Eins der Unwörter, das mir in der Berichterstattung über Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte bisher entgangen ist, ist das Wort Asylbefürworter. Tatsächlich konnte ich zunächst kaum glauben, dass es wirklich verwendet wird, als ich es heute früh in diesem Tweet des MDR Sachsen las:
Polizei: Angriff auf #Asyl-Befürworter in #Chemnitz-Markersdorf. Insgesamt 5 Verletzte. Auseinandersetzungen bis weit nach Mitternacht
— MDR SACHSEN (@MDR_SN) October 10, 2015
Eine schnelle Recherche ergab dann aber, dass das Wort tatsächlich von den Medien verwendet wird – nicht nur vom MDR, sondern z.B. auch von der sächsichen Freien Presse, von Spiegel Online, der Bild, dem Handelsblatt, dem Deutschlandfunk und der Tagesschau.
Anders als die Wörter Asylkritiker (das in den Medien nur noch selten verwendet wird) und Asylgegner (das sich nach wie vor findet) ist Asylbefürworter kein offensichtlicher Euphemismus: die so bezeichneten – nämlich die Menschen, die sich seit Monaten schützend vor Flüchtlingsheime stellen – dürften tatsächlich starke Befürworter des Asylrechts sein.
Trotzdem ist es natürlich schon auf den ersten Blick eine ausgesprochen unglückliche Wortschöpfung, und zwar aus mindestens zwei Gründen. Erstens ist es offensichtlich ein symmetrisches Gegenstück zum Asylgegner oder -kritiker und wird oft auch so verwendet:
- den Fremdenfeinden, Rassisten und Rechten entgegenstellenEtwa 200 Asylgegner aus dem rechten Lager standen 350 Asylbefürwortern gegenüber. (Spiegel Online)
- Ansonsten sei es der bisher ruhigste Abend der Woche gewesen, die 100 Asylgegner und die 100 Asylbefürworter hätten sich friedlich verhalten… (Sächsische Zeitung)
- Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich Asylgegner und Asylbefürworter gewalttätige Auseinandersetzungen liefern könnten. (Welt)
- Laut Angaben der Polizei trafen am Mittwoch etwa 80 Asylbefürworter auf 160 Asylgegner. (Dresdner Neueste Nachrichten)
- Wie die Polizei berichtet, hatten sich von Freitagmittag bis in die Nachtstunden in der Nähe der Unterkunft teilweise bis zu 150 Personen, sowohl Asylkritiker als auch Asylbefürworter, aufgehalten. (Freie Presse)
Interessanterweise geschieht diese symmetrische Gegenüberstellung häufig in Zitaten der Polizei und anderer Behörden (wie in den Beispielen 2 bis 5).
Es ist klar, wo hier das Problem liegt: Das Wort Asylbefürworter trägt dazu bei, die schon im Wort Asylgegner angelegte euphemistische Vorstellung zu stärken, hier ginge es um eine sachliche Auseinandersetzung bezüglich des Asylrechts und der Asylpolitik. Das Wort Asylbefürworter legitimiert also das Wort Asylgegner – und zwar auch dort, wo es nicht symmetrisch verwendet wird, wie in den folgenden Beispielen:
- Dresdner Rechtsextreme attackieren Asylbefürworter (Spiegel Online)
- In Freital hat ein ausländerfeindlicher Mob erst im Juni nächtelang unwidersprochen vor einer Unterkunft protestiert, es kam zu gewalttätigen Angriffen auf Asylbefürworter. (Handelsblatt)
Hier werden die Angreifenden zwar realistisch benannt, aber das Wort Asylbefürworter stellt die Situationen trotzdem so dar, als ob die Angriffe der befürwortenden Haltung zur Asylpolitik gelten. Tatsächlich sind die Angriffe natürlich dadurch motiviert, dass die „Asylbefürworter“ – größtenteils linke Aktivist/innen – bei den Rechten mindestens genauso verhasst sind, wie die Asylsuchenden selbst.
Und tatsächlich, und das ist der zweite Grund dafür, dass das Wort in seriösen Medien nichts zu suchen hat, handelt es sich bei Asylbefürworter aller Wahrscheinlichkeit nach um eine rechte Wortschöpfung: die frühesten Belege finden sich auf rechten Webseiten und in Foren- und Blogkommentaren mit rechten Inhalten. Der Asylbefürworter steht damit auf einer Ebene mit dem Gutmenschen – die Bezeichnung klingt zwar von der wörtlichen Bedeutung her positiv, ist aber abschätzig gemeint. Das Wort findet sich auch heute noch im rechten Sprachgebrauch im sprachlichen Umfeld von Wörtern wie Antifant, Asylfanatiker und links-rot-grün-versiffter Gutmensch.
Noch einmal: Man kann und darf gegen das deutsche Asylrecht und die deutsche Asylpolitik sein und das auch zum Ausdruck bringen. Aber das tut man nicht, indem man sich vor Flüchtlingsheime stellt und Hassparolen skandiert. Das wäre, wie Herr Häkelschwein es so treffend formuliert hat, so, als demonstriere man gegen die Familienpolitik, indem man sich vor Kindergärten stellt und die Kinder anschreit. Stattdessen tut man es, indem man dorthin geht, wo die Regierung einen hört. Und die Regierungsparteien sind ja derzeit die größten Asylgegner – sie verschärfen das Asylrecht, schreien nach (verfassungswidrigen) Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen und drohen dann noch, sich wegen eines zu laschen Umgangs mit dem Asylrecht gegenseitig zu verklagen. Echte Asylgegner dürfen also damit rechnen, mit ihrer Asylkritik auf offenste Ohren zu stoßen.
Man kann und darf auch für das deutsche Asylrecht sein, und man darf fordern, dass es beibehalten oder ausgeweitet wird. Wie gesagt gehe ich davon aus, dass das bei vielen Menschen der Fall ist, die sich Fremdenfeinden, Rassisten und Rechten entgegenstellen, wenn die vor Flüchtlingsunterkünften hetzen und randalieren. Aber diese Menschen stehen dort nicht, um für das Asylrecht zu demonstrieren, sondern eben, um sich den Fremdenfeinden, Rassisten und Rechten entgegenzustellen. Es sind – ob sie sich selbst so nennen oder nicht – Antifaschist/innen. Wir sollten alle froh sein, dass es sie gibt und wir sollten ihre Motivation nicht mit dem lauwarmen Wort Asylbefürworter verhüllen.
Aber selbst zwischen “Asylgegnern”, die ihre Meinung auf adäquate, nicht gewalttätige, Form und am dafür geeigneten Orte zum Ausdruck bringen und den “Asylbefürwortern” besteht m. E. keine Symmetrie.
Die Asylgegner*innen stellen sich ja außerhalb des geltenden Verfassungsrechts. Wenn Linke das tun, wird das idR nicht so tolerant gehandhabt und deren Sorgen verstanden. Und so ganz nebenbei finde ich ja auch, dass die verfassungsrechtliche Garantie von Asyl für politisch Verfolgte sowas wie Teil unserer “deutschen Leitkultur” sein dürfte.
Ich bezweifle doch sehr, dass die Menschen, die sich schützender Weise vor Wohnheime stellen, Befürworter des Asylrechts in seiner gegenwärtigen Form sind. Muss halt vorsichtig sein, “Recht auf Asyl” nicht mit “Asylrecht” zu verwechseln.
Häh?
“Asylbefürworter” klingt jetzt vllt. etwas “ausgedacht”, aber dass das Wort ein Unwort sein soll, weil es indirekt “Asylgegner” legitimiert, ist doch wohl erst Recht konstruiert.
“Atomgegner” gibt es ja auch in verschiedenen Versionen: solche, die sich durch Demos, Wahlen und andere demokratische Mittel gegen Atomkraft engagieren, und solche, die Gewalttaten und andere Rechtsbrüche einsetzen.
Ob die Angriffe in Beispiel 6+7 aus anderen Gründen als der Pro-Asyl-Haltung der Angegriffenen erfolgte, geht aus den Artikeln nebenbei _nicht_ hervor. Meinen Sie, sog. “bürgerliche” AsylgegnergegnerInnen wären nicht angegriffen worden? Warum?
Aber dessenungeachtet, was wäre denn ein besserer Begriff? AsylgegnergegnerInnen? AsylverteidigerInnen?
… war das jetzt eigentlich ein sprachnörgelnder Blogbeitrag?
Mein Vorschlag wäre ja Grund- und Menschenrechts-Befürworter bzw. ‑Gegener, leider etwas ungelenk aber treffend :>
“Asylbefürworter” legt eine falsche Assoziation hinsichtlich der Handlungsmotivation nahe: “Befürworter” sind in anderen politischen Diskussionszusammenhängen in meiner Wahrnehmung meistens solche, die eine Veränderung in ihrem Sinne erwirken wollen. Grexit-Befürworter, Reformbefürworter, TTIP-Befürworter, Befürworter der Homo-Ehe. In unserem Falle haben wir es aber eher mit “Asylverteidigern” zu tun: diese stehen auf der Stellung eines Abwehrgefechts (und das oft genug wortwörtlich-physisch und daher in prekärer Lage). Die bei “Asylbefürworter” in meinen Ohren auch mitschwingende Suggestion, dass es sich um Aktive handle, um “Angreifer” gewissermaßen, passt ganz trefflich zur Denkungsart und Sprachregelung von “Flut”, “Schwemme” und “überrannt werden”: Asylbefürworter sind Volksverräter, Kollaborateure, die von innen die Schleusen oder Stadttore öffnen. Die Evokation der Idee aber, dass Asylverteidiger auch Verteidiger von gefährdeten Errungenschaften sein könnten, wird vom Begriff “Asylbefürworter” eher unwahrscheinlich gemacht.
Und auch wenn es mit Befürwortern etwa der Kernenergie auch Befürworter auf eher in Verteidigungshaltung befindlichen Positionen gibt: im Befürworten schwingt mit, dass man etwas, das immerhin diskutabel ist, für eine gute Idee hält. Begriffe wie Menschenrechtsbefürworter oder auch (im heutigen mitteleuropäischen Kontext) Demokratiebefürworter haben etwas Absurdes: sie relativieren die Position der so Bezeichneten. Aus einer einzufordernden Selbstverständlichkeit wird nur noch eine von mehreren diskutablen Möglichkeiten.
“Du bist ja auch so ein Asylbefürworter!” -
“Äh, was? … Achso … verstehe. Nein, du benutzt das falsche Wort. Was du eigentlich meinst, ist: Mensch.”
@J. Nämlich:
“Asylbefürworter” “klingt” für mich danach, dass jemand befürwortet, dass jemand (anders) Asyl, also das dauerhafte Bleiberecht, bekommt.
Auf die meisten, auf die diese Vokabel angewandt wird, trifft dies anscheinend zu.
“Asyl”, nicht “Asylrecht”, wäre hier das Äquivalent zum “Grexit” oder zur “Homoehe”.
Wenn jemand ein (neues oder noch nicht vorhandenes) Asylrecht befürworten würde, wäre das ein Asylrechtbefürworter oder Asylreformbefürworter. Oder ‑in, natürlich.
Dass man Zeitungsbegriffe auch kaputtdiskutieren kann, ist ansonsten nichts neues. Mein Lieblingsbeispiel:
Genmais ist ein Lebewesen, und Biomais enthält Gene. Wo ist also der Unterschied, der diese Vorsilben rechtfertigt?
@ Mycroft:
Mir geht es um Assoziationen, um Mitschwingendes oder vom Begriff nahegelegtes. Das auszugraben, halte ich bei der Bewertung politischer sprachlicher Belange für wichtiger als eine Passgenauigkeit von Begriffen in einem gleichungsartigen logischen Gefüge.
An Kaputtdiskutieren glaube ich übrigens nicht. So etwas existiert nicht.
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Na gut, ich halte die Genauigkeit von Begriffen, _Pass_genauigkeit ist zuviel verlangt, eben für wichtiger als Assoziationen. Vor allem, weil Assoziationen so unscharf und subjektiv sind.
“Kaputtdiskutieren” löst wohl die falschen Assoziationen aus, ich nehme das Wort von daher zurück. 😉
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Warum eigentlich ‘Rassisten’ und nicht ‘Rassist/innen’, aber dafür ‘Antifaschist/innen’
Ihnen ist die Gender-Gerechtigkeit sonst so wichtig?
Ist Ihnen da ein Lapsus unterlaufen (der Ihnen sonst nie unterläuft) oder wollen Sie andeuten Rassisten=Männer?
Was ich problematisch und — ja — leider auch sexistisch fände, zumal es noch nicht mal stimmt: rechtsextremitische Einstellungen sind unter Frauen leider genau so verbreitet wie unter Männern; siehe
http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/FragileMitte-FeindseligeZustaende.pdf Seite 38f
Es interessiert mich wirklich, ob Absicht dahinter stand oder Unachtsamkeit, und für eine ehrlich Auskunft Ihrerseits wäre ich dankbar!