Von Lauten und Buchstaben

Von Kristin Kopf

Bei mir hat ein­mal ein/e Student/in Buch­stabe statt Phonem gesagt. Einmal.

Hm, ja. Bei mir im Sem­i­nar ist das erst let­zte Woche wieder passiert, und ich war ein wenig hil­f­los – im sech­sten Semes­ter und nach zahlre­ichen Pflichtver­anstal­tun­gen in der Lin­guis­tik müsste man es eigentlich bess­er wissen.

Aber worum geht es?

Wir sind enorm schrift­fix­iert, was bei sprach­wis­senschaftlichen Laien oft dazu führt, dass sie nicht unter­schei­den, was Schrei­bung ist und was nicht.

So habe ich zum Beispiel schon von Studieren­den gehört, dass man früher <Tax­en> geschrieben habe, jet­zt aber zunehmend <Taxis> schreibe. Das hat aber mit der Schrei­bung nichts zu tun – sie bildet nur einen Wan­del ab, der sich auf ein­er anderen Ebene vol­l­zo­gen hat: Aus ein­er Art der Plu­ral­bil­dung (auf -en am Wort­stamm) wurde eine andere (auf -s an der Grund­form). Auch ganz leicht zu merken daran, dass dieser Unter­schied auch beste­hen bleibt, wenn man sich nicht die Schrei­bung anschaut, son­dern das Wort gesprochen hört.

Dage­gen ist so etwas wie <Delfin> statt <Del­phin> ein reines Schreibphänomen, an der Gram­matik ändert sich da nichts. Den­noch waren in den heißen Zeit­en der Rechtschreibre­form viele der Mei­n­ung, die Sprache an für sich werde verän­dert, also das Missver­ständ­nis-Gegen­stück zu eben.

Die im Bild ange­sproch­ene Ver­wech­slung ist nach meinem sub­jek­tiv­en Ein­druck noch häu­figer: Hier wer­den Buch­staben und Laute gle­ichge­set­zt. Dass das so nicht funk­tion­ieren kann, merkt man spätestens, wenn man sich einzelne Beispiele anschaut:

Zunächst ein­mal spricht man in der Lin­guis­tik gar nicht von Buch­staben, son­dern von Graphe­men. Dafür gibt es einen exzel­len­ten Grund: Oft bilden nicht einzelne Buch­staben einen Laut ab, son­dern Kom­bi­na­tio­nen aus ihnen. So ste­ht <sch> für /ʃ/, <ck> für /k/, <ph> für /f/ etc. Dabei wären <s>, <c>, <h>, <k>, <p> die Buch­staben, aber <sch>, <ck> und <ph> die Grapheme. Wenn man über Schön­schreibübun­gen spricht, sind erstere sin­nvoll, aber wenn man über den Zusam­men­hang von Schrift und Lau­tung sprechen will, braucht man letztere.

Jet­zt habe ich eben gesagt, dass Grapheme Laute (bess­er: Phoneme) abbilden. Das nen­nt man, je nach Rich­tung, Graphem-Phonem-Kor­re­spon­denz oder umgekehrt. Diese Kor­re­spon­denz ist im Deutschen allerd­ings oft nicht beson­ders gradlin­ig. So gibt es häu­fig mehrere Grapheme, die einem Phonem entsprechen: /s/ kann man schreiben als: <lassen>, <Spaß>, <Last>. Umgekehrt kann das Graphem <s> für das stimm­lose /s/ (Last), für das stimmhafte /z/ (reisen) und sog­ar für /ʃ/ (Straße) ste­hen. Es gibt also in keine Rich­tung eine 1:1‑Entsprechung zwis­chen Graphe­men und Phonemen.

Meine Studieren­den hat­ten sich nun ein paar Seit­en aus dem Mainz­erischen Aster­ix angeschaut und dabei Beispiele wie die fol­gen­den entdeckt:

Isch saach ’s zum let­zte Mol: Halt doi Maul!

Alles fer­tischmache … zum Empfang!

Beschrieben wurde das mit »Im Mainz­er Dialekt wurde <ch> zu <sch>«. Das ist schlicht falsch: Hier wurde ein Laut zu einem anderen, die Schrei­bung reflek­tiert das nur. Man hat nicht aus orthographis­chen Grün­den ange­fan­gen, <ch> als <sch> zu schreiben, son­dern deshalb, weil sich das Phonem geän­dert hat, das man auf­schreiben wollte.

Hinzu kommt, dass nicht alle hochdeutschen <ch>-Schreibungen dialek­tal mit <sch> widergegeben wer­den: Während das für <isch> und <ich> klappt, haut es schon bei <mache> nicht mehr hin, es heißt nicht <masche>. Der Grund liegt darin, dass <ch> einem Phonem entspricht, das zwei bis drei unter­schiedliche laut­liche Real­isierungsvari­anten (“Allo­phone”) hat (– habe ich vor ein­er Ewigkeit mal ganz gründlich erk­lärt, hier):

  • nach einem Vokal, der vorne im Mund gebildet wird (e, i, ö, ü) oder nach einem Kon­so­nan­ten spricht man [ç] (mich, Milch, hecheln, …)
  • nach einem hin­teren Vokal (a, o, u) spricht man [x] (Bach, doch, Buch)

In unserem Fall wer­den nur die [ç]-Realisierungen zu /ʃ/, die [x]-Realisierungen wer­den beibehal­ten. Außer­dem taucht oben noch ein zweites <sch> auf, in <fer­tisch>. Da wäre die Stan­dard­schrei­bung <fer­tig> mit <g>, hier entspricht dem [ç]-Laut also kein <ch>. Solche Dinge kann man, wenn man auf das Schrift­bild zurück­greift, ein­fach nicht adäquat beschreiben.

15 Gedanken zu „Von Lauten und Buchstaben

  1. reinholdotto

    Nach mein­er Erin­nerung war ein Vor­wurf der Rechtschreibre­for­mgeg­n­er, die Reform ändere nicht nur die Rechtschrei­bung, son­dern darüber hin­aus auch die Sprache (zum Beispiel, in dem man durch Auseinan­der­schreiben bish­er zusam­mengeschrieben­er Wörter Wor­tarten­zuord­nung und sog­ar die Beto­nung ändert). Wer diesen Vor­wurf ver­tritt, verken­nt nicht den Unter­schied zwis­chen Sprache und Schrift, er klagt ihn ein.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Zugegeben, die Getren­nt- und Zusam­men­schrei­bung ist noch ein­mal ein ganz ander­er Punkt. Im Zweifels­fall­bere­ich gibt es wider­stre­i­t­ende Kri­te­rien (“Wort­bil­dung­sprinzip” vs. “Rela­tion­sprinzip” bei Fuhrhop z.B.), die eine zufrieden­stel­lende Lösung ein­fach nicht zulassen. Diese Prob­leme treten genau in den Fällen auf, in denen man sich auch sprach­wis­senschaftlich nicht sich­er ist, ob die Ein­heit­en Wort­sta­tus haben oder nicht.
      Für Laien, die sich seit dem Schreiben­ler­nen nie mehr damit beschäftigt haben, was ein Wort ist (außer: “das, was zwis­chen Leerze­ichen ste­ht”), kommt diese Frage dann natür­lich auf, wenn die Schrei­bung, und damit schein­bar auch der Wort­sta­tus ein­er Ein­heit, geän­dert wird, was zu großer Verun­sicherung führen kann.

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  2. Lietuvis

    Gestern hat­te ich im meinem Pol­nis­chlehrbuch gele­sen: “Der Stam­maus­laut ist der Buch­stabe vor der Flex­ion­sendung” und “Endun­gen sind die Buch­staben, die bei der Flex­ion an den Stamm gehängt werden”.
    Hat­te schon über­legt, an den Ver­lag zu schreiben, aber dann bekommt man als Antwort wahrschein­lich nur wieder: “unsere Pro­duk­te richt­en sich vornehm­lich an Laien, deshalb richt­en wir uns nach dem alltäglichen Sprachgebrauch.”
    Beson­ders im Pol­nis­chen mit seinen ganzen Digraphen ist die Def­i­n­i­tion als “der Buch­stabe” ja beson­ders schräg.

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  3. reinholdotto

    Net­ter Kom­men­tar vom Gram­ma­tolo­gen Peter T. Daniels (“The World’s Writ­ing Sys­tems”): “I am more con­cerned about peo­ple who say “grapheme” instead of “let­ter”.

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  5. gschleiderkneis

    Kür­zlich fragte mich mein Sohn (5. Klasse), ob das Y ein Vokal oder ein Kon­so­nant sei. Meine Antwort: Das Y ist ein Buch­stabe. Buch­staben sind wed­er Vokale noch Kon­so­nan­ten. Aber der Lautwert des Y ist meis­tens entwed­er ü oder i. Und das sind Vokale.

    Damit hat er dann einen dick­en Minus­punkt gesam­melt, als er der Lehrerin erk­lärte, das Y sei ein Vokal und diese ex cathe­dra verkün­dete, es han­dele sich im Gegen­teil um einen Konsonanten.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Skur­rile Geschichte, aber lei­der sehr plau­si­bel. Y taucht ja generell nur in Fremd­wörtern auf, und da ver­hält es sich dann meist wie im Sys­tem der Geber­sprache — bei Yoga ein Kon­so­nant, bei hybrid ein Vokal etc.
      Würde mich mal inter­essieren, ob die Lehrerin sich das selb­st zurecht­gelegt hat, oder ob das wirk­lich irgend­wo so behauptet wird.

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      1. reinholdotto

        Auf welchem Wege ist denn “Yoga” ins Deutsche gelangt? Ver­mut­lich über das Englis­che; denn das “Sys­tem der Geber­sprache” San­skrit bein­hal­tet ja keine lateinis­chen Buch­staben wie das Y.

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      2. gschleiderkneis

        Schade, habe Ihre Antwort erst jet­zt gelesen.
        Wür­den Sie sagen, dass die Erk­lärung, die ich meinem Sohn gegeben habe, stimmt? Ich kann keinen Fehler darin finden.

        Zur Frage, ob die Lehrerin sich das zurecht­gelegt hat: Ich erin­nere mich noch an meine Grund­schulzeit. Da hieß es auch, a, e, i, o, u seien Vokale, alles andere Kon­so­nan­ten. Die Umlaute wur­den nicht thematisiert. 

        Ein Bekan­nter, der auch Grund­schullehrer ist, hat, als ich ihn darauf ansprache, auch ex cathe­dra verkün­det, Y sei nun­mal ein Kon­so­nant und fer­tig. Auf eine Diskus­sion über Laute und Buch­staben ließ er sich nicht ein.

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        1. Kristin Beitragsautor

          Ja, die Erk­lärung ist abso­lut kor­rekt und wird z.B. auch hier ähn­lich gegeben. Ich habe mal ein wenig gegooglet, aber keine Hin­weise darauf gefun­den, dass in Mate­ri­alien für Grund­schullehrerIn­nen etwas anderes behauptet wird. Rätselhaft.

  6. Oliver Scholz

    under the spell of spelling” — davon scheinen aber selb­st Phonetik­er (!) nicht ganz frei zu sein. Mir fällt ger­ade auf, dass bei Auflis­tun­gen des deutschen Vokalin­ven­tars sel­ten [ɐ] dabei ist, etwa bei Tabellen für die Fre­quen­zen von F1 und F2. Dabei ist im Deutschen nun wahrhaftig ein eher wichtiger Vokal.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Hmja, da stellt sich halt, ähn­lich wie bei Schwa und Glot­tisver­schlus­slaut, die Frage, ob es sich wirk­lich um ein Phonem des Deutschen han­delt, oder nicht vielmehr um ein Allophon. Vgl. z.B. hier, detail­liert­er bei T. Alan Hall Phonolo­gie, S. 71.

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      1. Oliver Scholz

        Natür­lich sind die Phone [ɐ], [ʁ] und [χ] Allo­phone des Phonems /r/. Wie die Phonolo­gen Vokale klas­si­fizieren, weiß ich nicht; ich lese mich ger­ade erst allmäh­lich in Phonolo­gie ein und ver­steh’ offenge­s­tanden noch nicht recht, was die Phonolo­gen umtreibt. Aber *phonetisch* ist [ɐ] auf­grund sein­er akustis­chen und artiku­la­torischen Eigen­schaften als Vokal klas­si­fiziert; und in einem phonetis­chen Kon­text, wenn es darum geht die akustis­chen Eigen­schaften von Laut­en aufzulis­ten, damit sie im Spek­tro­gramm bes­timmt wer­den kön­nen, dann müsste [ɐ] bei den Vokalen dabei sein.

        (Aber danke für den Link!)

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  7. Martin Beesk

    [Lei­der gibts Prob­leme mit den spitzen Klam­mern für Grapheme, deshalb noch ein­mal neu gepostet:]
    Ich finde es super, dass hier ein­mal dieses The­ma aufge­grif­f­en wird. Ger­ade wenn man sich didak­tis­ches Mate­r­i­al anschaut, stößt man immer wieder auf diese Problematik!
    Lei­der passiert aber die Ver­men­gung von Laut– und Buch­stabenebene nicht nur lin­guis­tis­chen Laien und Sprach­di­dak­tik­er’in­nen, son­dern auch immer wieder uns Lin­guistin­nen und Lin­guis­ten. Gerne wird schnell mal für die Nen­nung eines Lautes (Phonems) ein Buch­stabe (ein Graphem) angegeben. (Dabei bleibt lei­der auch immer unklar, warum ger­ade dieses Graphem dann anstelle eines Phonems benutzt wird — die Graphem-Phonem-Beziehun­gen sind ja ein dur­chaus umstrittenes The­ma in der Linguistik/Graphematik!) So passiert das auch lei­der immer wieder in diesem Blog und auch oben in diesem Text selb­st: Zitat: “nach einem hin­teren Vokal (a, o, u) spricht man [x] (…)” — Und man sieht auch gle­ich, dass das dann zu Fehler­haftem führt: Ein Wort wie “euch” zeigt, dass diese Regel eben nicht nach dem VokalBUCH­STABEN “u” gilt, son­dern nach dun­klen (sil­bis­chen oder nicht-sil­bis­chen) VOKALEN.

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