Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Die Reut­linger Nachricht­en liefern diese Woche ein Argu­ment für die Rein­hal­tung der deutschen Sprache, auf das ich nie gekom­men wäre. In einem Artikel über Ein­wan­derin­nen, die „nochmal in die Schule [gehen] — „obwohl sie Wasser­bauin­ge­nieurin­nen oder Ärztin­nen sind“ (gemeint sind dabei Deutschkurse), find­et sich fol­gen­des Kleinod:

Sie sind alle sehr motiviert“, berichtet Lehrerin Karin Weg­n­er. Keine Hausauf­gabe ist ihnen zu viel. Sie möcht­en gezielt all­t­agsrel­e­vante The­men wie Fam­i­lie, Kinder, Schule, Woh­nung, Einkauf ler­nen und wichtige Tele­fonate führen kön­nen. Vor allem die vie­len Anglizis­men im mod­er­nen Sprachge­brauch sind Hin­dernisse für das Ver­ste­hen, denn viele von ihnen haben nie Englisch gelernt. 

Aber sie haben ja auch nie Deutsch gel­ernt — die noch viel größere Zahl an deutschen Wörtern im mod­er­nen Sprachge­brauch dürfte also auch ein ziem­lich­es Hin­der­nis darstellen. Da bleibt eigentlich nur eins: weg mit allen Wörtern! Das Deutsche wäre dann sehr viel leichter zu erler­nen. Die Kurslei­t­erin möchte so weit allerd­ings nicht gehen:

So müssen neben den deutschen nun auch noch einige englis­che Vok­a­beln wie Flat-rate, Handy, Call by call samt ihrer Aussprache gel­ernt wer­den“, erzählt Wegner.

Ich nehme an, es müssen auch lateinis­che Wörter wie Dok­tor, Patient, Form, Insel, Kul­tur, Laune, Motor, Num­mer, Pille, Reis, Tem­po und Video samt ihrer Aussprache gel­ernt wer­den. Wäre das nicht auch einen Artikel wert?

Sin­nvolles zum The­ma Anglizis­men find­et sich dafür im Tagesspiegel, der ja häu­fig eine Stimme der Ver­nun­ft in der Berichter­stat­tung über Sprache ist. In einem inter­es­san­ten Inter­view mit einem Kol­le­gen aus Berlin, dem Anglis­ten Hold­en Härtl, kommt die Sprache auf das Unvermeidliche:

Viele scheinen sich daran zu stören, dass unsere Sprache mit Anglizis­men durch­woben ist.

Mich per­sön­lich stört das nicht, das hat aber nichts damit zu tun, dass ich Anglist bin. Ich glaube an natür­liche Sprachen­twick­lung. Es ist ja ger­ade eine Eigen­schaft von Sprache, pro­duk­tiv zu sein. Sie lebt eben auch durch Hinzufü­gen von Wörtern aus anderen Sprachen. Es wird rel­a­tiv schnell unter­stellt, eine Sprache kön­nte dadurch ausster­ben oder sich drama­tisch verän­dern. Das tut sie aber nicht. Die Gram­matik bleibt die gle­iche. Wenn man den Begriff Sprache an Gram­matik knüpft, stirbt eine Sprache durch Hinzufü­gen neuer Wörter natür­lich nicht aus.

Härtl spricht dann auch noch über den Zusam­men­hang von Sprache und Denken, ich empfehle aus­drück­lich, das ganze Inter­view zu lesen.

Aber wer Anglizis­men nicht mag, kann ruhig schlafen. Anglizis­men­jäger Bas­t­ian Sick hat schein­bar Ver­stärkung bekom­men. Die Frank­furter Rund­schau schreibt:

Auch Bern­hard Sick („Der Dativ ist dem Gen­i­tiv sein Tod“) ist mit einem neuen Buch unter­wegs und rät auf Nach­frage gerne von über­flüs­si­gen Anglizis­men ab.

Vielle­icht der Bruder?

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Presseschau

  1. buntklicker.de

    Ich glaube schon, daß die Gram­matik der deutschen Sprache in Gefahr ist. Die Gefahr geht aber nicht von den Anglis­men aus, son­dern von — meist jun­gen — Sprech­ern, die zu faul oder zu dumm sind, sie sich anzueignen.

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  2. Thomas Müller

    Dadurch ist die deutsche Sprache auch nicht in Gefahr — sie mag sich dadurch verän­dern, aber das hat nicht notwendig etwas mit Gefährdung zu tun. Man muß hier mE auf­passen, daß man rein ästhetis­che Vor­lieben nicht verabsolutiert.

    @erster Artikel

    Das Argu­ment mit der Aussprache läßt sich mMn nicht so ein­fach weg­wis­chen — die lateinis­chen Lehn­wörter sind da, zumin­d­est zum großen Teil, nicht anders als die Deutschen, die Englis­chen hinge­gen weichen völ­lig von den Ausspracheregeln des Deutschen ab.

    Ich halte das Argu­ment den­noch für äußerst schwach, da der Mehraufwand für die Ler­nen­den kaum beson­ders hochs ein dürfte.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Bun­tk­lick­er, Herr Müller, da beste­ht wohl tat­säch­lich eine Unschärfe zwis­chen den Begrif­f­en „Gram­matik“ und „Stil“ bzw. zwis­chen den Begrif­f­en „Sprache“ und „Schrift­sprache“. Das sorgt oft für Missver­ständ­nisse und Fehlin­ter­pre­ta­tio­nen. Ich werde es das dem­nächst ein­mal in einem Beitrag aufgreifen.

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  4. bernd

    Die Gefahr geht aber nicht von den Anglis­men aus, son­dern von — meist jun­gen — Sprech­ern, die zu faul oder zu dumm sind, sie sich anzueignen.”

    Um nicht stärkere Worte zu ver­wen­den: Das ist defamieren­der Unfug. Es insinuiert, dass jed­er der nicht so spricht/schreibt wie es (ange­blich) schon immer Sitte war, dumm und faul ist.

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