Keine Kreativität bitte, wir sind Muttersprachler

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Wochen habe ich an einem Son­ntag­mor­gen aus ein­er all­ge­meinen Unzufrieden­heit mit dem Zus­tand unser­er Gesellschaft (und aus etwas Langeweile) den fol­gen­den Satz getwittert:

  1. La rev­olu­ción es enfer­ma.

Das ist eine Abwand­lung des vor allem in Lateinameri­ka häu­fig zitierten rev­o­lu­tionären Sinnspruchs La rev­olu­ción es eter­na – etwa „Die Rev­o­lu­tion ist ewig (d.h. geht immer weit­er)“ –, ((Es stammt möglicher­weise ursprünglich vom mexikanis­chen Poli­tik­er Rodol­fo Sánchez Tabo­da [siehe hier], es find­et sich aber häu­fig, z.B. bei Raúl Cas­tro (im Futur) oder bei Hugo Chávez.)) nur, dass ich eben eter­na („ewig“) durch enfer­ma („krank“) erset­zt habe. Zwei mein­er Follower/innen waren nicht nur wach, son­dern auch spanis­che Muttersprachler/innen, und bei­de wiesen darauf hin, dass ich statt es hätte está schreiben müssen:

  1. La rev­olu­ción está enfer­ma.

Um diese Kri­tik, und das, was darauf fol­gte, ((Die gesamte Twit­terun­ter­hal­tung ist hier nachzule­sen.)) zu ver­ste­hen, braucht es etwas Hintergrundwissen.

Die Sätze in (1) und (2) sind soge­nan­nte Kop­u­lasätze – Sätze in denen das Prädikat kein Verb ist, son­dern ein Adjek­tiv (wie in 3), ein Sub­stan­tiv (wie in 4), ein Adverb oder eine Prä­po­si­tion mit ihrem Objekt (wie in 5) oder ein wie-Attrib­ut (wie in 6):

  1. Die Rev­o­lu­tion ist großar­tig, alles andere ist Quark. (Rosa Lux­em­burg)
  2. Die Rev­o­lu­tion ist ein Auf­s­tand, ein Gewal­takt, durch den eine Klasse eine andere stürzt. (Mao Tse-Tung)
  3. Die Rev­o­lu­tion ist über­all, in jedem Men­schen, in jedem Quarti­er, in jedem Stein. (Nag­ib Alam)
  4. Die Rev­o­lu­tion ist wie Sat­urn, sie frißt ihre eignen Kinder. (Georg Büch­n­er)

Das Verb sein hat in diesen Sätzen nur die Funk­tion, das Prädikat mit dem Sub­jekt zu verbinden. Solche Ver­ben, zu denen, je nach Sprache und Auf­fas­sung auch Ver­ben wie bleiben, wer­den, scheinen u.ä. gehören –, nen­nt man Kop­ulaver­ben oder ein­fach Kop­u­las („Kop­u­lae“, wenn man Bil­dungs­bürg­er ist). Die bei weit­em wichtig­ste Kop­u­la ist aber typ­is­cher­weise ein Verb wie sein, das bloße Exis­tenz oder Iden­tität ausdrückt.

Das Spanis­che hat nun zwei ver­schiedene Ver­ben, die bei­de mit „sein“ über­set­zt wer­den: ser (von dem die Form es in (1) abgeleit­et ist) und estar (von dem die Form está in (2) abgeleit­et ist). Das Verb ser wird mit Adjek­tiv­en ver­wen­det, die einen als dauer­haft wahrgenomme­nen Zus­tand aus­drück­en, das Verb estar mit solchen, die (poten­ziell) vorüberge­hende Zustände beze­ich­nen. Da die Ewigkeit ein rel­a­tiv dauer­hafter Zus­tand ist, ste­ht bei eter­na/-o deshalb ser. Krankheit­en sind dage­gen zumin­d­est prinzip­iell vorüberge­hende Zustände, weshalb bei dem Adjek­tiv enfer­ma/-o, wie von meinen spanis­chsprachi­gen Follower/innen angemah­nt, estar ste­hen müsste.

Soweit, so Grund­wis­sen. Nun ist es aber so, dass Sprachen es fast immer erlauben, ihre Kon­ven­tio­nen kreativ zu brechen. Wenn ich also eine Krankheit als dauer­haft darstellen will, kön­nte ich dann nicht statt estar („vorüberge­hen­des Sein“) ser („dauer­haftes Sein“) ver­wen­den? Natür­lich kön­nte ich das, und das war mir trotz meines eingerosteten Inten­sivkurss­panisch aus der typol­o­gis­chen Fach­lit­er­atur bekan­nt. ((Zitiert wird dabei meis­tens der ins­ge­samt sehr ver­trauenswürdi­ge Bernard Com­rie, z.B. hier oder hier.))

Obwohl es mir bei meinem ursprünglich getwit­terten Satz eigentlich nur um die Par­al­lelität zu dem Orig­i­nalz­i­tat ging, stellte ich mich also den bei­den Follower/innen gegenüber auf den Stand­punkt, dass ich die Rev­o­lu­tion als dauer­haft krank habe darstellen wollen, weshalb ser die richtige Wahl gewe­sen sei. Aber während die eine meinen Satz dann als „kreativ­en Sprachge­brauch“ akzep­tierte, stellte der andere sich stur. Wed­er ein Beleg aus der Über­schrift ein­er Zeitung, noch eine Samm­lung von Bele­gen aus dem Stan­dard­ko­r­pus des Spanis­chen, dem CREA-Kor­pus überzeugten ihn, dass man in Aus­nah­me­fällen sehr wohl ser enfer­ma/-o sagen könne.

Also fuhr ich schwere Geschütze auf, in dem ich eine ein­deutige Sprachex­per­tin und spanis­che Mut­ter­sprach­lerin zu Wort kom­men ließ. Die guatemalis­che Schrift­stel­lerin und Jour­nal­istin Maria del Rosairo Moli­na schreibt eine regelmäßige Sprachkolumne, „Hor­rores idiomáti­cos y algo más“, und in ein­er Folge beschäftigt sie sich mit ser und estar. Darin gibt sie eine Rei­he von Beispie­len, bei denen die Wahl der Kop­u­la die Bedeu­tung verän­dert, darunter eines, in dem sie dankenswert­er Weise genau das Adjek­tiv enfer­ma/-o verwendet:

Otros pueden uti­lizarse con los dos ver­bos depen­di­en­do del caso: Lázaro es enfermo” indi­ca una situación per­ma­nente, en tan­to que Lázaro está enfer­mo es una cir­cun­stan­cia pasajera.

(Andere [Adjek­tive] kön­nen mit bei­den Ver­ben ver­wen­det wer­den, abhängig vom Einzelfall: Lázaro es enfer­mo weist auf eine dauer­hafte Sit­u­a­tion hin, während Lázaro está enfer­mo ein vorüberge­hen­der Zus­tand ist.)

Nicht ein­mal das überzeugte ihn, sodass ich mich gezwun­gen sah, die Diskus­sion an der Stelle markig zu been­den.

Inter­es­sant ist für mich nicht, dass ich einen Mut­ter­sprach­ler bezüglich sein­er Mut­ter­sprache mit lin­guis­tis­chem Fach­wis­sen in die Ecke disku­tieren kann. Das ist eigentlich selb­stver­ständlich, denn über unsere Mut­ter­sprache wis­sen wir ja nor­maler­weise nichts – wir sprechen sie ein­fach. Unser Sprach­wis­sen ist proze­du­rales Wis­sen („wis­sen, wie“), kein deklar­a­tives („wis­sen, was/warum“). Ich habe ein­mal mein­er Swahili-Dozentin in der zweit­en Unter­richtsstunde einen Aspekt des Verb­sys­tems erk­lärt, der ihr bis dahin nicht klar war – das kon­nte ich nicht, weil ich beson­ders klug oder sprach­be­gabt bin, son­dern, weil ich mich mit dem Verb­sys­tem von Ban­tu-Sprachen beschäftigt hat­te (sie hat sich übri­gens sehr gefreut). Das ist kein Kun­st­stück, son­dern besten­falls ein Par­tytrick – man muss dazu nur die Fach­lit­er­atur kennen.

Inter­es­sant ist, dass der Mut­ter­sprach­ler meinen Gebrauch nicht akzep­tieren wollte, obwohl er (ver­mut­lich) die Kor­pus­belege und die Aus­sagen von del Rosario Moli­na akzep­tiert hat (oder hätte, wenn sie ihm vor unserem Twit­terge­spräch untergekom­men wären. Das liegt mein­er Mei­n­ung nach eben genau daran, dass ich kein Mut­ter­sprach­ler bin – wenn Men­schen, die eine Sprache erkennbar als Fremd­sprache sprechen, diese kreativ ver­wen­den, kat­e­gorisieren wir wohl ganz all­ge­mein Dinge als Fehler, die wir Muttersprachler/innen ohne Wim­pernzuck­en als Kreativ­ität durchge­hen lassen.

Ich frage mich, warum das so ist. Es kön­nte darauf hin­deuten, dass wir als Muttersprachler/innen eine vere­in­fachte All­t­ags­the­o­rie von Sprache haben, in der es „richtig“ und „falsch“ gibt. Obwohl diese The­o­rie im Sprachall­t­ag keine Rolle spielt — dort richt­en wir uns stattdessen nach „gewohnt/normal“ und „ungewohnt/kreativ“ – kra­men wir sie in bes­timmten Sit­u­a­tio­nen (z.B. Fremdsprachler/innen gegenüber) her­vor. Diese All­t­ags­the­o­rie wird möglicher­weise durch schulis­chen Spra­chunter­richt bestärkt – vor allem im Fremd­sprache­nun­ter­richt, aber auch im mut­ter­sprach­lichen Unter­richt, tun Lehrkräfte und Lehrw­erke häu­fig so, als sei „richtig/falsch“ der Nor­mal­fall in men­schlichen Sprachen. Ist er aber nicht. Sprache ist kein Betonkopf mit einem Rohr­stock und einem dick­en Regel­w­erk. Sprache ist ein Formwan­dler mit einem merk­würdi­gen Sinn für Humor.

La evolu­ción (de la lengua) es eterna.

23 Gedanken zu „Keine Kreativität bitte, wir sind Muttersprachler

  1. Wentus

    Um den evo­lu­tionären Vorteil der Men­schheit — die Sprache — aufrecht zu erhal­ten, brauchen wir bes­timmt nicht nur ange­borene Fähigkeit­en zum Sprechen, son­dern auch zur Weit­er­gabe der Sprache.

    Deshalb reagieren die meis­ten Men­schen auf die “Fehler” von Kindern und Aus­län­dern so beson­ders stark.

    Ander­er­seits übern­immt die Mehrheit sehr schnell For­mulierun­gen von Poli­tik­ern und anderen Meinungsmachern.

    Der Unter­schied liegt in einem Prozess der unbe­wussten Abschätzung der Zielper­son: Wieviele Äußerun­gen habe ich schon von dem Sprech­er in dieser Sprache gehört? Habe ich bish­er schon etwas aus dem Inhalt ler­nen können?

    Das bewirkt eine unter­be­wusste Entschei­dung: Auch wenn ich vielle­icht einem Lin­guis­tikpro­fes­sor in seinen deutschen und englis­chen Äußerun­gen ver­traue, muss ich mis­strauisch wer­den, wenn er nonkon­forme Sätze in anderen Sprachen äußert.

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  2. Dierk

    Ich sehe das nicht nur bei Mut­ter­sprach­ler vs. Fremd­sprach­ler, son­dern auch bei Fremd­sprach­ler vs. Fremd­sprach­ler — sog­ar ver­mehrt und ver­stärkt. Während z.B. Englän­der und Amerikan­er kleinere, sprachtyp­is­che Fehler durchge­hen lassen, und einen kreativ­en Gebrauch von Gram­matik, Seman­tik, Mor­pholo­gie goutieren, tendieren Deutsche dazu, diesel­ben Sachen als ‘Kann kein Englis­ch/US-Amerikanisch’* abzuqualifizieren.

    Ist auch ein­sichtig, schließlich ler­nen wir in der Schule eben in den Kat­e­gorien ‘richtig’ vs. ‘falsch’. Von einem Kon­tin­u­um zwis­chen ‘üblich/Standard’ und ‘ungrammatisch/unverständlich’ hört man vielle­icht mal in einem Neben­satz — aber spätestens zur Klasse­nar­beit ist das wieder Makulatur.

    *leicht verkürzt der Klarheit wegen

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  3. wirrbel

    Du wur­dest gezwiebelfischt

    Was dahin­ter steckt: Sprech­er denken nicht über Gram­matik nach son­dern reden frei Schnau­ze. Ich denke das läuft eher nach Muster-Nachah­mung ab als nach Ableitung gram­ma­tis­ch­er Regeln. (Gibts dazu fach­lit­er­atur? bin ja nicht vom Fach).

    D.h. für einen nor­mal­sprech­er reicht es, dass du gegen die eingeprägten Muster ver­stößt, um ein Gefühl des “Regelver­stoßes” zu bewirken.

    For­male Kor­rek­theit” und “gewohnte Kor­rek­theit” sind nur bed­ingt Deckungsgleich. 

    Wenn man nun nicht dem gewohn­ten Muster entspricht gibts entwed­er die Möglichkeit, dass das gegenüber einem Zutraut, dass man sou­verän mit der Sprache umge­hen kann (dann bist du Kreativ) wenn man es dir nicht zutraut wird es als Fehler aufgefasst.

    Etwa: Es hat geschneit vs. Es hat geschnien. Ich benutze let­zte Form häu­fig, als rest-dialekt-fär­bung wenn man so will. Einem nicht-Mut­ter­sprach­ler würde man diese Benutzung als Fehler ankreiden.

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  4. Simone

    Meine eige­nen Erfahrung zeigt “Keine Kreativ­ität bitte, DU bist KEIN Mut­ter­sprach­ler”. Hätte ein Mut­ter­sprach­ler dieses Satz pro­duziert, so wäre er wahrschein­lich unbe­merkt durchge­gan­gen. Bei einem Nicht­mut­ter­srach­ler kommt aber sofort das Bedürf­nis auf, zu korrigieren.

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  5. Susanne

    Ich habe oft Men­schen aus aller Welt bei mir zu Gast, die Deutsch studieren und nach Berlin kom­men, um ihre Sprachken­nt­nisse zu ver­tiefen. Sie kom­men an, hun­grig auf Erfahrun­gen und Gespräche und benutzen “ihr” Deutsch sehr offen und kreativ, auf eine schöne, fast ele­gante Art. Viele ihrer Wen­dun­gen und Aus­drücke habe ich so noch nie gehört, wer­den so nicht benutzt oder gesprochen, machen aber Sinn und — vor allem — großes Vergnü­gen! Dann begin­nt ihr Inten­sivkurs und von Tag zu Tag wer­den sie unsicher­er, fra­gen immer öfter nach, suchen nach Vok­a­beln und Artikeln statt Sprache zu benutzen. Einige ver­lieren sog­ar ihre Art, Deutsch zu benutzen und sprechen zwar kor­rekt aber ohne Farbe, ohne Musik, ohne ihr indi­vidu­elles Über­set­zen. So ist die Ver­ständi­gung zwar ein­fach, deut­lich und klar, die Lust an der Benutzung von Sprache aber, die Vielfalt an Gedanken nimmt deut­lich ab.

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  6. Shhhhh

    In einem Gespräch mit einem Fre­und, er kommt aus dem Iran, ist mir ein­mal eine ähn­liche Sit­u­a­tion untergekom­men. Wir unter­hiel­ten uns über ein paar sprach­liche Phänomene im Deutschen, geri­eten in einen kleinen Dis­put um Neben­säch­lich­es und das Ende vom Lied war, dass er mir sagte, er beherrsche die deutsche Gram­matik wahrschein­lich bess­er als ich. Zuerst war ich belei­digt, sprach­los oben­drein, bis er mich auf genau den oben genan­nten Aspekt aufmerk­sam machte, dass näm­lich Mut­ter­sprach­ler bess­er sprechen, weil sie ihre Sprache intu­itiv (so nan­nte er das, glaube ich) richtig benutzen, der Nicht­mut­ter­sprach­ler aber erk­lärt bekom­men muss, weshalb bes­timmte Dinge so oder so aus­ge­drückt wer­den und in der Folge natür­lich auch bess­er erk­lären kann.

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  9. mies1234

    1. In diplo­ma­tis­ch­er Hin­sicht war es eine eher schwache Leis­tung, finde ich. Der Twit­ter-Dia­log deutet nicht ger­ade an, dass du ver­suchst her­auszufind­en, *warum* die For­mulierung “es enfer­ma” als unpassend emp­fun­den wird.

    2. Meinen Recherchen nach (bin kein span. Mut­ter­sprach­ler) bedeutet “es enfer­ma” schlicht und ein­fach etwas anderes als “esta enfer­ma”, näm­lich etwa “kränkel­nd”, also dauer­haft leicht krank, zur Krankheit neigend. In den Beispie­len, die du anführst, in denen “es enferma/o” ver­wen­det wird, ist das Sub­jekt eine Per­son. Da gibt “kränkel­nd” für den Mut­ter­sprach­ler möglicher­weise Sinn, aber nicht bei einem Abstrak­tum. Dafür genau gibt es Mut­ter­sprach­ler, die man fra­gen kann.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ mies1234: 1. Es war keine Übung in Diplo­matie, es war eine Übung in Zitat­ever­dreherei und Besser­wis­serei. Ich musste nicht her­aus­find­en, warum meine For­mulierung als unpassend emp­fun­den wurde, denn das wusste ich ja, wie der Beitrag vielle­icht deut­lich macht. 2. Natür­lich bedeutet es enfer­ma, wie der Beitrag vielle­icht deut­lich macht, etwas anderes, näm­lich, wie der Beitrag vielle­icht deut­lich macht, „dauer­haft krank“. Warum das bei einem Abstrak­tum weniger Sinn ergeben sollte als „kurzfristig krank“, lasse ich mal dahingestellt.

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  10. Feathers McGraw

    Ich kenne per­soen­lich sowhl das “vom Mut­ter­sprach­ler kor­rigiert wer­den” als auch das “von Nicht-Mut­ter­sprach­lern kor­rigiert wer­den” bei kreativ­er Sprach­nutzung — bei mir haupt­saech­lich im Englis­chen (ich wohne im englis­chssprachi­gen Aus­land). Ersteres kommt inzwis­chen nur noch sehr sel­ten vor weil ich prak­tis­cher­weise einen Akzent spreche der faelschlicher­weise als mut­ter­sprach­lich rue­berkommt, aber nicht der lokal ueblich ist. Da kommt man mit viel durch. VOn Deutschen werde ich aber trotz­dem manch­mal kor­rigiert, vorzugsweise bei Din­gen die nicht falsch sind (nicht mal “kreativ” falsch son­dern gar nicht falsch), die aber sehr umgangssprach­liche, fuer sie unge­wohnte Wen­dun­gen enthal­ten. Ich musste mich mal von einem Deutschen beschimpfen lassen der unge­fragt den Satz “Grow the hell up, would you?” von mir in einem Online-Pro­fil ver­wen­det, in etwas holperiges, Sinn-entstel­len­des kor­rigieren wollte. Er sei naem­lich Englis­chlehrer, und wuerde sich da ja wohl bess­er ausken­nen als ich, und das macht ja gar keinen Sinn so, und was ich mir ein­bilden wuerde. Gross­es Vergnue­gen. Kenne ich in so ein­er Vehe­menz von Mut­ter­sprach­lern eher nicht.

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  11. Matías Guzmán Naranjo

    Hal­lo Ana­tol, ich wollte kurz auch zum The­ma meine Mei­n­ung beitra­gen. Sry für die Fehler 🙁

    Es la rev­olu­ción enferma?

    Naja, der Satz höre sich für mich (sp. Mut­ter­sprach­ler) vol­lkom­men falsch, ich werde ver­suchen zu erk­lären warum. 

    1) Él es un enfermo

    ist vol­lkom­men in Ord­nung, und heißt, dass jemand ein kranker Mann ist, egal ob dauer­haft oder nicht, aber die Per­son muss die Rolle spie­len, und die Krankheit muss etwas ern­sthaft sein.

    2) Él es enfermo

    ist auch in Ord­nung, aber ich ver­ste­he es eher so, dass die Per­son die Rolle eines Kranken im Kranken­haus hat… oder, dass die Per­son Psy­chisch krank ist (per­vert, pedo, usw).

    3) La democ­ra­cia está enferma

    (so wie ‘rev­olu­ción’)

    ist auch in Ord­nung und man ver­ste­ht genau was damit gemeint ist.

    4) *La democ­ra­cia es enferma.

    geht nicht mehr so ganz gut. Ich ver­mute, dass das Prob­lem ist, dass wed­er ‘democ­ra­cia’ noch ‘rev­olu­ción’ belebt sind, und ‘… es enfer­mo’ Belebtheit deutet. Jedoch, wenn man die zwei Sätze zusam­men sagt, funk­tion­ieren die viel besser:

    5) La rev­olu­ción es eter­na. ‑La rev­olu­ción es enferma.

    Da habe ich keinen Prob­lem mit den Satz, weil im Kon­text ist es klar, dass der neue Satz im Gegen­satz zu den alten ste­ht, und auch was damit gemeint ist.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Mit Kat­e­gorien wie „falsch“ und „gut“ kommt man beim The­ma Sprache nicht weit­er. Die Frage ist sel­ten, ob Sprecher/innen etwas sagen (kön­nen), son­dern, was sie meinen, wenn sie es sagen. Was mein­ten die Mut­ter­sprach­ler, die diese Sätze gesagt haben:

      (1) La democ­ra­cia es enfer­ma. [Link]
      (2) La rev­olu­ción es enfer­ma. [Link]

      Dass die Par­al­lelität, auf die Sie hin­weisen, eine Rolle spie­len kann, ist aber sich­er richtig (das hier zitierte Beispiel 2 ist ja, wie mein ursprünglich­er Tweet, ein bewusstes Wortspiel).

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  12. Stefanie

    Wahrschein­lich ist es in den meis­ten All­t­agssi­t­u­a­tio­nen tat­säch­lich so, dass schein­bar poet­is­che Aus­drücke von Nicht-Mut­ter­sprach­lern nicht inten­tion­al, son­dern das Resul­tat von falsch­er Sprachver­wen­dung sind. Damit macht die Strate­gie “irri­tieren­der Ausdruck+Muttersprachler=> Fehler” als ein­fache All­t­agsheuris­tik wahrschein­lich Sinn. Wobei ich zugegeben muss, dass ich die Über­set­zung “Die Refo­lu­tion ist kränkel­nd” im Deutschen auch als falsch/komisch empfind­en würde. “Kränkel­nd” bedeutet schließlich auch etwas anderes als “dauer­haft krank”.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Ste­fanie: Wenn enfer­ma/-o mit ser „kränkel­nd“ heißen würde (was es nicht tut), dann wäre die kor­rek­te Über­set­zung das ganz und gar unauf­fäl­lige „Die Rev­o­lu­tion kränkelt“.

      Ich merke, es ist mir ins­ge­samt nur bed­ingt gelun­gen, meinen eigentlichen Punkt deut­lich zu machen: Dass Muttersprachler/innen eine All­t­ags­the­o­rie von „richtiger/falscher Sprache“ haben, an die sie sich zwar selb­st nicht hal­ten, die sie aber (unter anderem) Fremdsprachler/innen gegenüber her­vor­holen. Die Fak­ten bezüglich des Spanis­chen ste­hen nicht zur Debat­te – es ist völ­lig unstrit­tig, dass man es enfer­ma sagen kann – del Rosairo Moli­na spekuliert ja nicht bloß vor sich hin, sie hat tat­säch­lich Ahnung von ihrer Mut­ter­sprache und Bernard Com­rie kann man, wie gesagt, auch ver­trauen. Es ist auch unstrit­tig, dass man enfer­ma/-o mit ser sowohl mit Konkre­ta (z.B. Men­schen) als auch mit Abstrak­ta (z.B. Demokratie, Rev­o­lu­tion) ver­wen­den kann (worum es besten­falls gegan­gen wäre ist, unter welchen Umstän­den Men­schen das tat­säch­lich tun).

      Inter­es­sant ist, dass das, obwohl es unstrit­tig ist, bestrit­ten wird. Aber was red ich: La ilusión es eterna.

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  13. Matías Guzmán Naranjo

    Let me try again. With ‘falsch’ I did­n’t mean that the spir­it of pre­scrip­tivism com­pels you not to use it, but that it is seman­ti­cal­ly anom­alous and that the inter­pre­ta­tion is not straight­for­ward (pret­ty much like the colour­less green ideas). It is also unlike­ly that it is *only* because you’re not a native speak­er, I got a sim­i­lar reac­tion with a cou­ple of friends, but it might very well be a fac­tor. Although, from per­son­al expe­ri­ence, when­ev­er I try jokes in Ger­man peo­ple think I made a mis­take and that I meant some­thing different.

    For me, one prob­lem is in fact that the con­struc­tion [X es enfermo/a] means that some­body is a psy­cho or has a men­tal ill­ness, and you don’t want to go any­where near him, which con­flicts with the mean­ing intend­ed. The links you pro­vide do show that the sen­tences are used in con­texts that make it eas­i­er to under­stand the mean­ing, and that you’re using some metaphor­i­cal exten­sion, or a play on words. 

    Final­ly, there might also be some dialec­tal dif­fer­ences. I’ve heard peo­ple from oth­er coun­tries using es/estar in ways I would­n’t, so it might be that for some dialects that sen­tences is more accept­able than for others. 

    In any case, it is some­thing I had­n’t thought about, thanks for the inter­est­ing post.

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  14. Evanesca Feuerblut

    Ich kann nach wie vor Stu­di­enkol­le­gen schock­ieren, wenn ich mit dem (für Stu­den­ten ein­er Sprache in meinen Augen eigentlich als bekan­nt voraus­ge­set­zten) Fakt daherkomme, dass Gram­matik nicht deklar­a­tiv ist, son­dern lediglich VERSUCHT, das Vorhan­dene zu beschreiben.

    Das Prob­lem ist, dass wir in der Schule einge­bläut bekom­men, dass Sprache nach dem Lehrbuch funk­tion­iert — erst im Studi­um (sofern man denn eine Sprache studiert) erfährt man, dass man eigentlich auch viel lock­er­er an die Sache herange­hen kann.
    Das liegt ver­mut­lich daran, dass die Schüler sich son­st weigern wür­den, Gram­matik zu ler­nen oder meinen wür­den, es wäre eh egal, solange man sie halb­wegs ver­ste­ht (was natür­lich im Schulkon­text ger­ade in den ersten paar Sprach­jahren seeeehr destruk­tiv ist und darum ver­hin­dert wer­den sollte).
    Nur: Die kreativ­en Köpfe, die es kapieren, wer­den darum in diesel­ben Käfige gezwängt wie jene, die die Käfige als stützen­des Korsett drin­gend nötig haben und jegliche Sprachkreativ­ität wird jun­gen Leuten regel­recht ausgetrieben.

    Daher ver­ste­he ich, wie es zur vor­liegen­den Sit­u­a­tion kom­men konnte.

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  15. frauantje

    Zwei Anmerkun­gen:

    1. trifft die weit ver­bre­it­ete Regel, dass “ser” dauer­hafte und “estar” poten­ziell vorüberge­hende Zustände beze­ich­net, nicht ganz zu (siehe Aus­nah­men). Eine vol­lkom­men ein­sichtige Erk­lärung für Sprachen ohne diese Unter­schei­dung scheint es nicht zu geben, aber ein wenig näher kommt man der Sache mit der Unter­schei­dung “Eigen­schaft” (ser) vs. “Zus­tand” (estar). “Krank sein” ist keine Eigen­schaft, son­dern ein Zus­tand, außer in eini­gen Son­der­fällen, die Du zitierst. 

    2. Die Kolum­nistin heißt María del Rosario Moli­na Chacón. Wie in vie­len spanis­chsprachi­gen Län­dern üblich, hat sie zwei Nach­na­men: Moli­na und Chacón. Auch üblich ist, dass nur der erste davon genan­nt wird (hier Moli­na). Du zitierst sie als “del Rosario Moli­na”, so wie deutsche Nach­na­men mit Adel­sprä­fix “von X”. Es sieht ja auch sehr ähn­lich aus. “Del Rosario” ist hier aber Vor­na­men­szusatz: “Maria vom Rosenkranz”, auch eine typ­isch spanis­che Namensfind­ung: viele heißen María, spez­i­fiziert z.B. durch den Ort der Mariener­schei­n­ung oder ein anderes christlich­es Sym­bol. Oft wurde dieser Zusatz zu eigen­ständi­gen Vor­na­men: Rosario, Paz, Soledad, Pilar, Car­men, Mar, Con­sue­lo… Inter­es­sant daran finde ich — und vielle­icht wäre das auch mal Sprachlog-würdig -, dass viele davon masku­line Sub­stan­tive sind, die prob­lem­los als weib­liche Vor­na­men funktionieren.

    3. gibt es die Besser­wis­serei auch auf Dialek­tebene. Hochdeutschsprech­er wer­den nicht müde zu beto­nen, dass einzig ihr Sprachge­brauch kor­rekt ist.

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  16. trippmadam

    Danke an Frau Antje für die Erläuterung zu “Rosario”. Wenn Frau Moli­na Chacón sich irgend­wo vorstellt, wird sie wahrschein­lich sagen: Ich heiße Rosario Moli­na. Auf offiziellen Doku­menten aber wird ste­hen: María del Rosario Moli­na Chacón. 

    Wenn man davon aus­ge­ht, dass als kor­rek­ter Sprachge­brauch gilt, was von der Mehrzahl der Sprech­er als kor­rekt emp­fun­den wird, so haben wir natür­lich im Spanis­chen ein großes Prob­lem, näm­lich den uner­messlichen Reich­tum der spanis­chen Sprache. Der Reich­tum des Spanis­chen beruht zunächst auf sein­er Geschichte, denn das Spanis­che hat viele und sehr unter­schiedliche Ein­flüsse ver­ar­beit­et. Dazu kommt noch der Reich­tum, der sich daraus ergibt, dass sich das Spanis­che in ein­er Vielzahl von Län­dern und Regio­nen, in denen es als Mut­ter­sprache oder Wahlmut­ter­sprache gesprochen wird, über Jahrhun­derte sehr unter­schiedlich entwick­eln konnte. 

    Um bei den Namen zu bleiben: als ich ein­mal meine Fre­undin Pilar hand­fest-andalu­sisch “Pilari­co” nan­nte, wurde ich kor­rigiert: der kor­rek­te Diminu­tiv laute “Pilarín”. (Stimmt auch, die Endung ‑ico stammt aus dem andalu­sis­chen Dialekt, nicht aus der Hochsprache.)

    Ob aber der kreative Gebrauch der Sprache durch einen Nicht-Mut­ter­sprach­ler von durch­schnit­tlichen Mut­ter­sprach­lern als akzept­abel emp­fun­den wird, hängt aber eventuell auch davon ab, welche Sprachkom­pe­tenz dem Nicht-Mut­ter­sprach­ler zuge­traut wird bzw. wer­den kann.

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  17. Bastian P.

    Bist du dir sich­er bzgl ‑ico/-ico als andalu­sis­chen Ursprungs? Dem Stereo­typ nach gilt das zumin­d­est inner­halb Spaniens als typ­isch Aragone­sisch (daher auch der Spitz­name der Zaragozan­er ‘mañi­cos’). Mein­er Erfahrung nach führt jed­er Gebrauch eines ‑ic@ Deminu­tivs (ins­bes. ‘poquico’) direkt zu einem entsprechen­den Komentar.
    Das Wörter­buch der Real Acad­e­mia Españo­la (http://lema.rae.es/drae/?val=ico) führt für Spanien Andalusien, Aragón, Mur­cía und Navar­ra als Ver­bre­itungs­ge­bi­et an.

    Diminu­tiv ‑ín dürfte eher gängig in Asturien sein.

    Bezüglich María del Rosario Moli­na Chacón: Vorstellen wird sich diese Frau als “María Moli­na” oder “María del Rosario Moli­na” oder mit ein­er verkürzten Form, falls es eine passende gibt (z.B. Maria Soledad -> Marisol, Maria del Car­men -> Maica). Der ‘eigentliche’ Vor­name bleibt Maria, die nach­ste­hende Präzisierung, wie frauan­t­je schon bemerkt hat, ist eine Ergänzung zu Maria.

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  18. trippmadam

    Ich habe das Wörter­buch der RAE jet­zt nicht kon­sul­tiert, son­dern bin naiv vom mir ver­traut­en Sprachge­brauch aus­ge­gan­gen. Ich will nicht anzweifeln, dass es die Diminu­tiven­dung ‑ico auch ander­swo gibt.

    Aber dass sich eine Maria del Car­men nicht als Car­men, son­dern als María vorstellt, eine María del Pilar nicht als Pilar, son­dern als María, ist mir in meinen Spanien­aufen­thal­ten und in mein­er Beruf­sprax­is noch nicht untergekom­men. Aber vielle­icht ste­ht es ja in der Fach­lit­er­atur anders.

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  19. ju

    Da die Kom­mentare jet­zt aus­re­ichend weit vom The­ma abgekom­men sind, melde ich mich noch kurz mit der Infor­ma­tion zu Wort, dass ich spon­tan über “guatemalisch” im Blog­beitrag gestolpert bin.

    Eine kurze Google-Suche ergab jedoch, dass “guatemalisch” mit dem von mir als stan­dard­sprach­lich ver­muteten “guatemal­tekisch” unge­fähr gle­ich auf liegt. Wieder was gelernt.

    Und neben­bei noch vie­len Dank für die Erk­lärung zum Unter­schied zwis­chen “estár” und “ser”. Ich hat­te mich bish­er auf mein Nicht-Mut­ter­sprach­ler_in­nen-Sein zurück­ge­zo­gen (und diese Ver­ben syn­onym benutzt), werde jet­zt aber doch frisch motiviert den Ver­such starten, diese Ver­ben in Zukun­ft dif­feren­ziert zu verwenden.

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