Steile Kurven

Von Susanne Flach

Bei Streifzü­gen durch die MOOC-Welt, Sta­tis­tik­tu­to­ri­als auf YouTube oder kleinen Pro­gram­mierselb­sthil­fe­foren stoße ich in let­zter Zeit wieder­holt auf eine Wortwen­dung, die mich aber schon immer ver­wirrt hat: die steile Lernkurve oder vielmehr — da die meis­ten Onlin­eange­bote auf Englisch vorhan­den sind — die der steep learn­ing curve.

Denn ganz offen­sichtlich war­nen alle Dozieren­den davor, Kurse und Pro­gramme zu unter­schätzen: „It will be hard work, as R ini­tial­ly has a steep learn­ing curve“ (‚Es ist harte Arbeit, weil R am Anfang eine steile Lernkurve hat‘). Zu den emo­tionalen Hür­den beim Erler­nen ein­er Pro­gram­mier­sprache mach(t)e ich mir ja keine Illu­sio­nen. Was mich aber immer ver­wirrt hat, war der unklare Bezug des Adjek­tivs steil. Denn die vie­len, vie­len Ver­wen­dung von steep learn­ing curve sug­gerieren sofort, dass der Zeitaufwand (t) hoch, der Wis­sens­gewinn (w) aber anfangs frus­tri­erend ger­ing ist. Würde man das auf­malen wollen, wäre die War­nung in diesem Dia­gramm durch die grüne Lin­ie repräsentiert:

Abbil­dung 1: Steile (grün) und noch steilere (rot) Lernkur­ven
(eigene Zeich­nung).

Aber was soll an der grü­nen Lin­ie beson­ders steil sein, so zum Anfang? Zum Zeit­punkt (t) habe ich mir nur Wis­sen (w1) angeeignet. Steil ist dabei doch höch­stens die rote Lin­ie, die aber genau das Gegen­teil zeigt, näm­lich, dass man sich in kürz­er­er Zeit (t) rel­a­tiv viel Wis­sen (w2) aneignen kann. Wollen die mir mit dun­kler Wel­tun­ter­gangsstimme sagen, dass man mit wenig Zeit viel erre­icht? Dass man also vor ein­er Lernkurve warnt, weil sie schnellen Lern­er­folg verspricht?

Da stimmt doch was nicht.

Die erste logis­che Anlauf­stelle Wikipedia weiß Bescheid: dort spricht man von ein­er „akademis­chen“ Ver­wen­dung der Redewen­dung (Stoff­menge in Abhängigkeit von Zeit, rote Lin­ie) und einem umgangssprach­lichen Ver­ständ­nis, das der „akademisch als kor­rekt zu betra­ch­t­en­den Def­i­n­i­tion“ „diame­tral“ gegenüber ste­ht. Let­zteres entspricht zwar nicht ganz mein­er grünkurvig dargestell­ten Ver­wirrung, diese ist aber immer­hin diame­tral. ((Auf Wikipedia kor­re­liert man das Laien­ver­ständ­nis mit der soge­nan­nten Blender-Kurve, welche mit anderen Vari­ablen hantiert, die aber, drehte man die Achsen sin­nvoll um, in groben Kur­ven der grü­nen Lin­ie in Abbil­dung 1 entspräche.)) Ist das wirk­lich nur ein weit­eres Beispiel dafür, dass Fach- und all­ge­mein­er Sprachge­brauch nicht übere­in­stim­men, wenn auch ein beson­ders extremes?

Nein. Das Durch­forsten von Kor­po­ra und der Ver­such, learn­ing curve ein quan­ti­ta­tives Muster abzurin­gen, bringen’s ans Licht: hier wer­den Äpfel und Bir­nen als Orangen bezeichnet.

Zunächst: Die akademis­che Inter­pre­ta­tion ist zweifel­los die math­e­ma­tis­che Funk­tion w(t). Dass man von ein­er steilen Lernkurve spricht, liegt daran, dass wir das Mehr an Quan­tität (hier: Lern­er­folg) über die Zeit mit ein­er nach oben gerichteten Lin­ie mit großer ‚Stei­gung‘ illus­tri­eren. Man ken­nt diese Darstel­lung beispiel­sweise von Börsenkursen: Kurs­gewinne zeigen nach oben, Ver­luste nach unten. Solche Dia­gramm­for­men sind dabei let­z­tendlich reine Kon­ven­tion, weil man ja lediglich die math­e­ma­tis­che Abhängigkeit ein­er Vari­ablen von ein­er anderen abbildet — man kön­nte das Dia­gramm um 180° oder auch nur um 90° drehen, ohne Infor­ma­tion­s­ge­halt einzubüßen. Aber dass diese anschauliche Darstel­lung die intu­iti­vere Kon­ven­tion ist, liegt daran, dass unsere Wahrnehmung all­ge­mein von der konzeptuellen Meta­pher MEHR IST OBEN (MORE IS UP) geprägt ist, die auf Erfahrung mit unser­er Umwelt basiert: je höher der Stapel Klausuren auf meinem Schreibtisch, desto mehr habe ich zu tun. Deshalb nehmen wir diese Kur­ven als steil wahr, obwohl steil ja nur ihre Darstel­lung ist.

Der umgangssprach­lichen Ver­wen­dung für steile Lernkurve liegt eine ganz ähn­liche Moti­va­tion zugrunde, die gegenüber der hil­f­sweisen Darstel­lung der math­e­ma­tis­chen Funk­tion aber grundle­gend metapho­risch ist. Was meinen wir damit? Schauen wir zur Erk­lärung mal ein paar Beispiele aus dem Cor­pus of Con­tem­po­rary Amer­i­can Eng­lish (COCA) an:

Over­all, you’ll face a fair­ly steep learn­ing curve to mas­ter OpenOffice’s eccen­tric­i­ties, but you can’t beat the price.

[Ins­ge­samt haben Sie eine recht steile Lernkurve vor sich, um die Ver­schroben­heit­en von OpenOf­fice zu meis­tern, aber der Preis ist unschlagbar.]

Any­body who rides a moun­tain bike wants to do what we do, but there’s a real­ly steep learn­ing curve so they usu­al­ly end up just watch­ing,“ he says.

[„Jede/r, der/die ein Moun­tain­bike fährt, möchte machen, was wir machen, aber das hat eine wirk­lich steile Lernkurve, weshalb sie meis­tens nur zusehen.“]

sec­ond Life pro­vides an addi­tion­al way for stu­dents to explore class mate­r­i­al, but it doesn’t appeal to every­one.“ A steep learn­ing curve can also dis­cour­age stu­dents who are not high­ly moti­vat­ed to use SL, he says.

[„sec­ond Life stellt zusät­zliche Möglichkeit­en für Studierende bere­it, um das Kurs­ma­te­r­i­al zu erkun­den, aber das ist nicht für jede/n attrak­tiv.“ Eine steile Lernkurve kann Studierende zusät­zlich ent­muti­gen, die wenig motiviert sind, SL zu nutzen, sagt er.]

Nahezu alle Belege für learn­ing curve hauen in die gle­iche Kerbe:  Ler­nen ist müh­sam, aufwändig, anstren­gend, mitunter ent­muti­gend. Es über­rascht nicht, dass das Nomen learn­ing curve nur ein einziges sig­nifikantes Adjek­tivkol­lokat hat: steep. ((Für diese Erken­nt­nis haben Dat­en aus der Kol­loka­tions­daten­bank des British Nation­al Cor­pus (via BNCweb) herge­hal­ten. Span­nweit­en von 1;0 bis 5;5. Der Serv­er für COCA ist ger­ade unten, aber am Woch­enende hab ich mir von dort noch schwache Assozi­a­tio­nen zu effi­cient, upward, shal­low und sharp notiert.)) Umgekehrt mod­i­fiziert steep — das wird nie­man­den vom Hock­er hauen — über­wiegend  Nom­i­na der Erhöhung oder des Auf­stiegs wie hillclimbridgery, rise oder ascent. ((In der Kol­loka­tion­sliste ste­hen auch Begriffe der absteigen­den Rich­tung wie cliff, slope, decline oder descent.)) Wir assozi­ieren Ler­nen also mit einem Weg (nach oben) zur Erken­nt­nis. Eine andere Per­spek­tive auf die Beschw­er­lichkeit­skon­no­ta­tion für steep learn­ing curve ist, dass es häu­fig in Struk­turen auf­taucht, die mit dem Verb to face ‚gegenüber­ste­hen‘ ein­geleit­et wer­den. In solchen face-Kon­struk­tio­nen ste­hen in der Objek­t­po­si­tion wiederum sig­nifikant häu­fig chal­lenges, risks, prob­lems, obsta­cles, hard­ships, dilem­mas und prob­lems, also eher weniger spaßige Dinge.

Die neg­a­tive Per­spek­tive aufs Ler­nen ist auch in der Wikipedia-Def­i­n­i­tion erwäh­nt. Dort hat man ver­sucht, die math­e­ma­tis­che Def­i­n­i­tion als pos­i­tive, die Laien­ver­wen­dung als neg­a­tive Ein­stel­lung zu deuten. Das ist nicht ganz falsch (abge­se­hen davon, dass eine math­e­ma­tisch-quan­ti­ta­tive rel­a­tiv wenig mit ‚pos­i­tiv‘ oder ‚Ein­stel­lung‘ zu tun hat), aber eben eine ungün­stige Ver­mis­chung von Ebe­nen. Aber jet­zt — um auf die Äpfel und Orangen zurück zu kom­men — kön­nen wir die Laien­ver­wen­dung auf konzeptuellen Meta­phern zurück­führen, also auf die grundle­gende kog­ni­tiv­en Strate­gie, abstrak­te Dinge durch greif­bare, konkrete Din­gen zu konzep­tu­al­isieren. Eine bekan­nte und hier nahe­liegende, über­ge­ord­nete Meta­pher wäre DAS LEBEN IST EINE REISE (LIFE IS A JOURNEY). Und auf dieser Rei­he geht es auf dem WEG zur Erken­nt­nis eben auch mal müh­sam nach oben. Wen diese Idee inter­essiert, find­et in Lakoff & John­son (1980a, 1980b) eine äußert dankbare Lek­türe. Wer mehr so auf bunte Bild­chen steht:

Abbil­dung 2: Steile und flache Lernkur­ven
(eigene Zeich­nung, CC BY-NC-SA 3.0 DE)

Bei der steilen Lernkurve ste­ht nicht der Lern­er­folg an sich im Vorder­grund (oder dessen Quan­tifizierung), son­dern die Anstren­gung a: wenn ich auf dem grü­nen Pfad mit der flacheren Lernkurve unter­wegs bin, hab ich zum Zeit­punkt t (oder wahlweise zum Wis­sen­stand w) mit a1 weniger Anstren­gung hin­ter mir, als wenn ich die rote Route (steile Lernkurve) nehmen muss. Konkrete, physis­che Empfind­un­gen während ein­er anstren­gen­den Bergbestei­gung oder eines flauschi­gen Hügelspazier­gangs dienen uns dabei als Quelle zur Ver­bal­isierung abstrak­ter Emo­tio­nen während ein­er Lern­er­fahrung. Die Y‑Achse ist zur Verdeut­lichung einge­zo­gen: bei der WEG/REISE-Meta­pher spielt die Quan­tifizierung — und stre­it­bar­erweise sog­ar der Betrag des Wis­sen­stands — nur eine unter­ge­ord­nete Rolle. Was bei Lernkur­ven inter­essiert ist der Grin­seg­rad auf dem Weg zur Erken­nt­nis zum Zeit­punkt t.

Denn wenn ich heute sage, dass R für eine funk­tionale Tech­nikanal­pha­betin ne steile Lernkurve hat, sage ich doch über­haupt nichts darüber aus, ob die R‑o­nautin­nen-Aus­bil­dung quan­ti­ta­tiv bei mir gefruchtet hat oder nicht.

P.S.: Fürs Deutsche ist die Meta­phern­strate­gie der steilen Lernkurve ähn­lich, wenn auch quan­ti­ta­tiv offen­bar nicht so stark mess­bar. Als einzige sin­nvolle Kol­lokate spuckt COSMASII aus dem Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (DeReKo) steil, flach und — öbach­tle! — PHP aus. Auch im DWDS sind sig­nifikante Verbindun­gen für Lernkurve mit lediglich schwachen Assozi­a­tio­nen zu steil eher mager (aber DWDS & DeReKo mit BNC & COCA ver­gle­ichen zu wollen, ist für diese Unter­suchung ohne­hin prob­lema­tisch). Das Wortschatz­por­tal der Uni­ver­sität Leipzig liefert als auf­fäl­lige Verbindung rechts von Lernkurve außer­dem vor sich, was auf die WEG-Meta­pher hin­weist (sie haben einen weit­en Weg vor sich). Der Ein­druck ist aber ein wenig, dass die Berg­steigemeta­pher im Deutschen schwäch­er aus­geprägt ist und bei Lernkurve häu­figer vom math­e­ma­tis­chen Konzept die Rede ist.

Lakoff, George & Mark John­son. 1980a [2003]. Metaphors we live by. Uni­ver­si­ty of Chica­go Press. [Auf Deutsch: Leben in Meta­phern: Kon­struk­tion und Gebrauch von Sprach­bildern. Carl Auer Verlag.]

Lakoff, George & Mark John­son. 1980b. Con­cep­tu­al metaphor in every­day lan­guage. Jour­nal of Phi­los­o­phy 77(8). 453–486. [Link]

18 Gedanken zu „Steile Kurven

  1. sPa

    Ich habe mir unter ein­er steep learn­ing curve immer vorgestellt, daß man in einem bes­timmten Kurs oder auch beim Erler­nen ein­er bes­timmten Tätigkeit anfangs sehr viele schwierige Dinge zugle­ich oder schnell hin­tere­inan­der vorge­set­zt bekommt bzw. meis­tern muß, also in der Tat w(t) sehr schnell ansteigt.

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  2. Muriel

    Ich hat­te jet­zt bish­er immer angenom­men, dass die damit nur sagen wollen, man müsse am Anfang halt sehr viel ler­nen, bevor man durchsteigt.
    Wieder was gelernt.

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  3. Turtle

    Inter­es­sant. Ich habe die For­mulierung “steile Lernkurve” immer als etwas pos­i­tives wahrgenom­men und auch in dieser Absicht ver­wen­det. Eben um Dinge die auf den ersten Blick total kom­pliziert erscheinen, es gar nicht sind, sobald man anfängt sich damit zu beschäfti­gen. Und dann eben schnell Erfolge erzielt, also die rote Kurve (mir ging u.a. beim Ler­nen von LaTeX und Emacs so). Ich frage mich jet­zt wieviele Men­schen ich nun von z.B. LaTeX und Emacs abgeschreckt habe weil ich ihnen freudig eine steile Lernkurve ver­sprochen habe 🙂

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  4. h

    Du kön­ntest auch ein­fach Aufwand (bzw. Zeit) über Wis­sen plot­ten, statt ander­sherum. Wenn die Frage ist, wie viel Arbeit ich investieren muss, um eine bes­timmte Menge Wis­sen zu erre­ichen, lässt sich dur­chaus argu­men­tieren, dass dann die Funk­tion a(w) ist. Dann hast du auch gle­ich deine steile Kurve..

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  5. Lars Frers

    Hm, aber liegt das nicht auch an der Art, wie Du die Grafen zeichnest?
    Ver­gle­ichen wir mal die bei­den hier:
    *******************
    ***
    **
    **
    **
    *
    *

    *****************
    ***
    ***
    ***

    Ich ver­mute, dass dieser Unter­schied eher gemeint ist, als der von Dir skizzierte. Wenn ich zum Beispiel Pho­to­shop im Unter­schied zum mit Win­dows mit­geliefterten Paint erlerne, bin ich mit ein­er steilen Lernkurve kon­fron­tiert: Am Anfang beherrsche ich fast nichts von dem, was ich wis­sen muss. (Das Plateau der Kurve liegt weit über mir.) Bei Paint ist das anders, ich brauche nur wenige, nicht allzu kom­plexe Lern­schritte, um das ver­gle­ich­sweise niedrige pro­duk­tive Arbeit­sniveau zu erreichen.

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  6. Lars Frers

    Mist, da hat mir Word­Press die Leerze­ichen vor den feinen Sternchen abgeschossen. Aber vielle­icht lässt sich ja trotz­dem erah­nen, was meine ASCII Kun­st hier darstellen sollte…

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  7. juhi

    Huch! Und ich dachte mit der steilen Lernkurve sei gemeint, dass am Anfang noch alles recht ein­fach ist, man also sehr schnell zu Ergeb­nis­sen kommt (“Hel­lo World” in Script­sprachen, LaTeX mit Stan­dard­for­matierun­gen etc.), das Erler­nen der Fein­heit­en später dann aber recht lange dauert. Aber geschwurbelte Ein­leitun­gen irgendwelch­er Lehrbüch­er überblät­tere ich auch gerne mal 😉

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  8. Joachim

    Meinst du in Abbil­dung 2 mit a wirk­lich die Anstren­gung, oder eher sowas wie inte­gri­erte Anstren­gung. So wir du es geze­ich­net hast, ist es bei rot­er wie grün­er Kurve zu Anfang wenig Anstre­gend und wird dann immer schlim­mer. Ich würde eher annehmen, dass die Stei­gung und nicht die Höhe der Kurve die Anstren­gung symbolisiert.

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  9. Sideboard

    Ich hat­te nie über die Diame­tri­al­ität zwis­chen Bedeu­tung und Aus­sage der Redewen­dung Gedanken gemacht. Danke für diese Analyse.

    Und die Zeich­nun­gen haben meinen Tag verschönt! 😀

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  10. Wentus

    Die Analyse ist zwar sehr hüb­sch, aber die Ver­wun­derung über die Schwierigkeit der steilen Lernkurve wird sofort aufge­hoben, wenn man sie als “geforderte” Lernkurve ver­ste­ht. Dann kön­nte man es allerd­ings auch bess­er als “Lehrkurve” bezeichnen.

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  11. Susanne Flach Beitragsautor

    So, jet­zt widme ich mich nach dem Kon­feren­zstress Euren Kommentaren:

    @sPa/Muriel: ja, das ist ja auch nicht ganz verkehrt — ver­mis­cht nur bei­de Ver­ständ­nisse des Begriffs.

    @Turtle: die math­e­ma­tis­che Inter­pre­ta­tion sagt ja genau das aus — sehr schnell sehr viel ler­nen. Aber die neg­a­tive, nicht-math­e­ma­tis­che Kon­no­ta­tion kön­nte in der Tat eher dazu führen, dass man von LaTeX abgeschreckt wird. Deshalb war ich immer so ver­wirrt — weil da zwei Konzepte in ver­schiedene Rich­tun­gen zer­ren, irgendwie.

    @h: ja, war nur nicht die Inten­tion — die steile Lernkurve als konzeptuelle Inter­pre­ta­tion des all­ge­meinen Sprachge­brauchs darzustellen. Wäre deine vorgeschla­gene Lösung nicht die grüne Kurve von oben, nur mir ver­tauscht­en Achsen?

    @Joachim: Ja, das ist in der Tat keine math­e­ma­tis­che Darstel­lung. Das sollte mit der dün­neren Lin­ie sym­bol­isiert sein.

    @Wentus: auch hier: ja, darum geht’s aber nicht, wie der all­ge­meine Sprachge­brauch zeigt, wo die gefühlte Anstren­gung im Vorder­grund steht.

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  12. Jürgen A.

    Laut Wikipedia-Ein­trag gibt es neben der a.) kor­rek­ten Ver­wen­dung von “steil­er Lernkurve” — also schneller Wis­senser­werb am Anfang, der abflacht — auch eine b.) diame­trale, wider­sprüch­liche: müh­samer Wis­senser­werb am Anfang, danach wird es leichter.

    Ich denke, für die irreführende Ver­wen­dung b.) ist eine ver­schlimmbessernde Über­set­zung eines Fachter­mi­nus ver­ant­wortlich. Es ist näm­lich gar nicht die Lernkurve, die steil ist (die ist ja in Wahrheit flach), son­dern die Pro­gres­sion. Pro­gres­sion ist ein Begriff aus der Didak­tik, der die zu bewälti­gende Stoff­menge pro Zeit­ein­heit beschreibt. Eine steile Pro­gres­sion bedeutet somit ein schnelles Fortschre­it­en im Stoff. That’s it.

    Die Erk­lärung der falschen Ver­wen­dungsweise mith­il­fe der konzeptuellen Meta­pher vom “steilen Weg” finde ich überzeu­gend, wenn ich auch eher anstelle des Lebensweges an eine Zielankun­ft bei der Tour de France denken würde. 😉

    Offen­sichtlich ken­nen die vie­len Falschver­wen­der das Konzept der Lernkurve nicht, find­en das Wort aber so schick, dass sie nicht darauf verzicht­en können. :-/

    Grüße,
    Jürgen

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Jürgen: genau das habe ich nicht gesagt, also dass das eine eine Falschver­wen­dung ist. Es gibt zwei Ver­wen­dun­gen, denen zwei grundle­gend unter­schiedliche Meta­phern zugrunde liegen.

      Antworten
  13. Jürgen A.

    Ergänzung: Bei ein­er steilen Pro­gres­sion sollte auch die Lernkurve steil sein kön­nen. Wenn das nicht so ist, müssen Lehrer oder Autoren von Lern­werken ihren Stoff eben schü­lerg­erechter auf die Unter­richt­sein­heit­en oder Buchkapi­tel verteilen.

    Also: Steile Pro­gres­sion und steile Lernkurve schließen sich keineswegs aus. Wenn aber die Lernkurve zu flach ist, war die Pro­gres­sion zu steil.

    Antworten
  14. Jürgen A.

    @Susanne

    Das “falsch” ist tat­säch­lich meine Wer­tung, aber ich finde, dass du die, neu­tral gesprochen, zweite Ver­wen­dungsweise gut erk­lärt hast. “Falsch” finde ich die “steile Lernkurve” im Sinne von “sehr schwierig” insofern, als hier der Begriff der Lernkurve auf den Kopf gestellt wird.

    Ich hab zwar wenig Sym­pa­thien für Sprach­normier­er (Gen­i­tivfetis­chis­ten und ähn­liche), bin aber ein großer Fre­und des Ver­ständlichkeit­sprinzips. Deshalb zögere ich nicht, Aus­drücke als “falsch” zu beze­ich­nen, in denen ein Wort (Lernkurve) das Gegen­teil von dem üblicher­weise damit Beze­ich­neten bedeutet.

    Antworten
    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Auch hier liegt ein Missver­ständ­nis vor, näm­lich, dass es eine ‚eigentliche‘ und damit eine ange­blich ‚übliche‘ Ver­wen­dung gäbe. Wenn ein genü­gend großer Teil der Sprachge­mein­schaft — und das tut dieser Teil (siehe Dat­en, hier aus dem amerikanis­chen Englisch) — einen Aus­druck mit ein­er starken Ten­denz zu A ver­wen­det, dann kann A nicht „falsch“ sein. Das ist etwas grundle­gend anderes, als Einzelfälle, bei denen gen­uin falsche, also der sprachge­mein­schaftlichen Kon­ven­tion wider­sprechende Ver­wen­dung vor­liegt. Hier ist der unter­schied eben zwis­chen ein­er Math­e­ma­tis­chen und ein­er All­ge­mein­sprach­lichen (das kommt häu­fig vor).

      (Möglicher­weise haben wir hier den Stör­fak­tor „Mut­ter­sprache“, weil es im Deutschen mit der steilen Lernkurve anders aussieht, als im Englis­chen mit steep learn­ing curve; fürs Deutsche zeigte sich die Ten­denz näm­lich nicht so deutlich.)

      Antworten
      1. Jürgen A.

        Wenn ein genü­gend großer Teil der Sprachge­mein­schaft (…) einen Aus­druck mit ein­er starken Ten­denz zu A ver­wen­det, dann kann A nicht ‘falsch’ sein.”

        Du hast im Grunde recht, dieses Prinzip habe ich auch immer mit aller Verve gegen alle sog. “Sprach­schützer” vertreten (Zwiebelfisch etc.). Nun ist aber in meinen Augen die zweite Ver­wen­dung von “steil­er Lernkurve” eine solche, die, statt Ver­ständi­gung zu ermöglichen, sys­tem­a­tisch Missver­ständ­nisse erzeugt. Deshalb würde ich von der zweit­en, nicht ursprünglichen Ver­wen­dung dieses Aus­drucks abraten.

        Die Bedeu­tung von “Lernkurve” im fraglichen Aus­druck wider­spricht zumin­d­est der fach­sprach­lichen Ver­wen­dung — die ich allerd­ings bish­er für die einzig mögliche und damit auch umgangssprach­liche Ver­wen­dung hielt. Vielle­icht hast du Recht damit, dass hier zwis­chen einem fach­wis­senschaftlichen (“math­e­ma­tis­chen”) und einem all­t­agssprach­lichen Gebrauch unter­schieden wer­den muss. Auch die umgangssprach­liche Lernkurve ist eine Lernkurve, halt nur eine andere, mit einem anderen Para­me­ter auf der x‑Achse (“Anstren­gung” statt “Stoff­menge” bzw. “Lern­er­folg”).

        Lei­der gibt es m.W. für die “steile Pro­gres­sion” (“viel Lern­stoff am Anfang”) keinen Aus­druck der Umn­gangssprache, in dem “Lernkurve” nicht vorkommt. Das ist für alle ein großes Prob­lem, die “steile Pro­gres­sion” oder “Lernkurve” als Fach­be­griffe ken­nen und benutzen!

        Grüße,
        Jürge

        Antworten
  15. Jürgen A.

    Ein Aspekt, der meine (und deine) bish­erige Argu­men­ta­tion völ­lig aufhebt: Bei­de Ver­wen­dungsweisen von “steil­er Lernkurve” schließen sich nicht aus! Wenn ich z.B. eine neue Sprache lerne, dann bewältige ich in kurz­er Zeit eine große Stoff­menge (Vok­a­beln und Gram­matikregeln). Gle­ichzeit­ig kostet mich das aber auch viel Anstrengung.

    Schnel­ligkeit ist oft erforder­lich, um einen steilen Anstieg zu schaf­fen. Wer langsam mit dem Rad einen Berg hin­auf­fahren möchte, weiß das. 😉 Liegt hier nicht die gemein­same Wurzel der umgangssprach­lichen Sichtweise?

    Was mich aber immer ver­wirrt hat, war der unklare Bezug des Adjek­tivs steil. Denn die vie­len, vie­len Ver­wen­dung von steep learn­ing curve sug­gerieren sofort, dass der Zeitaufwand (t) hoch, der Wis­sens­gewinn (w) aber anfangs frus­tri­erend ger­ing ist.”

    Diese Sug­ges­tion liegt m.E. über­haupt nicht nahe, auch nicht bei den von aufge­führten Beispie­len. Immer ergibt sich hier die hohe Anstren­gung zum Beginn der Lern­phase aus der Notwendigkeit, viel Wis­sen in kurz­er Zeit zu erwer­ben. Anstren­gung und Wis­senser­werb kor­re­lieren also.

    Spricht man tat­säch­lich auch bei einem Lern­stoff, der nur geduldig in kleinen Häp­pchen erwor­ben wer­den kann, von “steil­er Pro­gres­sion”? Wo sich also Anstren­gung _nicht_ in schnelleren Lern­er­folg überträgt?

    Grüße,
    Jürgen

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