Zur grammatischen Markierung von Geschlechtsverkehr

Von Kristin Kopf

Zur Verteilung von Anre­de­pronom­i­na im Deutschen, also aktuell dem Siezen und Duzen, wurde schon viel Kluges geschrieben. Das, was ich heute im »Wörter­buch der Mikropoli­tik« aus­ge­graben habe, gehört defin­i­tiv nicht dazu. Seinen Ein­trag »Duzen« leit­et Diether Huhn in klas­sis­ch­er Alther­ren­manier ein mit den Worten

Wenn — beispiel­sweise — ein älter­er Hochschullehrer ein­er jun­gen, schö­nen Kol­le­gin vor­sichtig das „Du“ anbi­etet und sie läßt sich allen­falls dazu herab, ihn mit Vor­na­men anzure­den, bleibt aber anson­sten beim „Sie“, dann denkt sie möglicher­weise, ihre Beziehung zu jen­em älteren Kol­le­gen hätte in den Augen der anderen Kol­legin­nen und Kol­le­gen unter­dessen einen Grad von Ver­trautheit angenom­men, daß nur noch das „Du“ nötig sei, um jenen anderen mitzuteilen, daß sie nun doch miteinan­der geschlafen haben.

Luft und Kotztüte geholt? Okay, es geht weiter:

Von den einiger­maßen sicheren nicht-famil­iären Du-Fällen ist der Beis­chlafs­fall der gesellschaftlich gesichert­ste. Wer als „Sie“ in das gewisse Bett geht, steigt als „Du“ wieder her­aus (Intim­itäts-Du).

Ich weiß nicht so recht, wo ich da anfan­gen soll. Natür­lich erst mal Stereo­typen- und Sex­is­musalarm: Frau ist jung und schön, Mann ist älter (und damit hier­ar­chisch wohl auch höher­ste­hend) ((Im übri­gen Wörter­buchein­trag, der anek­do­tisch vom Duzen in den ver­schieden­sten öffentlichen Kon­tex­ten han­delt, gibt es nur männliche Chefs, Vorge­set­zte und Pro­fes­soren. Die nicht-sex­u­al­isierten Untergebe­nen sind eben­falls weit­ge­hend männlich.)). Mann ist ja ganz »vor­sichtig«, aber Frau zickt rum (typ­isch Frau halt) und lässt sich nicht herab. (Sich­er die Hor­mone.) Frau muss auf ihren Ruf acht­en. (Stich­wort Hochschlafen.) Der Sex ist, wenn man zusam­me­nar­beit­et, unauswe­ich­lich (»nun doch«). Logisch, wenn der Mann mächtig und die Frau jung und schön ist.

Es gibt übri­gens eine Möglichkeit dieser offen­sichtlichen Inter­pre­ta­tion durch die Kol­legin­nen und Kol­le­gen zu ent­ge­hen: Man tritt ein­er Partei bei, »die sich als Erbe der Arbeit­er­parteien empfinde[t]«, dann ist

[D]ie Genossin […] jen­seits aller Intim­ität […] eine Du.

Dann Absur­dität­salarm: Es stimmt vielle­icht, dass es nur wenige Kon­texte gibt, in denen zweifels­frei geduzt wird. Hier hät­ten sich das Duzen unter Kindern und Jugendlichen oder unter Studieren­den als typ­is­che, fast aus­nahm­slose Fälle ange­boten. Auch inter­es­sant wäre das asym­metrische Duzen, das sich heute fast nur noch zwis­chen Lehrkräften und Schü­lerIn­nen find­et, früher aber auch zwis­chen Eltern und Kindern üblich war. ((Einen Fall, in dem die Schul­nor­men stärk­er wirken als Intim­ität, hat übri­gens die Mopo ent­deckt.))

Dass der »Beis­chlafs­fall« in irgend­wie rel­e­van­tem Umfang existieren ((Ich weiß nicht, ob das irgend­wie unter­sucht wurde, aber ich bezwei­fle sehr, dass man sich in den meis­ten Fällen noch siezt, wenn der Geschlechtsverkehr begin­nt. Hin­weise auf Forschung willkom­men!)) und dann auch noch neben dem später erwäh­n­ten »Polit-Du« der »gesellschaftlich gesichert­ste« Kon­text zum Duzen sein soll, zeigt hinge­gen aller­höch­stens, dass der Autor wohl unbe­d­ingt über Sex mit jun­gen (und schö­nen) Kol­legin­nen schreiben wollte.

Her­zlichen Dank an @Erbloggtes für den Volltext.

18 Gedanken zu „Zur grammatischen Markierung von Geschlechtsverkehr

  1. Odradek

    Schön, dass ich ger­ade Inge­borg Bach­manns Mali­na lese und weil es so schön passt: 

    Sie dürfte mit dem Sie der Fan­ny Gold­mann ver­wandt sein, die ange­blich, natür­lich nur Gerücht­en zufolge, zu allen ihren Lieb­habern behar­rlich Sie gesagt hat. Sie sagte natür­lich auch zu allen anderen Män­nern Sie, die nicht ihre Lieb­haber wer­den kon­nten, und sie soll einen Mann geliebt haben, zu dem sie ihr schön­stes Sie gesagt hat. Frauen wie die Gold­mann, von denen man immerzu spricht, kön­nen nichts dazu oder dage­gen tun, aber eines Tages zirkuliert eben ein Satz in der Stadt: Leben Sie auf dem Mond? was, das wis­sen Sie nicht? die hat ihre größten Lieben, und das waren ja einige, mit dem unnachahm­lich­sten Sie sagen absolviert! Selb­st Mali­na, der nie etwas Gutes und nie etwas Schlecht­es über jemand sagt, erwäh­nt, er habe heute Fan­ny Gold­mann ken­nen­gel­ernt, sie war auch ein­ge­laden bei den Jor­dans, und er sagt unwillkür­lich: Ich habe nie eine Frau so schön Sie sagen gehört.”

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  2. Feathers McGraw

    Ach das erste Kom­men­tar hat immer­hin so ein schoenes Zitat, son­st koen­nte man mit dem igitt-sagen gar nicht mehr aufho­eren hier.

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  3. Michael

    Fußnote 3 nen­nt ein drin­gen­des Desider­at der Forschung im Bere­ich der lin­guis­tis­chen Prag­matik und der Sprach­wis­senschaft ganz all­ge­mein. Es wäre zu begrüßen, wenn dazu in angemessen­er Zeit auch mehrere Dis­ser­ta­tio­nen veröf­fentlicht würden.
    Mit anderen Worten: Sehr schön.

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  4. DrNI

    Schön aufgeregt. Vielle­icht sog­ar zurecht, ein Buch von 1998 betr­e­f­fend. Und jet­zt? Wo ist die Real­ität abseits dieses Buchs? Ich (m) habe auch ältere Dozentin­nen geduzt, und Kom­mili­tonin­nen auch ältere Dozen­ten und nichts der­gle­ichen ist passiert. Recht wahrschein­lich ist auch nichts der­gle­ichen gedacht worden.

    Bemerkenswert ist doch auch, dass die Aus­sage des Anstoßes in einem Satz über 6 Zeilen (Stan­dard-Seit­en­bre­ite, Times 12pt) geht und aus einem einzi­gen Satz mit über 70 Wörtern beste­ht. Liest das wirk­lich jemand, dieses Buch? Ich glaube, ich hätte allein wegen diesem Stil nach ein­er hal­ben Seite genug.

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  5. Nora

    Es stimmt vielle­icht, dass es nur wenige Kon­texte gibt, in denen zweifels­frei geduzt wird.”
    Hmm, also mein­er Erfahrung nach wird in Sporthallen kon­se­quent und Aus­nah­me­los geduzt. Kommt sich­er aus der deutschen Vere­in­skul­tur. Ist lustig, wenn man die Leute vorher schon kan­nte oder hin­ter­her in anderen offizielleren Kon­tex­ten trifft. Aber vielle­icht hat gemein­samer Sport ja auch etwas mit “Intim­ität” zu tun und sollte doch bess­er Geschlechter getren­nt stat­tfind­en. Ein Forschungs­desider­at ist übri­gens auch das Duzen von Bewohn­ern in Einrichtungen/ Heimen durch die ihnen zugewiese­nen Pflege- und Betreu­ungskräfte… Auch hier ein schwieriger Zusam­men­hang mit Intimität.

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  6. Bernie

    Einige Genoss/innen has­sen das Genoss/in­nen-Du. Zu ihnen gehörte Johannes Rau. Als er einst Kan­zler wer­den wollte, sollte er auf ein­er lokalen Wahlkampfver­anstal­tung eine Rede hal­ten. Zuvor hat­te ihn der örtliche SPD-Bürg­er­meis­ter mit ein­er fröh­lichen Duz-Attacke begrüßt. Raus erste Worte darauf: “Herr X, vie­len Dank. Hier­mit biete ich Ihnen das ‘Sie’ an.”

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  7. Pitichinaccio

    Der Beis­chlafs­fall ist schon sehr lustig. Es ist wohl nicht gesichert, dass man während des Beis­chlafs grund­sät­zlich nicht miteinan­der spricht (denn nur so ist ein klares “Vorher-Nach­her” ja denkbar, wenn über­haupt maßge­blich viele Men­schen mit jeman­dem ins Bett gehen, den sie siezen). 

    Aber anson­sten wirkt das eher wie falsch über­tra­gene Gepflo­gen­heit­en aus der Film- und Fernsehkun­st. Ich ein­nere mich noch, wie absurd ich es immer fand, dass in syn­chro­nisierten Fil­men aus dem Englis­chen stets nach dem ersten Kuss das Du regel­haft Pflicht war (was ja in der Orig­i­nal­sprache gar nicht funk­tion­iert). Das deutsche Fernse­hen hat diese Kon­ven­tion über­nom­men, und fast scheint es, der “Lexikon”-Autor habe das nun auf den Geschlechtsverkehr extrapoliert, vielle­icht unter­stützt durch das Fernseh­pat­tern nach dem Mod­ell “Inge­borg, ich kann nicht mehr ohne Sie leben” – Kuss – Schnitt – bei­de im Bett danach – Inge­borg: “Hubert, ich will auch nicht mehr ohne dich sein.”

    Vielle­icht schaut der Autor ein­fach zu viel fern?

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  8. m’r

    Kri­tisiert der Autor durchs Beispiel nicht selb­st die gesellschaftlichen Verhältnissen?

    Im Beispiel kann man ja nicht der Kol­le­gin den Vor­wurf machen, dass sie Angst um ihren Ruf hat. Daran sind gesellschaftliche Vorurteile Schuld. 

    Ich finde, er kri­tisiert da schon die sex­is­tis­che Gesellschaft. Sehe ich das falsch? Oder wie kön­nte ein Beispiel Sex­is­mus kri­tisieren, ohne Stereo­typen zu bemühen? (keine rhetorische Frage)

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  9. Thies

    Es stimmt vielle­icht, dass es nur wenige Kon­texte gibt, in denen zweifels­frei geduzt wird.”

    Mir fall­en da noch die Damen und (zumin­d­est bei uns um die Ecke zunehmend) Her­ren an der Super­mark­tkasse ein, die ein eigenes Feld der lin­gustis­chen Forschung bilden dürfte: “Herr Hansen, kannst Du mal sagen, was die Tomat­en Kommen?”

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  10. mies1234

    Auch inter­es­sant wäre das asym­metrische Duzen, das sich heute fast nur noch zwis­chen Lehrkräften und Schü­lerIn­nen findet”

    Ich ver­ste­he nicht ganz. Man bringt Kindern nach wie vor bei, dass sie Erwach­sene siezen sollen, waehrend Erwach­sene Kinder duzen. Dem­nach ist das asym­metrische Duzen dur­chaus ueblich.

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  11. Susanne

    Da es ja zunehmend üblich wird, sich mit Arbeit­skol­le­gen zu duzen und das oft von Anfang an, frage ich mich, woran ich dann merken soll, wer mit wem schläft. Und da denkt man, das Duzen erle­ichtert die Kom­mu­nika­tion. Falsch gedacht. War mir nur bis jet­zt nicht bewusst.

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  12. Daniel

    Wer als „Sie“ in das gewisse Bett geht, steigt als „Du“ wieder her­aus (Intim­itäts-Du).”

    Das kann ich bestäti­gen. Alle Frauen, die siezen­der­weise mit mir ins gewisse Bett gegan­gen sind, haben mich beim Her­aussteigen geduzt (nicht nur die jun­gen, schö­nen Hochschullehrerin­nen, wohlgemerkt).

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  13. Dilettant

    @Daniel: Dür­fen wir davon aus­ge­hen, dass die Menge “Alle Frauen, die siezen­der­weise mit mir ins gewisse Bett gegan­gen sind” leer ist?

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  14. Pingback: Umleitung: Snowden, Trojanow, Kreationisten, Schavan, Hohmann, Kirche und mehr … | zoom

  15. Jan

    @m’r:
    lei­der nicht. Ein Beispiel für Sex­is­mus ohne Kom­men­tar zu brin­gen und Sex­is­mus damit irgend­wie widerzus­pieglen ist ger­ade keine Kri­tik, weil Selb­stver­ständlichkeit­en eben das sind, was kom­men­tar­los immer wieder und wieder wieder­holt wird. Die Darstel­lung macht’s. Und wie KK ja aufzeigt ist die Darstel­lung von Her­rn Huhn eben in der Wahl des Beispiels 100% stereo­typenkon­form und eben auch sex­is­tisch, z.B. wenn in For­mulierun­gen wie „sich allen­falls dazu her­ablassen“ klare Vor­würfe an bes­timmte Rollen zugewiesen werden…
    Wenn man Kri­tik an Stereo­typen üben will dann muss man sie sicht­bar machen, das geht halt nur schlecht implizit.

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  16. Statistiker

    Das “Du” als “Beweis” für­vol­l­zo­ge­nen Geschlechtsverkehr her­anzuziehen, ist ja wohl ziem­lich daneben. Ich duze mich auch im Beruf­sleben, ob mit Vorge­set­zten oder Per­so­n­en, die in der Hier­ar­chie unter mir stehen.

    Geschelchtsverkehr hat­te ich bish­er mir keinem, noch habe ich mich dazu hergeben müssen, noch habe ich andere Per­so­n­en dazu genötigt.

    Wenn ich jeman­den duze auf der Arbeit, dann nur, weil ich meine, die Per­son arbeit­et kor­rekt im Sinne des Teams, nicht und nie und nim­mer sexuell.…..

    Wie kann man das nur miss­deuten, wenn man keine asozialen Gedanken hat.……

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