Integration durch Sprachvorschriften?

Von Sprachlog

Die CSU wollte für ihren Parteitag Ende dieser Woche einen Lei­tantrag ein­brin­gen, nach dem Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund dazu „ange­hal­ten“ wer­den soll­ten, „im öffentlichen Raum und in der Fam­i­lie deutsch zu sprechen“. Hier die betr­e­f­fende Pas­sage im Zusammenhang:

Inte­gra­tion durch Sprache

Ein gesellschaftlich­es Miteinan­der funk­tion­iert nur, wenn alle dieselbe Sprache sprechen. Deshalb erwarten wir von jedem Migranten, dass er die deutsche Sprache lernt. Der Nachzug von Fam­i­lien­ange­höri­gen aus Staat­en außer­halb der EU und der Türkei soll weit­er­hin grund­sät­zlich an den Nach­weis deutsch­er Sprachken­nt­nisse vor der Ein­reise gebun­den bleiben. Für Aus­län­der, die ohne Sprachken­nt­nisse ein­reisen oder hier bleiben dür­fen, bieten wir Sprach­förderung in allen Lebensla­gen an. Wer dauer­haft hier leben will, soll dazu ange­hal­ten wer­den, im öffentlichen Raum und in der Fam­i­lie deutsch zu sprechen. [Lei­tantrag der CSU, Quelle: BR]

Das löste viel Spott und bemüht iro­nis­che Dis­tanzierun­gen der Schwest­er­partei CDU, und stel­len­weise auch die angemessene Empörung aus, sodass die CSU nicht anders kon­nte, als den Vorschlag abzu­mildern. Der entschei­dende Satz wird jet­zt wohl in etwa wie fol­gt lauten:

Wer dauer­haft hier leben will, soll motiviert wer­den, im täglichen Leben deutsch zu sprechen. [Pressemit­teilung der CSU]

Auch hin­ter dieser abgemilderten Form steck­en aber Annah­men über die Sprachken­nt­nisse und das Sprachver­hal­ten von Migrant/innen in Deutsch­land und Vorstel­lun­gen über Spracher­werb und Mehrsprachigkeit, die schlicht falsch sind, die aber dur­chaus nicht nur bei der CSU zu find­en, son­dern bre­it­er gesellschaftlich­er Kon­sens sind. Nie­mand außer der CSU will derzeit Migrant/innen ihre Fam­i­lien­sprache vorschreiben, aber viele Men­schen glauben, dass es in Deutsch­land eine nen­nenswerte Anzahl schw­er inte­grier­bar­er Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund gibt und dass man­gel­nde Sprachken­nt­nisse ein wichtiger Grund dafür sind – die Aus­sage „Sprache ist der Schlüs­sel zur Inte­gra­tion“ ist eine Art geflügeltes Wort der Integrationsdebatte.

In diesem Beitrag wollen wir diese Annah­men mit der Real­ität konfrontieren.

Wie gut sind die Deutschkenntnisse von Migrant/innen?

Der Antrag der CSU zeich­net ein Bild von ein­er Gesellschaft, in der große Teile der Zuwander/innen wegen fehlen­der Sprachken­nt­nisse und/oder fehlen­der Bere­itschaft zum Gebrauch des Deutschen am gesellschaftlichen Leben nicht teil­nehmen kön­nen. Die Wirk­lichkeit sieht anders aus: 85 Prozent der Migrant/innen in Deutsch­land sind der Mei­n­ung, wer die deutsche Sprache nicht beherrsche, könne in Deutsch­land keinen Erfolg haben. ((Sinus Socio­vi­sion (2008), Zen­trale Ergeb­nisse der Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutsch­land, Hei­del­berg, SINUS Markt- und Sozial­forschung GmbH.)) Entsprechend gut sind ihre Deutschken­nt­nisse. Im Rah­men des SOEP-Forschung­spro­jek­ts des Deutschen Insti­tut für Wirtschafts­forschung (DIW) erhobene Dat­en zeigen, dass von den­jeni­gen Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund, die selb­st oder deren Eltern keine deutschen Muttersprachler/innen sind, 79 Prozent gut bis sehr gut Deutsch sprechen. Weit­ere 16 Prozent sprechen aus­re­ichend Deutsch, und nur etwas über 5 Prozent beherrschen die deutsche Sprache eher schlecht oder gar nicht. ((DIW Berlin. (2012). Wie gut sprechen Sie Deutsch?. In Sta­tista – Das Sta­tis­tik-Por­tal. Zugriff am 09. Dezem­ber 2014))

An dieser Stelle wäre ern­sthaft zu fra­gen, ob eine Gesellschaft in ein­er glob­al­isierten Welt es nicht ein­fach aushal­ten muss (und kann), wenn fünf Prozent ihrer Migrant/innen (also auf Deutsch­land bezo­gen max­i­mal ein Prozent der Einwohner/innen ins­ge­samt) die Sprache der Mehrheits­ge­sellschaft nicht beherrschen. Auch in tra­di­tionellen Ein­wan­derungslän­dern wie etwa den USA gibt es kleine Teile der Bevölkerung, die die Mehrheitssprache nicht sprechen ((Tat­säch­lich entspricht die Verteilung der Englis­chken­nt­nisse bei Migrant/innen in den USA ziem­lich genau denen der Deutschken­nt­nisse von Migrant/innen in Deutsch­land, siehe Camille Ryan (2013). Lan­guage Use in the Unit­ed States, U.S. Cen­sus Bureau.)) – das kön­nte also schlicht zur Nor­mal­ität mod­ern­er Gesellschaften gehören. Aber natür­lich spräche das nicht dage­gen, auch den let­zten fünf Prozent dabei zu helfen, Deutsch zu ler­nen, z.B. indem man ihnen, wie es der CSU-Vorschlag vor­sieht, „Sprach­förderung in allen Lebensla­gen“ anbi­etet. Anders als Vorschriften zum häus­lichen Sprachge­brauch kostet das aber natür­lich Geld, und deshalb sieht auch hier die Wirk­lichkeit oft anders aus als alle guten Absichten.

Wie sieht es mit dem Sprachgebrauch der Migrant/innen in Deutschland aus?

Nicht nur bei den Sprachken­nt­nis­sen, auch beim tat­säch­lichen Gebrauch des Deutschen entsprechen Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund nicht dem Bild, das der CSU-Antrag von ihnen zeich­net. Eine Studie des Hei­del­berg­er SINUS-Insti­tuts zeigt: In der Fam­i­lie sprechen 65% der Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund Deutsch (34% auss­chließlich oder haupt­säch­lich, 31% gle­ich­berechtigt neben ihrer Herkun­ftssprache). Weit­ere 18 Prozent sprechen über­wiegend ihre Herkun­ftssprache, aber nur 17 Prozent sprechen in der Fam­i­lie über­haupt kein Deutsch. ((z.B. Carsten Wip­per­mann und Berthold Bodo Flaig (2009). Lebenswel­ten von Migran­tinnen und Migranten, Aus Poli­tik und Zeit­geschichte 5/2009; selb­st bei Unter­suchun­gen, die nicht Migrant/innen ins­ge­samt, son­dern in Deutsch­land lebende Aus­län­der (aus Griechen­land, Ital­ien, der Türkei und dem ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien) unter­suchen, ist es noch eine Min­der­heit von 45 Prozent, die zu Hause auss­chließlich die Herkun­ftssprache ver­wen­det, siehe Son­ja Haug (2008) Sprach­liche Inte­gra­tion von Migranten in Deutsch­land. Work­ing Papers der Forscher­gruppe des Bun­de­samtes für Migra­tion und Flüchtlinge 14.)) Auch hier beste­ht übri­gens wieder eine erstaunlich genaue Übere­in­stim­mung mit der Sit­u­a­tion in den USA, wo es eben­falls 17 Prozent der Migrant/innen sind, die zu Hause auss­chließlich eine andere Sprache als Englisch sprechen. ((siehe Ryan 2013.))

Betra­chtet man nicht nur die Fam­i­lie, son­dern den engen Fre­un­deskreis, steigt die Zahl der Migrant/innen, die haupt­säch­lich Deutsch sprechen, auf 82 Prozent (30% auss­chließlich, 17% über­wiegend, 35 % neben ihren Herkun­fts- oder anderen Sprachen). Nur 11 Prozent sprechen haupt­säch­lich und nur 6 Prozent auss­chließlich ihre Herkun­ftssprache. ((siehe Wip­per­mann und Flaig 2009.)) Die Zahlen der SINUS-Studie wer­den auch durch die SOEP-Dat­en des DIW bestätigt, die zeigen, dass nicht-deutsche Muttersprachler/innen in Deutsch­land als Umgangssprache zu 89,71 Prozent Deutsch ver­wen­den (56,52% über­wiegend und 33,19% neben ein­er anderen Sprache) und nur 10,28 % über­wiegend ihre Herkun­ftssprache. ((DIW Berlin. (2012). Sprechen Sie per­sön­lich in Deutsch­land haupt­säch­lich Deutsch oder ihre Herkun­ftssprache?. In Sta­tista – Das Sta­tis­tik-Por­tal. Zugriff am 09. Dezem­ber 2014.))

Welchen Einfluss hat die Familiensprache auf Sprachkenntnisse?

Selb­st wenn das Prob­lem man­gel­nder umgangssprach­lich­er Ken­nt­nisse nur eine Min­der­heit der Migrant/innen in Deutsch­land bet­rifft, kön­nte man die Frage stellen, inwiefern es sich pos­i­tiv auf den Spracher­werb auswirkt, wenn in der Fam­i­lie Deutsch gesprochen wird. Auch wenn es für sprach­wis­senschaftliche Laien über­raschend sein mag, ist dies eine Frage, die in der Sprachewerb­s­forschung nicht sehr inten­siv bear­beit­et wird (aus Grün­den, die weit­er unten deut­lich werden).

Es gibt aber eine neuere Studie, die sich speziell dieser Frage wid­met: Klassert/Gagarina (2010) bericht­en, dass ein Ein­fluss der zu Hause gesproch­enen Sprache bei Kindern unter 3 Jahren vere­inzelt gezeigt wurde; die Kinder sind in diesem Alter typ­is­cher­weise haupt­säch­lich dem sprach­lichen Input der Eltern aus­ge­set­zt, und wenn diese die Sprache des Ziel­lan­des nicht sprechen, ler­nen die Kinder sie natür­lich auch nicht. Die Autorin­nen zeigen dann aber, dass dieser Ein­fluss sich schon bei vier- bis sech­sjähri­gen rus­sis­chstäm­mi­gen Kindern, die seit etwas über einem Jahr eine deutschsprachige Kita besucht­en, nicht mehr nach­weisen ließ – ob die Eltern zu Hause viel, wenig oder gar kein Deutsch sprachen, hat­te kein­er­lei Kon­se­quen­zen für die Deutschken­nt­nisse ihrer Kinder. ((Annegret Klassert und Natalia Gaga­ri­na (2010). Der Ein­fluss des elter­lichen Inputs auf die Sprachen­twick­lung bilin­gualer Kinder: Evi­denz aus rus­sis­chsprachi­gen Migranten­fam­i­lien in Berlin, Diskurs Kind­heits- und Jugend­forschung 4–2010, S. 413–425.))

Ver­schiedene Stu­di­en des GESIS Leib­niz Insti­tut für Sozial­wis­senschaften zeigen veg­le­ich­bare Ergeb­nisse für türkischstäm­mige Kinder, die im Alter von 3 Jahren in ihrem Erwerb des Deutschen hin­ter ein­sprachig-deutschen Kindern liegen, diese Lücke aber bis zum sech­sten Leben­s­jahr schließen. ((Bir­git Beck­er, Oliv­er Klein und Nicole Biedinger (2013). The devel­op­ment of cog­ni­tive, lan­guage, and cul­tur­al skills From age 3 to 6: A com­par­i­son between chil­dren of Turk­ish ori­gin and chil­dren of native-born Ger­man par­ents and the role of immi­grant par­ents’ accul­tur­a­tion to the receiv­ing soci­ety. Amer­i­can Edu­ca­tion­al Research Jour­nal 50: 616–649.))

Aber es kann doch nicht schaden, wenn Migrant/innen zu Hause deutsch sprechen?

Es ist also klar, dass aus der Per­spek­tive des Spracher­werbs keine Notwendigkeit gibt, Migrant/innen dazu „anzuhal­ten“ oder auch nur zu „motivieren“, zu Hause Deutsch zu sprechen. Wir erin­nern uns: 65 Prozent tun es ohne­hin, ganz ohne Moti­va­tion seit­ens der Poli­tik. Die, die es nicht tun, dürften einen von zwei Grün­den haben: Sie wollen es ganz bewusst nicht (dazu gle­ich mehr), oder sie kön­nen es nicht, weil ihr Deutsch nicht gut genug ist (sie also zu den 5 Prozent gehören, deren Deutschken­nt­nisse sehr schlecht oder gar nicht vorhan­den sind, oder zu den 16 Prozent, deren Deutsch zwar aus­re­ichend ist, ihnen aber für Fam­i­lienge­spräche eben nicht ausreicht).

Bei let­zteren gibt es einen sehr guten Grund, warum es eine schlechte Idee ist, wenn sie zu Hause Deutsch sprechen: Sie wären keine guten sprach­lichen Vor­bilder füreinan­der oder für ihre Kinder. Spracher­werb, vor allem Zweitspacher­werb, erfordert einen reich­halti­gen, dif­feren­zierten und authen­tis­chen Input, und den kön­nen eben nur Sprecher/innen liefern, die die betr­e­f­fende Sprache gut bis sehr gut beherrschen. In Fam­i­lien, die in schlechtem Deutsch miteinan­der kom­mu­nizieren, wür­den sich schnell vere­in­fachte und fehler­hafte Struk­turen und ein unzure­ichend aus­d­if­feren­ziertes Vok­ab­u­lar etablieren (man nen­nt das „Fos­sil­isierung“). Dieses fos­sil­isierte fehler­hafte Deutsch würde dann den Erwerb der tat­säch­lichen Struk­turen außer­halb der Fam­i­lie sog­ar erschweren.

Es gibt einen zweit­en Grund, in der Fam­i­lie die Sprache des Herkun­ft­s­lan­des zu sprechen, selb­st dort, wo die die Deutschken­nt­nisse aus­re­ichen wür­den: Nur so kön­nen die Kinder die Sprache ihrer Eltern ler­nen, und nur so kön­nen die Eltern ihre Sprachken­nt­nisse lebendig erhal­ten. Denn während es kein­er­lei pos­i­tiv­en Ein­fluss auf den Erwerb des Deutschen hat, wenn in der Fam­i­lie Deutsch gesprochen wird, hat es einen nach­weis­baren neg­a­tiv­en Ein­fluss auf den Erwerb der Herkun­ftssprache. Klassert/Gagarina (2010) zeigen, dass die Rus­sis­chken­nt­nisse der unter­sucht­en Kinder sig­nifikant davon abhän­gen, ob und wieviel Rus­sisch zu Hause gesprochen wird. Kinder, die zu Hause eine Sprache sprechen und in der Kita, der Schule usw. eine andere, erwer­ben bei­de Sprachen vollständig.

Der Erwerb der Herkun­ftssprache ist aber aus vie­len Grün­den wün­schenswert. Erstens ermöglicht er den Kindern einen Zugang zur Herkun­ft­skul­tur und zur Gedanken- und Gefühlswelt ihrer Eltern und natür­lich zu Ver­wandten, die nach wie vor im Herkun­ft­s­land leben. Ger­ade die CSU weiß um diese Zuge­hörigkeit und Ver­trautheit stif­tende Funk­tion der Mut­ter­sprache sehr genau: „Nähe und Ver­trautheit, Zuge­hörigkeit und Heimat: Mit unser­er Mundart verbinden wir Gefüh­le, die in unser­er Kind­heit gelegt wer­den. Kinder prof­i­tieren von dem Nebeneinan­der von Dialekt und Hochsprache, der soge­nan­nten inneren Mehrsprachigkeit“, ste­ht auf der Web­seite des Bay­erischen Staatsmin­is­teri­ums für Bil­dung und Kul­tus, Wis­senschaft und Kun­st zum The­ma Dialekt- und Mundart­förderung. Erset­zen wir „Mundart“ mit „Herkun­ftssprache“, gilt diese Aus­sage aber ganz genau so.

Zweit­ens birgt jede Fremd­sprache auch ein ökonomis­ches Poten­zial: Es wäre absurd, in ein­er Zeit, in der Englisch- und manch­mal sog­ar Chi­ne­sis­chunter­richt schon in den Kitas ange­boten wird, die natür­liche Mehrsprachigkeit in Fam­i­lien mit Migra­tionsh­in­ter­grund zu ver­hin­dern. Die Herkun­ft­slän­der, die die CSU bei ihren Vorschlä­gen im Sinn haben dürfte (Bul­gar­ien, Rumänien, und natür­lich die Türkei) wer­den an wirtschaftlich­er Bedeu­tung für Deutsch­land eher zu- als abnehmen, und zweis­prachige deutsch-bul­gar­ische, ‑rumänis­che oder ‑türkische Muttersprachler/innen sind – neben allem anderen – auch schlicht eine wertvolle Ressource für die Gesellschaft insgesamt.

Gibt es also gar keinen Handlungsbedarf?

Es gäbe viele Stellen, an denen die CSU (und andere Parteien) sin­nvolle, wirkungsvolle Sprach­poli­tik betreiben kön­nten. Für erwach­sene Migrant/innen sind die oben bere­its erwäh­n­ten Sprachkurse sin­nvoll und wichtig. Für Kinder ist der Kon­takt zu einem Umfeld wichtig, indem sie eben den reich­halti­gen, authen­tis­chen sprach­lichen Input erhal­ten, der für den Spracher­werb erforder­lich ist. Das kann am offen­sichtlich­sten die Kita (oder, bei älteren Kindern, die Schule) sein; dass bei Schulein­tritt sprach­liche Defizite von Kindern mit Migra­tionsh­in­ter­grund umso geringer sind, je länger sie die Kita besucht haben, ist wis­senschaftlich­er Kon­sens ((Siehe z.B. Bir­git Beck­er (2006) Der Ein­fluss des Kinder­gartens als Kon­text zum Erwerb der deutschen Sprache bei Migrantenkindern. Zeitschrift für Sozi­olo­gie 35(6), S. 449–464.)).

Die CSU kön­nte sich also mit dem Wider­spruch auseinan­der­set­zen, dass sie auf der einen Seite das Betreu­ungs­geld als lang ersehnte „Wahl­frei­heit für Eltern“ feiert und damit auch Eltern mit Migra­tionsh­in­ter­grund dazu ermutigt, ihre Kinder aus ein­er Sit­u­a­tion her­aus zu hal­ten, in der sie mut­ter­sprach­lich Deutsch erwer­ben wür­den, und auf der anderen Seite in die Wahl­frei­heit von Eltern ein­greift, wenn die mit ihren Kindern in ihrer eige­nen Mut­ter­sprache sprechen wollen.

Worum geht es dann eigentlich?

Wenn also Migrant/innen und Nicht-Migrant/in­nen längst über­wiegend „dieselbe Sprache sprechen“ und die Erwartung an Migrant/innen, „die deutsche Sprache zu erler­nen“ auch erfüllt wird, stellt sich die Frage, worum es eigentlich geht. Wenn wir den Vorschlag wohlwol­lend inter­pretieren, zeigt die Tat­sache, dass er auf falschen Grun­dan­nah­men bezüglich der Sprachken­nt­nisse und der Sprache­in­stel­lun­gen von Migrant/innen beruht min­destens, dass die CSU hier ohne die nöti­gen Sachken­nt­nisse Sprach- und Inte­gra­tionspoli­tik betreiben will. Das wäre schlimm genug, denn immer­hin berührt der Vorschlag das Diskri­m­inierungsver­bot in Artikel 3, Abs. 3 des Grundge­set­zes, in dem es heißt:

Nie­mand darf wegen seines Geschlecht­es, sein­er Abstam­mung, sein­er Rasse, sein­er Sprache, sein­er Heimat und Herkun­ft, seines Glaubens, sein­er religiösen oder poli­tis­chen Anschau­un­gen benachteiligt oder bevorzugt wer­den. Nie­mand darf wegen sein­er Behin­derung benachteiligt werden.

Auch bei ein­er wohlwol­len­den Inter­pre­ta­tion kön­nte man den Vor­wurf der Türkischen Gemeinde in Deutsch­land also nicht ganz von der Hand weisen, dass der CSU-Vorschlag „men­schen­feindlich“ und „ver­fas­sungswidrig“ ist.

Allerd­ings gibt es zumin­d­est Hin­weise darauf, dass eine allzu wohlwol­lende Inter­pre­ta­tion dem Vorschlag nicht gerecht wird. Etwa die Tat­sache, dass im sel­ben Absatz gefordert wird, dass der Nachzug von Fam­i­lien­ange­höri­gen an vorher zu erwer­bende Deutschken­nt­nisse geknüpft wer­den soll – eine Regelung, die der Europäis­che Gericht­shof vor eini­gen Monat­en als mit dem EU-Recht unvere­in­bar beurteilt. Etwa die Tat­sache, dass sie schon 2009 ver­sucht hat, die Ver­wen­dung der deutschen Sprache auf Schul­höfen vorzuschreiben. Etwa, dass sie seit langem das Ansin­nen des Vere­ins deutsche Sprache unter­stützt, das Deutsche im Grundge­setz als Staatssprache festzuschreiben (ein Ansin­nen, über dessen Prob­leme und ide­ol­o­gis­che Hin­ter­gründe wir im Sprachlog aus­führlich disku­tiert haben).

Es spricht also einiges dafür, dass es der CSU nicht vor­rangig um Inte­gra­tion oder um Sprachken­nt­nisse geht, son­dern schlicht darum, sich den Real­itäten ein­er kul­turellen (und damit auch sprach­lichen) Vielfalt zu ver­weigern, die unsere Gesellschaft längst kennzeichnet.

Ein Beitrag von Ana­tol Ste­fanow­itsch, Susanne Flach & Fatih Özcan.

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