Sprachbrocken 4/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Frankre­ich ist ja, wenn man deutschen Sprach­nör­glern glauben schenkt, ein sprach­pflegerisches Paradies. Reine Sprach­flüsse plätsch­ern dort gal­lisch glitzernd durch roman­isch rol­lende Wörter­wiesen, auf denen präz­iöse Paris­er Phrasen­struk­tur­bäume Schat­ten spenden. Aus der Fremde ein­drin­gen­des Spra­chunkraut wird von von weisen Wortwächtern mit fes­ter Hand aus­ge­merzt, die an sein­er stelle liebevoll latin­isierende lan­dessprach­liche Lecker­bis­sen zücht­en. Die Französin­nen und Fran­zosen wür­den es auch gar nicht anders wollen, und so herrschte feingeistiges franko­phones Frohlock­en, als die Acad­e­mie Française verkün­dete, dass das Wort Hash­tag schon an der Gren­ze gestoppt wor­den und durch das mot-dièse („Raut­en­wort“) erset­zt wor­den sei. Nur die franzö­sis­che Sprachge­mein­schaft kon­nte dem neuen Wort natür­lich wieder mal nichts abgewin­nen. Aber die beste­ht eben, wie über­all, aus degoutan­ten Degener­ierten, von denen wir uns nicht düpieren lassen sollten.

In Deutsch­land, wo wir es längst aufgegeben hat­ten, Boll­w­erke gegen die anglo­pho­nen Angreifer zu erricht­en, die in unser Sprach­paradies einge­drun­gen sind, regt sich nun endlich Wider­stand — „Plattdeutsch erobert dig­i­tale Welt“, titelt die SYLTER RUNDSCHAU. Und tat­säch­lich berichtet der Artikel dann von erstaunlichen Bodengewin­nen, die das Plattdeutsche in der dig­i­tal­en Welt zu verze­ich­nen hat. Beziehungsweise, zu verze­ich­nen haben wird. Beziehungsweise, zu den Plä­nen ein­er plattdeutschen Eroberung, die der schleswig-hol­steinis­che Min­is­ter­präsi­dent fördert. Beziehungsweise fördern will. Aber egal: Haupt­sache, es gibt eine Eroberung. Und die gibt es! Beziehungsweise, die gibt es in einem alter­na­tiv­en Uni­ver­sum, in der die Dig­i­tal­isierung eines niederdeutschen Wörter­buch­es samt Gram­matik als Eroberung gilt. Aber das sind Neben­säch­lichkeit­en, von denen wir uns Erfol­gsmeldun­gen von der Sprach­front nicht verder­ben lassen sollten.

Gefechte um fremdes Sprachgut spie­len auch in Angela Merkels Biogra­phie eine über­raschende Rolle, wie die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG meldet: Für deren Tal­ent für die rus­sis­che Sprache musste sich ihre Rus­sis­chlehrerin nicht vor Sprach­nör­glern oder Wortwächtern, son­dern auf ein­er Parteiver­samm­lung recht­fer­ti­gen. Denn Merkel war ja Pfar­rerstochter, und die Partei hätte es lieber gese­hen, wenn die Lehrerin sich auf die Rus­sis­chken­nt­nisse von Arbeit­er- und Bauernkindern konzen­tri­ert hätte. Diejeni­gen, die Merkel bis jet­zt für ein gut angepasstes Räd­chen in der poli­tis­chen Maschiner­ie der Deutschen Demokratis­chen Repub­lik gehal­ten haben, ste­hen ob dieser beein­druck­enden Nachricht ihres sprach­lichen Wider­stands jet­zt natür­lich dumm da. Aber das ist etwas, worüber wir uns unter dem Raut­en­wort #rus­sis­chtal­ent drin­gend unter­hal­ten sollten.

6 Gedanken zu „Sprachbrocken 4/2013

  1. peer

    Danke wieder für die Sammlung!
    Gibt es eigentlich irgen­deinen guten Aus­druck für den Umstand, dass Sprach­nör­gler wollen dass der Staat auf die Sprache ein­wirkt (Wenn es Anglizis­men bet­rifft),. aber nicht wollen dass der Staat auf die Sprache ein­wirkt (Neue Rechtschrei­bung, und im prinzip auch Neger-Debatte)?

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  2. Nathalie

    @Peer:
    Paradoxon?

    @AS:
    Der erste Link funk­tion­iert bei mir lei­der nicht. Da steck­en sich­er die franzö­sis­chen Sprach­schützern dahinter… 😉

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  3. Evanesca Feuerblut

    Ich finde es immer irgend­wie schön, wenn es mehr Region­al­sprachen und Dialek­te ins Inter­net schaffen.
    Denn oft­mals sieht es so aus, als wür­den Dialek­t­sprech­er langsam ausster­ben — und mit ihnen ein wichtiges Stück regionaler Kultur.

    Die Entwick­lung in Frankre­ich sehe ich zwiespältig — denn hin­ter ein­er Fas­sade des Sprach­schutz­tums, das Anglizis­men raushält, steckt eine brodel­nde Sprachen­twick­lung des Franzö­sis­chen selbst.
    Denn viele Ver­lan-Wörter (http://de.wikipedia.org/wiki/Verlan) sind mit­tler­weile in den nor­malen Sprachge­brauch einge­drun­gen und das Franzö­sis­che nimmt immer wieder ara­bis­che Lehn­wörter auf.
    Nur tren­nen die Fran­zosen ger­adezu rig­oros zwis­chen Schriftsprache/Hochsprache — frei von frem­den Ein­flüssen — und dem gelebten, gesproch­enen Franzö­sisch: Das sich hin­ter wohlbeschnit­te­nen Heck­en umso wohler fühlt und wild gedeiht.

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