrif­flich­es Kon­strukt der Sprachkri­tik halte, das uns sagt, dass wir Anglizis­men auch noch “falsch” erfind­en. Aber gut, ich schweife ab.)

Shit­storm (dt.) und shit­storm (engl.) haben aber sehr klar miteinan­der ver­wandte Bedeu­tun­gen. Das, was wir bei Entlehnun­gen ja sehr oft sehen, näm­lich dass wir nur eine von mehreren Bedeu­tungss­chat­tierun­gen importieren, ist auch bei Shit­storm passiert (das ist nix neues gegenüber 2010). Also wenn wir davon aus­ge­hen, dass Shit­storm nicht gle­ich shit­storm ist. Und selb­st wenn wir Shit­storm in einem anderen Kon­text ver­wen­den, so sind die bildlichen Beziehun­gen zwis­chen bei­den Konzepten so deut­lich zu erken­nen, dass ich Shit­storm nicht in einen Topf mit son­st üblicher­weise als Scheinan­glizis­men beispiel­haft aufge­führten Handy oder Beam­er würde wer­fen wollen.

Aber shit­storm wird in der englis­chsprachi­gen Net­zwelt eben doch auch so benutzt, wie bei uns: Das zeigen diese Twit­ter­mel­dun­gen der let­zten Stun­den und Tage aus einem 500km-Radius um New York (Ort willkür­lich gewählt, Ort­sangabe beruht auf den Biografieangaben der Twitterer):

Thank you Novar­tis for not recall­ing per­co­cet and endocet…us pharm­ers would sure­ly be fac­ing a phar­maged­don shit­storm […] [Link,@_RxLauren]

Inter­est­ing arti­cle in immi­gra­tion and eco­nom­ics on #CiF: […] fol­lowed by the usu­al shit­storm of idiots, unfor­tu­nate­ly… [Link, @acatcalledfrank]

Peo­ple give Tebow crap because of his (well-mar­ket­ed) Chris­t­ian beliefs. Imag­ine the shit­storm if he was vocal­ly agnos­tic! [Link, @SeanTheBaptiste]

[…] Once the pub­lic at large becomes aware of #NDAA, Oba­ma is going to learn what “polit­i­cal shit­storm” means. [Link, @Kaveros]

And it was writ­ten by a con! RT @techweenie Pre­pare for con­ser­v­a­tive shit­storm@Newsweek: Pre­sent­ing this week’s cover://t.co/Xlm26rgX #p2 [Link, @thejoshuablog]

Hal­ten wir ein­fach fest: Shit­storm ist kein Scheinan­glizis­mus. Wir haben eben im ersten Schritt nur die eine Bedeu­tung einge­führt. Diese scheint sich auszuweit­en — Kri­teri­um der Bere­icherung für den Sprachge­brauch erfüllt. Die Fest­stel­lung der Bedeu­tung auf­grund der Belegsamm­lung aus dem Englis­chen — obgle­ich in let­zter Instanz irrel­e­vant für unseren Sprachge­brauch — zeigt, dass es ein gen­uin­er Anglizs­mus ist.

Faz­it

Was Shit­storm trotz mein­er Skep­sis aus dem let­zten Jahr in diesem Jahr sog­ar zu einem recht guten Kan­di­dat­en macht: Wir sind offen­bar dabei, den Begriff aus den Face­book- und Twit­ter-Uni­versen rauszu­holen und dem all­ge­meinen Sprachge­brauch zu übergeben — inklu­sive ein­er Bedeu­tungserweiterung. Wie Falk Hede­mann bei t3n schreibt, wird der Begriff “infla­tionär” ver­wen­det — was früher Kri­tik war, sei heute ein Shit­storm.

Ich sehe das anders: Kri­tik und Shit­storm mögen gemein­sam auf einem Protestkon­tin­u­um liegen; die Aus­prä­gun­gen, Aus­führung­sor­gane und Über­mit­tlungskanäle sind aber unter­schiedlich. Das wird auch daran liegen, dass mit steigen­den Nutzerzahlen der son­st stammtis­chliche (hier: eben nicht aus tra­di­tionellen Medi­en abge­feuert­er) Protest in den öffentlichen Raum getra­gen wird. Shit­storm fügt dem Kon­tin­u­um also einen Hal­te­bere­ich hinzu — und gibt dem bish­er unge­hörten, aber neuerd­ings vokalisier­baren Unmut einen Namen.

7 Gedanken zu „[AdJ 2011] Der Shitstorm ist zurück!

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  2. Oliver Mason

    Ist “beam­er” wirk­lich ein Scheinan­glizis­mus? Hier in Eng­land wird das Wort benutzt um einen Pro­jec­tor zu beschreiben der mit einem Com­put­er ver­bun­den ist. Vielle­icht ety­mol­o­gisch ein Scheinan­glizis­mus, der später über­nom­men wurde? Ich habe lei­der nicht darauf geachtet wann ich es zuerst gehört habe…

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    1. suz Beitragsautor

      Das hat mir jet­zt auf die Schnelle natür­lich keine Ruhe gelassen — ich geste­he: Hier hab ich mich möglich­er- und teil­weise von der Nörgelei blenden lassen. Aber Recht haste: Eine Suche auf .uk-Seit­en ergibt: Das Ding wird bei Wikipedia zwar noch als “pseudoan­gli­cism” beze­ich­net, aber einige Elek­tron­ikher­steller und ‑händler ver­wen­den den Begriff tat­säch­lich bere­its auf ihren Web­seit­en (vielle­icht nur im Ver­bor­ge­nen), um Suchen der­art abz­u­fan­gen und auf ihre Seit­en umzuleit­en. Auch Beam­er­taschen heißen bere­its so. Spräche dafür, dass es in der gesproch­enen Sprache in dieser Bedeu­tung ver­wen­det wird.

      Die Entwick­lung dieser Bedeu­tung bedürfte größer­er Kraftanstren­gung — aber das Bild, das dahin­ter ste­ht (und ver­mut­lich auch im Deutschen zu dieser Bedeu­tungsas­sozi­a­tion geführt haben dürfte), ist ja sehr plau­si­bel (grob): Beam (Balken) > beam (Strahl, Licht­strahl) > to beam ‘to throw out or radi­ate (beams or rays of light); to emit in rays’ (strahlen)

      Danke!

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  3. janwo

    Das wäre ja dann mal ein Lehn­wort, das wiirk­lich “zurück­gezahlt” wurde. 😉 

    Nee, aber ehrlich, ich knne viele Kol­le­gen (auch aus den USA, Jamaica), die “beam­er” verwenden.

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