Akrobatischer Advent

Von Kristin Kopf

Unser let­ztes Don­ner­stagsrät­sel wartet noch auf Auflö­sung. Gefordert war die paar­weise ety­mol­o­gis­che Verbindung aus dem fol­gen­den Worthaufen:

2016-08-Rätsel_SprachlogIn den Kom­mentaren wurde fleißig und zumeist auch richtig ger­at­en. Für alle, die dazu keine Lust hat­ten, vol­lziehe ich die Win­dun­gen aber heute und in den näch­sten Tagen noch ein­mal kurz nach, bevor ich zur Siegerehrung schre­ite. Los geht’s mit den Wörtern auf A:

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Jas­trow (2007) (CC BY 2.5)

Advent und Akrobat

Der Advent gehört zu lat. advenīre ‘ankom­men’ (ad ‘zu’, venīre ‘kom­men’) weil es die Zeit ist, die vor der “Ankun­ft” Jesu liegt. Im Akro­bat steckt zunächst griech. ákros ‘höchst, äußerst, an der Spitze’ — man ken­nt es von der Akropo­lis, die wörtlich ein­fach die ‘Ober­stadt’ ist. Der zweite Teil des Akro­bat­en geht auf griech. bá͞inein ‘gehen, schre­it­en’ zurück. Die Aus­gangs­be­deu­tung des Wortes war damit ‘auf (Fuß-)Spitzen gehend’.

Schon im alten Griechen­land war akro­batis­che Betä­ti­gung aber nicht auf die Zehen beschränkt: Darstel­lun­gen wie hier aus dem 4. Jh. v. Chr. zeigen Ver­renkun­gen, die auch heute noch gemacht wer­den. Anfang des 19. Jh. gelangte das Wort Akro­bat, wahrschein­lich über das Franzö­sis­che, ins Deutsche, wo es zunächst nur für Seiltänz­er gebraucht wurde. Als sich kurz darauf der Zirkus, wie wir ihn heute ken­nen, entwick­elte, wurde das Wort in sein­er Bedeu­tung erweitert.

So also die getren­nten Wort­geschicht­en — wo ver­ber­gen sich aber die Gemein­samkeit­en? Die bei­den Fort­be­we­gungsver­ben venīre und bá͞inein sehen sich auf den ersten Blick wenig ähn­lich, gehen aber auf eine indoger­man­is­che Wurzel zurück und haben im Deutschen das eben­falls uner­wartete Geschwis­terchen kom­men. Wie geht das? Zugrunde liegt wohl idg. *gwa-, *gwem- ‘gehen, kom­men’. In den ger­man­is­chen Sprachen, darunter das Deutsche, hat sich das g in einen k-Laut ver­wan­delt. ((Das ist eine ganz reg­uläre Verän­derung im Rah­men der sog. 1. Lautver­schiebung, die bei allen Wörtern mit g einge­treten ist. Im Althochdeutschen (500‑1050 n.Chr.) lautete das Wort daher que­man (q für den k-Laut, u für den Hal­b­vokal, der wie das englis­che water aus­ge­sprochen wurde), im Mit­tel­hochdeutschen (1050–1350) ver­schmolz der Hal­b­vokal mit dem fol­gen­den e zu einem o.)) Im Lateinis­chen und Griechis­chen hat man dage­gen das g abge­wor­fen, sodass das Wort nun mit dem zweit­en Laut begann. Der blieb im Lateinis­chen ein w-Laut (gesprochen wie in engl. water), im Griechis­chen entwick­elte er sich zum laut­lich nicht weit ent­fer­n­ten b: Bei­de Laute wer­den an den Lip­pen gebildet, im Gegen­satz zum Hal­b­vokal w ver­schließt man sie aber beim b kurz kom­plett (“Plo­siv”).

Armut und Kleinod

Das ist ein gemeines Paar: Die Armut war im Althochdeutschen (500‑1050) eine armuotī, aus dem Adjek­tiv arm und der heute nicht mehr gebräuch­lichen Sub­stan­tiven­dung -uotī/ōtī. Die steckt auch ander­swo: Die Einöde (ahd. einōtī mit ein ‘ein, allein, ein­sam’) hat gar nichts mit öde zu tun — das dachte man aber schon in mit­tel­hochdeutsch­er Zeit (1050–1350), weshalb man das alte ōt volk­se­t­y­mol­gisch in ein öd ver­wan­delte. Auch der Zier­rat (mhd. zierōt) ist eigentlich (im Gegen­satz zum Haus­rat und Unrat) kein Rat – die Volk­se­t­y­molo­gie hat sich aber eben­falls durchge­set­zt, weshalb man es heute mit dop­pel­tem <r> schreibt. 

Bei der Heimat (ahd. heimōti mit heim) wird man zwar nicht auf eine falsche Fährte gelockt, aber erkennbar ist die Endung auch hier nicht mehr. Und eben­so ist es beim Klein­od, das, von klein abgeleit­et (mhd. kleinōt), anfangs ein­fach nur ein kleines Ding war, sich dann aber schnell zu ein­er kleinen Kost­barkeit mauserte. Zeitweise kon­nten auch ganz schön große Dinge ein Klein­od sein, man denke nur an die Reich­sklein­o­di­en. Heute sind meist Schmuck­stücke gemeint, oder man benutzt es im über­tra­ge­nen Sinne z.B. für als Schatz emp­fun­dene Gebäude (wie hier Schloss Friedrichs­felde) oder Ortschaften (Szeged). Manch ein­er erk­lärt das Klein­od schon für bedro­ht oder aus­gestor­ben, andere ver­helfen ihm dage­gen zu neuem Leben: Das in Analo­gie dazu gebildete Großod taucht immer wieder in deutschen Zeitun­gen auf.

Mit Freuden ent­nehmen wir der Agen­turmel­dung, daß wenig­stens der Bun­deskan­zler die Bun­deskun­sthalle vor den Men­schen draußen im Lande als „echt­es Klein­od“ beze­ich­net habe. „Echt­es Großod“ hät­ten wir von Hel­mut Kohl ja auch nicht erwartet. (ZEIT, 26.6.1992)

Das Klein­od, das ein Großod wer­den möchte [Osnabrück, KK], bekam einen lang ersehn­ten Wun­sch erfüllt und ist seit Ein­führung des Win­ter­fahrplans endlich ICE-Hal­testelle. (taz, 24.2.2004)

Ein Gang durchs Großod von Darm­stadt | ECHO-Som­mer­tour – Mit Lesern durch den Botanis­chen Garten (Echo, 13.8.2014)

Und damit endet die Betra­ch­tung sprach­lich­er Schmuck­stücke für heute — bis dem­nächst, dann mit körni­gen Sol­dat­en an der Grenze!

Ein Gedanke zu „Akrobatischer Advent

  1. Stefan Langeberg

    Im dwds.de gefunden:
    “(…) kleinot rümpt vnnd preyßt.”

    Paulus dise zeügnuß Dauids in den gschicht­en der Apos­tlen von Chris­to außgelegt habend / so kan doch nie­man löug­nen / dann das sich dis­es auch sein­er weyß auff Dauiden reyme / welch­er imm sel­bi­gen Psalmen sein glauben beken­nt / sein hoff­nung erk­lärt / vnd sein Mich­tam / das ist sein wol­lust / sein fröüd / sein zier vnd kleinot rümpt vnnd preyßt.”
    (Bullinger, Hein­rich: Haußbuoch. Zürich, 1558)

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