Die Jury hat sich die Wahl zum Anglizismus des Jahres auch diesmal nicht leicht gemacht, aber mit Fake News gab es einen Kandidaten, der 2016 eine so plötzliche und massive Präsenz im öffentlichen Diskurs erlangt hat, dass es am Ende doch keine ernsthafte Alternative gab. Damit haben wir seit langem wieder einmal einen Anglizismus des Jahres, von dem niemand behaupten kann, ihn nicht zu kennen, und dem niemand vorwerfen kann, er sei zu alt.
Dabei beginnt die Geschichte dieses Ausdrucks schon im späten 19. Jahrhundert. Die früheste Verwendung, die ich finden konnte, stammt aus der Zeitschrift American Historical Register vom November 1894 in einer Diskussion über die Rolle und Qualität von Lokalzeitungen in den USA wird eine Meldung über eine (angebliche) Flucht Napoleons nach Florenz beschrieben. Die Autorin stellt dann fest, dass Napoleon zur betreffenden Zeit auf der Höhe seines Erfolges war und dass es außer den Wunschvorstellungen seiner Gegner keine Belege für die beschriebenen Ereignisse gibt – Or was it “fake news”?, fragt sie rhetorisch.
Dieser frühe Beleg hat damit schon fast alle Eigenschaften dessen, was die heutige Verwendung des Begriffs ausmacht – der Ausdruck fake news bezeichnet hier bereits eine frei erfundene Nachricht, die einen politischen Gegner in ein schlechtes Licht stellt und die deshalb dankbar aufgenommen wird, weil sie ins Weltbild derer passt, an die sie sich richtet. Das einzige, was sie von den heutigen Fake News unterscheidet, ist die Tatsache, dass diese Nachricht in einer kleinen Landzeitung in den USA steht, und nicht auf einem Screenshot auf Facebook. Übrigens: Auch in England und den Kolonien gab es damals schon Gesetze, die die Verbreitung gefälschter Nachrichten unter Strafe stellen – die werden damals aber (noch) nicht als fake news, sondern als false news bezeichnet.
Das Wort fake news bleibt lange eine Gelegenheitserscheinung. Erst seit den 1990er Jahren wird es langsam zu einem feststehenden Begriff. Dabei bezeichnet es meistens satirische Nachrichtensendungen und ‑magazine, wie Jon Stewarts The Daily Show oder das amerikanische Vorbild und Äquivalent des Postillon, The Onion. Auch zu dieser Zeit werden in propagandistischer Absicht verbreitete absichtliche Falschmeldungen hauptsächlich als false news (items/reports) bezeichnet. Aber punktuell findet sich auch der Ausdruck fake news in dieser Bedeutung, z.B. in Frank Kelly Richs Buch „The Greatest Story Ever Sold: The Decline and Fall of Truth in Bush’s America“, in dem eine fake news factory der Bush-Regierung beschrieben wird, in der fake journalists Propaganda im Nachrichtengewand erstellen.
Die Bedeutungsentwicklung des Ausdrucks geht dann aber zunächst in eine andere Richtung – immer häufiger bezeichnet er bewusste Falschmeldungen in sozialen Netzwerken, die entweder in kommerzieller Absicht verbreitet werden – um Klicks auf Seiten mit Werbeanzeigen zu erzeugen –, oder schlicht aus Freude daran, Menschen beispielsweise mit erfundenen Todesanzeigen Prominenter zu verwirren.
In dieser Bedeutung taucht der Ausdruck seit einigen Jahren ab und zu auch in deutschen Texten auf. Ein frühes Beispiel ist ein Bericht im Juli 2014 über eine Meldung, dass Manuel Neuer im Finale der Fußballweltmeisterschaft ausfallen werde. Allerdings gab und gibt es im Deutschen für solche Meldungen schon Wörter wie Hoax-Nachricht oder Hoax-Meldung, gegen die sich der Neuankömmling Fake News nicht durchsetzen konnte.
Erst im November 2016 schafft Fake News einen plötzlichen und heftigen Durchbruch in den allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser geht einher mit einer weiteren Bedeutungsverschiebung: Das Wort bezeichnet im Englischen inzwischen wieder die Art von Manipulationsabsichten und Wunschvorstellungen getriebene Propaganda, die schon im Erstbeleg über Napoleons Flucht anklingt – erweitert um den Aspekt der Verbreitung über die Sozialen Medien, der auch für der Verwendung zur Bezeichnung von Hoax-Meldungen charakteristisch ist. Ins öffentliche Bewusstsein und in den allgemeinen Sprachgebrauch gelangt es in Diskussionen um die Ursachenfindung zum Wahlerfolg des US-Präsidenten Donald Trump, der angeblich auf Fake News zurückzuführen gewesen sei (was inzwischen von wissenschaftlicher Seite bezweifelt wird).
Das Wort Fake News – im Deutschen auch Fake-News oder sogar Fakenews geschrieben – füllt damit differenzierend eine Lücke zwischen den etablierten Wörtern Falschmeldung und Propaganda. Anders als die Falschmeldung, die ja sowohl absichtlich als auch unabsichtlich falsch sein kann, sind die Fake News immer absichtlich falsch. Und anders als die Propaganda, die das Ziel hat, das öffentliche Bewusstsein systematisch und tiefgreifend zu beeinflussen, sind die Fake-News eher auf die Bestätigung bestehender Vorurteile bei bestimmten Zielgruppen ausgerichtet. Ganz im Sinne eines postfaktischen Zeitgeistes geht es häufig auch gar nicht darum, dass die Fake News tatsächlich geglaubt, sondern nur, dass sie für möglich gehalten werden und so ein Gegengewicht zu den tatsächlichen Nachrichten in den „etablierten“ Medien (vulgo „Lügenpresse“) bilden können.
Diese Lücke kann das Wort unter anderem füllen, weil das Wort fake, anders als das Wort falsch in Wörtern wie Falschmeldung oder dem neu geprägten Falschnachricht eindeutig die bewusste Fälschung und Täuschungsabsicht hinter den Fake News anspricht. Anders als falsch (oder das englische false) bezeichnet das Adjektiv fake bewusste, in Täuschungsabsicht hergestellte Nachbildungen von Dingen – Pelze, Pässe, Bärte, Wimpern, Geld, Schmuck, Schnee und nun eben auch news. Dieses bedeutungsdifferenzierende Potenzial hat das Adjektiv fake schon vor drei Jahren auf die Shortlist zum Anglizismus des Jahres gebracht und es ist auch Bestandteil der einzigen Eindeutschung des Wortes Fake News, der wir Erfolg prognostizieren: Fakenachrichten.
Das Wort klingt so undeutsch, es verwendet doch fast keiner. Fälschung, gefälschte Nachricht — wozu braucht man da was englisches?
Deine Aussage
legt nahe, dass es keine Regel gibt, wie es geschrieben werden muss, dass man sich quasi aussuchen kann, wie man es schreibt.
An anderen Orten habe ich jedoch gelesen, dass Wörter, die in den deutschen Wortschatz übergehen den deutschen Regeln entsprechend zu schreiben sind, was für mich auf ein kompromissloses Fakenews hinausläuft. Als Substantiv dürfte es dann auch nicht klein geschrieben werden. Andere Substantive, die aus dem Englischen kommen, schreiben wir ja auch groß, wie Babys, Popsongs oder Zwangsrouter und bilden auch die Mehrzahl nach dt. Regeln, und schreiben nicht etwa Babies.
Mich irritiert auch die Einzahl:
Ich zähle da zwei Wörter, fake und news, und würde die Kombination als Ausdruck bezeichnen, um die Kombination zu bezeichnen, als Phrase oder als feststehende Wendung.
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isn’t there even an american tv channel called faux news?
in germany, it’s not a trend and it’s not du jour if it isn’d denglish.
.~.
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Das ist der “Anglizismus des Jahres” ein englisches Wort ist, scheint für einige ja tatsächlich überraschend zu sein…
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Hat eigentlich ganz Deutschland den Begriff “Zeitungsente” für eine absichtliche Falschmeldung vergessen. Oder dass eine “getürkte” Meldung absichtlich falsche Informationen verbreitet?
@Peter: “Es klingt so undeutsch” Ja, genau! Es klingt englisch. Sonst könnte es ja auch gar nicht zum Anglizismus des Jahres gewählt werden. “es verwendet doch fast keiner”. Nein. In der Presse und in der “Online-Presse” habe ich es in der letzten Monaten oft gelesen, im Kollegenkreis morgens oder beim Kaffeetrinken wird es oft und selbstverständlich verwendet, ebenso in meiner wöchentlichen Skatrunde (anderes sozio-kulturelles Milieu).
@Stefan Wagner: “… dass es keine Regel gibt, wie es geschrieben werden muss, dass man sich quasi aussuchen kann, wie man es schreibt.” Ja, genau. Man kann es sich quasi aussuchen. Zum Glück ist in Deutschland keine spezielle Rechtschreibung vorgeschrieben. Für manche Redaktionen etc. mag eine Redaktionsleitung eine Schreibung vorschreiben, und für die Schule können Landesregierungen festlegen, was Lehrkräfte Schülern als richtige Schreibweise beibringen. Ansonsten ist nur nach einer Weile meistens eine Schreibweise die übliche, die am häufigsten verwendete.
@Anatol Stefanowitsch: “… in den “etablierten“ Medien (vulgo “Lügenpresse“)” Die etablierten Medien werden nicht für gewöhnlich (vulgo) Lügenpresse genannt. Der Begriff wird nur von einer politischen Fraktion für Medien verwendet, die als nicht nationalistisch oder rassistisch genug oder als zu menschenrechtsbefürwortend empfunden werden, und die deshalb angegriffen werden. Zum Glück hat sich das noch nicht durchgesetzt. “Vulgo” ist der Begriff also noch nicht.
Man kann das Wort nicht schreiben, wie man will. Es kommt darauf an, ob man in dem Wort “Fake” ein Adjektiv oder ein Substantiv sieht. In ersterem Fall müsste man es ohne Bindestrich schreiben (wie z.B. auch Fast Food), in letzterem mit Bindestrich oder in einem Wort. So sind die Regeln für die Eindeutschung von Wörtern aus einer anderen Sprache. Es bleibt abzuwarten, für welche Variante sich der Duden entscheidet. Noch ist das Wort nicht im Regelwerk aufgenommen. Aber lange kann es ja nicht mehr dauern.
Als Harald Weinrich im Jahre 1965 seine LINGUISTIK DER LÜGE (Becksche Reihe) herausbrachte, waren Komposita mit FAKE hierzulande noch nicht so gängig. Heute haben sie weltweite Konjunktur, zwar meist in negativer Hinsicht wie FAKE NEWS, FAKE SOFTWARE etc. FAKER sind wir eben alle und GEFAKED wird überall. Das 8. Gebot in der Bibel wird durch ‘alternative Fakten’ umgangen. Let’s fake facts, eben. — Es gibt aber auch einen positiven Aspekt: Mit dem im Bioreaktor erzeugten künstlichen Fleisch oder auch mit pflanzenbasiertem Fleisch (Der Spiegel Nr.8, 2017) bekommen wir bald eine FAKE BURGER oder gar ein richtiges FAKE STEAK auf den Tisch. Wenn das der Umwelt gut tut und mir auch noch gut schmeckt, dann lasse ich mich damit gern belügen.
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