(Statt einer) Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Schon wieder eine „Slow News Week“ aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht. Die einzige Zeitungsmeldung (oder eher Zeitungsente) haben wir schon abge­han­delt. Deshalb nutze ich die Press­eschau dies­mal, um über eine Mel­dung zum The­ma Sprache zu schreiben, bei dem eine sprach­wis­senschaftliche Stel­lung­nahme aus­blieb, obwohl man sie vielle­icht erwartet hätte.

Der Stad­trat von New York hat eine Res­o­lu­tion ver­ab­schiedet, nach der das Wort Nig­ger aus dem öffentlichen Sprachge­brauch ver­schwinden soll. Man sollte eigentlich davon aus­ge­hen, dass Einigkeit darüber beste­ht, dass das kein schönes Wort ist und dass man es deshalb ver­mei­den sollte. Das „N‑Wort“, wie es die Amerikan­er ver­schämt nen­nen, ist ohne­hin eins der am stärk­sten tabuisierten Wörter des amerikanis­chen Englisch, und seine unbe­dachte Ver­wen­dung kann Kar­ri­eren zer­stören, wie beispiel­sweise der Sein­feld-Star Michael Richards jüngst her­aus­find­en musste.

Ich habe mich deshalb zunächst darüber gewun­dert, dass eine solche Res­o­lu­tion über­haupt für notwendig erachtet wird. Aber mir wurde schnell klar, worum es eigentlich geht:

Der Beschluss ist allerd­ings nicht bindend. Die Ini­tia­toren wollen aber erre­ichen, dass Musik­er, die das Wort gebrauchen, kün­ftig nicht mehr für den Gram­my nominiert wer­den. In Ameri­ka war das Wort „Nig­ger“ lange ver­pönt. Vor allem die HipHop-Musik hat es bei jun­gen Leuten aber wieder salon­fähig gemacht.

Ich kann mich nicht erin­nern, dass je ein weißer Musik­er, der das Wort Nig­ger ver­wen­det hat, für einen Gram­my nominiert war. Es geht bei der Res­o­lu­tion also darum, afro-amerikanis­chen Musik­ern zu ver­bi­eten, sich selb­st in ihren Tex­ten als Nig­ger zu beze­ich­nen! Das ist schon ein Meis­ter­stück fehlgeleit­eter Sprachregulierung.

Wie gesagt, Sprach­wis­senschaftler kamen in der deutschen Presse nicht zu Wort. Was hät­ten die gesagt? Nun, zunächst hät­ten sie wahrschein­lich darauf hingewiesen, dass es nicht viel Sinn hat, Sprache zu reg­ulieren, wenn die dahin­ter­liegende gesellschaftliche Wirk­lichkeit unverän­dert bleibt. Solange Afroamerikan­er in der Wahrnehmung der Mehrheit neg­a­tiv stereo­typ­isiert sind, wird jed­er Begriff, mit dem man sie beze­ich­net, diese neg­a­tiv­en Assozi­a­tio­nen annehmen. Das war bei Negro so (ein Begriff, den Mar­tin Luther King noch ohne Schwierigkeit­en ver­wen­dete), dass war bei Black und Black Amer­i­can so, und das wird vielle­icht sog­ar bei dem derzeit­ig akzep­tierten Begriff African Amer­i­can so sein. Der Psy­cholin­guist Steven Pinker hat diesem alt­bekan­nten Phänomen den tre­f­fend­en Namen „Euphemism Tread­mill“ gegeben. Allerd­ings dürften Afroamerikan­er in ange­se­henen Posi­tio­nen, wie Col­in Pow­ell und Con­doleez­za Rice, viel dazu beige­tra­gen haben, neg­a­tive Stereo­type abzubauen, so dass eine Chance beste­ht, die Tret­müh­le anzuhalten.

In der amerikanis­chen Berichter­stat­tung sind Sprach­wis­senschaftler auch nicht zu Wort gekom­men, aber die kanadis­che Nation­al Post zitiert John McWhort­er, einen Experten für Kre­ol­sprachen und den Dialekt der Afroamerikan­er. Der kri­tisiert, dass die Mit­glieder des Stad­trates eine Entwick­lung ver­schlafen haben, in der sich das Wort Nig­ger, wenn es von Afroamerikan­ern ver­wen­det wird, von einem ras­sis­tis­chen Schimpf­wort zu einem Kose­wort gewan­delt hat (ich über­set­ze die entsprechen­den Passagen):

Es ist ein brand­neues Wort“, sagte John McWhort­er, Senior Fel­low am Man­hat­tan Insti­tute for Pol­i­cy Research, ein­er New York­er Denk­fab­rik. „Die Leute, die [dieses Ver­bot fordern] — ich weiß, dass sie das Richtige tun wollen. Aber sie hören der Sprache nicht mit jun­gen Ohren zu. Sie hören das Wort mit ein­er Bedeu­tung, die nicht beab­sichtigt ist“. … Unter männlichen Schwarzen bedeutet es mit­tler­weile etwa soviel wie „Brud­er“ oder „mein Lieber“, sagte McWhorter.

Und der Kom­mu­nika­tion­swis­senschaftler Charl­ton McIll­wain weist darauf hin, dass man diese pos­i­tive Entwick­lung unter­bricht, wenn man das Wort verbietet:

Mit dem Ver­bot ist gle­ich die ganze Diskus­sion um die Bedeu­tung des Wortes vom Tisch“, sagte Charl­ton McIl­wain … „Damit wird prak­tisch garantiert, dass der Begriff immer seine belei­di­gende Kraft behal­ten wird.“

Das ist eine äußerst inter­es­sante Per­spek­tive, auf die ich als Außen­ste­hen­der wohl nicht gekom­men wäre. Der Prozess, den McWhort­er und McIl­wain ansprechen, ist aber schon ein­mal zu beobacht­en gewe­sen: Das Wort black war eben­falls auf dem besten Wege, pos­i­tive Assozi­a­tio­nen anzunehmen. Die schwarze Bürg­er­rechts­be­we­gung hat es offen­siv ver­wen­det, z.B. in Begrif­f­en und Slo­gans wie black pride, black is beau­ti­ful und black pow­er. Diese Entwick­lung wurde abgewürgt, als wohlmeinende (?) Men­schen darauf bestanden, dass der Begriff schwarz an sich schon neg­a­tiv belegt und deshalb zu mei­den sei.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

2 Gedanken zu „(Statt einer) Presseschau

  1. Mike Seeger

    Nun ja, das Prob­lem stellt sich ja nicht nur in Ameri­ka, hier ist es min­destens genau­so groß. Früher, in den 60er Jahren spiel­ten die Mäd­chen noch mit Negerpup­pen und es gab den Negerkuss, ohne sich etwas Schlimmes oder Dif­famieren­des dabei zu denken. Heute muss man sich schon genau umschauen, möchte man sich über einen Negroiden unter­hal­ten. Irgend ein selb­ster­nan­nter Morala­pos­tel wird son­st schon dazwis­chen funken — wohlmeinend natür­lich. Was antwortet denn nun — vielle­icht mit­ten im gut besucht­en McDonald´s — eine Mut­ter ihrem vier Jahre alten Kind, welch­es noch nie einen Neger gese­hen hat, auf die laute Frage: “Mama, was ist das für ein schwarz­er Mann?” “Schatz, das ist ein Ultrapigmentierter.”???

    Den Negern zu ver­bi­eten sich Nig­ger zu nen­nen, zeigt schon die Unbe­holfen­heit der weißen (regierenden/bestimmenden) Bevölkerung. 

    Wenn Nig­ger dann auch “mein Lieber” heißen soll, beze­ichne ich meinen Fre­und dem­nächst als “Nig­ger” — oder lieber doch nicht, er ist größer und stärk­er als ich.

    Mit “Africa Amer­i­can” wer­den sich wohl die wenig­sten ange­sprochen fühlen, da in Ameri­ka kaum ein Schwarzer/Neger/Farbiger/Negroid noch in Afri­ka geboren wurde. In den Schulen in Ameri­ka wer­den sie übri­gens “Coloured” genan­nt. Zumin­d­est so um Wash­ing­ton herum. Wie das in New Orleans ist, ver­mag ich nicht zu sagen.

    Viele Grüße

    Mike Seeger

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  2. Anatol Stefanowitsch

    Herr Seeger, lassen Sie mich der Rei­he nach auf Ihre Bemerkun­gen antworten. Zunächst gibt es einen entschei­den­den Unter­schied zwis­chen dem deutschen Wort Neger und dem englis­chen nig­ger, da Neger ursprünglich tat­säch­lich ein (rel­a­tiv) neu­traler Begriff war, während nig­ger von Anfang an neg­a­tiv beset­zt war. Davon abge­se­hen haben Sie Recht, dass der Begriff Neger in der deutschen Sprache einen Bedeu­tungswan­del zum Neg­a­tiv­en durch­laufen hat. Dieser Prozess, den wir in der Lin­guis­tik Pejo­ra­tion (lat. „Ver­schlechterung“) nen­nen, ist immer dann unver­mei­dlich, wenn die Sprecherge­mein­schaft eine neg­a­tive Ein­schätzung des Beze­ich­neten teilt. Eine Gesellschaft, in der es (offe­nen oder verdeck­ten) Ras­sis­mus gibt, kann jeden noch so neu­tralen Begriff für eine eth­nis­che Gruppe wählen — solange mit dieser eth­nis­chen Gruppe neg­a­tive Stereo­type verknüpft sind, wer­den diese in die Bedeu­tung des Begriffes hineinge­tra­gen. Das ist mit dem Begriff Neger eben­so geschehen, wie mit dem ursprünglich neu­tralen negro (die ja bei­de vom spanischen/portugiesischen negro „schwarz“ kommen).

    Deshalb kann die von Ihnen beschriebene hypo­thetis­che Mut­ter bei McDon­alds natür­lich nicht antworten „Das ist ein Neger“ (vielle­icht ging das in den Fün­fzigern noch). Ich denke, sie wird sagen (wie ich es getan habe, als meine Tochter mich zum ersten Mal fragte, warum es in ihrem Kinder­garten Kinder mit dun­kler Haut­farbe gäbe) „Die Men­schen haben halt ver­schiedene Haut­far­ben, genau wie sie ver­schiedene Haar­far­ben und Augen­far­ben haben.“ Das mag auswe­ichend klin­gen, aber so weit ich beurteilen kann, kön­nen uns Human­genetik­er auch keine bessere Antwort geben (sie kön­nen sie nur kom­plex­er ver­pack­en). Wie Sie andeuten, kommt „Ultra­pig­men­tiert­er“ kaum in Frage und wäre wohl höch­stens als scherzhaft zu betra­cht­en (und nicht unbe­d­ingt als gelun­gener Scherz), wenn es nicht eine genaue Erk­lärung der Haut­pig­men­tierung beim Men­schen einge­bun­den wäre.

    Generell habe ich den Ein­druck, dass es im Deutschen zumin­d­est in bes­timmten Sit­u­a­tio­nen in Ord­nung ist, den Begriff Schwarz­er zu ver­wen­den — zumin­d­est hat sich von meinen Bekan­nten afrikanis­ch­er Abstam­mung bis­lang nie­mand darüber beschw­ert. Auch in Ameri­ka habe ich Afroamerikan­er ken­nen­gel­ernt, für die der Begriff black unprob­lema­tisch war, zumin­d­est als Adjek­tiv in Kom­bi­na­tio­nen wie Black His­to­ry, Black Arts, etc. Und an vie­len Uni­ver­sitäten gibt es Stu­di­engänge, die Black Stud­ies heißen.

    Der Begriff African-Amer­i­can (als Sub­stan­tiv oder Adjek­tiv) ist für die meis­ten schwarzen Amerikan­er unprob­lema­tisch und sich­er die bevorzugte Beze­ich­nung. Dass die meis­ten von ihnen in der x‑ten Gen­er­a­tion in Ameri­ka geboren sind, stört dabei nicht. Ich habe viele weiße Amerikan­er ken­nen­gel­ernt, die sich ohne jede Ironie als „Ital­ian-Amer­i­can“, „Ger­man-Amer­i­can“, usw. beze­ich­nen, ohne je einen Fuß in die Heimatlän­der ihrer Uru­rur­großel­tern geset­zt zu haben.

    Der Begriff col­ored find­et sich tat­säch­lich stel­len­weise im Bil­dungssys­tem der USA, beze­ich­net dann aber häu­fig alle nicht-weißen Schüler. Mein­er Erfahrung nach wird der Begriff häu­fig als her­ab­set­zend emp­fun­den, vielle­icht durch die Assozi­a­tio­nen mit der Kolo­nialzeit, die er wachruft, vielle­icht, weil er einen Unter­schied zwis­chen „weiß“ und „nicht-weiß“ macht (als ob Weiß keine Farbe wäre).

    Da ich annehme, dass Sie sel­ber kein schwarz­er Amerikan­er sind, kön­nen Sie ihren Fre­und natür­lich nicht als Nig­ger beze­ich­nen, und das ist ein inter­es­san­ter Aspekt an der von McWhort­er und McIll­wain beschriebe­nen „pos­i­tiv­en“ Ver­wen­dung des Wortes. Diese pos­i­tive Bedeu­tung kann nur angenom­men wer­den, wenn schwarze Amerikan­er sich untere­inan­der mit diesem Wort ansprechen. Aus lin­guis­tis­ch­er Sicht ist das inter­es­sant, da es zeigt, dass die Bedeu­tung von Wörtern nicht in den Wörtern selb­st zu find­en ist, son­dern in der Sit­u­a­tion, in der sie ver­wen­det werden.

    Diese Antwort ist schon viel zu lang, aber einen let­zten Punkt möchte ich noch ansprechen. Viele schwarze Amerikan­er empfind­en den Begriff nig­ger auch dann als belei­di­gend, wenn er von anderen schwarzen Amerikan­ern ver­wen­det wird — egal, ob pos­i­tiv (im Sinne der Rap­per), oder neg­a­tiv (der Komik­er Chris Rock ver­wen­det ihn zum Beispiel, um sich über eine Teil­gruppe von schwarzen Amerikan­ern lustig zu machen, die er als Sozialschmaroz­er empfind­et). Wie soll man mit dem Gefühl der Belei­di­gung in diesen Fällen umge­hen? Aus lin­guis­tis­ch­er Sicht lässt sich dazu nur sagen, dass Bedeu­tun­gen eben nicht in den Wörtern steck­en. Was als belei­di­gend emp­fun­den wird hat deshalb mit dem Hör­er ebenso­viel zu tun wie mit dem Sprech­er und dem Ver­hält­nis zwis­chen bei­den. Das Ver­hält­nis zwis­chen Schwarzen und Weißen und auch unter Schwarzen ist in Ameri­ka der­ar­tig kom­plex und durch die ver­schieden­sten his­torischen Tat­sachen belastet, dass sich keine neu­trale Sprache find­en wird. Ich stimme deshalb McWhort­er und McIll­wain zu: Wörter dür­fen grund­sät­zlich nicht ver­boten wer­den, da mit solchen Ver­boten nur die Möglichkeit ver­schwindet, frei und offen — und oft schmerzhaft — über die Wirk­lichkeit zu sprechen, die hin­ter diesen Wörtern liegt.

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