Ich bin (k)ein Pfannkuchen

Von Anatol Stefanowitsch

Im Blog Paper Cuts der New York Times fragt sich Steve Coates, ob Kennedys berühmter Satz „Ich bin ein Berlin­er“ zwin­gend so etwas bedeutet wie „Ich bin ein mit Marme­lade gefüll­ter Krapfen/Pfannkuchen“, und ob er nicht eigentlich hätte sagen müssen Ich bin Berlin­er. Anscheinend ist dies eine Frage, die schon seit langem disku­tiert wird — Coates zitiert den Ver­fass­er von Kennedys Rede, Ted Sorensen, wie folgt:

The last line of the … speech, in which the Amer­i­can pres­i­dent iden­ti­fied him­self with the cit­i­zens of Berlin, was its most famous and beloved. It set off a 15-minute ova­tion, despite the fact that it con­tained — I have been repeat­ed­ly told — an unin­ten­tion­al­ly humor­ous gram­mat­i­cal error, for which I take respon­si­bil­i­ty. “Ich bin Berlin­er” means “I am a Berlin­er.” Insert­ing the word “ein” before “Berlin­er” (I pre­sum­ably thought it was nec­es­sary to include the arti­cle “a”) means, in com­mon Ger­man par­lance, “I am a jel­ly dough­nut.” … It was not long before mail began to pour into my office point­ing out my mis­take, and it has not entire­ly stopped.

Die let­zte Zeile der Rede, in der der [U.S.-]amerikanische Präsi­dent sich mit den Bürg­ern Berlins iden­ti­fizierte, war die berühmteste und beliebteste. Sie führte zu fün­fzehn­minüti­gen Ova­tio­nen, ob wohl sie — worauf man mich immer wieder hin­weist — einen unab­sichtlich komis­chen gram­ma­tis­chen Fehler enthielt, für den ich die Ver­ant­wor­tung übernehme. „Ich bin Berlin­er“ bedeutet „I am a Berlin­er“. Wenn man das Wort „ein“ vor „Berlin­er“ ein­fügt (ich dachte wohl, es sei notwendig, einen Artikel zu ver­wen­den), bedeutet der Satz im deutschen Sprachge­brauch „I am a jel­ly dough­nut“ („Ich bin ein Marme­ladenpfannkuchen“). … Es hat nicht lange gedauert, bis mein Büro mit Briefen über­flutet wurde, in denen man mich auf meinen Fehler aufmerk­sam machte, und das hat bis heute nicht völ­lig aufgehört.

Steve Coates ver­sucht nun, hreauszufind­en, ob der Satz tat­säch­lich einen „gram­ma­tis­chen Fehler“ enthält und in dieser Form nur die Bedeu­tung „Ich bin ein Marme­ladenpfannkuchen“ haben kann. Er inter­viewt dazu den amerikanis­chen Ger­man­is­ten Michael Jen­nings von der Uni­ver­sität Prince­ton, der zunächst darauf hin­weist, dass Äußerun­gen nor­maler­weise mehrdeutig sind. Dann kommt er zur eigentlichen Frage:

After you wrote to me, I did a bit of infor­mal research myself — talk­ing to lots of friends in Berlin. And their respons­es were all over the map. Cer­tain­ly the most com­mon and accept­ed way to say “I’m a res­i­dent of Berlin” is “Ich bin Berlin­er,” i.e. with­out the indef­i­nite arti­cle. But, for many speak­ers, it is by no means incor­rect or ungram­mat­i­cal to say “Ich bin ein Berlin­er.” Some of my respon­dents in fact applaud­ed Kennedy on his nuanced use of Ger­man, since for them the sen­tence with­out the indef­i­nite arti­cle implies that the speak­er is a native Berlin­er, while the sen­tence with “ein” sug­gests either more recent res­i­dence in Berlin or even sol­i­dar­i­ty with its inhab­i­tants (which was clear­ly Kennedy/Sorenson’s intention).

Nach­dem Sie mir geschrieben haben, habe ich ein wenig informelle Forschung betrieben — ich habe mit vie­len Fre­un­den in Berlin gesprochen. Und deren Antworten waren bre­it gestreut. Die üblichere und akzep­tierte Art auszu­drück­en, dass man ein Ein­wohn­er Berlins sei, ist „Ich bin Berlin­er“, ohne den indef­i­niten Artikel. Aber für viele Sprech­er ist es keineswegs falsch oder ungram­ma­tisch, „Ich bin ein Berlin­er“ zu sagen. Einige mein­er Gesprächspart­ner haben Kennedy sog­ar für seine nuancierte Aus­druck­sweise im Deutschen gelobt, da für sie der Satz ohne indef­i­niten Artikel impliziert, dass der Sprech­er gebür­tiger Berlin­er ist, während der Satz mit „ein“ entwed­er sug­geriert, dass der Sprech­er erst seit kurzem in Berlin wohnt oder soar, dass er nur Sol­i­dar­ität mit den Ein­wohn­ern aus­drück­en will (was ja klar Kennedys/Sorensons Absicht war).

Dann weist er noch darauf hin, dass in Berlin selb­st der Begriff Berlin­er „nicht notwendi­ger­weise“ im Sinne von „marme­ladenge­füllte Teig­ware“ ver­wen­det wird. Da ich selb­st gebür­tiger Berlin­er bin, kann ich hier einen Schritt weit­er gehen — der Begriff Berlin­er wird in Berlin über­haupt nicht auf Teig­waren angewen­det — Berlin­er heißen dort Pfannkuchen. Die anwe­senden Berlin­er kon­nten Kennedys Satz also unmöglich falsch verstehen.

Aber inter­es­san­ter ist die Frage, was der Unter­schied zwis­chen den bei­den Sätzen in (1) und (2) ist:

(1) Ich bin Berliner 

(2) Ich bin ein Berliner

Zunächst ein wenig Ter­mi­nolo­gie: diesen Satz­typ beze­ich­net man als Kop­u­lasatz, die Nom­i­nalphrase, die der Kop­u­la (dem „Hil­fsverb“ sein) fol­gt, nen­nt sich Prädikat­snomen. Ein ist ein indef­i­niter Artikel.

Es ist wohl unstrit­tig, dass (1) die „nor­male“ Art ist, sich als Bürg­er Berlins zu klas­si­fizieren. Die Duden-Gram­matik beschreibt die Ver­wen­dungs­be­din­gun­gen dieser artikel­losen Vari­ante des Kop­u­lasatzes wie folgt:

Gle­ich­set­zungsnom­i­na­tive, mit deren die Zuge­hörigkeit zu ein­er sozial etablierten und anerkan­nten Gruppe (Nation­al­ität, Herkun­ft, Beruf, Funk­tion, Weltan­schau­ung, Reli­gion, gesellschaftlich­er Sta­tus usw.) angegeben wird, wer­den vor allem nach den Ver­ben sein, wer­den und bleiben ohne Artikel angeschlossen: Er ist Englän­der. Er ist Berlin­er. Sie wird Lehrerin. Er bleibt Jungge­selle. [Duden-Gram­matik, §561]

Damit ist auch klar, dass (1) sich nur in außergewöhn­lichen Sit­u­a­tio­nen auf Pfannkuchen beziehen kann, da Pfannkuchen im all­ge­meinen keine etablierte oder anerkan­nte Gruppe sind. Wenn ich aber zum Beispiel in einem The­ater­stück mit­spie­len würde, in dem Pfannkuchen und Lau­gen­brezeln sich eine apoka­lyp­tis­che Schlacht um die Frage „Süß oder Salzig“ liefern, kön­nte ich natür­lich sagen Ich bin Pfannkuchen, denn Pfannkuchen wäre im Kon­text dieses The­ater­stücks zu ein­er Beze­ich­nung für eine etablierte Gruppe geworden.

Aber was ist mit (2)? Ich stimme Jen­nings’ Infor­man­ten zu, dass der Satz zwar (außer­halb seines his­torischen Zusam­men­hangs) ungewöhn­lich aber nicht ungram­ma­tisch ist, egal, ob damit Pfannkuchen oder Bürg­er unser­er Haupt­stadt gemeint sind. Aber in den Fällen, wo er sich auf let­ztere bezieht, müsste er eine andere Bedeu­tung haben als (1). Den Unter­schied zwis­chen „gebür­ti­gen“ und „kür­zlich zuge­zo­ge­nen“ Berlin­ern, den Jen­nings’ Berlin­er Fre­unde sehen, finde ich inter­es­sant, aber nicht ganz überzeu­gend. Meinem Sprachge­fühl nach kann ich von mir dur­chaus sagen: Ich bin Bre­mer, obwohl ich erst seit ein paar Jahren und auch nur unter der Woche in Bre­men wohne. Ich kann eine mul­ti­ple regionale Iden­tität aus­drück­en, indem ich sage: Ich bin Berlin­er, Ham­burg­er und Bre­mer. Wenn die artikel­lose Vari­ante auf gebür­tige Bürg­er ein­er Stadt beschränkt wäre, wäre das unmöglich.

Es muss mit (2) also etwas anderes (oder mehr) auf sich haben. In der Lit­er­atur habe ich dazu nicht viel gefun­den (obwohl ich ver­mute, dass da etwas zu find­en wäre). Der Pots­damer Sprach­wis­senschaftler Peter Eisen­berg schreibt in seinem leg­endären Grun­driss der deutschen Gram­matik dazu folgendes:

In [der artikel­losen Vari­ante] liegt die vom Prädikat­snomen beze­ich­nete Klasse objek­tiv fest, sie ist vom Umfang her nicht infrage zu stellen. Damit hat der Kop­u­lasatz die Funk­tion, die Zuge­hörigkeit von Karl zu dieser Klasse festzustellen. In [der Vari­ante mit Artikel] hat er eher die Funk­tion, Karl ein­er Klasse zuzuord­nen und damit den Umfang dieser Klasse, der nicht in gle­ich­er Weise fest­gelegt ist wie in [der artikel­losen Vari­ante], mit zu bes­tim­men. [Eisen­berg, Grun­driss, S. 463]

Diese Pas­sage ist auf­grund ihrer Kürze nicht ganz leicht zu erschließen, ich würde sie aber wie fol­gt inter­pretieren: In „nor­malen“ Kop­u­lasätzen, in denen dem Prädikat­snomen ein Artikel vor­angestellt ist, wird der Ref­er­ent des Sub­jek­ts ein­er Klasse zuge­ord­net, die sich über bes­timmte Eigen­schaften definiert. Diese Zuord­nung geschieht, weil der Ref­er­ent diese Eigen­schaften teilt. In diesem Sinne kann die Klasse anhand ihrer Mit­glieder bes­timmt wer­den. Wenn ich von mir sagen würde: Ich bin ein Pfannkuchen, würde ich damit aus­drück­en, dass ich die Eigen­schaften eines Pfannkuchens habe — entwed­er im über­tra­ge­nen Sinne, oder, wenn ich tat­säch­lich ein sprechen­der Pfannkuchen wäre, wortwörtlich. Wenn ich aber von mir sage: Ich bin Pfannkuchen, drücke ich damit, wie oben gesagt, aus, dass ich zu ein­er Gruppe gehöre, die nicht über ihre Eigen­schaften definiert ist, son­dern über die Tat­sache, dass ihre Mit­glieder etabliert­er­weise zu dieser Gruppe gehören.

Um das noch ein­mal zu illus­tri­eren, bevor wir zu den Berlin­ern zurück­kehren: ich kann sagen: Ich bin Pro­fes­sor, weil das Land Bre­men mich in diesen Stand erhoben hat. Mit Eigen­schaften hat das nur bed­ingt zu tun: ich habe viele Kol­le­gen, die diesel­ben Eigen­schaften haben, wie ich (sie forschen, lehren und prüfen, sie beteili­gen sich an der akademis­chen Selb­stver­wal­tung, sie haben die gle­ichen Qual­i­fika­tio­nen, usw.), die aber keine Pro­fes­soren sind, da sie noch nicht auf eine Pro­fes­sur berufen wurden.

Was bedeutet das für den Satz in (2)? Wir sehen nun, dass das Merk­würdi­ge an diesem Satz die Tat­sache ist, dass Berlin­er eine Kat­e­gorie ist, die sich nicht über gemein­same Eigen­schaften definiert, son­dern über eine kon­ven­tionelle Mit­glied­schaft (man muss in Berlin wohnen oder dort geboren sein, um zu dieser Kat­e­gorie zu gehören). Wenn ich sage: Ich bin ein Berlin­er, tue ich aber plöt­zlich so, als sei Berlin­er eine Kat­e­gorie, die sich über bes­timmte Eigen­schaften definiert, die ich teile. Solche Eigen­schaften gibt es ja in der All­t­agsmytholo­gie auch: man sagt den Berlin­ern beispiel­sweise eine raue Schlagfer­tigkeit nach (die „Berlin­er Schnau­ze“). Diese Eigen­schaften stellt der Satz Ich bin ein Berlin­er in den Vordergrund.

Das will ich nicht ein­fach so behaupten, und deshalb habe ich mich auf die Suche nach Bele­gen gemacht: ich habe bei Google nach ver­schiede­nen Adjek­tiv­en gesucht, die in den Such­mustern “ich bin ein _____ Berliner/Hamburger/Münchner” bzw. “ich bin _____ Berliner/Hamburger/Münchner” vorkom­men. Einigie dieser Adjek­tive bezo­gen sich auf die bloße Kat­e­goriezuge­hörikeit (gebür­tig, zuge­zo­gen und zugereist) andere bezo­gen sich auf die „typ­is­chen“ Eigen­schaften dieser Kat­e­gorie (waschecht, echt, typ­isch):

Adjek­tiv mit Artikel ohne Artikel
waschecht 237 80
echt 200 10
typ­isch 11 1
gebür­tig 57 7300
zuge­zo­gen 13 12
zugereist 4 4

Die Ergeb­nisse sind ein­deutig, was „typ­is­che“ und „gebür­tige“ Ein­wohn­er ange­ht: erstere bevorzu­gen die Vari­ante mit Artikel, let­ztere die ohne. Das stützt meine Ver­mu­tung. Inter­es­sant ist aber auch, dass bei den „zuge­zo­ge­nen“ Ein­wohn­ern keine der bei­den Vari­anten klar bevorzugt wird. Das kön­nte dafür sprechen, dass Zuge­zo­gene sich alter­na­tiv als zuge­hörig über etablierte Mit­glied­schaft oder als zuge­hörig über gemein­same Eigen­schaften betrachten.

Auf jeden Fall aber hat Kennedy, wie Jen­nings andeutet, genau die richtige Vari­ante gewählt, denn ihm ging es tat­säch­lich darum, eine typ­is­che Berlin­er Eigen­schaft her­vorzuheben, über die sich jed­er Men­sch auf der Welt als zur Klasse der Berlin­er zuge­hörig definieren könne. Hier ist das berühmte Zitat im Zusam­men­hang:

Free­dom is indi­vis­i­ble, and when one man is enslaved, all are not free. When all are free, then we can look for­ward to that day when this city will be joined as one and this coun­try and this great Con­ti­nent of Europe in a peace­ful and hope­ful globe. When that day final­ly comes, as it will, the peo­ple of West Berlin can take sober sat­is­fac­tion in the fact that they were in the front lines for almost two decades. All free men, wher­ev­er they may live, are cit­i­zens of Berlin, and, there­fore, as a free man, I take pride in the words “Ich bin ein Berliner.”

Frei­heit ist unteil­bar, und wenn auch nur ein Men­sch ver­sklavt ist, dann sind alle nicht frei. Wenn alle frei sind, dann kön­nen wir dem Tag ent­ge­gen sehen, an dem diese Stadt und dieses Land und dieser große Kon­ti­nent Europa in ein­er friedlichen und hoff­nungsvollen Welt geeint sein wer­den. Wenn dieser Tag endlich gekom­men ist, und er wird kom­men, dann kön­nen die Bürg­er West-Berlins nüchterne Zufrieden­heit daraus gewin­nen, dass sie zwanzig Jahre lang an der Front ges­tanden haben. Alle freien Men­schen, wo auch immer sie leben mögen, sind Bürg­er Berlins, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu kön­nen: „Ich bin ein Berliner“.

(Via Paper­pools)

EISENBERG, P., H. GELHAUS, H. HENNE, H. SITTA und H. WELLMANN (1998): Gram­matik der deutschen Gegen­wartssprache (6. Auflage), Mannheim: Dudenverlag.

EISENBERG, P. (2006): Grun­driss der deutschen Gram­matik: Der Satz (3. Auflage). Stuttgart: J.B. Metzler.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

13 Gedanken zu „Ich bin (k)ein Pfannkuchen

  1. DrNI

    Ich bin ein Schwabe. Und der Schwabe sagt ja auch “der Peter” und “die Maria” und “der Hel­ga ihre Mut­ter”. Die Schwaben lieben eben die Artikel. Was, wenn Kennedy im Herzen mehr Schwabe als Berlin­er war? 😉 

    Meine per­sön­liche Intu­ition ist allerd­ings, dass man auch im Süd­deutschen Raum “Pro­fes­sor” und nicht “ein Pro­fes­sor” ist. Bei Zuge­hörigkeit­en zu Wohnorten aber sehr oft “ein Tübinger”, “ein Münsinger”, etc. Man­gels Ver­füg­barkeit größer­er Kor­po­ra des Schwäbis­chen bleibt es bei ein­er Intuition.

    Google als Kor­pus ist übri­gens auch nicht unge­fährlich. Die Tre­f­fer­zahlen sind äußerst grobe Abschätzu­gen und tagesformabhängig. 

    Was die Pfannkuchen ange­ht: Der schwäbis­che Berlin­er ist raut­en­för­mig und heißt Fas­net­sküch­le. Er wird, wie der Name sagt, in der Zeit der schwäbisch-alle­man­is­chen Fast­nacht (Fas­net) verspeist.

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  2. Paul Wix

    Die Ergeb­nisse sind ein­deutig, was „typ­is­che“ und „gebür­tige“ Ein­wohn­er ange­ht: erstere bevorzu­gen die Vari­ante mit Artikel, let­ztere die ohne. Das stützt meine Ver­mu­tung. Inter­es­sant ist aber auch, dass bei den „zuge­zo­ge­nen“ Ein­wohn­ern keine der bei­den Vari­anten klar bevorzugt wird. Das kön­nte dafür sprechen, dass Zuge­zo­gene sich alter­na­tiv als zuge­hörig über etablierte Mit­glied­schaft oder als zuge­hörig über gemein­same Eigen­schaften betrachten.

    Das halte ich für zu kurz gedacht. Ich denke eher, dass es sich hier eher um einge­bürg­erte Redewen­dun­gen han­delt. “Ich bin gebür­tiger…” oder “Ich bin ein waschechter…” sind ein­fach etablierte Kon­struk­te, welche rel­a­tiv häu­fig ver­wen­det wer­den. Die Sätze “Ich bin (ein) zuge­zo­gen­er …” und “Ich bin (eine) zuge­zo­gene …” sind zu sel­ten, als dass sich eine Vari­ante wirk­lich her­vorheben kann. Daher ist man sich unsich­er welche Ver­sion man nun ver­wen­den will. Welche Vari­ante nun ver­wen­det wird schieb ich jet­zt mal regionalen Gepflo­gen­heit­en zu. Aber aus dieser Sprach­nu­ance etwas über das Zuge­hörigkeits­ge­fühl von Zuge­zo­ge­nen zu schließen halte ich für schlichtweg abstrus und nicht wirk­lich haltbar.

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  3. David Marjanović

    Ich bin ein Schwabe. Und der Schwabe sagt ja auch “der Peter” und “die Maria” und “der Hel­ga ihre Mut­ter”. Die Schwaben lieben eben die Artikel.

    Das gilt für den gesamten oberdeutschen Sprachraum, falls ich nicht auf­grund der späten Stunde Hoch- und Oberdeutsch ver­wech­selt habe. In meinem Dialekt z. B. sind solche Artikel oblig­a­torisch, sog­ar mit nicht zählbaren Nomen.

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  4. Zetter

    Hat den kein­er in Betra­cht gezo­gen, dass Kennedy möglicher­weise genau darauf hin­aus wollte? Vielle­icht war es Selb­stironie. Er war ja auch ein ziem­lich aufge­blasen­er Pfannkuchen. Wie die Kuba-Krise his­torisch verk­lärt wurde… ein­fach nur traurig.

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  5. Frank Oswalt

    @Paul Wix: “Ich denke eher, dass es sich hier eher um einge­bürg­erte Redewen­dun­gen handelt.”

    Diese Sätze als “einge­bürg­erte Redewen­dun­gen” zu beze­ich­nen set­zt aber eine recht eigen­willige Def­i­n­i­tion von “Redewen­dung” voraus. Aber selb­st, wenn es so wäre — die Frage ist doch, warum sich diese Vari­ante einge­bürg­ert hat. Und das erk­lärt man nicht mit All­ge­mein­plätzen wie “das sind ein­fach etablierte Kon­struk­te, welche rel­a­tiv häu­fig ver­wen­det wer­den” son­dern mit plau­si­blen, nachvol­lziehbaren Analy­sen. Haben Sie eine, die bess­er ist, als die hier vorgeschlagene?

    Nicht?

    Dachte ich mir.

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  6. Paul Wix

    @ Frank Oswalt

    Sie haben Recht. Ich habe keine bessere Erk­lärung. Ich bin auch kein Sprach­wis­senschaftler, lediglich jemand, der an Sprache inter­ressiert ist. Ich finde die These, warum sich diese Sätze durchge­set­zt haben auch völ­lig plau­si­bel und in Ord­nung. Meine Kri­tik set­zt eher an der darauf­fol­gen­den Schlussfol­gerung an, dass Men­schen, die in eine Stadt gezo­gen sind und sich entwed­er auf Grund gemein­samer Eigen­schaften oder des bloßen Wohnortes der Stadt ver­bun­den fühlen, aus diesem einen Grund den Artikel ver­wen­den oder nicht. Ich glaube aber, dass der Effekt, dass man in sein­er alltäglichen Sprache eher dazu neigt auf oft Gehörtes zurück­zu­greifen, als neue Kon­struk­tio­nen zu bastelt, hier eine nicht zu unter­schätzende Rolle spielt. Vielle­icht haben sich Kon­struk­tio­nen wie “Ich bin ein waschechter…” etabliert, da der Artikel im Satz genau seine Bedeu­tung unter­stre­icht. Das halte ich für möglich. Allerd­ings glaube ich auch, das diese Kon­struk­tion auch zu einem gewis­sen Teil zum Selb­stläufer gewor­den ist, die man schon so oft gehört hat, sodass es einem schw­er fällt den Satz ohne Artikel zu sprechen. Dies ist mein­er Mei­n­ung nach bei den Sätzen mit “zugeg­zo­ge­nen” noch nicht der Fall, da, wie ich glaube, sie zu sel­ten benutzt wer­den, als dass man sich an ihren Klang richtig gewöh­nen kön­nte. Da der Fak­tor des Selb­stläufers fehlt, fehlt auch die sprach­liche Dom­i­nanz eines bes­timmten Falls. Dieses Fehlen der Dom­i­nanz ein­er Kon­struk­tion der anderen gegenüber, würde ich nicht dahinge­hend deuten, dass speziell die Zuge­zo­ge­nen sich wahlweise auf die eine oder die andere Art ein­er Stadt ver­bun­den fühlen, denn ich denke, dass es diesen Unter­schied im Zuge­hörigkeits­ge­fühl bei allen Men­schen in ein­er Stadt gibt, nicht nur bei den Zuge­zo­ge­nen. Nicht zu Unrecht ste­ht die Fomulierung im Text auch im Kon­juk­tiv. Ich würde mich auch davor hüten einem Sprech­er den einen oder den anderen Fall zu unter­stellen, nur weil er einen Artikel benutzt oder nicht. Solche Über­legun­gen kann man vielle­icht in der Masse anstellen, aber am Einzelfall betra­chtet mutet man dem Sprech­er doch sehr viel sprach­lich­es Feinge­fühl zu, wenn man daraus wirk­lich etwas aus seinem Zuge­hörigkeits­ge­fühl schließen will.

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  7. Hessi James

    Mein erster Gedanke war der von DrNI — ich stamme aus dem Rhein-Main-Gebi­et und fand bis­lang über­haupt nichts Selt­sames an dem Satz “Ich bin ein Berlin­er”. Vielle­icht gibt es also auch in diesem Fall regionale Unter­schiede, ähn­lich der Ver­wen­dung des bes­timmten Artikels vor Vor­na­men. Den­noch kann ich die unter­stell­ten (hochsprach­lichen) Bedeu­tungsnu­an­cen gut nachvol­lziehen, danke für die inter­es­sante Abhandlung.

    Antworten
  8. FB

    Hm… Liegt es daran dass ich Schweiz­er bin, dass mir Kennedys Satz eher sog­ar geläu­figer vorkommt als die die Vari­ante ohne Artikel? Ich sage von mir spon­tan eher ich sei “ein” Schaffhauser, als Schaffhauser… Ich glaube, auf Schweiz­erdeutsch wäre das die Regel und das andere eher die Aus­nahme… Aber sich­er bin ich mir nicht. Ver­wirrende Sprache 🙂

    Antworten
  9. Allen Ziegenfus

    Thank you for the through dis­cus­sion of this top­ic! As an Amer­i­can learn­ing Ger­man in the 1980s, I was taught that say­ing “Ich bin ein Amerikan­er” was a grave gram­mat­i­cal error, with the “jel­ly dough­nut” sto­ry as “proof”. Look­ing back on this now, I won­der who inflict­ed this silli­ness upon all of us Amer­i­can Ger­man learners. 

    In Eng­lish, I would say that the expres­sion “I am an Amer­i­can”, as com­pared to omit­ting the “an”, is a bit more emphat­ic along the lines of the argu­ment here: I iden­ti­fy with the val­ues of Amer­i­ca and am proud of the U.S. In this respect, Ger­man and Eng­lish seem fair­ly common. 

    Using the much loved Google method, “I am an Amer­i­can” is twice as pop­u­lar as “I am Amer­i­can”. Could it be that this has to do with iden­ti­ty pol­i­tics and nation­al­ism? I am cur­rent­ly read­ing Win­netou II, and Karl May writes repeat­ed­ly in the voice of Old Shat­ter­hand: “Ich bin ein Deutsch­er.” May was clear­ly very proud of his “Ger­man­ness” and what it rep­re­sent­ed to him (being edu­cat­ed, against slav­ery, being hon­est) in a way that I think would be almost hard to imag­ine today.

    Antworten
  10. Allen Ziegenfus

    Nach­dem ich meinen anderen Beitrag geschrieben hat­te, dachte ich, dass vielle­icht diese Duden­regel in Bezuf auf das Weglassen des Artikels was rel­a­tiv neues in der Geschichte der deutschen Sprache ist. Zumin­d­est im Wörter­buch der Brüder Grimm gibt es keine Regel wie im Duden. Im Ein­trag für das Wort “ein” (Bd. 3, Sp. 132) betra­cht­en sie eine For­mulierung ohne Artikel als “dringlich­er, mah­nen­der”. Aber es ste­ht auch da, dass Less­ing den Artikel bevorzugt hat. 

    .…

    du bist edel­mann, geistlich­er! scheint dringlich­er, mah­nen­der gesprochen, es fällt stärk­eres gewicht auf den gehalt des wortes als wenn ihn der beige­fügte artikel ver­all­ge­mein­ert: du bist ein edel­mann, ein geistlicher.

    8) fast wie vor jen­em edel­mann beur­theile man den ste­hen­den oder fehlen­den artikel vor volk­sna­men. es heiszt sowol er ist Englän­der, Spanier, Fran­zose, Jude als er ist ein Englän­der u. s. w., franzö­sisch läszt sich nur sagen il est Anglais, Français, ohne un, woge­gen ste­hen musz c’est un Français, Anglais, wie nach unserm es ist noth­wendig ein Fran­zose, Englän­der, eben weil durch ce und es die vorstel­lung etwas unper­sön­lich­es und all­ge­meines annimmt. die gewöhn­liche nach­druck­lose beze­ich­nung hat immer ich bin ein Hesse, Sachse, Schwab, doch im pl. wir sind Hes­sen, Sach­sen. auch LESSING pflegt über­all den artikel voraus­ge­hen zu lassen:

    ein Jude wie ein Jude.

    2, 270;

    dasz Recha eine Christin ist.

    294;

    dasz sie eine Christin geboren sei.

    Antworten
  11. waltraut

    Dem Wort “Berlin­er” für ein in Fett schwim­mend geback­enes und anschliessend mit Marme­lade gefülltes ballför­miges Gebäck bin ich erst in der Schweiz begeg­net. In Bay­ern hiess das gle­iche Gebäck Krapfen. Allerd­ings kan­nte ich ein “Amerikan­er” genan­ntes Kleinge­bäck (Dr. Oetk­er Schulkochbuch 1951) etwa handtel­ler­gross, in der Mitte leicht erhaben und das ganze mit Zuck­er­guss bestrichen.

    Antworten

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