Des einen Language ist des anderen Leid

Von Anatol Stefanowitsch

Eigentlich nur aus Spaß und/oder Prokrasti­na­tion habe ich ger­ade getwit­tert, dass ich als Anglist natür­lich für die schot­tis­che Unab­hängigkeit sei, da eine größere Anzahl englis­chsprachiger Län­der ja die Wichtigkeit meines Fachge­bi­etes erhöhen würde. Daraufhin kam die Rück­frage, ob sich denn eine Unab­hängigkeit Schot­t­lands auf die Sprachen­twick­lung auswirken würde.

Das ist eine inter­es­sante Frage, auf die ich natür­lich keine defin­i­tive Antwort habe, die mich aber dazu inspiri­ert, zu Ehren des Ref­er­en­dums wenig­stens ganz kurz etwas über die Sprache und Sprach­si­t­u­a­tion in Schot­t­land zu schreiben.

Zum einen hat das Englis­che die ursprüngliche Sprache der Region, das schot­tis­che Gälisch, fast voll­ständig ver­drängt – nur noch etwas über ein Prozent der Bevölkerung spricht es mut­ter­sprach­lich, und es ist (anders als das Wal­i­sis­che) keine Amtssprache im Vere­inigten Kön­i­gre­ich. Es gibt aber seit 2005 mit dem Bòrd na Gàidhlig eine schot­tis­che Regierungskom­mis­sion, deren Ziel die Wieder­bele­bung dieser Sprache ist. Ein Fernziel ist dabei, das schot­tis­che Gälisch zu ein­er Amtssprache in Schot­t­land zu machen.

Es ist zu ver­muten, dass eine schot­tis­che Unab­hängigkeit diesem Bestreben einen zusät­zlichen Impuls ver­lei­hen würde, aber auch ohne Unab­hängigkeit würde es ein Ziel der schot­tis­chen Regierung bleiben. Als Sprach­wis­senschaftler kann ich das nur begrüßen, denn Sprachvielfalt ist die Voraus­set­zung für ein umfassendes Ver­ständ­nis der Funk­tion­sweise men­schlich­er Sprache, und die keltischen Sprachen (zu denen das schot­tis­che Gälisch gehört), sind eine der faszinierend­sten Fam­i­lien inner­halb des Indo-Europäis­chen. Sie sind so ander­sar­tig, dass lange nie­mand erkan­nte, dass es über­haupt indo-europäis­che Sprachen sind, aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

Zurück zum Englis­chen. Wer nie in Schot­t­land war und Englisch nur aus Schule, Fernse­hen und einem Lon­don-Urlaub ken­nt, weiß es vielle­icht nicht, aber die starke kul­turelle Eigen­ständigkeit, die Schot­t­land schon immer hat­te, hat sich auch schon immer auf die Entwick­lung des schot­tis­chen Englisch (oder bess­er: des Scots) aus­gewirkt. Das war und ist näm­lich so deut­lich anders als das englis­che Englisch, dass selb­st in der Sprach­wis­senschaft Unsicher­heit beste­ht, ob es als Dialekt des Englis­chen oder eher als eigene Sprache zu betra­cht­en ist. Von der Sprachge­mein­schaft wird es heute als Dialekt betra­chtet, aber das hat haupt­säch­lich poli­tis­che Gründe – vor dem Beitritt Schot­t­lands zum Vere­inigten Kön­i­gre­ich im 18 Jahrhun­dert wurde es eher als eigene, wenn auch eng ver­wandte Sprache empfunden.

Und tat­säch­lich unter­schei­det es sich so stark von der englis­chen (oder auch der amerikanis­chen) Stan­dard­sprache, dass eine gegen­seit­ige Ver­ständlichkeit kaum gegeben ist – eine ein­sprachige Sprecherin des Englis­chen und eine ein­sprachige Sprecherin des Scots kön­nten sich nur sehr müh­sam und rudi­men­tär unter­hal­ten. Aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht ist das eigentlich das Kernkri­teri­um um zwei Sprach­sys­teme als unter­schiedliche Sprachen zu klassifizieren.

Verkom­pliziert wird die Frage aber dadurch, dass das Scots haupt­säch­lich eine gesproch­ene Sprache ist – schriftliche Kom­mu­nika­tion, sei es in der Poli­tik, im Bil­dungssys­tem oder in den Medi­en – find­et haupt­säch­lich im britis­chen Stan­dar­d­englisch statt. Das führt dazu, dass auch Mut­ter­sprach­lerin­nen des Scots mit Ein­tritt in das Bil­dungssys­tem das Stan­dar­d­englis­che ler­nen, und das wiederum hat zur Folge, dass sich in Schot­t­land eine Art regionale Vari­ante des Stan­dar­d­englisch her­aus­ge­bildet hat, die zwar in ihrer Aussprache und in eini­gen weni­gen Wörtern schot­tisch ange­haucht ist, die aber anson­sten iden­tisch mit dem englis­chen Stan­dar­d­englisch ist.

Eine schot­tis­che Unab­hängigkeit kön­nte zu mehr sprach­lichem Selb­st­be­wusst­sein und damit zu ein­er stärk­eren Ver­wen­dung des Scots auch in der schriftlichen Kom­mu­nika­tion führen. Anders gesagt, es kön­nte eine nationale Stan­dard­va­ri­etät des Scots entste­hen, die das Englis­che als Stan­dard­sprache irgend­wann erset­zen würde.

Um einen Ein­druck davon zu ver­mit­teln, wie das sich anhören würde, hier zum Abschluss ein paar Beispiele aus Wortschatz und Grammatik.

Nehmen wir fol­gen­den Satz aus einem Plä­doy­er für die Ver­wen­dung des Scots als Stan­dard­sprache (ver­fasst natür­lich auf Scots):

As they gaed thair wey throu eddi­ca­tion on the gate tae pro­fes­sion­al­ism, they got bet­ter an bet­ter at no yaisin thae words that thair for­beirs kent as freends.

Zunächst sehen wir hier ganz eigene Wörter, z.B. gate („Straße“, statt engl. road) in gate tae pro­fes­sion­al­ism oder ken („ken­nen“, statt engl. know) in kent as freends. Weit­ere Beispiele für schot­tis­che Wörter, die man ab und zu auch im schot­tis­chen Stan­dar­d­englisch hören kann, sind kirk („Kirche“, statt church), loch („See“, statt lake) und leid („Sprache“, statt lan­guage).

Außer­dem sehen wir eigene For­men von Wörtern, die wir mit etwas Mühe als mit dem Englis­chen ver­wandt erken­nen kön­nen, z.B. gaed als Ver­gan­gen­heits­form von gae („gehen“, vgl. engl. go mit der Ver­gan­gen­heits­form went) oder yaise („benutzen“, engl. use).

Schließlich sehen wir auch einen gram­ma­tis­chen Unter­schied: no als Neg­a­tiv­par­tikel (statt engl. not) in to get bet­ter at no yaisin thae words. Die Neg­a­tiv­par­tikel kann auch die Form nae haben der zusam­menge­zo­ge­nen Form (als soge­nan­ntes Kli­tikum) wird daraus übri­gens nae, wie in things wid­nae be sae fykie (engl. things would­n’t be so com­pli­cat­ed aus dem­sel­ben Text). Das Wort fykie ist übri­gens ein weit­eres schönes Beispiel für ein gen­uin schot­tis­ches Wort dessen genaue Bedeu­tung gar nicht leicht zu beschreiben ist.

Ein weit­er­er deut­lich­er gram­ma­tis­ch­er Unter­schied zwis­chen Scots und Englisch beste­ht darin, dass im Scots mehrere Modalver­ben kom­biniert wer­den kön­nen z.B. will und can in Thay’ll no can come (engl. They’ll not be able to come), oder might und could in A micht could come (engl. I might be able to come).

Wer einen besseren Ein­druck vom Scots bekom­men möchte, dem sei als Ein­stieg die Scots Wikipedia emp­fohlen. Leicht ist es nicht, aber mit etwas Mühe und viel Rat­en kann man sich ein­le­sen. Anfan­gen kön­nte man mit dem Ein­trag über die schot­tis­che Unab­hängigkeit, oder, wie die Scots-Sprecherin sagt, the Scots unthirl­dom.

10 Gedanken zu „Des einen Language ist des anderen Leid

  1. Ospero

    Ist Scots in Hin­sicht auf den Sta­tus als Sprache/Dialekt vielle­icht mit Schweiz­erdeutsch ver­gle­ich­bar? Auch in der Schweiz wird ja im Schriftlichen haupt­säch­lich Hochdeutsch ver­wen­det, und die weitaus meis­ten (Deutsch-)Schweizer sprechen bei­des (gibt es eigentlich reine Scots-Sprech­er, oder war das nur als Beispiel zu verstehen?).

    Davon abge­se­hen: Die Frage “Sprache oder Dialekt?” hat natür­lich immer auch eine poli­tis­che Dimen­sion. Kroat­isch, Bosnisch und Ser­bisch als jew­eils eigene Sprachen zu definieren, hat sicher­lich mehr mit Poli­tik als mit lin­guis­tis­chen Kri­te­rien zu tun, eben­so wie die Ein­stu­fung von Man­darin und Kan­tone­sisch (die meines Wis­sens deut­lich weit­er auseinan­der sind als Englisch und Scots) als Dialek­te der gle­ichen Sprache.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Ja, das sind gute Beispiele – Kroat­isch, Bosnisch (i.S.v. bosnis­chem Ser­bisch) und Ser­bisch würde nach sprach­wis­senschaftlichen Kri­te­rien nie­mand als unter­schiedliche Sprachen definieren (außer vielle­icht ein paar poli­tisch motivierte kroat­is­che, bosnis­che und ser­bis­che Sprachwissenschaftler/innen). Man­darin und Kan­tone­sisch sind dage­gen zwei zwar ver­wandte, aber völ­lig unter­schiedliche und gegen­seit­ig nicht ver­ständliche Sprachen, die sog­ar weit­er auseinan­der­liegen als Franzö­sisch und Italienisch.

      Was das Schweiz­erdeutsche ange­ht, da würde ich aus dem Bauch her­aus sagen, dass es sich vom Stan­dard­deutschen stärk­er unter­schei­det als das Scots vom Englis­chen (exakt zu berech­nen ist das natür­lich nicht). Die sozi­olin­guis­tis­che Sit­u­a­tion ist aber dur­chaus ver­gle­ich­bar, und zeigt, dass sog­ar Sprachge­mein­schaften, die nie eine Nation gebildet haben, in der Lage und Wil­lens sind, einen gemein­samen Stan­dard zu pfle­gen; ehe­mals in einem Nation­al­staat vere­inte Sprachge­mein­schaften kön­nen das natür­lich sowieso – das US-amerikanis­che, britis­che, aus­tralis­che, irische und südafrikanis­che Englisch sind einan­der in ihren schriftlichen Stan­dard­va­ri­etäten ja eben­falls viel näher als in ihren gesproch­enen Vari­etäten. Die sprach­liche Auseinan­der­en­twick­lung eines unab­hängi­gen englis­chen und schot­tis­chen Stan­dar­d­englisch würde sich ver­mut­lich eben­falls in sehr engen Gren­zen halten.

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  2. Sebastian

    Man­darin und Kan­tone­sisch ver­fü­gen über die Schrift als gemein­sames Bindeglied. Zwei völ­lig unter­schiedlich benan­nte Konzepte referieren auf das­selbe Sino­gramm. Natür­lich ist auch die Ein­führung eines gemein­samen Schrift­sys­tems zulet­zt poli­tisch bedingt.

    Aber an das Schweiz­erdeutsche musste ich auch sofort denken.

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  3. Lothar

    Weiß jet­zt nicht mehr, wer das geschrieben hat, aber passt irgendwie.
    Eine Sprache ist ein Dialekt mit Armee.
    (Den genauen Wort­laut kenne ich lei­der nicht mehr.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Genau, das ist qua­si die poli­tis­che Def­i­n­i­tion von „Sprache“ (die z.B. erk­lärt, warum Nieder­ländisch als eigene Sprache gilt, Niederdeutsch aber als Dialekt des Deutschen). Das Zitat stammt vom Sprach­wis­senschaftler Max Wein­re­ich der einen anony­men Zuhör­er eines sein­er Vorträge mit diesen Worten zitiert (auf Jid­disch): „A shprakh iz a dialekt mit an armey un flot“.

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  4. Katharina

    Ich frage mich ger­ade, ob die Tren­nung wirk­lich so scharf zwis­chen Schot­t­land und Eng­land ver­läuft oder ob die Nor­denglis­chen Dialek­te als Über­gang gel­ten. Mich deucht, ich hätte “might could come” auch in York­shire und New­cas­tle schon gehört.

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  5. Tilman

    Inter­es­san­ter Artikel, der einiges zum Füllen mein­er Wis­senslück­en beitrug. 

    Das Niederdeutsche hat auch seine schriftlich über­liefer­ten his­torischen Vorstufen (Alt­säch­sisch und Mit­tel­niederdeutsch) und war im Mit­te­lal­ter (etwa in Urkun­den) dur­chaus schriftlich “stan­dar­d­isiert”. In
    Form der Hanse hat­te es ja auch dur­chaus eine Flotte. Niederdeutsch (von dem es ja auch eine Menge ver­schiedene Dialek­te gibt) wird von der EU als Sprache eingestuft und im Rah­men der Sprachen­char­ta geschützt. 

    Manch­mal kön­nen auch “kleinere” Sprachen rel­a­tiv “prob­lem­los” als solche anerkan­nt wer­den, obwohl sie keinen eige­nen Nation­al­staat haben. So sieht man das mit dem Englis­chen his­torisch eng ver­wandte Friesis­che schon lange als eine eigene Sprache an, wobei es wohl hil­ft, dass es in Deutsch­land und den Nieder­lan­den gesprochen wird, aber auf bei­den Seit­en der Gren­ze von Nicht­friesen kaum ver­standen wird. Auch dass man in Deutsch­land das Kaschu­bis­che schon lange als eigen­ständi­ge Sprache betra­chtete, während man pol­nis­ch­er­seits noch bis ins 20. Jahrhun­dert insistierte, es han­dle sich um einen pol­nis­chen Dialekt, hängt ja in bei­den Fällen mit dem Kon­flikt von deutschem und pol­nis­chen Nation­al­is­mus zusammen.

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