Bienchen summ herum

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurz­er Hin­weis auf einen vergnüglichen Artikel von Oliv­er Ben­del auf Tele­po­lis, „Im Rachen des The­saurus: Beobach­tun­gen zum Syn­onymwörter­buch von Microsoft“. Eine Leseprobe:

Dem erstaunten stu­den­tis­chen Pub­likum führte ich vor, welche Syn­onyme Microsoft für „Mäd­chen“ kan­nte: „Fräulein, Besen, Kind, Bluse, Biene …“. Spätestens an dieser Stelle began­nen alle zu lachen. Ich bildete ange­berische Beispiel­sätze wie „Die Mäd­chen fie­len über mich her.“ Mit Bienen ergab sich ein völ­lig anderes Bild, in dem ich einen eher jäm­mer­lichen Anblick bot.

Ein Syn­onymwörter­buch muss möglichst viele Wörter für einen Aus­tausch anbi­eten. Schon beim „Mäd­chen“ war mir aber aufge­fall­en, dass die Pro­gram­mier­er des The­saurus bis in die äußer­sten Rand­bere­iche der Sprache vorge­drun­gen waren. „Fratz“, hieß es da weit­er, „Jungfrau, Ricke, Käfer“. Käfer? Nun ja, warum nicht, wenn bere­its die Bienen summten. [Tele­po­lis, 5. April 2008

Man sieht: der deutsche Wortschatz ist uner­schöpflich — solange man weiß, wo man danach suchen muss…

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

7 Gedanken zu „Bienchen summ herum

  1. indy

    Mein Word schlug mir für die Per­son “Abae­lard” (franzö­sis­ch­er The­ologe und Philosoph des 11. Jahrhun­derts) dann “Abled­ern” vor…

    Was hat sich der­jenige denn bitte bei “dunkel” und “neger­far­big” gedacht?

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  2. Wolfgang Hömig-Groß

    Ich habe (allerd­ings schon vor Jahren) mit Word mal ein Pro­tokoll ein­er Sitzung geschrieben, bei der ein­er der Teil­nehmer mit Nach­na­men Did­den hieß. Word ließ nicht davon ab, das durch “Tit­ten” erset­zen zu wollen.

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  3. Theleprompt

    Mit Bedauern musste ich ger­ade fest­stellen, dass mein Bücher­re­gal gar kein gedruck­tes Syn­onymwörter­buch beherbergt. Ich bin mir näm­lich recht sich­er, dass sich ganz ähn­lich »sin­nige« bzw. »unsin­nige« syn­omvorschlagsver­hun­zte Sätze auch damit bilden lassen.

    Vergnüglich ist der Artikel in der Tat. Mir scheint es, vor allem deshalb, weil nicht ganz klar wird, ob er reine Glosse, ern­st­ge­meint oder irgend­wo dazwis­chenge­wor­fen sein will. Was der Autor macht, ist ja fol­gen­des: Er nimmt an, die vom Word-The­saurus vorgeschla­ge­nen Wort-Beziehun­gen seien von jeman­dem erdacht wor­den, der darin einen Sinn gese­hen hat. Und dann geht er hin und führt in feinsin­niger Elo­quenz einige selb­staus­gewählte Vorschläge ad absur­dum. So weit, so vergnüglich.

    Lei­der habe ich auf die Schnelle keine Infor­ma­tio­nen darüber gefun­dern, woher das deutsche Syn­onymwörter­buch in Word 2007 stammt. Pro­gram­mier­er wer­den es kaum erdacht haben; entwed­er ist es ein eingekauftes, von Men­schen redak­tionell erstelltes Werk (und damit genau­so viel oder wenig ver­trauenswürdig wie das Wörter­buch im Schrank) oder das Werk automa­tisiert­er Syn­onym-Erken­nungs-Algo­rith­men. Wenn man sich deren Ergeb­nisse anschaut, z.b. hier: http://www.dwds.de/?kompakt=1&sh=1&qu=M%C3%A4dchen beim »Dig­i­tal­en Wörter­buch der deutschen Sprache« oder beim »Pro­jekt Deutsch­er Wortschatz«: http://wortschatz.uni-leipzig.de (dort nach Mäd­chen suchen) beschle­icht einen das gle­iche Gefühl von gemis­chter Sinn- und Unsin­nigkeit. Und sich nur langsam erschließen­der Zusam­men­hänge. »Kraft« als Syn­onym von »Mäd­chen«? Aber klar. »Die Haush­er­rin rief: Schnell, wir brauchen noch drei Kräfte fürs Buffet!«

    Bei solchen Gele­gen­heit­en frage ich mich schon länger und immer wieder, wieviel Intel­li­genz oder men­schliche Denkmuster der Nutzer dem Com­put­er zuzu­trauen bere­it ist, wenn er mit den Resul­tat­en von Sprachtech­nolo­gie kon­fron­tiert wird. Der Autor des Tele­po­lis-Artikel scheint sich nicht ganz sich­er, wer ver­ant­wortlich zu machen ist. Das selb­st agierende Wörter­buch: »Der The­saurus ver­weigerte sich im Nahe­liegen­den«, »Der The­saurus machte das Wort noch inter­es­san­ter«, »doch so weit (und so deutsch) dachte das Wörter­buch nicht«? Oder eine Art tech­nis­ch­er Pro­gram­mier­er-Ver­schwörung: »dass die Pro­gram­mier­er des The­saurus bis in die äußer­sten Rand­bere­iche der Sprache vorge­drun­gen waren«, »Ver­anstal­ten die Pro­gram­mier­er […] etwa Saufge­lage […], bei denen aus eher humoris­tis­ch­er Bil­dung her­aus Neol­o­gis­men […] entstehen«?

    Des Pudels Kern zwis­chen Belus­ti­gung, Angstah­nung und Kul­tu­run­ter­gangsvi­sion im Tele­po­lis-Artikel steckt wohl in der Aus­sage: »Lei­der nichts davon in dem elek­tro­n­is­chen Buch mit sieben Siegeln«. Da ste­ht vor mir eine Mas­chine, die irgend­wie behauptet, »Sprache zu kön­nen«. Ein­er­seits weiß ich, dass sie das nicht kön­nen kann, ander­er­seits sind die meis­ten ihrer Vorschläge nicht so abwegig und ich muss mich fra­gen: Wie weit kann und will ich mich auf die ange­bote­nen Hil­fen ein­lassen? Der Com­put­er behauptet erst ein­mal recht unter­schied­s­los. Er begrün­det nicht, unter­schei­det nicht zwis­chen sel­ten, häu­fig, ver­al­tet, region­al,… Das aber tut das gedruck­te Wörter­buch im Zweifels­fall auch nicht — zumin­d­est behauptet es auf gle­ich unan­tast­bare Weise. 

    Weshalb also gibt es Witze darüber, welch selt­same Syn­onym-Ket­ten Word kon­stru­iert, nicht aber darüber, was bei blind­er Anwen­dung des entsprechen­den Duden-Ban­des her­auskommt? Ich ver­mute: Dem Com­put­er wird an solchen Stellen, bewusst oder unbe­wusst, belustigt oder beängstigt, tat­säch­lich Wis­sen oder absichtsvolles Han­deln zugeschrieben; das Wörter­buch hinge­gen ist ein­deutig ein Werkzeug, dass ich durch aktiv­en Gebrauch sin­nvoll ein­set­zen muss. Wenn ich dort für meinen Arbeit­skon­text Unsin­niges auswäh­le, bin ich selb­st schuld.

    In diesem Sinne halte ich den Tele­po­lis-Artikel für sehr gelun­gen, indem er unserem eigen­em Umgang mit der Sprach­mas­chine Com­put­er (oder: Word, The­saurus, …) den Spiegel vorhält. Ohne Wis­sen darüber, was das Textver­ar­beitungs-Werkzeug »The­saurus« ist, wozu es taugt und wozu nicht, kann ich es nicht Gewinn brin­gend ein­set­zen. Manche tun es trotz­dem, ist zu befürchten.

    P.S.: Ein sehr schönes Beispiel, wie diese Irri­ta­tion zwis­chen “intel­li­gen­ter Sprach­mas­chine” und “dum­mer Rechen­mas­chine” (keine Wer­tung bzgl. Sprache und Math­e­matik her­ausle­sen!) pro­duk­tiv nutzbar ist, liefert Elin-Bir­git Berndt mit ihrer Dis­ser­ta­tion »Inter­ak­tion mit Dig­i­tal­en Rechtschreib­hil­fen: Ein Ver­gle­ich von Schüler­tex­ten. Neue Wege zur Förderung der Rechtschreibkom­pe­tenz in der Sekun­darstufe I.« (http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=975248367) Sie hat Schüler beobachtet, die ihre Texte mith­il­fe der Word-Rechtschreibko­r­rek­tur über­ar­beit­et haben und sie ermuntert, auszu­loten, wie, an welchen Stellen und warum die Vorschläge des Com­put­er sin­nvoll zu nutzen sind. Ergeb­nis waren neue und ver­tiefte Ein­sicht­en über Sprache und Rechtschrei­bung (und über Com­put­er, natürlich).

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  4. indy

    Zufäl­lig ken­nt die Kol­le­gin aus dem FB3, Frau Berndt, dieses Blog auch und vielle­icht liest sie ja zufäl­lig schon mit bei diesem Beitrag. Anson­sten weise ich sie zufäl­lig mal am Don­ner­stag darauf hin in der Uni 🙂

    Ins­ge­samt zeigt für mich die Erfahrung mit bes­timmten Wörter­büch­ern in Pro­gram­men, sei es jet­zt Word oder der Writer von OpenOf­fice, dass sämtlichen Kor­rek­turen nur bed­ingt zu trauen ist. Selb­st das Pro­gramm “Duden Kor­rek­tur” schlägt einem unsin­nige Dinge vor. Als Schreiben­der sollte man nicht nur seine The­sen in der Hausar­beit hin­ter­fra­gen, son­dern auch die Vorschläge, die uns das Schreibpro­gramm unter­bre­it­et. So kommt es mir zumin­d­est oft vor.

    Mich würde es indes inter­essieren, mit welchem Pro­gramm Wis­senschaftler schreiben. Schreiben sie ihre Texte in Word oder OpenOf­fice oder greifen sie sofort zu LaTeX? Wie wird dann das mit der Rechtschrei­bung gehan­delt unter LaTeX?

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  5. Theleprompt

    @indy: Wis­senschaftler sind auch nur Men­schen. Die meis­ten schreiben also mit Word. Meist entschei­den sie das aber gar nicht selb­st, son­dern die Vor­gaben, z.B. der Her­aus­ge­ber von Tagungs­bän­den oder Zeitschriften. Je nach Diszi­plin und Tra­di­tion ist da Word oder LaTeX vorherrschend. In der Lin­guis­tik spielt LaTeX eine rel­a­tiv große Rolle, wenn es um For­males (v.a. Baum­di­a­gramme) geht. Seit sich aber Uni­code als endlich ein­heitliche Möglichkeit durch­set­zt, sprach­spez­i­fis­che Son­derze­ichen und vor allem phonetis­che Zeichen in all ihren Nuan­cen zu ver­wen­den, ver­liert LaTeX an eini­gen Stellen an Boden. Nach wie vor gibt es aber viele beliebte und beacht­enswerte LaTeX-Erweiterun­gen für Lin­guis­ten, die das Leben bisweilen arg erle­icht­en kön­nen. Und: Da mit­tler­weile kaum ein wis­senschaftlich­er Ver­lag noch Lek­torats­di­en­ste anbi­etet, der kom­plette Prozess bis zur Druck­fas­sung also beim Wis­senschaftler selb­st liegt, ist PDF häu­fig das Zielfor­mat der Wahl und der Weg dahin indi­vidu­ell gestalt­bar. Rechtschreibprü­fung für LaTeX erledi­gen aspell oder ispell und sind in LaTeX-Umge­bun­gen wie TeXEd­it oder TeXnic­Cen­ter einge­bun­gen, oft sog­ar trans­par­ent, d.h. im Hin­ter­grund während der Eingabe.

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