Wörter zu Pflugscharen

Von Anatol Stefanowitsch

Angeregt von den Kom­mentaren zu unser­er Ver­losung (die mit­tler­weile been­det ist) habe ich darüber nachgedacht, ob Sprach­wis­senschaftler nei­disch auf Sicks Erfolg sind und warum sie sich manch­mal so über ihn aufre­gen. Die kurze Antwort ist „Nein“ und „Weil er etwas triv­i­al­isiert, was ihnen am Herzen liegt“. Die lange Antwort muss noch ein paar Tage auf sich warten lassen, da ich die Naturge­walt des ger­ade ange­fan­genen Semes­ters noch in den Griff bekom­men muss. Hier aber ein schönes Zitat zum The­ma, das ich in Randy Allen Har­ris’ The Lin­guis­tics Wars gefun­den habe (meine Übersetzung):

Lei­der begeg­nen viele Men­schen der Lin­guis­tik mit Unken­nt­nis und Furcht — eige­nar­tiger­weise, denn Sprache ist unsag­bar grundle­gend für unser Men­sch­sein. Man betra­chte fol­gen­den merk­würdi­gen Ver­gle­ich, den Her­bert Spencer im neun­zehn­ten Jahrhun­dert zog (zu ein­er Zeit, als die Lin­guis­tik spek­takuläre Fortschritte machte):

Erstaunt über die Leis­tung des englis­chen Pflugs bemalen die Hin­dus ihn, stellen ihn auf einen Altar und beten ihn an — sie machen ein Idol aus einem Werkzeug. Lin­guis­ten tun das­selbe mit der Sprache (Her­bert Spencer, Essays: Moral, polit­i­cal and aes­thet­ic, New York [1865]).

Dieser Ver­gle­ich, davon abge­se­hen, dass er Hin­dus von ein­er ger­adezu mythis­chen Idi­otie erfind­et, ist so falsch, wie er nur sein kön­nte. Lin­guis­ten wür­den ihre Schrauben­schlüs­sel und Schrauben­zieher her­aus­holen, den Pflug auseinan­dernehmen und ver­suchen, her­auszufind­en, wie er funk­tion­iert. Igno­ran­ten verehren und fürcht­en. Wis­senschaftler verehren und erforschen.

Und dann gibt es natür­lich noch die selb­st ernan­nten Sprach­päp­ste, die anderen Angst vor der Sprache ein­ja­gen um deren ehrfüchtige Bewun­derung zu ernten.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

9 Gedanken zu „Wörter zu Pflugscharen

  1. Frank Oswalt

    Die kurze Antwort ist „Nein“

    Da bin ich ja mal auf die lange Antwort ges­pan­nt. Dreiein­halb Mil­lio­nen verkaufte Büch­er und kein biss­chen Neid?

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  2. Hermann Claus

    Sie schreiben “Weil er etwas triv­i­al­isiert, was ihnen am Herzen liegt”. Es muss aber heißen “Weil er etwas triv­i­al­isiert, DAS ihnen am Herzen liegt”! Lesen Sie mal lieber den Sick, da kön­nen Sie noch etwas dabei lernen.

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  3. Andreas

    @Hermann: Her­rlich, welch ein fein­er Sinn für Ironie!

    Ich finde übri­gens nicht, dass es sich falsch anhört.

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  4. Andreas H.

    @Hermann Claus:

    Lesen Sie mal lieber den Sick, da kön­nen Sie noch etwas dabei lernen”

    Es müsste richtig heißen: “Lesen Sie mal lieber den Sick, dabei kön­nen Sie noch etwas ler­nen” oder “… da kön­nen Sie noch etwas lernen”

    Lesen Sie lieber mal den Grammatikduden ;-))

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  5. DrNI

    Die Ver­losung ist been­det, ich kam zu spät. Was mich an Her­rn Sick stört ist, dass er zwar gerne auf Regeln herum­re­it­et, dabei aber die Sprache als sta­tis­ches, fest­geschriebenes Kon­strukt betra­chtet. Dass die Sprache durch ihren Gebrauch laufend geformt wird und ein­er natür­lichen Evo­lu­tion unter­liegt, das lehnt er anscheinend unter­be­wusst strikt ab. Würde die Sprache immer nur nach genau fest­gelegten Regeln benutzt, so wären zumin­d­est die Com­put­er­lin­guis­ten glück­lich. Die Men­schen als solche aber nicht, denn ihre geliebte Sprache wäre ein­fach nur mause­tot und damit noch lang­weiliger als der Zwiebelfisch.

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  6. SuMuze

    Arrgh, schon vor­bei?! Jet­zt war mir just einge­fall­en, was ich mit dem Buch hätte anfan­gen wollen: es lesen. Aber gut, kein her­aus­ra­gen­der Grund, ein Buch haben zu wollen.

    By the way: Die 3 Sätze “Lin­guis­ten wür­den ihre Schrauben­schlüs­sel und Schrauben­zieher her­aus­holen, den Pflug auseinan­dernehmen und ver­suchen, her­auszufind­en, wie er funk­tion­iert. Igno­ran­ten verehren und fürcht­en. Wis­senschaftler verehren und erforschen.” sind Sätze von beängsti­gend tiefer Ein­sicht­skraft. “Auseinan­dernehmen und ver­suchen, her­auszufind­en”, wie etwas funk­tion­iert, bringt die Bewe­gung des ewigen ‘Zweifelns, Fra­gens, Behauptens und los geht’s erneut’ auf den Punkt. Mein älter­er Brud­er machte das auch immer so. Danach war meis­tens alles entzwei, und her­aus­ge­fun­den hat er auch nie sehr viel, aber verehrt habe ich ihn den­noch. Und gefürchtet, was mich somit zur Igno­ran­tin stem­pelt. Zumin­d­est in dem Sand­kas­ten, in dem Leute wie Mr. Har­ris spielen.

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  7. Anatol Stefanowitsch

    SuMuze, nein, das macht Sie nicht zu ein­er Igno­ran­tin: Ältere Brüder ver­di­enen gren­zen­lose Bewun­derung für alles, was sie tun — als älter­er Brud­er weiß ich das nur zu gut…

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  8. SuMuze

    Ja, wie? Nein, ja, nun was? Das Zitat regiert doch! Oder — herrscht hier Anarchie?

    (Das hier ist natür­lich teil­nehmende Beobach­tung, soweit zum Auseinanderschrauben)

    Und, ja, wie Recht Sie doch haben — was ältere Brüder ver­di­enen, weiß nie­mand so gut wie jün­gere Schwest­ern. Schrauben Sie mal diese Worte auseinander!

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  9. Brillopant

    Ist denn wirk­lich kein Buch mehr da? Ich habe die Ver­losung ver­passt, weil ich den Duden fer­tig lesen musste… Meine Mut­ter meint ich müsse die Sprache schon in der richti­gen Rei­hen­folge erlernen. 

    1. Baby­laute

    2. Sick (Dativ­tod)

    3. Fibel

    4. Mein erstes Lesebuch 

    5. Mein zweites Lesebuch 

    6. Irgend­was von Heike Klap­p­dor Kopps 

    7. Mein drittes Lesebuch 

    8. Duden Band 9 

    und jet­zt hätte ich mir dieses Buch vorgenom­men… Schade… dann lese ich die anderen eben noch einmal.

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