[Schplock trifft Lehre] Dialekt oder Sprache?

Von Kristin Kopf

In der Kat­e­gorie [Sch­plock trifft Lehre] halte ich Inhalte und Ergeb­nisse aus dem Sem­i­nar Rhe­in­fränkisch fest, das ich im Som­merse­mes­ter 2012 an der Uni Mainz gebe. (Zum Ein­stiegs­beitrag und zur Über­sicht)

Vielle­icht habe ich es in der ersten Sitzung mit dem Ansatz »spielerisch­er Ein­stieg« ein wenig gut gemeint – aber ander­er­seits, warum nicht? Nach tage­langem Herumge­google und einem exzel­len­ten Tipp von mein­er Kol­le­gin Luise habe ich die fol­gen­den Hör­beispiele aus­ge­graben. Bei welchen davon han­delt es sich um deutsche Dialek­te? Bei welchen um eigene Sprachen? Und welche Dialek­te oder Sprachen sind das jeweils?

(Zu den Quellen und Lösun­gen.)

Ziel der Übung war, natür­lich, festzustellen, dass man Sprache und Dialekt nicht klar voneinan­der tren­nen kann. Für alle Kri­te­rien, die man immer wieder her­anzieht, gibt es Gegen­beispiele. Pos­tuliert man, dass das Sprach­sys­tem sich in Laut­en, Gram­matik und Vok­ab­u­lar stark unter­schei­den muss (»Sys­temab­stand«), dann hat man keine Hand­habe, das zu quan­tifizieren und jede Fes­tle­gung wäre wieder willkür­lich. Für Sprachen wie Deutsch und Franzö­sisch lässt sich das recht gut nachvol­lziehen, aber sind nicht vielle­icht die Schweiz­erdeutschen Dialek­te ver­gle­ich­bar weit vom deutschen Stan­dard ent­fer­nt wie Niederländisch?

Pos­tuliert man, dass es sich um eigene Sprachen han­delt, wenn die jew­eili­gen SprecherIn­nen sich nicht miteinan­der ver­ständi­gen kön­nen, dann hat man natür­lich wieder das Prob­lem, festzule­gen, was als Ver­ständ­nis gilt und bei wem genau das vorhan­den sein muss, und außer­dem lässt man dabei das Phänomen der Dialek­tkon­tin­ua außer acht: Jemand, der Bairisch spricht, kann jeman­den aus den Nieder­lan­den wahrschein­lich nicht ohne Sprachkurs ver­ste­hen, jemand, der Kölsch spricht, wohl schon eher. Dialek­te verän­dern sich näm­lich nicht abrupt ent­lang ein­er imag­inären Lin­ie, son­dern ziem­lich gradu­ell. Staats­gren­zen spie­len da zwar eine kleine Rolle (weil die über­dachende Amtssprache eine andere ist), sind aber nicht unbe­d­ingt verständnishindernd.

Oft zieht man schließlich poli­tis­che Kri­te­rien her­an und sieht jede Vari­etät als Sprache, die irgend­wo als Amtssprache pos­tuliert wird – das kann aber nicht alles sein, denn schließlich gibt es ja auch Min­der­heit­en­sprachen, deren SprecherIn­nen über kein Ter­ri­to­ri­um ver­fü­gen. Auch so etwas wie die kom­mu­nika­tive Reich­weite (gibt es wis­senschaftliche Lit­er­atur in der Sprache?) und der Aus­baus­ta­tus (Gibt es eine geregelte Orthografie? Einen Stan­dard? …?) spielt oft eine Rolle.

Let­ztlich muss man sich aber immer der Tat­sache bewusst sein, dass es eine klare Tren­nung nie geben kann und dass die Vorstel­lung von Sprache als in sich geschlossen­em, sprecherun­ab­hängigem Sys­tem zwar oft von prak­tis­chem Nutzen, aber prinzip­iell sehr frag­würdig ist.

23 Gedanken zu „[Schplock trifft Lehre] Dialekt oder Sprache?

  1. vertaler

    Die 8 ist super 🙂
    Aber etwas schade, daß es direkt am Anfang ver­rat­en wird (zumin­d­est, wenn man den Ort kennt).

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  2. Fant

    Beispiel Nr. 2 ist sehr inter­es­sant — hört sich an wie eine Mis­chung aus west­nieder­säch­sichem Platt und Nieder­ländisch. Kann das sein, dass das da aus der Gegend um Gronin­gen ist?

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  3. Fant

    Ja, 8 ist inter­es­sant, auch weil die “nien düdn” vorkom­men. Ich kenne das aus dem Osnabrück­er Platt, da heißt das auch so.
    “De Quierk­steet seit ver­striens uppe nien Düdn” …

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  4. gschleiderkneis

    Die 1 kön­nte aus dem nördlichen Saar­land sein.
    Bei der 2 tippe ich auf den Niederrhein.
    Die 4 kön­nte niederale­man­nisch sein.
    Die 6 ist aus Mit­tel­hessen, ich tippe auf den nördlichen Teil (näher bei Gießen als bei Frankfurt).
    Die 7 scheint mir aus dem Oden­wald zu kommen.
    8 kön­nte Nord­nieder­säch­sisch sein (hab den Ort­sna­men nicht verstanden).
    Die 10 ist vom Mit­tel­rhein, nördlich von Karl­sruhe und sich­er südlich von Mannheim. Wegen des uvu­laren r tippe ich auf die rechte Rheinseite.

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  5. Nightstallion

    Bei deutschen Dialek­ten kenn ich mich naturgemäß nicht so aus (wobei ich ein paar als eher süd­deutsch zu erken­nen glaube), aber rein aus Neugi­er: Öster­re­ich­er sind da keine dabei, gell? Einen hab ich als Schweiz­er in Ver­dacht, aber son­st sind’s mMn nur Deutsche …

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  6. Risoletto

    4 ist St. Galler Rhein­tal, zwis­chen Wid­nau oder Diepold­sau bis Grabs, oder auch Lus­te­nau in öster­re­ich (das hat einen Dielakt, der sich vom Vorarl­ber­gis­chen klar unterscheidet).

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      1. gschleiderkneis

        Men­sch, das ist aber ne fiese Falle. Osteu­ropa ist prak­tisch nicht errat­bar, weil es dort Hun­derte, ja Tausende von großen und kleinen Sied­lungs­ge­bi­eten und einzel­nen Orten gab, die sich die unmöglich­sten Dialek­te aus sieben Jahrhun­derten deutsch­er Sprachgeschichte und in unzäh­li­gen Mis­chun­gen bewahrt haben. Die 7 hat Ähn­lichkeit­en mit der Sprache eines wol­gadeutschen Pfälz­ers, mit dem ich vor Urzeit­en mal gesprochen habe…

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        1. Kristin Beitragsautor

          Aus der Serie “Tipps, die nur weni­gen helfen”: Es ist eine osteu­ropäis­che Vari­etät, zu der ich eine enge per­sön­liche Beziehung habe.

        2. gschleiderkneis

          Die drei ist m.E. ein­deutig aus dem Osten. Aber wo? Ich kön­nte noch nicht­mal sagen, ob es Jid­disch oder Deutsch ist.

          Dann nehm ich das mit der sieben zurück und bleibe da beim Odenwald.

  7. gschleiderkneis

    Ach übri­gens: Die Nr. 3 krieg ich nicht zum abspie­len. Hab’s auf 2 PCs mit jew­eils zwei Browsern probiert.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Ja, bei mir zickt die irgend­wie auch rum, dabei stimmt der Link und auf der entsprechen­den Home­page kann ich es auch abspie­len. Vielle­icht, weil es eine wav-Datei ist. Lei­der finde ich jet­zt auf die Schnelle keinen Ersatz, ich versuch’s mal mit einem direk­ten Link. (Müsste direkt im Brows­er abspielen.)

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  8. gschleiderkneis

    Und schließlich scheint mir die 5, nach­dem ich sie endlich laut genug ein­stellen kon­nte, Lux­em­bur­gisch zu sein.

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  9. Kristin Beitragsautor

    Sooooo, hier kom­men nun die Quellen und Lösun­gen (markieren um zu lesen):

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  10. gschleiderkneis

    Auf die Gefahr hin, dass ich nerve: Kann man 4, 6, 7, 8 und 10 genauer haben? Ale­man­nisch reicht von Straßburg bis Gres­soney, Niederdeutsch von Tilsit bis Meschede und Hes­sisch von Darm­stadt bis Kas­sel — da liegen Wel­ten dazwischen.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Ja, kommt noch! Ich musste ganz schnell ins Sem­i­nar ren­nen und habe dann fest­gestellt, dass ich die Links nicht in den Kom­men­tar kopieren kann, muss nochmal rumprobieren.

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  11. Dem-Vater-sein-Sohn

    Mein Tipp:

    2. Nord­west­saar­land
    4. Südbaden
    5. Lothringen
    6. Nähe Aschaffenburg
    7. Nähe Pir­masens (Südlich­er-Westrich)
    10. kurpfälzis­ch­er Odenwald

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