Sprachbrocken 20/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die franzö­sis­che Sprache ste­ht kurz vor dem Ausster­ben: zu ein­er „banalen“, ja „toten Sprache“ werde es, befürchtet der Sprach­schützer Bernard Piv­ot, wenn die franzö­sis­che Bil­dungsmin­is­terin sich mit ihrem Plan durch­set­ze, an franzö­sis­chen Uni­ver­sitäten auch das Englis­che als Unter­richtssprache zuzu­lassen. Denn Sprache, so Piv­ot, sei das, was eine Nation aus­mache und schon seit jeher sei es so gewe­sen, dass Siegermächte den Besiegten ihre Sprache aufgezwun­gen hät­ten. Als Fran­zose ken­nt er sich da aus, denn die Kolo­nial­macht Frankre­ich hat das bestens vorgemacht, was es Piv­ot ermöglicht, in einem Neben­satz von „unseren“ – also franzö­sis­chen – „großen Schrift­stellern aus Afri­ka und von den Antillen“ zu schwär­men. Aber wenn es das Franzö­sis­che ist, das ver­drängt wird, und sei es nur aus ein paar Sem­i­naren, dann ste­ht die franzö­sis­che Nation vor dem Aus. Auch die Ironie, dass mit dem Englis­chen eine Sprache nach Frankre­ich zurück­kehrt, die sich durch eine jahrhun­derte­lange franzö­sis­che Besatzung bis zur Unken­ntlichkeit verän­dert hat, ent­ge­ht ihm offensichtlich.

Das Franzö­sis­che ist ja bekan­ntlich ohne­hin nur eine banal­isierte Vari­etät des Lateinis­chen, das sich für eine tat­säch­lich tote Sprache aber erstaunlich hart­näck­ig hält. So stellt die WELT die etwas gewagte Behaup­tung auf, die „Sprache Ciceros“ erlebe durch Papst Franziskus einen Pop­u­lar­itätss­chub — ables­bar an den 101 000 Fol­low­ern seines lateinis­chen Twit­terkon­tos. Und es stimmt, im Ver­gle­ich zu den nur knapp 700 Fol­low­ern des Dai­ly Klin­gon Word ist das tat­säch­lich ziem­lich beeindruckend.

Damit eine Sprache lebendig bleibt, muss ihr Vok­ab­u­lar sich weit­er­en­twick­eln. Das erledigt nor­maler­weise die Sprachge­mein­schaft ganz neben­bei. Bei ein­er halbtoten Sprache wie dem Franzö­sis­chen muss das eine Akademie übernehmen, bei ein­er ganz toten Sprache wie dem Lateinis­chen natür­lich ein, äh, finnis­ch­er Radiosender. YLE RADIO 1 strahlt seit 1989 ein lateinis­chsprachiges Pro­gramm aus und muss dazu natür­lich, wie die DEUTSCHE WELLE berichtet, Wörter wie inves­ti­ga­tio geno­rum („Gen­forschung“) und arma per­ni­ciosa („Massen­ver­nich­tungswaf­fen“) erfind­en. Nur vor dem iPod schreckt man zurück, weil das von den Moderator/innen vorgeschla­gene ee-poose (das ich nicht nachvol­lziehen kann) ihnen selb­st „blöd“ vorkommt. Viel­licht kann ja jemand eine bessere Über­set­zung vorschla­gen (ego­Fol­licu­lus schiene mir akku­rat und angemessen). Auf jeden Fall sollte sich yle Radio 1 schon jet­zt in Stel­lung brin­gen, um nach Inkraft­treten des neuen franzö­sis­chen Bil­dungs­ge­set­zes auch in franzö­sis­ch­er Sprache zu senden (moiPel­licule? jeGousse?).

Ein Gedanke zu „Sprachbrocken 20/2013

  1. Max

    Grausame Vorstel­lung: Welche Stu­dentin wird sich dann noch die Mühe machen Franzö­sisch zu ler­nen? Sie wird ihren Café dann eben auch auf Englisch bestellen…
    Ich kann nur hof­fen, dass die Fran­zosen sich dage­gen wehren werden.

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