Wir haben die Kraft

Von Anatol Stefanowitsch

Um es gle­ich vor­wegzunehmen: Ich mag wed­er die CDU noch Angela Merkel. Die CDU mag ich nicht, weil ich mit kaum einem Punkt ihres Wahl­pro­gramms übere­in­stimme. Beim Wahl-O-Mat waren die CDU und ich uns nur in 7 der 38 Fra­gen einig, und das waren solche Offen­sichtlichkeit­en wie die Wiedere­in­führung der D‑Mark (dage­gen) und die Demokratie (dafür). Angela Merkel mag ich nicht, weil sie offen­sichtlich vor langer Zeit selb­st auf den ver­queren Per­so­n­enkult hereinge­fall­en ist, den ihre Wahlkampf­s­trate­gen um sie herum aufge­baut haben. „Ich wurde nicht als Kan­z­lerin geboren. Aber dann kam ein­er der größten Glücksmo­mente unseres Lan­des: Die Ein­heit. Ich wollte Deutsch­land dienen…“ — dieser egozen­trische Patri­o­tismus ist für mich weit jen­seits der Schmerz­gren­ze, da spielt ihre poli­tis­che und wirtschaftliche Inkom­pe­tenz kaum noch eine Rolle. Ich sage das so expliz­it, weil ich kurz vor der Wahl noch schnell die Wahlwer­bung der CDU aus sprach­lich­er Sicht kom­men­tieren möchte. So muss mir nie­mand vor­w­er­fen, ich wolle mit den fol­gen­den Bemerkun­gen impliz­it meine poli­tis­che Mei­n­ung kundtun.

Am Wahlslo­gan der CDU, „WIR HABEN DIE KRAFT“ fand ich vor allem das Pronomen WIR inter­es­sant. Poli­tik­er benutzen es gerne und häu­fig, weil es so angenehm vieldeutig ist. Es kann sich ja, wie man an diesem inter­es­san­ten Rechtsstre­it schon gese­hen hat, auf den Sprech­er und den/die Hör­er („inklu­sives Wir“) oder auf den Sprech­er und weit­ere Per­so­n­en, aber nicht den Hör­er („exk­lu­sives Wir“). Die CDU nutzt in ihrem Wahlslo­gan bei­de Bedeutungen.

Ein erster semi­o­tis­ch­er Hin­weis auf die Bedeu­tung von WIR im CDU-Slo­gan find­et sich in der visuellen Gestal­tung: das Wort ist auf allen Plakat­en mit der Bun­des­flagge unter­legt. Ver­mut­lich soll das auf ein sehr inklu­sives Wirhin­deuten: „wir Deutschen“ (unsere aus­ländis­chen Mit­bürg­er wählen ja nicht,

CDU-Wahlplakat: WIR HABEN DIE KRAFT

CDU-Wahlplakat

brauchen wir ihnen auch keine Kraft zu bescheini­gen). Die verkrampft lächel­nde Kan­z­lerin ist natür­lich als Teil dieses WIR zu ver­ste­hen. Dazu passt, dass sie den Betra­chter nicht direkt ansieht — sie ist Teil der­sel­ben Gruppe und guckt, genau wie der Betra­chter, eben irgend­wie in der Gegend herum.

Die erste Welle der CDU-Wahlplakate machte dann aber sehr deut­lich, dass mit dem WIR haupt­säch­lich die CDU-Min­is­ter gemeint waren: Sie teil­ten uns auf diesen Plakat­en mit, wofür „wir“ (also sie) die Kraft haben wollen. Als Beispiel mag das Schäu­ble-Plakat dienen (ein­fach, weil man sich die Ironie des Wortes Frei­heit im Zusam­men­hang mit Schäubles Kon­ter­fei nicht ent­ge­hen lassen sollte):

CDU-Wahlplakat: WIR HABEN DIE KRAFT FÜR SICHERHEIT UND FREIHEIT

CDU-Wahlplakat

Auf die gle­iche Weise hat­ten „wir“ in Gestalt von Annette Scha­van die „Kraft für gute Bil­dung“, mit Gut­ten­berg „Kraft für Wirtschaft mit Ver­nun­ft“ und mit von der Leyen „Kraft für starke Fam­i­lien“. Ich will gar nicht darauf herum­re­it­en, warum wir (das Volk) von dieser Kraft in den let­zten vier Jahren nichts gese­hen haben, oder warum man starken Fam­i­lien keinen freien Zugang zum Inter­net zumuten darf. Mir geht es darum, dass die Bedeu­tung „wir, das Volk“ im WIR dieser Wahlslo­gans wohl mitschwingt, dass es sich aber primär auf die CDU beziehen muss, damit sin­nvolle Aus­sagen entste­hen (denn wenn „wir, das Volk“ die Kraft hät­ten, bräucht­en wir ja die CDU nicht).

Die zweite Welle der Wahlplakate führte Angela Merkel ein. Auf einem der Plakate hat­ten WIR die „Kraft für ein neues Miteinan­der“ und tat­säch­lich waren außer ihr auch drei Bürg­er zu sehen — unscharf und im Hin­ter­grund, aber immer­hin unter­stre­icht die Bild­sprache das inklu­sive wir, das auch durch das Wort Miteinan­der sug­geriert wurde. Auf dem anderen Plakat wird sug­geriert, dass Merkel uns „Klug aus der Krise“ führen kann (gut, dass das extra gesagt wird, denn gemerkt hätte man es an ihren Entschei­dun­gen in den let­zten Monat­en ja nicht). Hier bezog sich das WIR wieder vor­rangig auf Merkel und ihre Partei, war also eher ein exk­lu­sives wir.

CDU-Wahlplakat: WIR HABEN DIE KRAFT FÜR EIN NEUES MITEINANDER

CDU-Wahlplakat

CDU-Wahlplakat: KLUG AUS DER KRISE - WIR HABEN DIE KRAFT

CDU-Wahlplakat

In der drit­ten Welle der Wahlplakate wird das WIR dann fast zu einem sprecherexk­lu­siv­en wir, wie wir (Sie und ich) es vor einiger Zeit disku­tiert haben:

CDU-Wahlplakat: WIR WÄHLEN DIE KANZLERIN

CDU-Wahlplakat

Ich nehme an, dass Merkel sich sel­ber wählt (sie will ja Deutsch­land dienen), aber das will sie uns auf dem Plakat wahrschein­lich nicht mit­teilen. Mit dem WIR sind vor­rangig „wir, das Volk (ohne Merkel)“ gemeint. Dazu passt, dass Merkel uns auf diesem Plakat zum ersten Mal direkt in die Augen sieht.

Inter­es­san­ter­weise gibt es in der drit­ten Welle, die derzeit an den Plakatwän­den klebt, auch ein Plakat, auf dem Merkel umgeben von ein­er Men­schen­menge dargestellt wird. Aus­gerech­net auf diesem Plakat fehlt aber das schwarz-rot-gold­en unter­legte WIR:

CDU-Wahlplakat: GEMEINSAM FÜR UNSER LAND

CDU-Wahlplakat

Warum hier die Möglichkeit ungenutzt blieb, das CDU-WIR noch ein­mal mit bei­den Bedeu­tun­gen, „wir, die CDU“ und „wir, das Volk“ aufzu­laden, weiß ich nicht. Vielle­icht hat man plöt­zlich Angst vor dem Wahlvolk bekom­men. Denn „wir (die CDU)“ haben vielle­icht die Kraft, aber „wir (das Volk)“ haben die Macht.

20 Gedanken zu „Wir haben die Kraft

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  2. Carsten aus Hannover

    Wobei ich ger­ade dieses Spie­len mit inklu­sivem und exk­lu­sivem “Wir” gelun­gen finde, da es hier wohl bewusst einge­set­zt wird. Im “wir wählen die Kan­z­lerin” würde ich eben kein sprecherexk­lu­sives “wir” sehen. Dass Frau Merkel neuerd­ings in der drit­ten Per­son von sich spräche habe ich noch nicht bemerkt. Als Sprech­er würde ich hier eher die CDU sehen. Da deren Mit­glieder vor­rau­sichtlich größ­ten­teils ihre Zweit­stimme der eige­nen Partei geben werden,stimmt dies ja.

    Auch optisch finde ich die Plakate sehr gelun­gen. Inhaltlich sind sie natür­lich extrem dürftig. Als kleine weit­erge­hende Analyse der Plakate (auch der ander­er Parteien) kann ich diesen Blo­gein­trag sehr empehlen:

    http://www.homopoliticus.de/2009/08/14/wahlplakate-2009/

    Auch wenn ich der CDU eben­so abgeneigt bin wie Herr Ste­fanow­itsch, muss ich ihr doch eine her­vor­ra­gende Plakatkam­pagne und zumin­d­est eine ins­ge­samt recht gelun­gene Wahlkam­pagne bescheini­gen. Schließlich ist es ihr gelun­gen den Wahlkampf weit­ge­hend the­men­frei zu hal­ten und sog­ar die vorkoali­tionären Selb­stzer­fleis­chungsver­suche von CSU und FDP haben die ein­heitliche Kom­mu­nika­tion nur wenig gesört.

    Hier noch ein paar schöne Ver­frem­dun­gen der Schäubleplakate:

    http://www.netzpolitik.org/2009/erste-ergebnisse-die-schaeuble-plakat-remixe/

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  3. Carsten aus Hannover

    Ergänzung:

    Das “in der drit­ten Per­son von sich sprechen” im Beitrag zuvor ist nicht ganz kor­rekt, da ich die Beze­ich­nung als Kan­z­lerin meinte. So über sich selb­st zu sprechen kenne ich son­st nur von Lothar Matthäus.

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  4. Marianne

    So muss mir nie­mand vor­w­er­fen, ich wolle mit den fol­gen­den Bemerkun­gen impliz­it meine poli­tis­che Mei­n­ung kundtun.”

    😉

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  5. Nörgler

    Der sprach­liche Bezug durch das Aufwär­men des The­mas “inklusives/exklusives wir” scheint mir doch reich­lich weit herge­holt zu sein.

    Ich meine, das “wir” wird ganz bewußt durchge­hend inklu­siv gemeint und soll Gemein­schafts­ge­fühl und Opti­mis­mus in schw­eren Zeit­en erweck­en: “Zusam­men mit Angela Merkel schaf­fen wir es schon. Wir haben die Kraft dafür.”

    Ich stimme Carsten zu, daß die Plakate optisch gut gelun­gen sind. Die Far­ben wirken sym­pa­thisch und beruhi­gend und laden das Auge ger­adezu zum Ver­weilen ein. Beim Knatschgelb der FDP und dem Knall­rot Der Linken möchte ich dage­gen am lieb­sten gle­ich wegschauen.

    Ger­ade weil die Kan­z­lerin nicht in die Linse star­rt, wirken die Auf­nah­men natür­lich und sym­pa­thisch. Mißglückt finde ich dage­gen ger­ade das Wir-wählen die Kan­z­lerin-Plakat. Trotz des Cheese-Lächelns star­rt die Kan­z­lerin den Betra­chter ger­adezu inquisi­torisch in die Augen, und das vor einem unsym­pa­this­chen pech­schwarzen Hin­ter­grund. Hier senke ich beschämt die Augen und denke unwillkür­lich: “Was habe ich denn jet­zt schon wieder ausgefressen?”

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  6. Andreas H.

    denn wenn „wir, das Volk“ die Kraft hät­ten, bräucht­en wir ja die CDU nicht”:

    Ich denke, die CDU sieht sich hier­bei in der Führnungsrolle, um die ‘unko­or­dinierte’ Kraft des Volkes in die richti­gen, d. h. von der CDU gewün­scht­en, Bah­nen zu lenken. Insofern ‘brauchen’ wir die CDU, damit wir endlich wis­sen, wohin mit all unser­er Kraft.

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  7. Dierk

    Bedenken wir, dass in D der Kan­zler gar nicht vom Wahlvolk gewählt wird, son­dern vom Par­la­ment. Als ich das Plakat ‘WIR wählen …’ das erste Mal gese­hen habe, dachte ich, die CDU out­et sich als inhalt­slos­er Kan­zler­wahlvere­in. Unter Ade­nauer hat der poli­tis­che Gegen­er das über die Christ­demokrat­en gesagt, die Schwarzen wehrten sich dage­gen. Zu Kohls Zeit­en waren es erst auch die poli­tis­chen Geg­n­er, die der CDU das Kan­zler­wählen als einzige Kom­pe­tenz zus­prachen; gewehrt hat sich die CDU da schon nicht mehr, son­dern es als Kom­pli­ment gesehen.

    Heute geht es nur noch darum, den Kan­zler zu stellen, und das wird auch noch als Tugend groß plakatiert.

    Ach ja, je häu­figer ich das Plakat sehe, desto mehr ver­fes­tigt sich meine erste Interpretation.

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  8. Frank Oswalt

    Ob die CDU-Plakate “gut gelun­gen” sind, ist Ansichtssache, es kommt darauf an, wie viele Grinse-Ange­las man ertra­gen kann. Die FDP- und Linke-Plakate sind vielle­icht wirk­lich unpro­fes­sionell gestal­tet, aber es ste­hen wenig­stens Inhalte drauf, genau wie bei den Grü­nen, die es geschafft haben, Inhalte und eine inter­es­sante Optik zu kombinieren.

    Die Analyse von dem WIR gefällt mir, sie zeigt, wie die exklusiven/inklusiven Inter­pre­ta­tion­s­möglichkeit­en aus­geschöpft wer­den, so dass am Ende der naive Betra­chter gar nicht merh weiß, ob zwis­chen Deutsch­land, der CDU und dem Volk über­haupt noch ein Unter­schied ist.

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  9. ramses101

    @Dierk: Das war auch mein erster Gedanke. “Wir wählen die Kan­z­lerin” kann auch auf den Plakat­en der FDP ste­hen. Oder auf denen der SPD. Je nach­dem, gewählt wird sie halt vom Par­la­ment. Nicht von wir. Äh, uns.

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  10. Patrick Schulz

    Die Analyse von dem WIR gefällt mir

    Hm, ich frage mich, wie es laut­en müsste, wenn man den Satz stan­dard­kon­form umbaut:

    Die Analyse des WIRs…

    Die Analyse des WIR… oder

    Die Analyse des UNSER…?

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  11. Frank Oswalt

    @ Patrick: Genau deshalb hat­te ich „von dem WIR“ geschrieben, ich wusste auch nicht, wie es „richtig“ heißen muss.

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  12. Stefan

    ein let­ztes mal: Die Rede von Merkel ist bei Minute 23. sor­ry für den kom­men­tarspam, kann gerne zusam­menge­fasst werden…

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  13. Benjamin Fredrich

    Das vor­let­zte Plakat hat eine erschreck­ende Wirkung. Frau Merkel sieht aus, als hätte sie schon länger dort im Schwarzen ste­hen müssen. Was soll das bedeuten, ste­ht Frau Merkel gerne in dun­klen Räu­men? Oder ist das die Tota­l­ab­sage an umweltscho­nende, grüne und soziale Politik?

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  14. Gareth

    Mir fällt auf diesem Plakat mit Merkel vor allem die Hal­tung ihrer Hände auf. Das wird auch fin­ger pyra­mid of evil con­tem­pla­tion genannt.

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  15. David Marjanović

    Mir fällt vor allem auf, dass “Wir haben die Kraft” und “Unser Land kann mehr” bei­de ganz ein­deutig von “Yes, we can” abgeschaut sind, wobei man aber offen­sichtlich nicht die, äh, Kraft hat­te, das zuzugeben, und sich auf pein­liche Ver­frem­dun­gen zurückzog…

    fin­ger pyra­mid of evil contemplation

    Mr. Burns! 🙂

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