Sprachbrocken 14/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Sich über die Jugend und ihren Sprachge­brauch zu echauffieren, sei den Sprach­nör­glern, Kul­tur­fix­ier­ern und anderen Verän­derungs-verängstigten von Herzen gegön­nt – schließlich haben es schon ihre Großel­tern so gehal­ten, und deren Großel­tern und die Großel­tern der Großel­tern von deren Großel­tern. Aber spätestens wenn er sich unverse­hens dabei ertappt, mit Wladimir Putin ein­er Mei­n­ung zu sein, sollte auch der fanatis­chste Ver­gan­gen­heits­fun­da­men­tal­ist einen Augen­blick innehal­ten und über die gedanklichen Schritte nach­denken, die ihn in diese unan­genehme Sit­u­a­tion gebracht haben. Das ist Edwin Baum­gart­ner von der WIENER ZEITUNG nicht gelun­gen. Putins Gesetz gegen Kraftaus­drücke im Fernse­hen ziele zwar wegen sein­er willkür­lichen Ausleg­barkeit ein­deutig auf eine Zen­sur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die syn­chro­nisierten Fas­sun­gen amerikanis­ch­er Filme inspiri­erten zotig-vul­gären Sprachge­brauchs der heuti­gen Jugend (wirk­lich, das habe ich mir nicht aus­gedacht) sei es ja Zen­sur zu einem guten Zwecke.

Für ein Gesetz gegen Kraftaus­drücke hat der Vere­in Deutsche Sprache bis­lang nie plädiert (zu gerne zitiert man wohl den anal­fix­ierten – und auch son­st sehr unan­genehmen – imag­inären Über­vater der sprach­lichen Rein­heit, Mar­tin Luther), aber ein Gesetz gegen Anglizis­men käme dur­chaus gele­gen. Bis es soweit ist, behil­ft man sich mit dem Anglizis­menin­dex, mit dessen aktueller Aus­gabe sich eine Pressemel­dung der APA befasst, die sich unter anderem auf DIEPRESSE.COM find­et. ((An dieser Stelle stand ursprünglich der Satz „Bis es soweit ist, behil­ft man sich mit dem Anglizis­menin­dex, mit dessen aktueller Aus­gabe sich eine Pressemel­dung der APA befasst, die ORF.AT aus unerfind­lichen Grün­den in der Rubrik ‘Sci­ence’ (was in etwa soviel heißt, wie „Wis­senschaft“) veröf­fentlicht hat.“ Das ORF hat diese Mel­dung aber inzwis­chen gelöscht, möglicher­weise, so spekuliert DASTANDARD.AT, weil derzeit Verbindun­gen zwis­chen dem Vere­in Mut­ter­sprache und recht­sex­tremen Organ­i­sa­tio­nen ver­mutet wer­den.)) Anerken­nend wird dort etwa die Alter­na­tive Mixgetränk für das englis­che Cock­tail erwäh­nt, ganz ohne dass es jeman­dem auffiele, dass Mix ja kein biss­chen deutschstäm­miger ist, als Cock oder Tail. Dem Geschäftsstel­len­leit­er des Vere­ins Mut­ter­sprache (ein­er Art öster­re­ichis­chem Schwest­er­vere­in des VDS), Nor­bert Pro­has­ka, gehen die Vorschläge der deutschen Sprach­nör­glerkol­le­gen ohne­hin nicht weit genug. Das Moun­tain­bike würde er gerne als Krax­elfahrrad beze­ich­net sehen (wirk­lich, das habe ich mir nicht aus­gedacht), wo die deutschen Kol­le­gen sich mit der fan­tasielosen Lehnüber­set­zung Bergfahrrad zufrieden geben.

Ganz gegen Geset­ze zur sprach­lichen Rein­heit wäre ver­mut­lich die Schweiz­er Dich­terin Ilma Rakusa, die, wie die BADISCHE ZEITUNG berichtet, ihre acht Sprachen (Ungarisch, Slowenisch, Deutsch, Rus­sisch, Ser­bokroat­isch, Franzö­sisch, Ital­ienisch und Englisch) je nach kom­mu­nika­tiv­er Wet­ter­lage auswählt. Das Rus­sis­che sei eher warm, das Deutsche eher kalt. Englis­che Wörter streut sie ein, wann immer es ihr „Kop­forch­ester“ ver­lange. Welche Tem­per­atur solche Anglizis­men haben, erfahren wir nicht; wir müssen uns deshalb an den Forderun­gen des Vere­ins Deutsche Sprache ori­en­tieren, der sie ja gerne auf 451 Grad Fahren­heit erhitzt sähe (gut, das habe ich mir jet­zt ausgedacht).

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