Schweinehund

Von Anatol Stefanowitsch

Dass ich in den let­zten Tagen nichts gepostet habe, lag nicht an meinem inneren Schweine­hund, son­dern an ein­er Kon­ferenz in Biele­feld, auf der es keinen Inter­net­zu­gang gab (übri­gens: Biele­feld gibt es tat­säch­lich). Nun ver­suche ich, mich auf den neuesten Stand der Welt­geschehnisse zu brin­gen, und lese ein Inter­view mit Stef­fi Graf auf Welt Online, in dem sie von ihrem neuem Buch „Das Mrs. Sporty-Konzept mit Ste­fanie Graf: Lebenslust und Energie in 30 Minuten“ erzählt (gut, dass ich mich über englis­che Wort­deko­ra­tio­nen ein­fach nicht aufre­gen kann, son­st würde dieser Titel meinen Puls bes­timmt höher schla­gen lassen). Die Welt Online möchte nun wis­sen, ob es ihr schw­er­falle, sich an ihre eige­nen Ratschläge zu hal­ten und klärt zunächst eine Übersetzungsfrage:

WELT ONLINE: Im Deutschen gibt es die schöne Meta­pher „Inner­er Schweine­hund“. Gibt es eine Entsprechung im Amerikanischen?

Graf: Fällt mir lei­der ger­ade nicht ein, muss ich mal Andre fragen.

WELT ONLINE: Wie über­winden Sie Ihren?

Steff­is Antwort habe ich nicht mehr gele­sen, denn die Frage nach der Entsprechung im „Amerikanis­chen“ ließ mir keine Ruhe. Mir fiel aber auch nach inten­sivem Nach­denken keine Über­set­zung ein, also habe ich (wie das auch die Aktion Lebendi­ges Deutsch öfter mal tun sollte) bei LEO nachgeschlagen.

Dort wer­den zwei mögliche Über­set­zun­gen für „inner­er Schweine­hund“ angegeben, näm­lich inner temp­ta­tion und one’s weak­er self. Bei­de klan­gen für mich nicht völ­lig unplau­si­bel, aber auch nicht ger­ade wie geflügelte Worte. Google bestätigt diesen Ein­druck: inner temp­ta­tion kommt auf ger­ade mal 863 Tre­f­fer und one’s weak­er self auf 5.810, von denen allerd­ings viele auf deutschen Web­seit­en auf­tauchen, teil­weise im direk­ten Zusam­men­hang mit inneren Schweine­hun­den. Im Ver­gle­ich: die Redewen­dung inner­er Schweine­hund bringt es auf sat­te 384.000 Tre­f­fer.

Es kann natür­lich sein, dass der innere Schweine­hund (wie ange­blich auch die Schaden­freude) etwas typ­isch Deutsches ist (der große Kurt Schu­mach­er hat den Begriff ja schon 1932 sehr tre­f­fend ver­wen­det). Aber mir scheint es wahrschein­lich­er, dass hier ein­er der vie­len Fälle vor­liegt, in der eine Sprache für einen bes­timmten Umstand eine feste Redewen­dung hat, während in der anderen Sprache eine Vielzahl fein­er abgestufter und weniger fes­ter Aus­drücke ver­wen­det wird.

Eine Google-Suche nach “over­come (my|your|his|her) inner” fördert näm­lich eine Rei­he von inneren Din­gen zutage, die der englis­che Mut­ter­sprach­ler über­winden kann und muss — zum Beispiel demons („Dämo­nen“), weak­ness („Schwäche“), resis­tance („Wider­stand“), oppo­si­tion („Oppo­si­tion“), cow­ardice („Feigheit“), crit­ic („Kri­tik­er“), fear („Angst“), obsta­cles („Hin­dernisse“), child („Kind“), bar­ri­ers („Bar­ri­eren“), sabo­teur („Sabo­teur“), per­fec­tion­ist („Per­fek­tion­ist“), dis­trac­tors („Ablenker“), doubts („Zweifel“), Scrooge („Geizkra­gen“), ghosts („Geis­ter“), und idiot („Idiot“).

Da haben wir es ja noch gut, dass wir es immer nur mit dem einen müden alten Schweine­hund zu tun haben.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

12 Gedanken zu „Schweinehund

  1. stw

    Ja, da bleibt viel zu tun für den englis­chen Muttersprachler.

    Aber warum hält er oder über­haupt irgend­je­mand es für nötig, das inner child über­winden zu müssen? Wer das geschafft hat, IST ein Schweinehund.

    Kann er gle­ich wieder von vorne anfan­gen. Oder sie.

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  2. K. Heidtmann

    Mit Ver­laub: Mal wieder so ein typ­is­ch­er “tax­onomis­ch­er” Ansatz, erst­mal zählen!

    Es gab Zeit­en, da kur­sierte der Begriff “Rezep­tion­säs­thetik” in den Fluren der Uni Bre­men — zugege­gen mehr vor den Türen der Kol­le­gen der Literaturwissenschaften.

    Es wäre hier doch m. E. viel inter­es­san­ter, zu unter­suchen, wer den Begriff so in die Welt set­zt hat und warum? Wikipedia weiß es.

    Und danach kann man sich die Frage stellen, welche Funk­tion (und Seman­tik) so eine Begrif­flichkeit bei Kaiser und

    Führer hat­ten (Schu­mach­er hat den ja nur “zitiert”). Und weshalb ger­ade die so wild darauf waren, dem Volk die Mär vom inneren Schweine­hund zu verkaufen.

    Laut wiki soll der Begriff zudem inzwis­chen eine “Melio­ra­tion” erfahren haben soll, siehe div. Titel bei ama­zon, “Entrüm­peln / Abnehmen mit dem inneren Schweine­hund” usw. Das wäre doch mal ein paar Gedanken wert.

    Selb­stüber­win­dung”, um die geht es ja wohl, jeden­falls von der pos­i­tiv­en Kon­no­ta­tion her. Aber manch­mal ist es eben viel schön­er, sich sel­ber nachzugeben. Dazu kön­nten uns dann die Kol­le­gen von der Neu­rolin­guis­tik wiederum Bände erzählen.

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Herr Hei­dt­mann, ich bin nun mal quan­ti­ta­tiv­er Lin­guist, die Rezep­tion­säs­thetik über­lasse ich tat­säch­lich meinen her­vor­ra­gen­den lit­er­atur­wis­senschaftlichen Kolleg/innen. Die ideengeschichtliche Ein­bet­tung des Begriffs ist in der Tat span­nend, daher mein Ver­weis auf Schuh­mach­ers tre­f­fende Verwendung.

    Dirk, “inner pig­dog” ‑site:de kommt allerd­ings nur auf ger­ade ein­mal 74 Tre­f­fer. Da liegt noch viel Arbeit vor uns, wenn wir den Begriff weltweit durch­set­zen wollen…

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  4. K. Heidtmann

    Da kön­nense mal wieder sehn wie wenig ich weiß: Wed­er kenne ich Ihre richtige Besol­dungs­gruppe noch Ihre Stel­lenbeschrei­bung. Aber mal im Ernst: Ihre Eltern hät­ten Sie doch auch was Richtiges ler­nen lassen können ;.)

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  5. mic

    Grat­u­la­tion zum 1000.sten´.

    Weit­er so, auch wenn ich hier meist nur per RSS-Read­er mitlese! 

    Immer wieder inter­es­sant, wenn auch manch­es Mal etwas akademisch 😉

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  6. K. Heidtmann

    Ger­ade finde ich dieses hüb­sche Zitat von Erich Kästner:

    Wenn jemand faul und zugle­ich schaden­froh, heimtück­isch und gefräßig, geldgierig und ver­logen ist, dann kann man zehn gegen eins wet­ten, dass es sich um einen Schweine­hund handelt.“ 

    (Erich Käst­ner — Nach­denkerei Num­mer zwölf))

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  7. corax

    Grade bei nerd­core gele­sen, dass es Ohrwurm im Englis­chen wohl auch nicht gibt, die Entsprechung lautet wohl „catchy tune“. Anscheinend haben es die Angel­sach­sen nicht so mit Tierver­gle­ichen? Kön­nte man ja vielle­icht eine nette Rubrik/Sammlung draus machen, obwohl es sowas bes­timmt schon irgend­wo gibt, im Internetz.

    Pax

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  8. L. Rosen

    corax: Als englis­ch­er Mut­ter­sprach­ler, es nervt, daß wir keine Über­set­zung für Ohrwurm haben. Allerd­ings finde ich “catchy” als adjek­tiv. Dementsprechend schlage ich vor, daß “catchy” eingedeutscht wer­den soll!

    Auf die Frage “Schweine­hund”:

    inner demon” oder “inner oppo­sis­tion” hört sich für mich am besten an.

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