[AdJ 2011] Content farmen auf Contentfarmen

Von Susanne Flach

Die Nominierung von Con­tent­farm ging von Leserin Simone ein:

Ich möchte “Con­tent­farm” nominieren.

Nomin­ertes Wort: Con­tent­farm (auch Con­tent-Farm oder Con­tent Farm)
Beleg: z.B. http://www.zeit.de/digital/internet/2011–03/google-algorithmus
Begrün­dung: Das Wort ist mir in diesem Jahr ersten Mal aufge­fall­en Ich habe auch einige ältere Beispiele gefun­den, aber ich meine, häu­figer ist es erst durch die Berichte über den Verkauf von Huff­in­g­ton Post an AOL und durch Googles neuen Algo­rith­mus gewor­den. Es ist ein Wort, das den schwinden­den Stel­len­wert von Tex­ten und Kreativ­ität im Inter­net deut­lich macht.

Nun denn.

Das Wort

Con­tent­farm (auch in der Schrei­bung Con­tent Farm oder Con­tent-Farm, wie Simone bere­its ange­merkt hat), ist ein hunds­gewöhn­lich­es Kom­posi­tum mit metapho­rischem Gus­to — der Kopf, farm, beze­ich­net im pro­to­typ­is­chen Sinn einen land­wirtschaftlichen Pro­duk­tions­be­trieb, stre­it­bar­erweise ist damit meist ein­er außer­halb Deutsch­lands gemeint. (das leg­en die ersten 50 Tre­f­fer ein­er schnellen KWIC*-Suche im DWDS nahe). Der Mod­i­fika­tor Con­tent wird vom Duden so definiert: “qual­i­fiziert­er Inhalt, Infor­ma­tion­s­ge­halt beson­ders von Websites”.

Also davon abge­se­hen, dass mir nicht völ­lig klar ist, was der Duden mit “qual­i­fiziertem Inhalt” meint, beze­ich­net Con­tent also recht bre­it den Inhalt im dig­i­tal­en Raum mit einem Fokus auf Infor­ma­tion, also weniger soziale Kom­mu­nika­tion in Foren oder Net­zw­erken. Für einen so all­ge­mein genutzten Begriff wie Con­tent hat der Duden mit sechs Wörtern aber ganz gute Arbeit geleis­tet. Dort, wo solche Infor­ma­tion­sin­halte wie am Fließband pro­duziert wer­den, haben wir eine Con­tent­farm: eine Beze­ich­nung für Web­di­en­ste, die in beson­derem Maße Inhalt zur Ver­fü­gung stellen (also, hm, ‘anbauen’ im über­tra­ge­nen Sinne). Die Frage wäre jet­zt nur, welche Art Inhalt da pro­duziert wird: Denn nicht jede Seite, jede Zeitung oder jedes Infor­ma­tion­sportal ist eine Con­tent­farm.

Nun ist es richtig, dass Inhalts­bauern­hof irgend­wie schon reich­lich daneben liegen würde — weil Con­tent im deutschen Web-Jar­gon längst angekom­men ist (ste­ht ja schon im Duden). Als Con­tent­farm wer­den beson­ders die Ange­bote beze­ich­net, die zur Gener­ierung von Seit­e­naufrufen rel­a­tiv gehalt­lose Texte pro­duzieren, die beson­ders viele Schlag­wörter zu einem The­ma enthal­ten. Das ist grund­sät­zlich ein gängiges Vorge­hen, um die eige­nen kom­merziellen Webange­bote in Such­maschi­nen bess­er zu platzieren. Es soll Nutzer/-innen schneller zur gewün­schen Infor­ma­tion führen. Das nen­nt sich SEO (Search Engine Opti­miza­tion). Con­tent­far­men gehen aber einen Schritt weit­er und pro­duzieren in schnell­ster Abfolge und ohne wirk­lichen Gehalt bil­lige Texte, um Klicks zu gener­ieren, die wiederum auf passend einge­fügte Wer­bung führen soll. Alter­na­tiv gibt es auch den Aus­druck Con­tent­mill (Con­tentmüh­le), der die Meta­pher mit der schnellen Pro­duk­tion noch verstärkt.

So gese­hen hat Con­tent in Con­tent­farm sog­ar eine leicht euphemistis­che Note.

Mir ist bei der Recherche näm­lich schnell aufge­fall­en, dass Con­tent­farm — obwohl recht neu­tral definiert — offen­bar eine ordentlich neg­a­tive Kon­no­ta­tion aufweist:

eine kleine Richtig­stel­lung: content.de ist keine Con­tent­farm. Wir stellen wed­er eige­nen Con­tent ins Netz noch beauf­tra­gen wir sel­ber Con­tent um diesen dann Paketweise an “Con­tent­farmer” zu verkaufen. Der an andere Stelle auch schon gehörte Ver­gle­ich mit Demand Media & Co. passt dem­nach nicht, da unser Geschäftsmod­ell grundle­gend anders funk­tion­iert. [Link]

Als „Con­tent-Farm“ wird eine Seite beze­ich­net, die die Funk­tion hat, durch eine große Anzahl qual­i­ta­tiv min­der­w­er­tiger und inhaltlich anspruch­slos­er Texte möglichst viel Such­maschi­nen­traf­fic abzu­greifen. [Link]

Mehr Profikiller braucht das Land – Die schmud­delige Real­ität der Con­tent-Far­men. [Link]

Eine Kol­loka­tion­s­analyse würde ver­mut­lich sehr schnell ans Licht brin­gen, dass Con­tent­farm im Sprachge­brauch über­wiegend mit neg­a­tiv-kon­notierten Adjek­tiv­en und in wenig schme­ichel­haften Kon­tex­ten auf­taucht: schmud­delig, Trash, min­der­w­er­tig, anspruch­s­los, ober­fläch­lich, schlecht recher­chiert oder “wir wollen nicht mit dem Schwarzen Schaf (Branchen­primus) ver­glichen wer­den, wir sind anders” (s.o.). Eine solche Analyse ist natür­lich nur ober­fläch­lich recherchiert.

Wer Zweifel daran hat, dass es sich tat­säch­lich um wenig gehaltvolle Texte han­delt, darf sich hier dern das WTF des Tages abholen: wie man ein Geschenk ein­packt, Sprüche zum XX. Geburt­stag, ‘Ideen für die Geburt­stagspar­ty ein­er 13jährigen im Jan­u­ar’ oder Wie schreibt man einen roman­tis­chen Liebes­brief?. Aus der taz ist über­liefert, dass ein Anbi­eter auch das große und lange sehr gut gehütete Geheim­nis ver­rät, wie man sein Alter aus­rech­nen kann, wenn man sein Geburt­s­jahr und einen Taschen­rech­n­er parat hat.

Wir sehen, worauf es hin­aus­läuft: In den Tex­ten sind die Schlag­wörter in so schmerzhaft großer Dosierung und unge­lenken Kom­bi­na­tio­nen unterge­bracht, dass einem fast schlecht wird und man nicht glauben möchte, dass das jemand liest oder lesen muss. Man kön­nte natür­lich tol­er­ant anmerken, dass es sich in hier um Tipps und eine Art Lebens­ber­atung (Jaha!) han­delt und es dur­chaus Men­schen geben kön­nte, die damit was anfan­gen kön­nen. Aber ich glaube, die Dinger richt­en mehr Schaden an, fürchte ich (wenn es um rechtlich rel­e­vante The­men geht). Just my two cents, sub­jek­tiv gesprochen.

Simone hat in ihrer Nominierungs­be­grün­dung den Nagel schon ganz gut getrof­fen, vielle­icht nicht voll. Von Con­tent­far­men zu sprechen stellt eigentlich nicht den Stel­len­wert von Tex­ten und Kreativ­ität im Netz per se in Frage — die Kol­loka­tio­nen und Diskus­sio­nen bele­gen, dass da sehr strikt dif­feren­ziert wird. Mit Con­tent­farm wer­den ja erst genau die speziellen Trash­texte beze­ich­net, die es vorher in der Masse und Gehalt­losigkeit sel­tener gab (zumin­d­est nicht mit einem ein­deutig kom­merziellen Inter­esse) — so ist es im Grunde keine beson­ders nenneswerte Beze­ich­nung für etwas, was wir vorher umständlich umschreiben mussten (ein Teilkri­teri­um für die Wahl). Dies kön­nte sich in Zukun­ft natür­lich ändern, wobei ich an dieser Prog­nose kri­tisieren würde, dass der Kom­posi­tumkopf Farm hier die Gen­er­al­isierung und Über­tra­gung auf generelle Trash­in­halte block­ieren kön­nte. Diese Block­ade kön­nte von Con­tent­mill eher geris­sen wer­den. Was Con­tent­farm aber zweifel­s­los mib­ringt ist eine euphemistis­che Bedeu­tungsver­schiebung von Con­tent. Wom­it ich natür­lich alle Nicht-Con­tent­farm-Inhalte automa­tisch für beson­ders gehaltvoll hal­ten würde. Sei’s drum.

Die Aktualität

Keine Frage, es liegt wohl an der Anküngi­gung von Google aus dem Jan­u­ar 2011, Con­tent­far­men ent­ge­gen zu wirken (Google selb­st beze­ich­net es als Such­maschi­nenspam). So find­et man im Jan­u­ar, Feb­ru­ar und nochmal im August vere­inzelt Medi­en­berichte darüber (die taz nen­nt Con­tent­far­men in ihrem Artikel übri­gens Inhal­te­farm). Die Aktu­al­ität liegt natür­lich auch in der Zunahme von Con­tent im Inter­net und der gestiege­nen Bedeu­tung von Such­maschi­nen­rank­ings. So als Über­legung. Mehr dazu auch in der Diskus­sion um…

Die Verbreitung

Deut­lich zu wenig für einen ern­sthaften Anwärter auf den Anglizis­mus des Jahres. Im DeReKo find­et sich das Wort gar nicht, egal in welch­er Schreib­weise (Con­tent allein: über 1000 Tre­f­fer). Bei GoogleIn­sights ist auch nur ein ungewöhn­lich­er Auss­chlag im Feb­ru­ar 2011 zu verze­ich­nen (zwei Tre­f­fer), anson­sten bleibt die Liste leer, da zu wenige Anfra­gen verze­ich­net wer­den. Bei Google­News wird man 2011 mit 2 Tre­f­fern für con­tent­farm und mit ins­ge­samt 5 für con­tent farm/con­tent-farm fündig. Das ist gegenüber 2012 ein Anstieg von 2 bzw. 4 Tre­f­fern. Irgend­wie steil nach oben, aber irgend­wie auch, äh, von gaa­haaanz unten. Ergo: das reicht derzeit lei­der nur für eine Dis­qual­i­fika­tion, zumin­d­est für die Wahl 2011.

[Achtung! Im Laufe der let­zten Tage hat sich offen­bar irgend­was in der Such­maschi­nen­welt ver­schoben — die Google­News-Suche, die ich im let­zten Absatz disku­tiere, ist nicht mehr repro­duzi­er- bzw. rekon­stru­ier­bar. Das ändert aber doch recht wenig an meinem Ein­druck, dass es sich um eine sehr geringe Ver­bre­itung im all­ge­meinen Sprachge­brauch handelt.]

Der Voll­ständigkeit hal­ber: Sucht man nach con­tent­farm im nor­malen Google, wer­den über Zehn­tausend Tre­f­fer angezeigt — und die ersten ver­weisen direkt, ähm, auf Con­tent­far­men. In Extrem­fällen führen sie auf Con­tent­far­men mit Medi­en­bericht­en über Con­ten­far­men. Das ist mir echt zu zirkulär jetzt.

Fazit

Der Ansatz der Nominierung ist nachvol­lziehbar — und die seman­tis­che Analyse hat gezeigt, dass es dur­chaus um eine sin­nvolle Beze­ich­nung für Trash­texte han­deln kön­nte, bis hin zum Euphemis­mussta­tus und ein­er Kor­rumpierung des neu­traleren Begriffs Con­tent. Es deckt aber anderen Trash auf nor­malen Seit­en nicht ab. Ich bin deshalb — alles in allem — der Mei­n­ung, dass Con­tent­farm nicht zum Anglizis­mus des Jahres taugt. Die guten Argu­mente fall­en unter Netz- bzw. Gesellschaft­skri­tik und wären vielle­icht was für die Leute von neusprech.org. Zudem konzen­tri­ert sich die Diskus­sion um Con­tent­far­men auf zwei, drei große Anbi­eter und ist mir nicht all­ge­mein genug, um sich schlussendlich zu qual­i­fizieren. Zuguter­let­zt finde ich entschei­dend, dass es im all­ge­meinen Sprachge­brauch (noch) zu wenig ver­bre­it­et ist.

Dis­claimer: Ich habe als Freiberu­flerin selb­st SEO-Texte ver­fasst. 40.000 Wörter über ein Pro­dukt eines echt­en Pro­duk­tan­bi­eters, der nur dieses eine Pro­dukt anbi­etet. N Spaß ist das nie. Die Arbeit an diesen Tex­ten führt eben­so zielführend zu Gehirn­matsch, wie das Lesen der­sel­ben. Pro­jek­t­man­agerin: “Ich hoffe, du wohnst im Erdgeschoss.” Ich war [naja!] und brauchte das Geld.

*KWIC=Key­word in Con­text. Ein Begriff aus der Kor­puslin­guis­tik. Der Tre­f­fer wird in sein­er kon­textuellen Umge­bung aus­ge­wor­fen. Auf jeden Fall im ganzen Satz, oft aber auch mit mehreren Sätzen davor und danach.

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