Beitragsaufrufe und Auswahlfragen

Von Anatol Stefanowitsch

Sprachblogleser/innen der ersten Stunde erin­nern sich vielle­icht, dass ich der „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ gegenüber anfänglich eigentlich pos­i­tiv eingestellt war. Es ist nichts dage­gen einzuwen­den, sich Lehn­wörter daraufhin anzuse­hen, ob es im Deutschen nicht bere­its eine kon­ven­tionelle Alter­na­tive gibt oder ob man nicht mit Hil­fe pro­duk­tiv­er Wort­bil­dungsmech­a­nis­men eine Alter­na­tive aus dem beste­hen­den Wortschatz zusam­men­bauen kön­nte. Ob die sich dann durch­set­zt oder ob die Sprachge­mein­schaft aus welchen Grün­den auch immer — und es gibt oft gute Gründe — beim Lehn­wort bleibt, kann man dann get­rost dem evo­lu­tionären Prozess über­lassen, durch den eine Sprache sich ständig verän­dert und neuen Gegeben­heit­en anpasst.

Als ich vor ein paar Wochen nach ein­er Alter­na­tive für den Begriff Call for Papers gesucht habe, war mein Wun­sch nach einem deutschen Begriff durch diesel­ben Geschmack­spräferen­zen motiviert, die ver­mut­lich auch viele Mit­glieder des VDS bei ihrer „Anglizismen“-Hatz lenken: der englis­che Begriff spricht sich nicht beson­ders gut, er klingt für mich in deutschen Sätzen immer etwas hol­prig und er schien mir über­flüs­sig zu sein, da seine Einzel­teile (call, for und papers) ja prob­lem­los in Deutsche über­set­zbar sind. (Anders als das typ­is­che VDS-Mit­glied habe ich allerd­ings zugegeben, dass es Geschmack­spräferen­zen sind und auch nationale Min­der­w­er­tigkeits­ge­füh­le spiel­ten bei mir keine Rolle).

Aber die Ergeb­nisse bestäti­gen mir nur das, was ich nach zwei Jahren inten­siv­er Beobach­tung der „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ ohne­hin geah­nt habe: Wenn sich für ein Lehn­wort nicht inner­halb kürzester Zeit eine deutsche Ensprechung durch­set­zt, hat das nor­maler­weise gute Gründe. Denn obwohl ein paar gute Ideen dabei waren, ist eine spon­tan durch­schla­gende deutsche Alter­na­tive für den Call for Papers bei meinem Aufruf nicht her­aus­gekom­men. Übri­gens habe ich das schon geah­nt, als Wortis­tik­er Detlef Gürtler sich kurz nach meinem Aufruf mit diesem beschäftigte, ohne eine zün­dende Idee zu präsen­tieren — wenn der Großmeis­ter der Neube­wor­tung schon die Waf­fen streckt, welche Chance haben dann wir wortis­tisch Unbedarften?

Nicht, dass die Sprachblogleser/innen sich nicht die aller­größte Mühe gegeben hät­ten. Neben den sym­pa­thiepunk­tverdächti­gen Vorschlä­gen Schrei nach Papi­er, Blät­ter­ruf und Klit­ter­bitte und dem enzyk­lopädis­chen Sub­ver­sionsver­such Beitragser­such gab es rund zwei Dutzend Ver­suche, den Begriff durch zusam­menge­set­zte Sub­stan­tive oder Phrasen mit Anforderung, Auf­forderung, Aufruf, Auss­chrei­bung, Bitte, Ein­ladung und Run­druf zu über­set­zen. Papers wurde dabei meis­tens mit Beiträge oder Manuskripte über­set­zt — je nach Kon­text bei­des tre­f­fende Begriffe. Aber Frank Oswalt wies in den Kom­mentaren schnell darauf hin, dass viele dieser Begriffe uner­wün­schte Kon­no­ta­tio­nen haben: Auss­chrei­bung klingt poten­ziell danach, als ob hier Geld oder son­stige Preise zu vergeben seien, Auf­forderung und Anforderung klin­gen zu sehr nach ein­er Bringschuld der Aufge­forderten, Bitte klingt umgekehrt zu bittstel­lerisch seit­ens der Bit­ten­den. Dem kann ich mich im Prinzip anschließen und kann gle­ich noch hinzufü­gen, dass Ein­ladung prob­lema­tisch ist, weil man bei Kon­feren­zen nor­maler­weise zwis­chen „ein­ge­lade­nen“ Sprech­ern (die wegen ihrer Bril­lianz direkt von den Ver­anstal­tern ange­sprochen und für ihre Vorträge ent­lohnt wer­den) und dem gemeinen Fußvolk unterscheidet.

Es bleiben Aufruf und Run­druf, bei­de seman­tisch gut geeignet, den Call zu über­set­zen. Am Besten hat mir hier Beitragsaufruf gefall­en. Wenn ich einen Sieger küren müsste, es wäre dieses Wort. Es trifft die gewün­schte Bedeu­tung, es hat kon­ven­tion­al­isierte Vor­bilder (z.B. Spende­naufruf, Streikaufruf), es ist kurz und bündig, es erlaubt Vari­anten wie Teil­nah­meaufruf, Manuskrip­taufruf, usw.) und es hat immer­hin schon ein paar hun­dert Google-Tre­f­fer.

Ich werde das Wort wohl bei der näch­sten Gele­gen­heit auch selb­st ver­wen­den, aber mein ästhetis­ches Gefühl (das ja Aus­lös­er der Wörter­suche war), ist nicht voll befriedigt. Vielle­icht wird immer das Gefühl bleiben, dass mit diesem Wort etwas nicht stimmt, aber vielle­icht gibt sich das auch, wenn ich das Wort erst einige hun­dert Male ver­wen­det habe (Beitragsaufruf, Beitragsaufruf, Beitragsaufruf — ja, es fängt an, ganz gut zu klingen).

Auf jeden Fall weiß ich nun aus eigen­er Erfahrung, dass die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ sich keine leichte Auf­gabe gestellt hat. Aber mein Ver­ständ­nis für den Unfug, den die vier alten Her­ren monatlich verzapfen, wird immer schnell zer­streut, wenn ich die Nach­läs­sigkeit sehe, mit der sie diese Auf­gabe ange­hen. Das fängt an bei der Auswahl der zu erset­zen­den Wörter: more often than not gibt es bere­its eine deutsche Alter­na­tive, so zum Beispiel für das im let­zten Monat gesuchte bad bank:

Gift­bank“! Wäre das nicht ein grif­figes deutsches Wort für jene „Bad Bank“ , bei der unsere Banken ihre Schulden abladen sollen? Aus 306 Antworten auf diese Frage hat die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ diese aus­gewählt – mit Respekt für Vorschläge wie „Krankbank“, „Bank Rott“ und „Zitro­nen­lager“

Ja, Gift­bank ist grif­fig, aber die Bedeu­tung des Wortes erschließt sich dem durch­schnit­tlichen Sprech­er eben­sowenig wie die des englis­chen Bad Bank. Die längst existierende Alter­na­tive Auf­fang­bank wäre da deut­lich transparenter.

Auch das aktuelle Such­wort bedarf eigentlich kein­er Neubewortung:

Gesucht wird dies­mal eine deutsche Entsprechung für „mul­ti­ple choice“: …

Hier gäbe es ein dif­feren­ziertes Vok­ab­u­lar aus der qual­i­ta­tiv­en Sozial­forschung: Auswahl­fra­gen nen­nt man dort Fra­gen, für die eine Rei­he von Antworten bere­its vorgegeben ist, und Alter­na­tivfra­gen nen­nt man speziell den Typ, bei dem nur eine Antwort angekreuzt wer­den soll.

Die Nach­läs­sigkeit der Aktioneure set­zt sich fort in den Def­i­n­i­tio­nen, die sie für die neuzube­wor­tenden Lehn­wörter liefern:

Gesucht wird dies­mal eine deutsche Entsprechung für „mul­ti­ple choice“: die Kun­st, unter mehreren vorgegebe­nen Antworten die richtige anzukreuzen.

Aber mul­ti­ple choice ist nicht „die Kun­st, unter mehreren vorgegebe­nen Antworten die richtige anzukreuzen“. Es ist über­haupt keine Kun­st, es ist, wie der Wahrig so tre­f­fend sagt, ein „Testver­fahren, bei dem aus mehreren vorgegebe­nen Antworten die richtige auszuwählen ist“. Das ist keine Haarspal­terei: wer einem Konzept ein neues Wort zuord­nen will, der muss es richtig definieren.

Und die Nach­läs­sigkeit find­et wie immer ihren Höhep­unkt im Eigen­vorschlag der wortis­tisch glück­losen Vier:

Das Ange­bot des Monats lautet: den „con­test“ durch den guten alten „Wet­tbe­werb“ oder „Wet­tkampf“ abzulösen.

Wenn man sich schon die Mühe macht, in einem deutsch-englis­chen Wörter­buch die Bedeu­tung von con­test nachzuschla­gen, warum gibt man dann nicht alle Über­set­zun­gen an, um so wenig­stens die gesamte seman­tis­che Band­bre­ite des Begriffs deut­lich zu machen? An erster Stelle vielle­icht Wettstre­it, das die Kernbe­deu­tung bess­er trifft als die Vorschläge der Aktioneure, die dann an zweit­er und drit­ter Stelle ste­hen kön­nten, vor Auseinan­der­set­zung und Preisauss­chreiben.

8 Gedanken zu „Beitragsaufrufe und Auswahlfragen

  1. Tobi

    Zur Wahrig-Def­i­n­i­tion: “Testver­fahren, bei dem aus mehreren vorgegebe­nen Antworten die richtige auszuwählen ist” ver­gisst, dass Mul­ti­ple Choice Auswahl­fra­gen UND Alter­na­tivfra­gen bein­hal­tet. Es müsste also eigentlich. “Testver­fahren, bei dem aus mehreren vorgegebe­nen Antworten eine oder mehrere richtige auszuwählen ist bzw. sind.”

    Antworten
  2. Nörgler

    Der “Aktion Lebendi­ges Deutsch” ist der Spiegel (http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,603165,00.html) zuvorgekom­men, der in einem Beitrag vom 23.01.2009 schon von “Gift-Bank” spricht. Über­haupt hat die Finanzkrise eine bemerkenswerte sprach­liche Kreativ­ität her­vorgerufen. Im sel­ben Artikel ist die Rede von: Ram­schhy­potheken, Gift­pa­pieren, Anlageschrott, Gift­müll, Gift­müllde­ponie, Bank-Müll, Gift­pa­pi­er-Sam­mel­stellen, Finanz-Bomben.

    Eine Mißge­burt ist allerd­ings der Zwit­ter “Gif­tas­sets” (Geschenk-Akti­va???).

    Aktuell hat “Gift­bank” auch schon Ein­gang in eine dpa-Mel­dung gefunden.

    Auf Anhieb gefällt mir “Gift­bank” auch nicht beson­ders, aber warum nicht? Man gewöh­nt sich an alles, und außer­dem man kann hof­fen, daß das Wort irgend­wann ein­mal wieder über­flüs­sig wird. Schließlich dient eine solche Bank ja tat­säch­lich der Zwis­chen­lagerung der “Gift­pa­piere”. “Auf­fang­bank” erscheint mir dage­gen nicht so tre­f­fend, denn schließlich sollen doch die Gift­pa­piere und nicht die Banken selb­st aufge­fan­gen wer­den (obwohl sie es vielle­icht nötig hät­ten). Im all­ge­meinen beze­ich­net man als “Auf­fangge­sellschaft” eine Gesellschaft, die die noch einiger­maßen rentablen Teile ein­er bankrot­ten Gesellschaft übernimmt.

    Die Bedeu­tung von “Bad Bank” erschließt sich auch dem durch­schnit­tlichen Angel­sach­sen genau­sowenig wie die der “Gift­bank” dem Deutschen, wenn er nicht schon weiß, was gemeint ist.

    Antworten
  3. Gareth

    Auf­fang­bank” erscheint mir dage­gen nicht so tre­f­fend, denn schließlich sollen doch die Gift­pa­piere und nicht die Banken selb­st aufge­fan­gen werden.

    So funk­tion­iert die Wort­bil­dung aber nicht. Eine Auf­fang­bank ist eine Bank, die etwas auf­fängt. Was sie auf­fängt, ist durch den Begriff über­haupt nicht näher bes­timmt. Bei dem Wort Auf­fang­beck­en wer­den ja auch keine Beck­en aufgefangen.

    Antworten
  4. Nörgler

    @Gareth

    Sie hane vol­lkom­men recht. Was aufge­fan­gen wer­den soll, ist unbes­timmt. Deshalb finde ich “Auf­fang­bank” nicht “deut­lich trans­par­enter”, zumal die Analo­gie zur “Auf­fangge­sellschaft” etwas anderes nahele­gen kön­nte, als gemeint ist.

    Antworten
  5. Nörgler

    @Anatol Ste­fanow­itsch

    Warum stellen Sie sich nicht der “Aktion Lebendi­ges Deutsch” als Berater zur Ver­fü­gung? Immer­hin teilen Sie ja anscheinend gele­gentlich die Geschmack­spräferen­zen einiger Mit­glieder der ALD. Sie wür­den der ALD manche unnütze Wort­suche ers­paren, wenn Sie rechtzeit­ig darauf hin­wiesen , daß es schon deutsche Entsprechun­gen gibt. Auch manche andere Dummheit der ALD kön­nten Sie ja vielle­icht ver­hin­dern helfen.

    Bei aller berechtigten Kri­tik an der stereo­typen Ver­fahrensweise der ALD, so erscheint mir das Bemühen, sich Gedanken zu machen, wie man bes­timmte Anglizis­men durch deutsche Wen­dun­gen erset­zen kann, doch dur­chaus sinn- und ver­di­en­stvoll. Schließlich haben im Fall von “call for papers” die Teil­nehmer diese Forums genau das getan.

    Erstaunlich erscheint mir allerd­ings zu sein, daß es anscheined so schwierig ist, eine geeignete deutsche Entsprechung zu find­en und selb­st ein “Großmeis­ter” vor dieser Auf­gabe kapit­uliert. Dabei ist doch Beitragsaufruf oder Aufruf zu Beiträ­gen (wobei mir let­zteres aus ver­schiede­nen Grün­den bess­er gefällt, es gibt auch mehr Google-Tef­fer dafür) die — unter Berück­sich­ti­gung des Zusam­men­hangs — wörtliche Über­set­zung von “call for papers”. Warum fällt es dann so schw­er, diese Über­set­zung zu find­en, und warum haben Sie das Gefühl, “daß mit diesem Wort etwas nicht stimmt”?

    Schließlich ist “call for papers” nichts uner­hört Neues. Etwas ähn­lich­es wird es doch auch früher, als Anglizis­men noch nicht so gesellschafts­fähig waren, in Deutsch­land gegeben haben. Wie hat man sich denn damals aus­ge­drückt? Weiß das nie­mand mehr?

    Mir scheint, daß es doch einen Ver­drän­gungsef­fekt gibt. Hat sich erst ein Anglizis­mus auf bre­it­er­er Basis durchge­set­zt, fällt es schw­er, sich an frühere Aus­druck­sweisen zu erin­nern oder ein angemessenes neues deutsches Wort zu find­en. Vor allem stoßen Neol­o­gis­men fast immer auf Wider­stand. Ich erin­nere mich, wie absurd und lächer­lich mir das Wort mach­bar erschien, als es Ende der 60er oder Anfang der 70er Jahre zuerst aufkam. Ver­suche, ein neues Wort im Deutschen zu prä­gen, stoßen immer auf Ein­wände, es tre­ffe nicht genau das Gemeinte, es erwecke irgendwelche uner­wün­schte Assozi­a­tio­nen usw. usw.

    Da haben es Anglizis­men erhe­blich ein­fach­er. Kein­er fragt, ob sie wirk­lich genau das Gemeinte aus­drück­en, und die meis­ten Deutschen empfind­en nicht die Assozi­a­tio­nen, die ein englis­ch­er Mut­ter­sprach­ler wom­öglich dabei empfindet.

    Antworten
  6. K

    Zu “call for papers”: Ein kurzes Nach­schauen bei iate (Inter­Ac­tive Ter­mi­nol­o­gy for Europe) hat als “qua­si offizielle” Ter­mi­nolo­gie (für Über­set­zun­gen im Rah­men der europäis­chen Insti­tu­tio­nen) “Aufruf zur Refer­atan­mel­dung” (http://iate.europa.eu/iatediff/SearchByQuery.do;jsessionid=9ea7991c30d6561309cf9f3644aba83eb4cbef015f53.e3iLbNeKc38Ke3eKaNiLaxuRaO0) ergeben. (Das im europäis­chen Kon­text häu­figere “call for pro­pos­als” — inhaltlich natür­lich etwas anderes, aber, was die Kon­struk­tion bet­rifft, ähn­lich — wird als “Aufruf zur Ein­re­ichung von Vorschlä­gen” oder “Auf­forderung zur Ein­re­ichung von Vorschlä­gen” übersetzt.)

    Antworten
  7. David Marjanović

    Run­druf” habe ich gar nicht gekan­nt, “Wettstre­it” ist rein poet­isch, und “Aufruf zur Refer­atan­mel­dung” ist ziem­lich blöd.

    Beitragsaufruf” ist nicht schlecht… obwohl es noch immer nicht richtig gut ist…

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.