Sprachbrocken 21.1/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Manch­mal quäle ich mich ja etwas, um für diese Kolumne inter­es­sante oder kuriose Mel­dun­gen über Sprache und Sprachen zusam­men­zuk­lauben, aber diese Woche war die Aus­beute so reich­haltig, dass sie für zwei Mal Sprach­brock­en reicht. Und da ich zur Zeit son­st nicht viel schreibe, bekom­men die geschätzen Leser/innen des Sprachlogs deshalb heute und mor­gen eine Por­tion. Der erste Gang ste­ht dabei ganz im Zeichen unser­er Fre­unde vom Vere­in Deutsche Sprache, die ihr fehlen­des Wis­sen über Sprache ja stets sehr lobenswert durch lin­guis­tis­che Igno­ranz wettmachen.

Begin­nen wir in Gera, wo man sich wieder mal um unsere älteren Mit­men­schen sorgt. VDS-Mit­glied Hart­mut Groß­mann befürchtet näm­lich, dass die durch ihre man­gel­nden Fremd­sprachenken­nt­nisse inzwis­chen qua­si von der Teil­nahme am auch in der Per­le Thüri­gens an der Bun­de­sauto­bahn A 4 (oder wie heißt dieser beschauliche kleine Fluss, an dem das Städ­chen liegt?) nun durchgängig englis­chsprachi­gen öffentlichen Leben aus­geschlossen sind. Die Beispiele, die er nen­nt, sind allerd­ings tat­säch­lich drama­tisch: Mit Wörtern wie Back Fac­to­ry, Mc Paper, For Girls, Sale, Price attack und Good­bye Win­ter dürften die Senior­in­nen und Senioren völ­lig über­fordert sein. Die Kon­se­quenz? Nun, ver­hungern wer­den sie, ohne Schreib­waren, in verse­hentlich gekauften Mäd­chen­klei­dern, die sie nicht ein­mal zu einem guten Preis bekom­men haben. „Diskri­m­inierung“ sei es alle­mal, find­et Groß­mann. (Ach, und „Good­bye Win­ter“, echt? Ach ja, Gera liegt ja irgend­wo im Osten, da fängt wohl ger­ade erst der Früh­ling an.)

Vom sibirischen Ostrand geht es tief in den West­en der Repub­lik, nach Lev­erkusen. Die Stadt gehört ja bekan­ntlich der Bay­er AG, und die wirbt für ihre Pro­duk­te mit dem englis­chen Wahlspruch Sci­ence for a bet­ter life. Das rief, wie der Köl­ner Stadt-Anzeiger berichtet, den Lev­erkusen­er Ableger des im nahen Dort­mund behei­mateten VDS auf den Plan. Eine Bürg­er­be­fra­gung wurde durchge­führt, in der sich 71,1 Prozent der Befragten für den deutschen Alter­na­tivvorschlag „Wis­sen schafft besseres Leben“ aussprachen. Sog­ar einen Recht­san­walt hat­te man dabei, der die Umfrage „offiziell beglaubigte“. Nur eins hat­te man nicht bedacht: die man­gel­nde Repräsen­ta­tiv­ität der Umfrage. Und die lag nicht nur daran, wie der Autor des Beitrags kor­rekt ein­wen­det, dass „nur Leute befragt [wur­den], die am Sam­stag, 12. Mai, zufäl­lig in der Wies­dor­fer Fußgänger­zone an ihrem Stand vor­beika­men“, son­dern daran, dass auch von denen nur diejeni­gen befragt wur­den, die am Stand des VDS auch tat­säch­lich anhiel­ten. (Die Bay­er AG ließ sich vom Willen der Bevölkerung übri­gens nicht beeindrucken.)

Zum Schluss reisen wir nach Süden, ins schöne Koblenz (ich schreibe „ins schöne Koblenz“ weil man das so sagt, nicht, weil ich tat­säch­lich wüsste, wie es dort aussieht; ich stelle es mir ein biss­chen vor wie Gera ohne die A 4, aber dafür mit einem Schuss Lev­erkusen). Auf jeden Fall ärg­ert man sich auch dort darüber, dass die deutsche Sprache vom Englis­chen völ­lig aus dem öffentlichen Raum ver­drängt wor­den ist. Deshalb hat man unter der fachkundi­gen Leitung des VDS-Region­alleit­ers und His­torik­ers Heinz-Gün­ther Bor­ck eine Liste bedro­hter Wörter zusam­mengestellt. Altertüm­lich anmu­tende Aus­drücke wie Fahrkarte und Schlussverkauf ste­hen darauf, und erin­nern an ein längst vom Wind der Glob­al­isierung ver­we­ht­es gold­enes Zeital­ter der deutschen Sprache. Und damit diese Liste auch wahrgenom­men würde, hängte man sie auf der Bun­des­garten­schau neben ein­er Liste bedro­hter Pflanzen auf. „Drei Mil­lio­nen Besuch­er hat­ten die Gele­gen­heit“, diese Liste zu sehen, ver­meldet die Gruppe jet­zt zufrieden. (Wieviele sie tat­säch­lich gese­hen haben, ist nicht bekannt).

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Sprachbrocken 21.1/2012

  1. Ludger

    Mar­ket­ing­sprech

    Mit Wörtern wie Back Fac­to­ry, Mc Paper, For Girls, Sale, Price attack und Good­bye Winter … 

    Diese Wörter dürften ja wohl auf dem Mist von Mar­ket­ing-Typen gewach­sen sein, deren Ziel es ist, Aufmerk­samkeit zu erre­gen, um das Ver­hal­ten von Kun­den zu bee­in­flussen. Solcher­art Mar­ketinganstren­gun­gen stören mich, ich finde sie auf­dringlich ähn­lich wie verkaufs­fördernde Musik oder verkaufs­fördernde “Düfte”.

  2. Bernhard

    Wis­sen schafft besseres Leben” klingt doch direkt nach ein­er Über­set­zung, bei der die Genauigkeit einem fürs Deutsche doch recht schö­nen Wortwitz gewich­sen ist.

  3. Martina

    @bernhard:
    Tat­säch­lich ein schön­er Wortwitz, ist aber auch nicht neu. Das Klinikum der TU München wirbt mit “wis­sen schafft Heilung”.

  4. Nathalie

    Wis­sen schafft…
    Die deutsche Ver­sion klingt für mich irgend­wie eher nach Gen­tech­nik als nach Lebensqualität.
    Gera liegt übri­gens an der White Mag­pie (früher Weiße Elster). 😉

  5. Klausi

    Demokratie ist mach­bar, Herr Nachbar!
    Der VDS ist, wenn man so will, eigentlich nichts anderes als eine (rel­a­tiv) große Bürg­erini­ta­tive. Kann man also eigentlich nichts gegen haben. Den VDS inter­essiert Sprache an sich kaum, son­dern nur die eigene Mut­ter­sprache. Darf der dat? — Der darf!

  6. Kris

    Bürg­erini­tia­tiv­en…
    … haben in der Regel nicht so eine große über­re­gionale Presse. Die Kla­gen von Sprachwissenschaftler_innen zu diesem Vere­in sind ja nun alt­bekan­nt, und ich finde es gut, wenn auf Blogs wie diesem auch ver­sucht wird, dem entgegenzutreten.
    Hier­für noch mal mein Dank an Anatol!

  7. Dilettant

    @Klausi
    Natür­lich darf er. Aber man darf ihn dafür auch verspotten.

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