Mobbing-Manie

Von Anatol Stefanowitsch

Diesen Monat suchen die Her­ren von der „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ eine Alter­na­tive für das schöne deutsche Wort Mob­bing.

Ja, es ist tat­säch­lich ein deutsches Wort — irgendwie.

Ursprünglich kommt es natür­lich aus dem Englis­chen, genauer gesagt aus der Fach­sprache der Ver­hal­tens­forschung, wo es ein Zusam­men­rot­ten von Tieren (vor allem Vögeln) beze­ich­net, die einen stärk­eren Angreifer zu vertreiben ver­suchen. Es wird manch­mal fälschlicher­weise behautptet, der Öster­re­ich­er Kon­rad Lorenz habe den Begriff erfun­den. Das stimmt nicht — das Oxford Eng­lish Dic­tio­nary nen­nt als früh­este Ver­wen­dung das Buch Bird Behav­iour des englis­chen Ornitholo­gen Frank Finn von 1919. Lorenz beschrieb das Ver­hal­ten in Das soge­nan­nte Böse (1963), ver­wen­dete dort aber die Begriffe Ausstoßen und soziale Vertei­di­gungsak­tion. Der Begriff Mob­bing taucht dann erst in Über­set­zun­gen dieses Werks auf, die zur Ver­bre­itung des Begriffs in der Ver­hal­tens­forschung beige­tra­gen haben kön­nten. Damit wäre er der erste deutsche Mut­ter­sprach­ler, der sich, zumin­d­est indi­rekt, in die Geschichte dieses Wortes eingemis­cht hätte. Der zweite, viel entschei­den­dere Beitrag stammt auf jeden Fall von einem deutschen Mut­ter­sprach­ler: der schwedis­che Psy­cholo­giepro­fes­sor Heinz Ley­mann, ein gebür­tiger Deutsch­er, borgte sich den Begriff Mob­bing Mitte der achtziger Jahre aus und gab ihm die uns bekan­nte Bedeu­tung:

Mit Mob­bing beschreibt man Sit­u­a­tio­nen, in denen Angestellte in Betrieben oder anderen Organ­i­sa­tio­nen in feindlich gemein­ter Weise (meis­tens nur einem) Kol­le­gen, Untergebe­nen oder Vorge­set­zten sehr oft und während langer Zeit zuset­zen und diese Per­son viktimisieren. 

Das Wort set­zte sich in vie­len europäis­chen Sprachen schnell durch, nicht nur in der Fach­sprache, son­dern mit der zunehmenden Psy­chol­o­gisierung des All­t­ags auch im all­ge­meinen Sprachge­brauch. Nur das Englis­che wider­stand zunächst, vielle­icht, weil das Wort mob­bing hier schon die Bedeu­tun­gen „umringen“/„bedrängen“ und „in etwas hinein­drän­gen“ hat­te. Für das, was Ley­mann beschrieb, bevorzugte man zunächst Begriffe wie bul­ly­ing („Drangsalieren“) oder har­rass­ment („Beläs­ti­gung“). Aber diese Begriffe beze­ich­nen natür­lich all­ge­mein jede Art von Schikane oder Beläs­ti­gung, nicht nur am Arbeit­splatz, nicht nur durch eine Gruppe von Men­schen und nicht nur über län­gere Zeit hinweg.

Und so kam es, wie es viel öfter kom­men sollte: die englis­chen Mut­ter­sprach­ler sahen ein, dass das Wort Mob­bing in der von Ley­mann vorgeschla­ge­nen Bedeu­tung eine sin­nvolle Bere­icherung ihrer Sprache darstellt. Schuld sind die drei amerikanis­chen Autorin­nen Noa Zanol­li Dav­en­port, Ruth Dis­tler Schwartz und Gail Pursell Elliott, die den Begriff in ihrem erst­mals 1999 erschiene­nen Selb­sthil­febuch Mob­bing: Emo­tion­al Abuse in the Amer­i­can Work­place ver­wen­de­ten.

Nun würde das alleine natür­lich nicht reichen, um zu behaupten, das Wort sei in die englis­che Sprache einge­gan­gen. Aber die drei Autorin­nen haben offen­sichtlich eine lexikalis­che Lücke getrof­fen, denn ihre Leser/innen greifen das Wort munter auf und ver­wen­den es sowohl als Sub­stan­tiv als auch als Verb (siehe zum Beispiel hier). Auch in Großbri­tan­nien wird das Wort als drin­gend notwendi­ge Ergänzung des Wortschatzes emp­fun­den.

Ein Öster­re­ich­er und ein deutsch­er Schwede schaf­fen also ein Wort, das zunächst ein Dasein als eine Art „Scheinan­glizis­mus“ fris­tet, und dieses Wort geht dann in den Englis­chen Sprachge­brauch über. Ich kann mir keinen besseren Beweis dafür vorstellen, dass das Englis­che keineswegs ein Machtin­stru­ment der Amerikan­er ist (wie manche Men­schen ja tat­säch­lich glauben), son­dern ein lebendi­ges Mit­tel zur inter­na­tionalen Verständigung.

Und dieses schöne Beispiel für den inter­na­tionalen Ein­fluss des Deutschen wollen die Fanatis­chen Vier von der Aktion Lebendi­ges Deutsch nun abschaf­fen. Nun gut. Hier meine Vorher­sagen für die Vorschläge, die da kom­men wer­den: Schikane (am Arbeit­splatz), Psy­choter­ror (am Arbeit­splatz), Intrige (am Arbeit­splatz). Die habe ich mir natür­lich nicht sel­ber aus­gedacht, denn anders als die Aktion­is­ten weiß ich ja, wo man so etwas nach­schlägt.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Mobbing-Manie

  1. Thomas

    Mein Favorit ist “Schmähkri­tik”, aber ich gebe noch ein paar drauf:

    * 9.3 Unfrei­willig: Aus­gren­zung, Beläs­ti­gung, Mob­bing, Nöti­gung, Verführung

    * 10.13 Unlust empfind­en: Beschw­er­den, Bös­es, Folter, Heim­suchung, Herzeleid, Lei­densweg, Marter, Miss­be­ha­gen, Miss­geschick, Mob­bing, Nachteil, Not, Pas­sion, Psy­choter­ror, Tor­tur, Unfall, Unglück, Unheil, Übel

    * 10.14 Unlust verur­sachen: Beschw­erde, Betrüb­nis, Druck, Hek­tik, Krux, Mob­bing, Mut­probe, Schmerz, Stress, Unan­nehm­lichkeit, Unbill, Ver­druss, Über­be­las­tung, Zoff, Ärgernis

    * 12.50 Unwahrheit, Lüge, Fik­tion: Manip­u­la­tion, Mob­bing, Psychoterror

    * 15.25 Tadel, Miss­bil­li­gung: Affront, Anwurf, Anzüglichkeit, Beein­träch­ti­gung, Belei­di­gung, Dif­famierung, Diskred­i­tierung, Geschrei, Her­ab­set­zung, Hohn, Ironie, Kränkung, Mob­bing, Per­si­flage, Psy­choter­ror, Ruf­mord, Ruf­schädi­gung, Sarkas­mus, Schelte

    * 15.27 Ver­leum­dung: Affront, Beein­träch­ti­gung, Desin­for­ma­tion, Dif­famierung, Diskred­i­tierung, Diskri­m­inierung, Ehrver­let­zung, Her­ab­würdi­gung, Kessel­treiben, Mob­bing, Psy­choter­ror, Ruf­mord, Schimpf, Schmähung, Schmälerung, Schän­dung, Sen­sa­tion­slust, Ver­leum­dung, üble Nachrede

    * 18.17 Zwang: Bedräng­nis, Behar­rlichkeit, Beläs­ti­gung, Erpres­sung, Faus­trecht, Frei­heits­ber­aubung, Gewal­takt, Gewalt­tat, Gän­gel­band, Mach­tausübung, Mob­bing, Notzucht, Nöti­gung, rohe Gewalt, Ulti­ma­tum, Zwangsmittel

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  2. corax

    Selt­sam, das mob­bing aus der Ver­hal­tens­bi­olo­gie stam­men soll hab ich gar nicht gewusst, ich habe dieses Ver­hal­ten ins­beson­dere in der Ornitholo­gie unter dem deutschen Begriff “has­sen” gel­ernt. Wieso sollte Lorenz einen englis­chen Fach­be­griff prä­gen (hihi Insid­er — Par­don — für Eingewei­hte) wenn es doch einen deutschen aus­sagekräfti­gen Fach­be­griff schon längst gibt, von Falkn­ern und Jägern?

    http://de.wikipedia.org/wiki/Hassen

    http://www.faunistik.net/BSWT/AVES/_DEFINITIONS/hassen.html

    Mir fällt auch kein besser­er Begriff ein. Schikane triffts ganz gut hat aber das Prob­lem das es franzö­sis­chen Ursprungs ist. Aus­gren­zung fällt mir noch ein, trifft es aber auch nicht ganz. Na ja, wer keine Prob­leme hat.…

    PS: Das Staßen­feger anstelle Block­buster Unfug ist wurde damals ja schon von einem Kom­men­ta­tor erk­lärt, Kasssen­schlager oder Kassenknüller hätte ich für sin­nvoller gehal­ten, wenn überhaupt.

    Pax

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  3. Christoph Päper

    Mein bevorzugtes deutsches Wort für mob­bing wäre Mobben, denn Mob­berei hört sich däm­lich an und Gemöb ver­ste­ht nie­mand auf Anhieb.

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  4. David Marjanović

    Schikane triffts ganz gut hat aber das Prob­lem das es franzö­sis­chen Ursprungs ist.

    Im Kreis: das Franzö­sis­che hat es aus dem Althochdeutschen oder Fränkischen oder sowas (schick­en oder so).

    Aber das Wort ist sowieso nicht spezial­isiert genug.

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