Von der Natürlichkeit der Katastrophe

Von Susanne Flach

Derzeit bedro­ht Öl die amerikanis­che Gol­fre­gion. Dieses Bild ist in Wahrheit noch zynis­ch­er, als es klinkt. Wom­it wir beim The­ma wären. Ver­schiedene Medi­en, darunter Spiegel Online, Focus und die Zeit, sprechen von ein­er Naturkatastrophe*.

Moment. Der Tsuna­mi 2004 war eine Naturkatas­tro­phe. Sichuan und Haiti waren Naturkatas­tro­phen. Es wäre ver­mut­lich stre­it­bar, ob der Aus­bruch des Eyjaf­jal­la­jökull eine Naturkatas­tro­phe im eigentlichen Sinne war — er war es immer­hin für die Ange­höri­gen der audio­vi­suellen Medienlandschaft.

Und auch wenn die Men­schheit dem schwarzen Gold wie einem Gott huldigt, ist eine Ölpest nichts Natür­lich­es. Die Explo­sion auf der Deep­wa­ter Hori­zon und seine Fol­gen ergeben eine Umweltkatas­tro­phe, eine vom Men­schen verur­sachte, also nicht-natür­liche Katas­tro­phe. Wie jede Ölpest. Für die Finanzwelt aus­ge­drückt: wenn Oba­ma sagt, dass BP für die Katas­tro­phe bezahlen wird, dann gibt es einen Schuldigen. Bei Naturkatas­tro­phen gibt es den nicht.

Lin­guis­tisch sind bei­de Wörter soge­nan­nte Kom­posi­ta, in diesem Fall zusam­menge­set­zte Sub­stan­tive. Aber sie unter­schei­den sich in ihrer Kopf-Kern-Struktur:

  • Naturkatas­tro­phe = ’natür­liche Katas­tro­phe’ (siehe auch engl. nat­ur­al dis­as­ter -> Adjek­tiv (nat­ur­al) + Substantiv)
  • Umweltkatas­tro­phe = ‘Katas­tro­phe für die Umwelt’

In bei­den Fällen ergeben sich zwar Auswirkun­gen für Natur und Umwelt — in der Umweltkatas­tro­phe sind diese auch seman­tisch zugänglich­er. Im Fall der Naturkatas­tro­phe wer­den die ver­heeren­den Auswirkun­gen aber nicht vom Sub­stan­tiv ‘Natur’ getra­gen — dieses sagt lediglich aus, dass es sich um eine natür­lich Ursache han­delt, z.B. bei Erd­beben, Flutereignis­sen, Vulka­naus­brüchen. Die Ursache der Katas­tro­phe ist wieder­rum in Umweltkatas­tro­phe nicht sofort ersichtlich (wobei es sich grund­sät­zlich um vom Men­schen verur­sache Ereignisse han­delt). Es ist auch eine Frage der Kon­ven­tion: und die ist (noch), dass Umwelt- und Naturkatas­tro­phen zwei Paar Schuhe sind. So gese­hen dürften Jour­nal­is­ten das Isländis­che für die Kom­po­si­tion Eyjaf­jal­la­jökull ver­ant­wortlich machen (genau genom­men find­en sich in Eyjaf­jal­la­jökull auch Ele­mente von Deriva­tion und Flek­tion, aber belassen wir es mal dabei).

Aber men­schlich­es Gewinnstreben bleibt eine Umweltkatastrophe.

*Im Zuge von Recherchen scheint zumin­d­est SpOn den Lap­sus bemerkt zu haben und hat Naturkatas­tro­phe durch Umweltkatas­tro­phe erset­zt. Der Ver­dacht liegt übri­gens nahe, dass die fraglichen Medi­en eine Agen­turmel­dung über­nom­men haben. Wäre wohl ein Fall für die Jungs hier.

6 Gedanken zu „Von der Natürlichkeit der Katastrophe

  1. Chisa

    Ja, darüber habe ich heute auch schon nachgedacht. Und dachte mir so, dass die halt eine Katas­tro­phe für die Natur meinen. Auf Umweltkatas­tro­phe bin ich zu dem Zeit­punkt selb­st nicht gekom­men. *schäm*
    Ich besuche jet­zt ein Dok­torandin­nenkol­lo­qui­um und zwei mein­er Mit­stre­i­t­erin­nen bear­beit­en auch sprach­wis­senschaftliche The­men. Eine unter anderem wie das Inter­net die Sprach­land­schaft verän­dert (allerd­ings in der englis­chsprachi­gen Welt). Das ist für den deutschen Sprachraum auch sehr auf­fäl­lig. Beson­ders bei den dig­i­tal­en Infor­ma­tion­s­me­di­en fall­en gewisse Kon­trollen schein­bar weg. Außer­dem muss in noch weniger Zeit noch mehr Text raus­ge­hauen wer­den. Das endet dann in eini­gen Stil­blüten und unlauterem Sprachgebrauch…

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    1. suz Beitragsautor

      Generell spricht aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht nichts dage­gen, dass bei­de Begriffe irgend­wann syn­onym ver­wen­det wer­den kön­nten. Es spricht aber einiges dafür, dass sie es nicht wer­den: denn — sie sind schlicht nicht syn­onym. Totale Syn­onymität ist recht sel­ten (abhängig davon, wie eng man die Gren­zen fasst). Das erk­lärt auch viele englis­che Lehn­wörter (‘Anglizis­men’), denn in den wenig­sten Fällen ver­drän­gen sie die deutsche Entsprechung; in den meis­ten Fällen haben sie seman­tis­che, styl­is­tis­che oder schicht­spez­i­fis­che Unter­schiede. Ein Los­er ist eben nicht nur ein Ver­lier­er und ein Ver­lier­er ist nicht immer ein Loser.

      Das Inter­net ist in der Tat ein Motor im Sprach­wan­del­prozess. Schnel­ligkeit und Faul­heit viel­er Jour­nal­is­ten und Redak­teure trage mit Sicher­heit zu den Stil­blüten bei. Der Lin­guist in mir sagt Sprach­wan­del ist was natür­lich­es, aber jed­er noch so deskrip­tive Lin­guist bekommt ver­mut­lich einen Anfall bei solchen und anderen Stil­blüten. Nur weil wir nicht vorschreiben, wie gesprochen wer­den soll, heißt das ja nicht, dass wir unsere Sprache nicht lieben (ein beliebtes Argu­ment der Sprachkri­tik). Ander­er­seits sind wir natür­lich durch die Möglichkeit­en der elek­tro­n­is­chen Ver­füg­barkeit solch­er “Fehler” sehr sen­si­bil­isiert, d.h. sie fall­en uns viel mehr auf — das gilt auch für das weitver­bre­it­ete Gerücht, dass “neuerd­ings” und “durch das Inter­net” die Sprach­fähigkeit der Men­schen lei­det. Man ver­gisst oft, dass wir jet­zt viel mehr im Kon­takt mit anderen “Schicht­en” ste­hen, mit denen wir früher kaum kom­mu­niziert haben. Außer­dem sind auch nicht alle “Schrift­stücke” im Inter­net wirk­lich Schrift­sprache: beson­ders Foren­beiträge oder Blogkom­mentare weisen häu­fig Ele­mente der gesproch­enen Sprache auf.

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  2. Kristin

    Vielle­icht kommt die Ver­tauschung ja durch Kom­posi­ta, in denen die Begriffe syn­onym sind, so wie “Naturschutz” und “Umweltschutz”?

    Bei den Katas­tro­phen ist es echt witzig, dass ein­mal die Natur die Aus­löserin der Katas­tro­phe ist, das andere Mal aber die Umwelt die Lei­d­tra­gende. Hat sowas diathetisches.

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    1. suz Beitragsautor

      Aber sind Naturschutz und Umweltschutz wirk­lich syn­onym? Naturschutz ist für mich das, was Green­peace & Co machen — also beispiel­sweise mit Aktio­nen, die die Ein­griffe in die Natur verurteilen oder ver­hin­dern sollen, z.B. Bohrin­seln, Wal­fang oder Wind­parks (let­zteres verurteile ich per­sön­lich nicht, aber egal). Umweltschutz wird doch eher für jene Aktio­nen gebraucht, die die Auswirkun­gen men­schlichen Han­delns auf die Umwelt abmildern sollen, also z.B. Dosenpfand, Recy­cling­pa­pi­er oder wassers­parende Duschköpfe.

      Ich bin kein Hard­core­mor­phologe und mir fällt auch — in Erman­gelung wirk­lich­er Ger­man­is­tikken­nt­nisse — der Prozess nicht ein, was mit der Kopf-Kern-Struk­tur zu tun hat. Also weshalb Hun­dekuchen für Hunde ist, Sah­ne­torte aber aus Sahne beste­ht. Haben wir es bei Umwelt- und Naturkatas­tro­phe nicht auch mit einem solchem “Ursache-Wirkung-Prinzip” zu tun? Möglicher­weise sind bei bei­den Arten von Katas­tro­phen auch die Wirkun­gen auf Natur und Umwelt eben nicht das Gle­iche: Umweltkatas­tro­phen führen zu meist abrupten Schädi­gun­gen der Umwelt, während Naturkatas­tro­phen unmit­tel­bare, meist schw­er­wiegende Fol­gen für Leib und Leben haben, im Bezug auf die Natur und Umwelt aber, äh, natür­lich sind — Erd­beben gab’s ja auch schon vor Mil­lio­nen von Jahren. (Macht mich ein wenig irre, dass mir dafür nicht der “kor­rek­te” Begriff oder Prozess einfällt.)

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  3. Kristin

    *hehe* Was ein Glück, dass ich grade für meine Hard­core­mor­pholo­gieklausur lerne 😉
    Die seman­tis­chen Beziehun­gen zwis­chen Kom­po­si­tion­s­gliedern sind kaum vorher­sag­bar. Was Du meinst, sind vielle­icht die vielfacht pos­tulierten Grun­drela­tio­nen (die auch vielfach abgelehnt wer­den, z.B. von Eisen­berg)? Die erk­lären allerd­ings nix, die beschreiben nur die Beziehung.
    Hun­dekuchen wäre ZWECK (Das Zweit­glied wird hin­sichtlich seines Anwen­dungs­bere­ichs bes­timmt) und Sah­ne­torte KONSTITUTION (Das Zweit­glied hat das Erst­glied als kon­sti­tu­tiv­en Bestandteil).

    Mit Dein­er Beschrei­bung von Natur- und Umweltschutz hast Du schon irgend­wo recht, ja, es gibt einen Unter­schied, auch wenn ich ihn nicht ganz so klar fassen kann wie du es tust.

    *arg* Ich muss schnell weg … bis, äh, später! Oder näch­ste Woche!! 🙂

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    1. suz Beitragsautor

      Ich gebe zu, der Bedeu­tung­sun­ter­schied bei Umweltschutz/Naturschutz ist nicht so deut­lich wie bei Umweltkatastrophe/Naturkatastrophe — aber zumin­d­est bei Let­zerem ist er ver­mut­lich auch Kon­ven­tion. Bei ersterem erschließe ich mir den Unter­schied eher nach Gefühl. Zumin­d­est haben wir es aber bei -katas­tro­phe mit zwei unter­schiedlichen Katas­tro­phen zu tun, bei -schutz scheint’s ja nur ein Schutz zu sein: näm­lich der von Natur & Umwelt. 

      Hm, das Hun­dekuchen/Sah­ne­torte-Beispiel war vielle­icht nicht so glück­lich, aber danke für die Erk­lärung (die mir ja fehlte).

      Viel Glück für die Prü­fung, oder ver­mut­lich eher für die Lernphase.…

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