Man ist so Wort, wie man sich fühlt

Von Anatol Stefanowitsch

Das Jugend­wort des Jahres 2015 wurde eben bekan­nt gegeben. Wie auch in den let­zten Jahren (2013, 2014) sind dem Sprachlog die Aufze­ich­nun­gen der Beratun­gen aus den Redak­tion­sräu­men des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt zuge­spielt wor­den, die wir im Fol­gen­den ungekürzt veröffentlichen.

Aufze­ich­nung 1: Im Büro von DR. WORTWISPERER, Ober­lexiko­graf des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt in München.

Anwe­send sind OBERLEXIKOGRAF DR. WILLHELM WORTWISPERER und ASSISTENZOBERLEXIKOGRAF SIEGFRIED SILBENSÄUSLER.

SILBENSÄUSLER. Wortwisper­er, Wortwisperer!

(STILLE)

SILBENSÄUSLER. Aufgewacht, Wortwisperer!

WORTWISPERER. Potz­tausend, Sil­ben­säusler! Wie oft habe ich Ihnen gesagt, Sie sollen mich nicht beim Sin­nieren unterbrechen!

SILBENSÄUSLER. Par­don, Wortwisper­er, aber es eilt! Der Herr Direk­tor Schlangenei­dt ver­langt das Jungspund­wort des Jahres!

WORTWISPERER. Gemach, gemach, Sil­ben­säusler. Wir fra­gen ein­fach wieder das Fräulein Jan­i­na, ob ein­er dieser soge­nan­nten Jutiu­bian­er kür­zlich eins dieser kurzen Licht­spiele mit Sprechge­sang aufgeze­ich­net hat, in dem ein geeignetes Wort auftaucht.

SILBENSÄUSLER. Dazu ist keine Zeit, Wortwisper­er! Wir sollen umge­hend beim Her­rn Direk­tor vor­sprechen, er will das Wort noch heute!

WORTWISPERER. Begeben wir uns gle­ich zur Rohrpost­sta­tion, Sil­ben­säusler, wir müssen uns eben just etwas ausdenken.

Aufze­ich­nung 2: An ein­er Rohrpost­sta­tion mit Verbindung zum Haupthaus des Wörter­buchver­lags Schlangeneidt.

SILBENSÄUSLER. Was tun wir denn jet­zt, Wortwisper­er! Ich kann es mir nicht leis­ten, unrühm­lich in den Vor­ruh­e­s­tand geschickt zu wer­den, mit ger­ade ein­mal 96 Jahren.

WORTWISPERER. Keine Sorge, Sil­ben­säusler, wir denken uns ein­fach eines dieser neu­modis­chen Kof­fer­wörter aus – das wird dem Her­rn Direk­tor Schlangenei­dt gefallen.

SILBENSÄUSLER. Ein Kof­fer­wort! Mon Dieu, Sie sind ein Genius, Wortwisperer!

WORTWISPERER. Sie Schme­ich­ler, Sil­ben­säusler! Aber im Ernst: Was wis­sen Sie über die Befind­lichkeit der Jungspunde heutzutage?

SILBENSÄUSLER. Schwierig, schwierig, Wortwisper­er. Ich tre­ffe so sel­ten welche – die Jungspunde heutzu­tage gehen ja kaum noch in die Oper!

WORTWISPERER. Das stimmt, das stimmt, Sil­ben­säusler. Keine Kul­tur mehr, diese jun­gen Banausen.

SILBENSÄUSLER. Aber mir ist aufge­fall­en, dass sie ständig auf diese kleinen Täfelchen star­ren – mein Neffe hat mir erk­lärt, das seien trag­bare Fernsprechapparate!

WORTWISPERER. Stimmt, stimmt! Man kann damit wohl sog­ar diese mod­erne Jazz-Musik spie­len, habe ich neulich in meinem Rund­funkemp­fangs­gerät gehört. Mit Streifen – Lochstreifen vielle­icht? Nein, warten Sie, „Striemen“ hieß es dort.

SILBENSÄUSLER. Wun­der­sam, Wortwisper­er! Aber trau­rig, dass die Jungspunde so mit diesen Fern­sprech­er-Täfelchen befasst sind, dass sie einem kaum noch in die Augen blicken.

WORTWISPERER. Das stimmt, Sil­ben­säusler. Wir haben uns ja früher noch mit einem guten Grund nicht in die Augen geblickt: Wir haben Zeitung gele­sen! Aber diese Jungspunde – sie sind wie Untote, wie sie auf ihre Fern­sprech­er-Täfelchen star­ren und alles um sich herum vergessen.

SILBENSÄUSLER. Eine vorzügliche Obser­va­tion, lieber Wortwisper­er! Dieser junge Philosoph, der immer im Fer­n­tonk­i­no spricht, hat neulich etwas ähn­lich­es bemerkt. Wie hieß er noch gleich?

WORTWISPERER. Precht?

SILBENSÄUSLER. Nein, doch nicht so jung!

WORTWISPERER. Matussek?

SILBENSÄUSLER. Ja, der kön­nte es gewe­sen sein. Nein, der Herr Pro­fes­sor Spitzer war’s! Die trag­baren Fern­sprech-Täfelchen senken die Intel­li­genz der Jungspunde, hat er herausgefunden.

WORTWISPERER. Kann man die über­haupt noch senken, Silbensäusler?

(STILLE)

WORTWISPERER. Ein Scherz, Silbensäusler!

SILBENSÄUSLER. Ach so, und ich habe ger­ade noch über­legt! Ho, ho, ho, Wortwisper­er, Sie sind mir ja einer!

WORTWISPERER. He, he, he!

SILBENSÄUSLER. Ha, ha, ha!

WORTWISPERER. Aber Sil­ben­säusler, das ist es! Wir bilden ein Kof­fer­wort aus „Fern­sprech­er“ und „Untot­er“, und das schick­en wir dem Her­rn Direktor!

SILBENSÄUSLER. Exzel­lente Idee! „Fernspot­er“, vielle­icht? Oder „Untech­er“?

WORTWISPERER. Nein, das hat bei­des keinen recht­en Wohlk­lang, Silbensäusler.

SILBENSÄUSLER. Vielle­icht, wenn wir englis­che Wörter ver­wen­den? Die Jungspunde lieben doch alles, was Englisch ist!

WORTWISPERER. Gute Idee, schauen Sie doch ein­mal im Wörter­buch nach.

SILBENSÄUSLER (blät­tert). Also, diese mobilen Fern­sprech­er nen­nt man wohl „Smar­fohn“, sagt mein Neffe. Und Untot­er heißt, Moment… ah, hier: „Zom­bie“.

WORTWISPERER. Gut, dann nehmen wir „Zom­fohn“… nein, das tönt auch nicht recht.

SILBENSÄUSLER. Ich habs, Wortwisper­er: „Smom­bie“!

WORTWISPERER. Don­ner­littchen, Sil­ben­säusler, das ist es! Notieren Sie es schnell auf einem Stück Perga­ment und schick­en Sie es ab! Hier, nehmen Sie meinen Fed­erkiel. Und hier, mein Tintenfass.

(Man hört das Kratzen eines Fed­erkiels auf Perga­ment, dann das Geräusch von Pressluft.)

WORTWISPERER. Warten Sie, Sil­ben­säusler – die Jungspunde, die sind ja von ihren Fern­sprech-Täfelchen ganz ange­tan. Die betra­cht­en sich doch selb­st wom­öglich gar nicht als Untote!

SILBENSÄUSLER. Zu spät, Wortwisper­er, die Rohrpost ist schon abgeschickt.

7 Gedanken zu „Man ist so Wort, wie man sich fühlt

  1. Pingback: Smombie oder wie es zum Jugendwort des Jahres 2015 kam | The Sausage Machine

  2. egghat (@egghat)

    Haha, sehr gut! So ähn­lich muss das abge­laufen sein.

    Wirk­lich benutzt wird “Smom­bie” wohl nicht, zumin­d­est nicht in diesem Inter­netz, das von Google indiziert wird. Nach etwas Bere­ini­gung der Suche um Begriffe wie “Jugend­wort” (etc.) bleiben nur noch 14 (!) Tre­f­fer übrig und auch diese enthal­ten min­destens zur Hälfte kein­er­lei Hin­weis darauf, dass sie ein Men­sch in einem sin­nvollen Zusam­men­hang einge­set­zt haben könnte:

    http://www.diewunderbareweltderwirtschaft.de/2015/11/smombie-ist-jugendwort-2015-das-keiner-benutzt.html

    Dass das Jugend­wort zum Teil Mar­ket­ing ist, war glaube ich jedem bewusst. Seit heute glaube ich aber, dass es NUR Mar­ket­ing ist und NULL sprach­wis­senschaftliche Rel­e­vanz hat.

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  3. Susanne

    Jet­zt bin ich wieder etwas beruhigt. Dachte heute, als ich vom Jugend­wort hörte, schon, ich werde alt bzw. bin es schon. Habs ehrlich noch nie gehört oder gele­sen. Aber nun habe ich ja noch ne Chance…

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  6. Honigkuchenpferd

    …und ich dachte schon, ich sei ein­fach nicht mehr jugendlich genug, weil ich das Wort nicht kenne. Gottseidank!

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